ttc. 19* ♦ 42. Jahrgang
1. Heilage ües Vorwärts
Sonnobenö, 25. Kpril 1925
Die Ilaggenfthlacht. Ein Gang durch Berlin.— Schwarz-Rot-Gold im Stratzenbild.
Der Wahlkampf befindet sich im Stadium der Siedehitze. Ein Regen von Flugblättern ergießt sich über die Passanten, und be- sonders die Rechte bombardiert mit einer Papierflut von kaum erdenklicher Stärke die Vernunft und das bessere Ich der Berliner Bevölkerung. Aus diesem Ringen entgegengesetzter Kräfte schält sich vor allem eins klar heraus: die unerhört gehässige Demagogie des Rcchtsblocks, der in seiner Propaganda keine Skrupel kennt, beginnt auf die Massen des Volkes a b- stoßend zu wirken. Man ist der plumpen Verleumdung, der Verantwortungslosigkeit müde, es geht eine Sehnen nach Sach. l i ch k e i t durch die skeptisch gewordenen Massen.— Ein Kennzeichen für die Erbitterung, mit der der Wahlkampf geführt wird. ist der F l ä g g e n k r i e g. Und hier ist ein ernstes Wort an alle Republikaner zu richten. Aur ein kleiner Teil der vielen Millionen Republikaner hat seine Chrenpslichl erfüllt. Gewiß: Die Arbeiterviertel sind übersät mit den Farben der Republik . Selbst der Westen gewinnt ein weit entschiedenes republikanisches Gesicht. Wilmersdorf . Schöneberg , Charlottenburg , überall befinden sich die Farben der Frei- heit in stetem Vorwärtsbringen. Um so beschämender ist es daher, daß in fast proletarischen Vierteln, wie in der Gegend der Zionskirchstraße. Kastanienallee usw. das schwarz- weißrote Reaktionstuch dominieren kann! Gewiß: Aus jeder deutsch - nationalen Kemenate hängt die den Rummel finanzierende Schwer- industrie 3. 4, ja S und 6 großformatige Fahnen heraus: der prole- tarische Republikaner kann nur. und auch das unter erheblichen Opfern, ein kleines Fähnchen erwerben, welches natürlich dekorativ stark abfällt. Wenn auch dieZahlderflaggendenRepublikaner die Zahl der flaggenden Monarchisten überwiegt, so ist die Zahl der schwarzweißroten Parteifahnen eine viel erheblichere. Rühmend erwähnt sei die B r u n n e n st r a ß e, die im Schmuck von zahl- reichen schwarzrotgoldenen Fahnen steht. Keine einzige monarchi- stische Farbe ist hier zu erblicken. Interessant ist auch, daß im Zentrum, z. B. in der M o h r e n st r a ß e, in der Kronen- strahe, leuchtend die schwarzrotgoldenen Farben wehen. Was hier möglich ist, könnte überall möglich sein. Soll eine Volksfeind- liche, terroristische Minderheit kraft ihres Geldsacks den Naiven ein erhebliches Format vortäuschen, als sie in Wirklichkeit besitzt? wer kein kleines materielle» Opfer für seine republikanisch« Ueberzeugung bringen kann, ist ein Phraseur, der seine Ueber- zeugung zwar wohlfrlsiert aus den tippen, aber niemals im im herzen trägt! Unglaublich kitschig und aufdringlich, wie die Rechtsblöckler für ihre verlorene Kandidatur zu wirken suchen! Vielfach erbsickt das ver- wunderte Augen an den Fenstern von Prioatwohnungen schmalzige hindenburgpostkarten und Wahlausrufe der Loebellschen Reaktions- genossenschaft angeklebt, hier ist eins seltsame Synthese von bös- artig und kindisch geschaffen, die in jene Hysterie mündet, in der sich der Geist des schwarzweißroten Gestrigen ausprägt. E i n K u r i o s u m: An einen, Hause in der Kastanienallee standen sie im Nahkamp f. EtagegegenEtag«:!. Stock schwarzweißroi beflaggt, in, II. die Farben des Deutschen Reichs und im III. die Fahne der SowjeUeute. Alles in allem: Unzählige Republi- kanerhabenbisjetztihreelementarstePslichtnoch nicht erfüllt. Es wehen zwar sehr viele schwarzrotgoldene Lahnen in der Stadt, aber es wehen noch viel zu wenige. Es gibt in Berlin über eine halbe Million republikanischer Männer und Frauen. Jeder fünfzigste nur braucht zu flaggen: S o wehen
l0 00ü Freiheilsfahneu über Berlin . Noch ist es Zeit: Bis morgen mittag muß der Ost e n. muß der Norden in die Farben Schwarz-Rot-Gold gekleidet sein: bis morgen mittag müssen hunderte, müssen tausende neuer republikanischer Fahnen aus den Wohnungen der Arbeit wehen.
Relchsprästöentenwahl 2. Wahlgang
Wollen wir uns von den Untergangspatrioten an Rührigkeit übertreffen lassen? Republikaner! Republikanerin! Morgen vormittag um S Ahr liest du diese Zeilen. Roch am gleichen Tage muh die Fahne der Republik aus deinem Fensler wehen! Sagt nicht, daß das nebensächlich wäre. In nichts, auch im Kleinsten n i ck> t. dürfen wir vor der nationalistischen Clique auch nur um Haaresbreite zurückweichen. Und darum nochmals: als letzter, als helligster, als dringender Mahnruf: heraus mit dem schwarzrotgoldenen Banner der freien deutsche» Republik ! Schwarzweißrote Zahnen am Mntsgerlcht. Die schwarzweißrote Fahne auf dem der Stadt Berlin gehören- den Schulgrundstück des städtischen Margaretenlyzeums in der Jfflandstraße(vgl. unsere Mitteilungen in Nr. ISZ) hat noch em Seitenstück In Lichtenberg zeigt das am Wagnerplatz stehende Dienstgebäude des Amtsgerichts— zur Verwunderung manches Vorübergehenden— einen ähnlichen„Schmuck". Vor einem Fenster des obersten Stockwerkes hat man schwarzweißrote Fähnchen angebracht, die weithin sichtbar sind und sofort auffallen. Mit ihnen
soll zur Reichspräsidentenwahl für Hindenburg demon- st r i« r t werden, der das Vertrauen der Monarchisten hat. Offenbar handelt es sich hier— ebenso wie bei dem Margaretenlyzeum— um eine Dienstwohnung. Wie wir über derartige Deinonsirattonen an Dienstgebäuden denken, haben wir aus Anlaß des vom Mar- garetenlvzeum gemeldeten Falles gesagt. Die schwarzweißroten Fähnchen an dem Dienstgebäud« des Amtsgerichts Lichtenberg können weniger leicht zu der irrigen Annahme verleiten, daß mai, es init einer offiziellen Demonstration zu tun habe. Aber die Frage drängt sich uns doch auch hier auf, was wohl in den Zeiten der Monarchie einem Gerichtsbsamten widerfahren wäre, wenn man vor dem Fenster seiner im Eerichtsgebäude ihn, angewiesenen Dienstwohnung eine für die Sozialdemokratie demon- strierende Fahne gesehen hätte. Da hätte es dem Verwegenen nichts geholfen, sich darauf zu berufen, daß er ein„Recht""habe, feine politische Ueberzeugung frei zu bekunden. Dem., dieses Recht, das er heute hat und behalten soll, hatte er d a m a l s n i ch t! Welcher Beamte hat Lust, durch die Wahl eines Hindenburg eine Wiederkehr jener Zustände vorzubereiten? Gerade die Beamten haben allen Grund, bei der Rsichspräsidentenwahl ihre Stimme dem Republikaner Marx zu geben.
In diesen Kreis gehört Dein Kreuz, Republikaner
ver Potsdamer Platz . Eine Domäne der völkischen? Die Zustände auf dem Platz vor dem Potsdamer Bahnhof nehmen allmählich unhaltbare Formen an. Von, frühen Vormittag bis zum späten Abend halten sich dort große Scharen von Angehört- gen aller völkischen Verbände auf. Diese belästigen republikanische Passanten in der unglaublichsten Weise. Einer Zuschrift entnehmen wir das Folgende: Ich ging am Donnerstag, den 23. April, in Begleitung eines Bekannten über den Platz. Nach wiederholten Anpöbeleien, auf die wir weiter nicht reagierten, versperrte uns ein größerer Haufe von 20 bis 30 Mann den Weg. Der Anführer forderte uns in unverschämtester Form auf, unsere„provozierenden" Abzeichen ljchwarzrotgol- dene Schleife und Reichebannerabzeichen) abzulegen. Wir ent- sprachen dieser Forderung selbstverständlich nicht. Sofortsiclen die Rowdys über uns her, drängten uns auseinander und hieben mit dicken Bergstöcken, Gummischläuchen usw. auf uns ein. Wir setzten uns zur Wehr, konnten aber erst nach emigen Minuten von einem Schutzpolizisten befreit werden. In, Gedränge hatte man mir meinen H üt gestohlen, den Stock zerbrochen usw. Meiner Bitte um Feststellung einiger der Uebeltäter entsprach der Beamte nicht. Ich begab mich daraufhin zur Stationswachc des Potsdamer Bahnhofs, um zu veranlassen, daß der völlig unzureichende Posten der Schutz- polizei aus dem Platz(fünf Mann!) verstärkt würde. Man erklärte mir. man habe nicht genügend Beamte zur Verfügung: außerdem hätten wir ja nicht über den Platz zu gehen brauchen. Meine Frage, ob denn der Platz gewisser- maßen als Domäne der völkischen Rowdys zu betrachten sei und ob die Polizei nicht die Aufgabe habe, die Passanten gegen- über derartigen Vorfällen zu beschützen, beantwortete der dienst- tuende Oberwachtmesster sehr barsch damit, daß ich ihm„keine Vorschriften" zu machen hätte und er sich in keine Diskussion mit mir einlassen könnte, Immerhin schickte er nach einiger Zeit einen Wachtmeister mit mir mit, durch den ich einen der Rowdys feststellen ließ. Aus der Wache gab er an, er und seine Kameraden stünden den ganzen Tag dort, um abends zu der Reichs- blockkundgebung im Sportpalast zu marschieren. Mein Abzeichen habe„provozierend" gewirkt, Reichsbannerleute hätten auf dem Platz nichts zu suchen.(Sein überlebensgroßes Hakenkreuz auf der Brust wirkte anscheinend nicht aufreizend.) Die Polizei ist an dieser gefährdeten Stelle viel zu schwach, hat auch anscheinend nich, große Lust, einzugreisen. Bei jeder größeren
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Anthony Zahn. Roman von Ierome fi. Zerome.
•„Es hat dich heiß und stark gepackt, mein Junge. Ich ahnte ja, daß es so sein würde. Aber die wildesten Flammen brennen nicht immer am längsten.", Anthonys warf sich neben der Mutter auf die Knie, ver- barg das Gesicht in ihrem Schoß. Sie fuhr zusammen, und ihre kleine magere Gestalt wurde steif. Er bemerkte es mcht. Hätte sie doch' ihre Hoffnungen vergessen können, nur aus einen Augenblick. „Mutter." flüsterte er,„es ist so schön, es muß währen. muß ewig sein. Nur die kleinlichen Gedanken verbergen es gleich Nebeln vor unseren Augen." Er blickte auf: seine Augen waren feucht.„Ich mußte ja bis heut« nicht, wie lieb ich dich habe," sagte er.„Deine lieben, müden Hände, die für mich geschuftet haben. Ohne dich hätte ich Eleanor nie getroffen, nie mit ihr gesprochen. Du hast sie mir geschenkt. Mutter, sie ist wundervoll. Natürlich erscheint sie anderen nur schön und lieb, für mich aber bedeutet sie viel mehr. Manchmal er- schrecke ich fast, als sähe ich etwas, das nicht von dieser Welt ist. Was sagte Betty?" fragte er unvermittelt.„War sie erstaunt?"_., „Sie sagte, sie wäre darüber froh, daß du eines Gefühls fähig seiest. Behauptete, sie habe dich deshalb nur noch lieber." Er lachte.„Gute Betty. Ich wußte ja, daß sie mich ver- stehen würde.".....„ � �_ Wenn er an die unvermeidliche llnteredung mrt Sir Harry Coomber dachte, verließ ihn zum erstenmal im Leben fem Selbstvertrauen. Es lag ibm viel daran, sie hinter sich zu haben, Eleanor hielt ihn zurück. „Du kennst den Dater nicht." warnte sie.„Cr ist imstande und schleppt mich nach China oder �eru. um der Sache ein Ende zu bereiten. Vergiß nicht, daß ich erst siebzehn bin. Außerdem wird er nicht mehr lange leben, und ich möchte ihn nicht kränken. Warte, bis ich mit Jim gesprochen habe. Ich werde ihn bitten, herzukommen. Habe ihn noch gar nicht in seiner Uniform gesehen. Er wird sich gern bewundern lassen. Sie lachte. Jim, ihr Bruder, war etwa um sechs Jahre älter als sie. Die beiden standen sehr gut mit einander, und sie hoffte, daß er für sie Partei ergreifen werde. Sie verheimlichte Anthony die Tatsache, daß sie einen harten Kampf vor sich ahnte. Es
handelte sich dabei nicht nur um Geld, wenngleich sie wußte, daß die Familie mit ihrer Schönheit gerechnet hatte, um die finanzielle Lage zu heben. Das größte Hindernis würde der Familienstolz fein. Der Stammbaum der Coombers war ein ganz besonders altes und schattenreiches Gewächs. Adam und Eva hatten feine Wurzeln gepflegt; auf dem Bild lockerte Adam die Erde rings um den Baum, während Eva ihn aus einem Ziegenfellschlauch begoß: der Künstler hatte die Feigen- blattperiode gewählt. Unter Karl dem Großen nahm der Stammbaum bereits eine feste Form an; die ersten Ahnen der Familie Coomber zeigten sich als Aefte in der Zeit Wilhelm des Eroberers. Damals vermochten sie ihren Namen noch nicht richtig zu schreiben; erst unter Jakob dem Ersten kam er in seiner heutigen Form vor. Unter diesem Stammbaum saßen sie eines Abends, Eleanor und Jim, neben dem flam- Menden Kaminfeuer. Sir Harry und Lady Coomber hatten sich, wie gewöhnlich, um zehn Uhr zurückgezogen. Die beiden verharrten eine Weile schweigend; Jim fühlte den ganzen Abend instinktiv, daß Eleanor ihn aus einem bestimmten Grund nach der Abbey rief. Er rauchte bedächtig seine Pfeife. „Du gefällst mir in der Umform, Jim," sagte das Mädchen.„Sie steht dir gut." Er lachte.„Ich werde sie wohl gegen ein weniger prunk- volles Gewand umtauschen müssen." „Ist das unbedingt notwendig?" „Ich weiß nicht, wer im Jahr fünfzehnhundert Pfund zu- schießen wird, und mit weniger ist es ausgeschlossen. Höchstens Tante Mary; aber auch das ist ungewiß." „Eigentlich war es unvernünftig, diesen Beruf zu wählen." „Es ist eben eine alte Familientradition," entgegnete Jim.„In meinem Fall freilich war es einfach lächerlich. Ganz der liebe alte Dater: zuerst etwas tun und nachher dafür bezahlen." Sie klopfte mit dem Fuß gegen das Kamingitter.„Es klingt nicht hübsch." meinte sie,„aber ich fürchte, daß er mich als Bankeinlage betrachtet." „Du meinst eine reiche Heirat?" fragte er.' � Sie nickte.'• Er lehnte sich im Lehnstuhl zurück und blies Rauchringe in die Luft. „Besteht eine Aussicht?" erkundigte er sich. Sie schüttelte den Kopf.„Jetzt nicht mehr. Ich habe mich verliebt.",
Er setzte sich plötzlich gerade auf.„Verliebt? Du bist ja noch ein Kind." „Das glaubte auch ich vor einem Monat." „Wer. ist es?"„„ � „Ein junger Rechtsanwalt, entgegnete sie.„Der Sohn eines Mechanikers. Es heißt, seine Mutter habe als Scheuer- frau gearbeitet: aber das kann auch bloßer Klatsch sein." „Du lieber Gott ! Bist du verrückt?" Sie lachte.„Ich wollte dir gleich das Aergste erzählen. Er ist etwas ganz Außergewöhnliches, ist der Typus, von dem die Welteroberer stammen: auch Napoleon war der Sohn eines Provinzadvokaten. Er, nicht Napoleon , ist schon heute einer der bekanntesten Männer in Millsborongh; was auch immer er anrührt, alles geht gut. Er wird bestimmt als Millionär und Mitglied des Hauses der Lords enden. Aber ich will ihn nicht deshalb heiraten. Erzähle dir das nur» um es dir leichter zu machen, für mich Partei zu ergreifem Ich würde ihn ebenso lieben, wenn' er ein Krüppel mit einem Wochenverdienst von einem Pfund wäre. Würde, gleich seiner Mutter, scheuern gehen. Es hat keinen Sinn, mir abzuraten, Jim. Hat es in unserer Familie je einen Mann oder eine Frau gegeben, die die Vernunft höher werteten als die Liebe? Auch dies ist unser Erbteil. Und du wirft mich eines Tages verstehen, wenn du es nicht schon jetzt tust." Sie hatte sich erhoben, trat hinter ihn und legte ihm die Arme um den Hals.„Wir haben immer zusammengehalten. Jim, sei auch diesmal mein Freund." „Wie ist er denn?" brummte der Bruder. Sie lachte.„Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Da ist er; schau ihn dir an." Sie nahm Jims Gesicht zwischen beide Hände und wandte es dem Bild des Mönches Anthony zu. der mit gekreuzten Armen dastand, umschimmert von einer seltsamen Helle. „Es ist eine schöne alte Legende." fuhr sie fort.„Sir Percival hat ihn nicht getötet. Du weißt ja. daß seine Leiche nie gefunden wurde. Die Legende erzählt, daß der heilige Aldys erschien, sich zu dem Blutenden niederneigte, ihn wie ein Kind in die Arme nahm und forttrug. All diese Jahre schlief er in den Armen des Heiligen, und nun ist er wieder» gekehrt. Er muß es sein. Die Aehnlichkeit ist auffallend, und auch der gleiche Name: Anthony Strong'nth'arm. Sie waren schon hier, ehe wir kamen, Bauern, Handwerker. Und er kehrte zurück, um den Seinen zu helfen, sie zu befreien. Ich aber will das alte Unrecht sühnen, indem ich ihm helfe und ihn liebe,"........._(Fortsetzung folgt.)