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Nr. 21142. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Haushaltdebatte im Rathaus.

Die Berliner Stadtverordnetenversammlung verwendete gestern noch eine ganze Sizung von beträchtlicher Länge auf die fortjeßung der ersten Beratung des Stadthaus haltplanes. Nach den Reden der kleineren Fraktionen, den Demokraten, der Wirtschaftspartei, dem Zentrum und der Einmann fraktion Knüppel- Kunze wurde die zweite Reihe der Redner durch unseren Genossen Reimann eröffnet, der sich besonders mit den Deutschnationalen und ihren kommunistischen Bundesbrüdern und mit der Wirtschaftspartei auseinandersetzte. Die übrigen Redner ſprachen vor leeren Bänken, und als der Kommunist Stolt als letzter zu Worte kam, war außer einigen Kommunisten faft niemand mehr im Saal.

In der gestrigen, um 5% Uhr durch den Vorsteher Genossen Haß eröffneten außerordentlichen Sigung der Stadtverordneten, sezte die Versammlung die erste Beratung des

Den

zu stecken schienen.

Stadthaushaltsplanes für 1925

fort. Merten( Dem.) wies darauf hin, daß Spandau   und Köpenick   bei der Zuweisung von einmaligen Ausgaben aus dem ordentlichen Etat sehr reich bedacht sind, und sprach die Hoffnung aus, daß sich die gerade in diesen Außenbezirken grassieren Loslösungsbestrebungen nummehr verflüchtigen werden. Den Dezernenten für das Schulwesen, Stadtrat Be­nede, glaubte der Redner gegen den Vorwurf des Genossen Dr. Lohmann, als sei Benecke von Vorliebe für das Privatschulwesen beseffen, ganz besonders in Schuh nehmen zu müssen. In den Dienst einer Partei dürfe man ebensowenig die Schule wie die Schuljugend stellen. Zum Schluß deutete er an, daß ihm in dem Entwurf des Stadthaushaltplans erhebliche stille Reserven Der Kämmerer Harding ſtellte Werten gegen über richtig, daß eine unverhältnismäßige Steigerung der Ver­waltungsausgaben gegenüber 1924 tatsächlich und erfreulicherweise nicht vorliegt. Für die Wirtschaftspartei sprach Müller- Franien. Er legte den Hauptakzent auf die ungemeine Geld und Kreditnot, die die kleine wie die große Wirtschaft in ihrer Entwicklung fort bauernd hemme. Helfen könne nur eine völlige Abkehr von der heute betriebenen Steuerpolitik; heute würden die Steuern nicht aus den Ueberschüssen der Wirtschaft gezahlt. Wirkliche Sparsamkeit merde erst geübt, wenn man die sechs Verwaltungsbezirke Alts Berlins wieder verschwinden lasse. Lange( 3) fonnte auch den Blan für 1925 nur als Provisorium ansehen, da immer noch günstige Stredite nicht zu haben seien und daher für gewisse unaufschiebbare Bauten u. dgl. die Mittel aus den laufenden Einnahmen ent­nommen werden müssen, was wieder eine Ermäßigung der Steuer­last verhindere. Die städtischen Werte

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feien zwar in der Verwaltung und im Betriebe freier gestellt worden, aber die erhofften Vorteile feien ausgeblieben, die Tarife feien zu hoch, die Leistungen zu gering. Die Gewerbesteuerlast des Mittelstandes müsse er­leichtert werden, sonst sei es mit der Gesundung des Mittelstandes nichts. Die Hauszinssteuer werde in den einzelnen Bezirken un gleichmäßig veranlagt. In der Aufwertungsfrage müsse endlich den fajönen Worten des Kämmerers die Tat folgen. Für die Siedlung müsse die Stadt nachdrücklich ihr Können einsetzen, auch für eine zwedmäßige tostenlose Siedlungsberatung in Zentrale und Bezirken Sorge tragen. Näher ging der Redner dann auf das Schulwesen ein. Er sprach sich dabei gegen eine eigene Turndeputation aus, die ebenso verfehri sein würde wie die 1924 aus politischen Mo­tiven geschaffene besondere Deputation für das Berufs- und Fach­fchulmesen verfehrt gewesen sei. In den städtischen Betrieben sei leider immer noch nicht der Friedensstand des Real. Iohns erreicht; auch die Lohn- und Gehaltsfrage müsse aus dem Gesichtswinkel der Familie, der Bevölkerungspolitik betrachtet werden. Wie hoch belaufe fich denn der finanzielle Effekt der großen Abbauaktion? In den Kämmerer setze die Zentrumsfraktion nach wie vor volles Bertrauen. Natürlich fonnte in dieser Rednerreihe Richard Kunze   nicht fehlen. Was er sagte war ohne Belang.

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Anthony John.

Roman von Jerome K.   Jerome.

Es tut mir wohl, Sie wiederzusehen," sagte fie. ,, Aber was haben Sie denn mit Ihrem Haar angefangen, mein Junge?" Sie strich ihm leicht über die Haare, drückte ihn dann in einen Lehnstuhl neben dem Feuer.

Er lachte. Wir in Millsborough ergrauen früh." Er betrachtete sie verwirrt, sagte dann plöglich: Jetzt weiß ich es."

,, Was?" fragte sie lachend.

Worin Sie sich geändert haben. Als wir uns das letzte mal sahen, waren Sie die Aeltere, jezt aber find Sie die Jüngere; ich meine nicht nur äußerlich.

Ja, es ist eine Schande," entgegnete fie ernst. Sie ver­dienten das Geld, das ich ausgab. Das hat Sie alt gemacht. Ihr seid ja alle so alt, ihr Geldverdiener; ich kenne eurer viele. Haben Sie noch nicht genug?"

,, Darum handelt es sich nicht. Es wird zur Gewohnheit. Ich wüßte nicht, was ich sonst mit mir anfangen follte!" Sie ließ sich von ihm erzählen. Zuerst fiel es ihm schwer; es gab so wenig zu sagen. Jim war in Rugby, wollte Soldat werden. Bettys Bruder hatte geheiratet, besaß einen Sohn und zwei Töchter. Doch war der Sohn vom Pferd gestürzt und zum Krüppel geworden, deshalb mußte der junge Strong'nth'arm die Traditionen der Coombers übernehmen. Da er reich war, würde es ihm leicht fallen. Sein Onkel weilte noch in Indien  , wollte aber im Frühling zurückkehren. Norah befand sich in einer Schule in Cheltenham  . Sie war ein felbständig denkendes Geschöpf, wollte die Schule verlassen, sich in Wien   weiter bilden. Ein Nachteil des Reichtums war die Tatsache, daß er einen von den Kindern trennie. Wären sie arm gewesen, so würde der Junge bei Anthonns altem Freund Tetteridge studiert haben; was den Unterricht anbelangte, hätte er gar nichts Besseres finden können. Und das Mädchen wäre in Fräulein Landripps Schule gegangen. Derart hätten fie alle zusammen bleiben können. Eleanor sei mundervoll; Beitn würde sie nicht um einen Tag gealtert finden.

Betty lachte. Das spricht für Sie, Anthony, bedeutet, daß Sie Ihre Frau noch immer mit den Augen eines Lieben den sehen. Die Zeit, von der Sie reden, liegt siebzehn Jahre zurüd."

Anthony wollte es erst nicht glauben, mußte fich aber denn durch die Tatsachen überzeugen lassen. Dennoch behaup­tete er unterschütterlich, Eleanor jei wundervoll. Die meisten Frauen in ihrer Steffung hätten nach Geselligkeit verlangt, i

Gen. Reimann nahm Anlaß, sich mit einigen Bemerkungen des Dr. Steiniger auseinanderzusehen. Die Sozialdemokratie habe die Sanierung der Wirtschaft durch Marstabilisierung nicht selbst voll­führen helfen können, weil die andauernde Obstruktion gerade der Rechten alle Bersuche der Regierung Wirth usw. in dieser Richtung unmöglich machte. Mit genauem Zahlenmaterial mies Gen. Rei­

mann nach

wie gering die Belastung des Belizes   gegenüber der Belastung der breiten Masse

Mittwoch, 6. Mai 1925

jenigen in die Schule getragen worden, die schon den Zwanzigjährigen das Wahlrecht gegeben haben.( Unruhe links.) Nadjem um % 10 Uhr noch Stolt( Komm.) fich mit der Werkpolitik der Stadt bzw. des Oberbürgermeisters, sowie mit der schwerindustriellen Luther­regierung im Reiche auseinandergesetzt hatte, beschloß die Versamm lung, den gesamten Haushaltsplan dem Haushaltsausschuß zu über­weisen.

Schluß gegen 10 Uhr.

Monarchistische Jugendpflege.

Und was fun die republikanischen Behörden? Als nach den stürmischen Novembertagen des Jahres 1918 sich das Bürgertum auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellte, da hörte man auch in den Kreisen der Jugend feine Stimme mehr, die fich für monarchistische und militaristische Ideale begeisterte. Inzwischen ist die Situation ein wenig anders geworden. Die Reaktion hat ihr Haupt wieder erhoben und es verstanden, gerade weite Schichten der Hochschulkreise und der studentischen Jugend für ich zu gewinnen. Selbst die Jugend der ärmeren Bevölkerungs­freise wird heute wieder mehr vom reaktionären Geist erfaßt. Diese Tatsache ist auf das Konto der alten Autoritäts­erziehung mit ihrem militaristischen Einschlag zu setzen. Eine Republik   aber fann es sich nicht gestatten, daß ihre Zukunft, die der heutigen Jugend in die Hände gegeben ist, wieder monarchisti­zustellen, daß zahllose Jugend- und Sportvereine ins Leben gerufen werden, deren Arbeit in ihrem Endzwed diesem Ziele gilt. Abgesehen von den rein völ­fischen Verbänden, sind es vor allem die Kreise der Bismarc Jugend der Deutschnationalen Volkspartei, die heute dem mon­archistischen Gedanken huldigen und sich auch in ihrem Sport" betrieb mit aller Energie auf die Wiederkehr der guten, alten Zeit" und Wilhelms des Holländers vorbereiten. In der Zeitschrift der Bismard- Jugend, dem Jung- Bismard- Berlin  ", treibt man ganz lichung der alten monarchistischen und militaristischen Tradition offen monarchistische Propaganda. Neben der Verherr­finden wir in den Spalten nur Zeilen der Herabsehung des republikanischen Gedankens und der republikanischen Farben. Von dem fortschrittlichen Geist, den eigentlich die Jugend erfüllen soll, ist hier nichts zu spüren. Eine Schande für den deut­ichen Geist aber ist und bleibt es, wenn nach mehr denn sechs erscheinen kann, die an ihrer Spize das alte, schöne" Motto trägt: Jahren deutscher Republik   in diefer Republik eine Jugendzeitschrift

H

durch indirekte Steuern gewesen sei; jo standen 1922 der letzteren in Höhe von 215 Millionen ganze 31 Millionen an Befizsteuern gegenüber, und im Inflationsjahre 1923 habe der Besitz sich in noch viel umfassenderem Maße von Steuern drücken können. Gewiß habe auch das Gewerbe heute schwer zu tragen, aber von hohem Steuer drud, von dem Herr Müller- Franken gesprochen und an dem es nach dessen Meinung zugrunde gehen müßte, jei, wie schon der Kämmerer dargetan habe, gar keine Rede. Auch die Sozialdemokraten seien nicht mit allem einverstanden, was die Ge­schäftsführung der Städtischen Werke betreffe, aber eine Ber  - scher Zerfetzung preisgegeben wird. Es ist gegenwärtig jedoch fest­gleichung mit der Borkriegszeit unter Heranziehung der Geldent­wertung zeige doch, daß das Lob der Privatwirtschaft gegenüber den Städtischen Werken sehr wenig angebracht ist. Die Lösung des Verkehrsproblems sei dringlich, und die Mittel dafür müßten hergegeben werden.( Ruf rechts: Wovon?) Dr. Lohmann habe ja schon auf die Grundsteuer hingewiesen, die keineswegs bei 100 Broz. stehen zu bleiben brauche Herr Müller- Franken scheine heute den Schwanengesang der Wirtschaftspartei angestimmt zu haben. Der Hausbesitzer habe gerade so gut zu den aus- und Grundbesig sei doch als Kapitalsanlage zu be­allgemeinen Lasten beizutragen, wie jeder andere Staatsbürger; der trachten, und als solche habe er doch aus der Inflation sehr reale Werte herübergerettet. Es sei jetzt die Zeit da, wo die städtischen Betriebe wieder zu Musteranstalten ausgebaut werden müßten auch in den Lohnverhältnissen. Nach Dr. Steiniger sei die Behand lung der Bor or te durch die Zentrale verschiedenartig, je nachdem lichen Bezirke sehr in Gunst, während die nördlichen und östlichen fie oben" angeschrieben seien. Tatsächlich ständen doch die weit Bezirke, Wedding  , Pankow   und selbst der Stadtbezirk Friedrichs hain sehr schlecht daran seien. Mit Recht habe Merten auf den

it Gott für Kaiser und Reich!" Derartigen Aeußerun­gen wird man zweifellos mit Berboten nicht Herr werden fönnen. Erwarten dürfte man jedoch nicht, daß republikanische Unfug des Tragens von Parteiabzeichen in den Schulen Behörden diesen Organisationen noch ausdrück­hingewiesen. Wohin solle es kommen, wenn sich die Dinge so weiterliche Unterstügung gewähren. Jede Jugendorganisation, dem Vorsteher as gegenüber einer Aeußerung non Dörr den entwickeln?( Unruhe rechts.) Zum Schluß sprach Gen. Reimann die teilhaben will an den Rechten und Pflichten im Staate, bedarf der Anerkennung als Jugendpflege treibender Verein seitens der ausdrücklichen Dank dafür aus, daß er verstanden zuständigen Jugendämter. Auch die Bismard- Jugend betrachtet habe, in der Versammlung Ruhe und Ordnung nach zahlreichen Aeußerungen ihre Arbeit als im Interesse der wiederherzustellen und eine Art der Verhandlung zu er Jugendpflege gelegen und verlangt von den Organen der möglichen, wie sie sich unter gesitteten Menschen geziemt. Den fom Republit, den Jugendämtern, ihre Anerkennung und die Unter­Sozialdemokratie mit Zuversicht entgegen; sie habe feine Ursache, Gott für Kaiser und Reich", wie sie die Bismard- Jugend zu be menden Neuwahlen der Stadtvertretung sehe die ftübung ihrer monarchistischen Tätigkeit. Die Jugendpflege ,, mit ihre Politik zu ändern, die sich als durchaus eriprießlich für Berlin  treiben beliebt, steht im Widerspruch zum Geiste der und für das ganze Land erwiesen habe.( Lebhafter Beifall bei den Reichsverfassung und tann daher in feiner Weise die Unter­Sozialdemokraten.) stügung der Behörden beanspruchen. Es muß deshalb erwartet werden, daß überall, ganz besonders in den Kommunalverwaltun gen, mit aller Entschiedenheit gegen diese monarchistische Jugend­pflege Stellung genommen wird.

die Berteidigung der Deutschnationalen gegen Reimann. Er ver Väth( Dnat.) übernahm an Stelle des abwesenden Dr. Steiniger suchte außerdem den Nachweis, daß der gesamte Ueberschuß aus den Steuereingängen von der Gewerbesteuer herrühre, daß darum letzten Endes diese am Ruin des Gewerbes und des Mittelstandes schuld sei. Der Kämmerer Harding bestritt Herrn Bäth, daß der von ihm ver­suchte Nachweis gelungen sei, und fonnte die über die Steuererträg niffe für 1924 ins Feld geführten Ziffern als richtig nicht anerkennen. Dr. Caspari( D. Vp.) setzte sich für die Beibehaltung der Dezen tralisation in Alt- Berlin ein; man fönne eher die Zahl der Außen bezirke durch Zusammenlegung vermindern. Politik auf weite Sicht fönne nicht getrieben werden, solange es feine Anleihekredite gebe. Die lebernahme des Deutschen Opernhauses sei allerdings eventuell eine beträchtliche Laft. die man aber habe über nehmen müssen. Die Politik in der Schule lehnte Herr Dr. Caspari ab; er will weder die jetzige noch die frühere Staatsform in den Schulen heruntergerissen wissen. Die Politik sei aber durch die

das alte Landhaus mit vornehmen Freunden und Bekannten gefüllt, ein Haus in London  , eine Villa in Homburg  , einen Winteraufenthalt an der Riviera gefordert, und würden es Anthony überlassen haben, sich in Millsborough beim Geld­verdienen halbtot zu schaften. Dies war es, was die Mutter stehts gefürchtet hatte. Aber nun war sie seit langem schon anderer Ansicht über Eleanor, hatte diese sehr lieb gewonnen. Wenn Norah heimfam, würden sie freilich ihre zurückgezogene Lebensweise aufgeben müssen; doch wird er dann auch schon mit dem Geldverdienen fertig sein. Er hatte entdeckt, oder vielmehr Eleanor hatte die Entdeckung gemacht, daß er ein guter Redner sei. Vielleicht würde er fürs Barlament tandi­dieren; nicht etwa, daß er eine politische Karriere anstrebe, aber um die Reformen zu fördern, die ihm am Herzen lagen. Das Parlament gab einem Menschen eine gute Plattform, man wurde vom ganzen Land gehört. Der Tee war gebracht worden. Sie saßen einander gegenüber vor dem Kamin. ,, Es erinnert mich an alte Zeiten," meinte Betty. Ent finnen Sie sich noch unserer Gespräche und langen Spazier­gänge auf dem Moor? Wir mußten schreien, um den Wind zu übertönen."

Anthony antwortete nicht sofort. Er starrte auf sein Bild in einem fleinen venezianischen Spiegel an der Wand, erinnerte sich, daß der alte Herr Mowbray einst gefunden hatte, er beginne Zeb zu gleichen. Nun bemerkte er selbst die Aehnlichkeit, besonders was die Augen betraf.

Ja," erwiderte er ,,, ich entfinne mich. Ted war ein Träumer, der von einer neuen Welt träumte. Sie hingegen waren für das Praktische, für Verbesserungen in der alten." Ja, ich glaubte an diese Möglichkeit."

"

Er schüttelte den Kopf. Sie irrten, es geht nicht, wir waren die Träumer. Und Ted hatte den praktischen Verstand. Ja, ich arbeite im alten Sinne weiter," fuhr er, ihren fragen den Blick beantwortend, fort. Was sonst fann ich tun? Früher erhofften wir allerlei von den Reformen. Jezt müssen wir diese Hoffnung vortäuschen. Ich hoffte, daß die Musterwohnhäuser die Slums fortfegen würden: heute gibt es in Millsborough ganze Meilen von neuen Slums, die vor zehn Jahren noch nicht bestanden. Und ich persönlich zöge die Slums den Musterwohnhäusern vor, weil man darin weniger das Gefühl eines Gefängnisses hat. Wir taten fa unser Mög­lichstes. Richteten in den Wohnungen Bäder ein. Das war für Millsborough eine ganz neue Idee. Die lokale Bresse war empört; fie nannte es Das Proletariat verwöhnen". Die Leute hätten ihre Druckerschwärze sparen können. Die Bäder wurden als Kohlenbehälter benützt oder als Ausguß. Wir legten eine gute Kanalisation an, und die Menschen verstopfen

Der Gamaschenonkel.

Polizeibehörden aller deutschen   Großstädte seit 11 Jahren gesuchten Der Berliner   Polizei ist es endlich gelungen, einen von den Hochstapler. einen gewissen Julius Jakobn, festzunehmen und einer großen Reihe von Miffetaten zu überführen. Man stellte ihn nämlich nicht weniger als 24 betrogenen und bestohlenen Frauen gegenüber, die ihn alle bestimmt wiedererkannten.

Im Jahre 1914 trat in München   in der Uniform eines preußi schen Militärarztes ein Mann auf, der sich Dr. Kantstein, Dr. Panzer usw. nannte. Sein ziemlich plumper aber erfolgreicher Trick bestand darin, daß er sich ein möbliertes Zimmer mietete und die Gelegen heit abpaßte, um aus dem Zimmer wie aus der Wohnung seiner

Vor

mit Staub und Schmuß die Ausflußröhren. Andere werfen den Schmutz zum Fenster hinaus. Diese Menschen verlangen nicht nach Reinlichkeit; fie mußten im Schmuß aufwachsen, und der Schmutz flebt an ihnen. Und es wird immer so sein; so lange die Kinder im Schmuz heranwachsen. Freilich findet man auch einige saubere Heime in den schmierigsten Straßen. Aber sie gehen in der Masse verloren. Heute ist Millsborough fchwärzer, schmutziger und elender als es früher war. fünf Jahren legten wir auf den Hügeln Gärten an; jetzt fom­men dort alle Gauner und Diebe zusammen. Was wir tun, ist nichts weiter, als inmitten eines Dschungels einen fleinen Garten pflanzen; früher oder später wird er unfehlbar vom Dschungel überwuchert. Jeder Windstoß trägt hierzu die Samen herbei. Und die Beteiligung der Arbeiter am Brofit? Auch das kann so nicht durchgeführt werden. Führt zu Streit und Hader, die Starten verschwören sich wider die Schwachen, die fluchend nachgeben müssen. Das alte Spiel der Habgier beginnt von neuem. Und die Genossenschaften: die An­gestellten verlangen, daß die Preise erhöht, ihr eigenes Fleisch und Blut geschädigt werden, damit sie höhere Löhne erhalten können. Und wenn ich ihnen dies vorhalte, so reden sie von meinen Unternehmungen und den von uns erzielten Dividen den." Er lachte. Erinnern Sie sich an den alten Pfarrer Sheepskin? Als junger Bursche suchte ich ihn einmal auf, um das Begräbnis meines Onfels zu besprechen. Und er hielt mir eine Gratispredigt. Ich weiß nicht, weshalb; in jenen Tagen intereffierte mich die Religion nicht besonders. Aber ich sehe noch sein befümmertes, rosiges, rundes Gesicht vor mir, die kleinen, fetten Hände, die beim Sprechen zitterten. Es war kurz vor Weihnachten, vor Christi Geburtstag, und er erflärte, er fönne einzig und allein an die Weihnachts­rechnungen denken. Es sei nicht seine Schuld. Wie könne ein ehrbar verheirateter Bürger ein echter Christ sein? Mit Tränen in den Augen stellte er die Fragen: Wie kann ich den Christ predigen, den Ausgestoßenen, den Bettler, den Wan­derer in der Wüste, den Diener der Armen, den Kreuzträger? Den Heiland, den ich zu Beginn meiner Laufbahn predigen wollte? Die Leute würden über mich lachen, sprechen: Seht, er wohnt in einem geräumigen Haus, hat vier Dienstboten und seine Söhne studieren an der Universität. Gott   weiß, wie schwer es mir fällt, das Geld dafür herbeizuschaffen. Aber ich follte ja gar nicht darauf bedacht sein, es zu tun. Ich müßte unter den Massen leben, Christus nicht durch Worte, sondern durch Taten verkünden." Wir brauchen feine Prediger des Wortes, brauchen Kämpfer, Menschen, die die Welt nicht fürchten." ( Fortsetzung folgt.)

A.