Nr. 215 42. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Der Fall Höfle- eine schwere Anklage.
Die Untersuchung ergibt unhaltbare Zustände.
Der Untersuchungsausschuß des Landtages in Sachen Höfle fegte am Donnerstag seine Verhandlungen fort. Als ersten Zeugen hörte der Ausschuß den Pfleger Willi Reinfeld vom Gefängnis lazarett Moabit . Beuge hat Höfle erst Anfang April gesehen. Im allgemeinen ist ihm nichts Besonderes am Gesundheitszustande Dr. Höfles aufgefallen, allerdings schien er seelisch etwas niedergedrückt. Erst in der Woche nach Ostern sei eine Veränderung im Befinden des Kranten eingetreten. Dr. Höfle habe etwa dreibis viermal gebeten, ihm das Schlafmittel früher als zur angeordneten Stunde zu geben, da er ruhen wollte. Daß Dr. Höfle nach einem größeren Quantum Nartotika verlangt habe, ist dem Zeugen nicht bekannt; allerdings hat Dr. Höfle einmal in Gegenwart des Zeugen den Arzt um ein tärfer wirkendes Schlafmittel gebeten. Häufig habe Der Kranke schon um 7 Uhr abends geschlafen, und das habe den Zeugen veranlaßt, ihm teine Schlafmittel zu verabreichen. Der Arzt fam hin und wieder auch Sonntags zum Besuch Schwererirantter. Einmal ist Dr. Thiele auf meinen Anruf Sonntags nachmittags zu ciner Frau der Frauenabteilung gekommen.
In der Woche nach Ostern sah Dr. Höfle im allgemeinen schlechter aus und war seelisch vollkommen zusammen. gebrochen, wahrscheinlich infolge der Enttäuschung seiner Hoff nung, am 3. Feiertag entlassen zu werden. Er war verstimmt und aß meiner Meinung nach weniger.
Freitag, 8. Mai 1925
viel gelesen. Mit der Zeit verschlechterte sich der geistige Zustand| wir waren uns damals schon einig über die Diagnose, nämlich, daß Dr. Höfles. Er scheute sich selbst nicht, vor mir zu weinen. Er jagte, er hätte wohl eine Unbesonnenheit begangen, aber doch nicht so schlimmes. Er hing sehr an Frau und Kindern. Mit der Zeit verschlimmerte sich sein Zustand immer mehr. Bei der Sprechstunde am 3. Feiertag machte er einen ganz ver worrenen Eindrud. Er wollte etwas sagen, tam aber nicht dazu. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Schaum war am Munde. Schließlich tam er nur dazu zu fragen: Was machen die Kinder?" Frau Dr. Höfle verbrachte die ganze halbe Stunde damit, ihm den Schweiß abzuwischen. Da hielt ich eine Luftveränderung für nötig. Nach dem 14. April habe ich Dr. Höfle nicht mehr gesehen. Von Betrunkenheit tann teine Rede sein. Es war der Zustand seelischer Erfranfung.
Zu einer Flucht wäre er am 14. April nicht imftande gewesen, er fonnte sich im Bett nicht mehr erheben. An einen Selbstmord hat Dr. Höfle auf feinen Fall gedacht; er dachte nur daran, möglichst schnell wieder zu Frau und Kindern zu kommen. Auch an Flucht hat er nie gedacht; es lag ihm nur an Beschleunigung der Sache. Der Zustand Dr. Höfles war am Dienstag gegenüber dem Karfreitag völlig verändert.
Darauf tritt eine Pause ein.
Nach der Pause tritt der Ausschuß in die Bernehmung des Zeugen Pfleger Georg Fahl ein. In den letzten Tagen und auch schon eine gewisse Zeit vorher hielt Zeuge Dr. Höfle für einen fchwertranfen Mann.
Um 17. lag er im Bett, weinte und bat mich, einen Brief vorzulesen, da er nicht mehr lesen fönne und fürchte, er werde bald sterben. In den Tagen 16., 17. und 18. April hat er den Arzt nur am 18. am Belt Dr Höfles gesehen, dieser hat zu dem Zeugen aber nicht über Dr. Höfles Zustand gesprochen. Daß Dr. Höfle an einem Tage betrunten gewesen sei, hat ein Gefängnisbeamter geäußert, der Zeuge hat dies aber nicht gedung vom Befinden Dr. Höfles an Dr. Thiele gemacht. glaubt, sondern Dr. Höfle nur für start benommen gehalten. Am 18. nachmittags 44 Uhr war Dr. Höfle bewußtlos, und Herr Nöhring rief etroa gegen 24 Uhr Med.- Rat Dr. Thiele an, der eine Injektion anordnete. Dr. Höfle reagierte aber auf die Sprize gar nicht. Nach etwa einer Stunde wurde Dr. Thiele daher nochmals angerufen. Gegen 6 Uhr habe ich dann auf die telephonische Anordnung von Dr. Thiele noch eine zweite Sprite gemacht.
Bom 8. April ab häfte der Krante feinem Zustande entsprechend in ein anderes Krankenhaus gebracht werden müssen. Der Zeuge hat während seines Dienstes jeden Morgen Mel.
Elwa um 27 Uhr fam Med.- Rat Dr. Thiele. Er hat aber nichts weiter verordnet. Dr. Thiele zeigte mir eine Luminaltablette und sagte, die habe er in der geballten Faust Dr. Höfles gefunden. Der Boriteher teilte mir dann mit, Dr. Thiele habe angeordnet, die Belle abzuschließen, um sie dann genau durchsuchen zu können. Wir fanden bann 33 Tabletten 12 Luminal- und 21 Pantopontabletten. Die
Luminaltabletten machten alle den Eindruck, als wären sie schon im Munde gewesen, die Pantopontabletten zum größten Teil. Dazu tam noch die eine von Dr. Thiele in Dr. Höfles Hand gefundene Tablette. Mir wurden die Tabletten in einem Briefumschlage gegeben, der meiner Erinnerung nach zu einem Briefe gehörte, den Dr. Höfle am Tage vorher erhalten hatte.
Auf Befragen des Abg. We ster( 3.) gibt der Zeuge an, einigeinal die verordneten Tabletten Dr. Höfle nicht gegeben zu haben. Daruber, ob Dr. Höfle mehr Tabletten verabreicht wurden, als im Krantenblatt angegeben ist, weiß der Zeuge nichts.
Zeuge Reinfeld befundet weiter, er wiffe nicht, auf welche Ber. anlassung er an dem Tage nachmittags 3% Uhr, als Dr. Hofle bewußtlos war, zu diesem geholt wurde. Vom Arzte sei eine Prüfung der Pupillenreflere erfolgt. Dr. Höfle habe auch tombinierte Sprißen von Rampfer und Koffein erhalten.
Den Eindrud, daß Dr. Höfle fich mit Selbstmordgedanken gefragen hätte, hatte ich nie.
Am Freitag, den 17. April, nachmittags, wäre nach Ansicht des Zeugen Dr. Höfle noch fähig gewesen, durch Einnahme von Tabletten Selbstmord zu begehen. Am Sonnabend war er bewußilos. Damit ist die Bernehmung des Beugen beendet. Gefängnisgeistlicher Dr. Salzgeber, welcher als nächster Zeuge vernommen wird, befundet, Dr. Höfle habe sich niemals über schlechte Behandlung beflagt, sondern nur darüber, daß er durch Geräusche neben feiner Zelle( neben Höfles Belle lagen die Tob. fuchtszellen. Anm. d. Red.) oft in seiner Ruhe gestört wurde. Geflagt habe Dr. Höfle auch des öfteren über große Schlaflosigkeit. Im allgemeinen habe er dem weiteren Gang der Angelegenheit mit Ruhe entgegengesehen. In der legten Woche vor seinem Tode hat der Zeuge Dr. Höfle am 14. und am 16. April gesehen. Er habe damals, aber nicht ihm gegenüber, den Wunsch aus gesprochen, die Beichte abzulegen. Am Donnerstag habe Dr. Höfle auf das Eintreffen der Benachrichtigung von seiner Haftentlassung gehofft.
Psychologisch hält der Zeuge es für ausgeschloffen, daß Dr. Höfle an einen Selbstmord gedacht hat.
Eine Darstellung, als ob Frau Dr. Höfle sich bei einem Besuch auf das Bett ihres Gatten gesezt und dabei die 33 na rtotischen Tabletten hineingeschmuggelt habe, fönne auf teinen Fall Ben Tatsachen entsprechen. Der Zeuge glaubt, daß die Mit teilung von der Ablehnung des Haftentlassungsan. trags den völligen Zusammenbruch Dr. Höfles her beigeführt habe. Ob Dr. Höfle von der Ablehnung schon am 17. Aptil benachrichtigt wurde, weiß der Zeuge nicht.
Daß Dr. Höfle durch die Einnahme der Narkotika beabsichtigte, jeine Haftunfähigkeit zu erzwingen, hält der Zeuge anläßlich der Persönlichkeit Dr. Höfles für ausgeschlossen, da er sich fagen mußte, daß dies die Aerzte sofort erkennen würden. Damit ist die Vernehmung des Zeugen beendet.
Pfleger Reinhold Tieße hat Dr. Höfle am 13. oder 14. Fe bruar beim Frühdienst zum ersten Male gesehen. Gerade feit Dr. Thieles 3eiten hat eine gemiffe humanität im Strankenhaus geherrscht. Wünschen von Kranten wurde auf An ordnung des Arztes meist entsprochen. Der Vorgänger Dr. Bürger untersuchte genauer und prüfte das Bedürfnis schärfer. Dr. Thiele untersuchte nicht so viel, bewilligte aber leichter. Dr. Höfle sagte mehrmals zu Dr. Thiele, die Tabletten wären zu schwach, er folle ihm stärkere Mittel geben. Die erhielt er auch. Seine Wünsche hat Dr. H. immer forrekt dem Arzt vorgetragen, den Pflegern niemals etwas unerlaubtes zugemutet. Dr. Höfle hat die Tabletten immer gleich in den Mund genommen und einen Schlud Wasser nachgetrunken. Daß Dr. Höfle die Tabletten wieder herausgenommen hätte, hat der Zeuge nicht an genommen, wenn dies auch bei anderen Gefangenen öfter vor fame. Wenn Dr. Höfle am Morgen des 18. April keine Nahrung zu sich genommen habe, jo sei er bestimmt gefüttert worden. Die Atmung sei an diesem Tage leise gewesen, am 20. April war sie mittelschwach und es waren in der Minute nur noch etwa 6 bis 7 Atemzüge vernehmbar. Im Lazarett feien etwa 10 bis 15 Schwertrante vorhanden gewesen, zu denen bestimmt auch Dr. Höfle zu zählen gewesen sei. Ob Dr. Höfle Tobsuchtsanfälle ge habt hat, weiß der Zeuge nicht bestimmt anzugeben; das zer rissene Hemd fönne von Herzkrämpfen herrühren. Unter den Pflegern sei dann etwa am 15. April die Vermutung aufgetaucht, Dr. Höfle müffe einen Bergiftungsversuch unternommen haben. Hierauf wird der Anstaltslehrer Glazel vernommen. Er gibt eine zusammenhängende Schilderung feiner Beobachtungen anlaßlich der Sprechstunden. In den ersten Tagen hat Dr. Hofle sehr
Einmal habe Dr. Thiele geäußert: Das Gericht gibt Dr. Höfle nicht heraus!" Und weiter habe Dr. Thiele die Krankheit Dr. Höfles fogar angezweifelt; die Krankheit sei Schiebung oder Vorfäuschung.
Die Untersuchung durch den Arzt hält der Zeuge als nicht für aus. reichend. Der Krankheitszustand Dr. Höfles habe sich Woche für Woche verschlechtert. An allen Tagen feines Dienstes stellte der Zeuge eine weitere Verschlechterung fest. Es ist einmal die Annahme aufgetaucht, Dr. Höfle habe viel leicht zuviel narkotische Mittel gebraucht. Am 18. April sei Dr. Höfle schon start benommen gewesen und habe bereits lallend gesprochen. Auch schon vor dem 18. April habe er fast keine Nahrung zu sich genommen. Den Pflegein sei es aber nicht möglich gewesen, ein gehend auf die Nahrungseinnahme zu achten, und aus diesem Grunde sei zunächst eine Fütterung nicht vorgenommen worden. Eine Bejinnungslosigkeit, die allerdings zunächst nur zeilweise auftrat, hat der Zeuge schon während der ganzen lehten Woche vor dem Tode beobachtet, Dr. Höfle fei sozusagen von einer Ohnmacht in die andere gefallen.
Daß Dr. Höfle noch am Morgen des 18. April mit einem Vertreter der Staatsanwaltschaft über eine Berlegung nach Tegel gesprochen haben fönne, erscheint dem Zeugen schleierhaft, aber genau fönne er das nicht sagen. Wer den Zustand völliger Bewußtlosigkeit an Dr. Höfle zuerst festgestellt hat, permag der Beuge nicht anzugeben. Am Sonntag, 19 April, nachmittags 3 Uhr, hat er Dr. Höfle in tiefer Bewußtlosigkeit angetroffen, und nach Feststellung des Pulses und der Atmung fam der Pfleger zu nach Feststellung des Pulses und der Atmung fam der Pfleger zu der Ueberzeugung, daß sich eine weitere beträchtliche Verschlimme rung eingestellt habe.
Er telephonierte sofort an Dr. Thiele, tonnte ihn aber nicht erreichen und wandte sich darauf an Dr. Slörmer, den er bat, fofort zu fommen. Dr. Störmer habe jedoch erwidert, er sei nicht nur Anstaltsarzt.( Große Bewegung. Rufe: Unerhört!) Weiter habe Dr. Slörmer bemerkt, sein Sohn sei gekommen, und er habe noch etwas zu erledigen.
Dr. Thiele tam dann spät in der Nacht, etwa um 11 bis 212 Uhr. Vorher hatte er mir telephonisch noch gesagt, h folle eine Abreibung machen und eine Kampfer und Koffeineinspritzung geben. Da ich aber fürchtete, es tönne eine Lungenentzündung dazukommen, so unterließ ich die Abreibung, zumal ich fie allein nicht hätte durchführen können. Als Dr. Thiele fam, richteten wir Dr. Höfle auf und Dr. Thiele verabfolgte ihm eine Sprize Digituratum. Ich blieb dann bis 7 Uhr früh im Dienst und dann war die Sache für mich erledigt. Ob Dr. Thiele eine gründliche Untersuchung des Kranten vorgenommen hat, um festzustellen, ob die von ihm angenommene Simulation oder ernst. liche Ertrantung vorliege, fann der Zeuge nicht angeben, in feiner Gegenwart fei jedenfalls teine eingehende Untersuchung erfolgt.
Das Hörrohr fei nur flüchtig angefeht und dann sogleich der Befund diffiert worden.( Bewegung.) Der Zeuge ist der Meinung, daß nur eine oberflächliche und schematische Untersuchung und Behandlung stattgefunden habe. Einrichtungen zu einer regelmäßigen Nachtwache feien nicht vor handen. Wenn einem Kranten durch einen Pfleger besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt zugewandt wurde, so geschah das zum Schaden der anderen Kranken.
Dr. Thiele hat den Kranken öfter in dem Zustande der Benommenheit gefehen. Um Vormittag des 18. sei Dr. Höfle bei feinen Besuchen in der Zelle dauernd in tiefem Schlaf gewesen. Daß Dr. Höfle an diesem Bormittag beim Besuch eines Herrn vom Gericht vollkommen frisch gewesen sein könne, hält der Zeuge für ausgefchloffen.
Der 3euge hätte es für notwendig erachtet, daß Dr. Höfle einem Spezialarzt für innere Krankheiten zugeführt worden wäre. Diesen Vorschlag glaubte der Zeuge aber seinem Borgesezten nicht machen zu dürfen. In den letzten Stunden gegen Morgen hat der Zeuge, wie er auf Befragen zugibt, alle halbe Stunde eine Sprige gegeben, und zwar ohne ärztliche An. ordnung und auf seine eigene Verantwortung. Ebenso gibt er die Möglichkeit zu, daß in seiner Abwesenheit eingehendere unterfuchungen erfolgt sind. Daß die Tabletten ohne Wissen Dr. Höfles in sein Bett gekommen sein können, hält der Zeuge nicht für ausgeschlossen, denn es feien 3. B. in den Matratzen alle möglichen Dinge gefunden worden.
Abg. Dr. Weŋl( S03.) glaubt feststellen zu müssen, daß die Pfleger in Moabit die Dienste der Schwester, der Oberschwester und der Assistenzärzte leisten müssen.
Der Zeuge befundet, daß die Pfleger sogar Urin- und bafferiologische und mikroskopische Untersuchungen machen mußten, ohne daß die Ergebnisse von Dr. Thiele fontrolliert worden wären. Früher hätten sie auch Gonorrhoe- und Tuberkelpräparate untersucht, in letter Zeit dagegen nur Untersuchungen von Ürin, Stuhlgang und Magensaft vorgenommen.
Die Bereidigung des Zeugen wird zunächst ausgesetzt. Als nächster Zeuge, wird darauf
Medizinalrat Dr. Thiele vernommen, der zunächst ebenfalls nicht vereidigt wird. Beuge Thiele befundet: Ich selbst war am Tage der Aufnahme Dr. Höfles in das Lazarett nicht anwesend. Er wurde zunächst von Dr. Straßmann behandelt. Ich habe mit diesem gefprochen, und
L
es sich bei Dr. Höfle, abgesehen von einer rein nervösen Störung, außerdem noch um eine Störung der Herztätigkeit han delte. Erst Ende März, nachdem ich aus Leipzig zurückkehrte, hatte ich Dr. Höfle regelmäßig zu behandeln. In einem Gutachten sollte ich mich gegenüber dem Untersuchungsrichter Dr. Noth mann darüber äußern, ob der Zustand Dr. Höfles eine Verlänge rung der Haftdauer zulasse. Ich habe daraufhin Dr. Höfle noch. mals eingehend untersucht, auch durch Röntgen. behandlung. In dem Gutachten habe ich auf alles hingewiesen, was damals festgestellt war, insbesondere ganz ausführlich auf die schweren nervösen Störungen, mit denen bei einer Fortdauer der Haft zu rechnen wäre, ja sogar darauf, daß eventuell mit dem Zustandekommen einer Geistesfrankheit gerechnet werden mußte. Die weitere Behandlung fand in der Weise statt, daß ich mich des seelischen Zustandes Dr. Höfles besonders annahm Er flagte wiederholt über eine hohe Schlaflosigkeit, und er erhielt deshalb wunsch, gemäß Schlafmittel, abwechselnd Juminal, Pantopon, Veronal uſm., denn ein regelmäßiger Gebrauch desselben Mittels führt leicht zu Störungen.
Zuerst fiel mir ein veränderter Zustand bei Dr. Höfle am 14. April auf. Ich stellte an diesem Tage fest, daß zweifellos die große seelische Niedergeschlagenheit noch weiter zugenommen hatte. Er hat dann in den folgenden Tagen überhaupt feine ftärferen Schlafmittel mehr erhalten, dagegen milde Bromtabletten in Form von Alintabletten. Am 18. April trat eine entscheidende Wendung ein. Als ich an diesem Tage um 9 Uhr den Besuch machte, stand die seeltsche Berstimmung wiederum im Vordergrunde.
3mmer hatte ich den Eindruck, daß möglicherweise, wie das vielfach bei Kranten geschieht, eine bewußte oder unbewußte Neigung besteht, die an sich vorhandenen Beschwerden etwas zu übertreiben, also zu simulieren. Dieser Berdacht hat sich insofern bestätigt, als mehrere Stunden später, wie mir Oberstaatsanwalt Dr. Linde mitgeteilt hat, diesem sehr ausführliche Angaben über feinen Gesundheitszustand gemacht hat, dieses Verhalten stand in ziemlichem Gegensatz zu dem Verhalten vorher mir gegenüber. Während ich na chmittags in Friedenau weilte wurde ich von Wachtmeister Nöhring von einer Verschlimmerung verständigt und ich ordnete telephonisch herzstärkende Mittel an und bat, die Wir tung genau zu beobachten und, falls feine Besserung eintrete, mich zu benachrichtigen. Als ich 20 Minuten später Kenntnis erhielt, daß eine Besserung nicht eingetreten war, eilte ich sofort nach dem Krantenhaus, um in Begleitung des Gefängnisvorstehers Schmidt Höfle zu untersuchen. Hier fand ich in der Tat einen voll tom meu veränderten Zustand vor.
Ich hatte einen Bewußtlosen vor mir, von dem ich voraussah, daß zur Erhaltung feines Lebens das Wichtigste sei, den Herzframpf mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Später unterhielt ich mich mit dem zuständigen Untersuchungsrichter, um diesem den Zustand Dr. Höfles mitzuteilen. Dieser teilte mir in Gegenwart des Oberstrafanstaltsdirektors Bully mit, daß eine Haftenlaffung Dr. Höfles nicht in Frage komme, da die Straftammer bereits entschieden habe und vorläufig etwas anderes nicht möglich sei.
Darauf begab ich mich nach meiner Wohnung, nachdem ich ans geordnet hatte, daß ich bei einer Verschlimmerung während der ganzen Nacht telephonisch zu verständigen sei. Dr. Thiele schilderf weiter, daß er am Sonnabend nachmittag 5 Uhr Höfle als schwer frant meldete, daß man bei seiner Ueberführung in die Charité bei ihm Schlafmittel gefunden habe, die nicht aus der Anstalt stammen tönnten, und fährt dann fort: Ich habe mich dreimal ausführlich fchriftlich auf Anregung des Untersuchungsrichters Dr. Nothmann, das erstemal am 23. März, geäußert. Damals habe ich mich über die Frage der Haftfähigkeit überhaupt nicht ausgelaffen, war auch nicht dazu aufgefordert. Anders am 15. und 16. April. Am 15. April wurde ich telephonisch aufgefordert, mich gutachtlich über die Haftfähigkeit Dr. Höfles zu äußern. Ich habe damals erklärt daß die Frage nach der Saftfähigteit von Untersuchungs gefangenen ja grundsäglich geregelt sei,
daß mir vorgeschrieben sei, daß ich Haftunfähigkeit nur zu bescheinigen hätte dann, wenn der Fluchtverdacht bejeitigt wäre oder aber unmittelbar eine, nahe oder dringende Lebensgefahr vorliege.
Jch fagte aljo, da der Direktor der Anstalt mir mitteilte, daß diese Boraussetzungen nicht zuträfen, daß die Frage sich dann ja von selbst erledige. Am 16. April äußerte ich mich dann schriftlich, daß der 3uffand keine Veränderung zeige.
Auf Befragen durch den Vorsitzenden äußert sich Medizinalrat Dr. Thiele dann im Zusammenhang über den Umfang der ärzt. lichen Tätigteit der Pfleger. Die Tätigkeit eines Arztes fei für die Anstalt zu wenig. Es werden täglich etma 80 Rrante besucht, dann die Krankenabteilung des Frauengefängnisses und der Männerabteilung. Die Dauer der Bisite ist, ganz verschieden, sie richtet sich auch danach, ob ich nach außerhalb muß, ob ich in Berlin bleibe und was sonst noch vorliegt. Durchschnittlich dauert diese Visite zwei Stunden. Oft muß sie auch abgebrochen werden, weil ich plöhlich zu einer Gerichtsverhandlung gerufen werde oder zu einem Erkrankungsfall in dem großen Gebäude. Wenn feine Termine vorliegen, beginnt dann die weitere Behandlung der Kranten. Das Gutachten über die Haftfähigkeit habe ich früher auf Grund meiner Dienſtvorschrift erstattet nach der Belehrung, die ich von meinem Lehrer Professor Dr. Straßmann empfangen hatte, wonach die Haftunfähigkeit beim Vorliegen einer nahen und dringenden Lebensgefahr gegeben sei.
Nachdem mir bekannt geworden war, daß eine Kammergerichtsentscheidung dahin ergangen sei, daß Haftunfähigkeit nur dann vorliege, wenn durch das vorhandene Leiden des Kranken der Fluchtverdacht beseitigt wäre, war ich über diese Entscheidung erstaunt, die meinem ärztlichen Empfinden widersprach. Ich hielt es erst nicht für möglich. Aber die Anfragen des Gerichtes zeigten mir, daß in der Tat diese Kammergerichtsentscheidung bestehen müsse.
Denn die Anfrager des Gerichts lauteten nunmehr nicht: ist der pp. Müller haftfähig, sondern ist durch die Krankheit des pp. Müller der Fluchtverdacht beseitigt? Diese Frage mußte ich pflichtgemäß fast regelmäßig verneinen. Später, am 21. August 1924, ist ein entsprechendes Merkblatt durch das Strafvollzugsamt, das vom Wohlfahrtsministerium, durch das Justizministerium ausgegeben war, mir zugestellt worden, das ich als Dienstanweisung auffaßte.
Ein Bertagungsantrag wird mit 11 gegen 10 Stimmen an genommen.
Hierauf gibt der Bertreter des Wohlfahrtsministe riums im Namen des Ministers folgende Erklärung ab: „ Der in unserem Erlaß vom 21. August 1924 aufgenommene Paffus über Fluchtverdacht, daß auch Fluchtverdacht bei diejen Dingen von den Aerzten in Zukunft mit berücksichtigt werden foll, iff nicht vom Wohlfahrtsminifterium, fondern auf besonderen Wunsch des Justizministeriums in diese Verfügung aufgenommen worden."
Der Termin der nächsten Sigung des Ausschusses wurde noch nicht festgelegt.