Nr. 255 42. Jahrg. Ausgabe A nr. 132
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Dienstag, den 2. Juni 1925
Eine Friedensrede Painlevés.
„ Der Tag wird anbrechen, vielleicht bald..."
Der französische Präsident der Republit Doumergue und der Ministerpräsident Painlevé statteten der Stadt Straßburg einen offiziellen Besuch ab und hielten Reden. Die Rede Painlevés war zum Teil innerpolitisch und bemühte sich, die Bedenken der rechtsgerichteten Teile der elsässischen Bevölkerung gegen die Politit des Linksblods zu zerstreuen. In seinen außenpolitischen Ausführungen fagte er u. a.:
Elsaß zu verteidigen, wenn es jemals bedroht würde, würde das einige und unteilbare Frankreich seine ganze Existenz einfegen. Das seien feine Worte des Imperialismus oder der fries gerischen Bedrohung. Frankreich wolle nur ein
guter Arbeiter für den Frieden sein,
für einen guten Frieden, damit es teine Unterdrücker und feine Unterdrückte mehr gebe. Dieser Wunsch sei weder von Utopie noch van Berblendung begleitet. Das französische Bolt habe einen zu gefunden Sinn, um sich einer Illusion über die schlechten Kräfte hinzugeben, die die weite Welt beunruhigen. Es tenne die Gefahren, angesichts deren man die Augen geöffnet halten müsse. Es gebe Träume von der Herrschaft über die, die sich nicht mit der Niederlage zufriedengeben wollen. Es gebe neue Nationen, die unterworfen gewesen und die zur Beunruhigung berechtigt gewesen seien, wenn die Zukunft ihrer Unabhängigkeit und ihrer Freiheit in Frage stehe.
Ebenso gefährlich wie das blinde Bertrauen sei auch das blinde Mißtrauen. durch das ein argwohnisches Land überall Gefahren und Romplotte entheden fönne, so daß es teine Gelegenheit vorübergehen laffe, in die eine beharrliche Negation es ein Spinne. So beunruhigend und täuschend auch manchmal die Ent midlung der internationalen Politit sein möge, er, Painlevé , fönne
seinen
Glauben an die Zukunft der europäischen Zivilisation betonen. Er wolle das im Elsaß tun..
Sollte es wirklich wahr sein, daß die Linie, die Frankreich und Deutschland voneinander trennen, auf immer eine bedrohte Grenze bleiben foll? Diese Frage beantworte er mit Nein. Denn ein Tag werde anbrechen, vielleicht eher als man glaube, an dem die bitteren Enttäuschungen der Nachkriegszeit die wahren Lehren des Krieges auffommen ließen, fo daß die Völker den Haß, der sie noch trenne, fallenlaffen würden, damit fie, ein jedes nach seiner Begabung. fich nicht gegenseitig bekämpfen, sondern zusammenarbeiten werden,
um gemeinsam die rebellische Materie und die Uebel zu bezwingen, die die Menschen beseelen.
Dieser Tag, so schloß Bainlevé, werde wohltuend über jenem zivilisatorischen Gebiet strahlen, das ein unbedingt französisches Elsaß in einem wiederausgeföhnten Europa sein werde.
Ueberraschender Besuch.
Benejch in Paris -Briand nicht zu Hause. Paris , 1. Juni. ( WTB.) Der tschechische Außenminister Benesch ist vorgestern, wie Petit Parifien" meldet, unerwarte in Paris eingetroffen und hatte am Nachmittag eine Unterredung mit dem Generalsekretär am Quai d'Orsay, Philippe Berthelot .
Ursprünglich sollte Benesch in diesen Tagen in Wien einen politischen Besuch abstatten. Doch wurde diese Reise plöglich abgesagt, angeblich, weil die Wiener Hakenkreuzler Protestfundgebungen gegen den tschechischen Außenminister planten. Indessen dürfte nicht das der wahre Grund dieser Programmänderung gewesen sein, sondern die Tatsache, daß fich entgegen der bisherigen Entwicklung eine Einigung zwischen Paris und London in der Sicherheitsfrage auf der Grundlage der englischen Auffassung anzubahnen scheint. Denn eine derartige Einigung bedeutet für den ehr geizigen und rührigen tschechischen Staatsmann einen schweren Schlag. Einmal aus persönlchen Gründen: er ist neben Briand und Macdonald der eigentliche Verfasser des sogenannten Genfer Garantieprotofolls, jenes Entwurfes, der auf der vorjährgen Völkerbundsversammlung grundsäglich beschlossen wurde, dessen Ratifizierungsaussichten aber immer mehr geschwunden sind. Buletzt versuchte Briand , Das Brotokoll zu retten, als. England den deutschen Garantieporschlag zur offiziellen Diskussion stellte, indem er den angeregten Fünfmächtepakt durch einen allgemeinen Garantiepatt ersetzen lassen wollte, der letzten Endes mit dem Genfer Entwurf identisch gewesen wäre. Dieser Versuch ist an dem Widerstand Chamberlains gescheitert und Briand schien einlenten zu wollen.
für verfehlt, weil unmoralisch und furzsichtig. Ihr A und O ist das Verbot des Anschlusses Deutschösterreichs an Deutschland . Dieses geradezu zu einer firen Idee gewordene Ziel verhindert nicht nur die Anbahnung, wirklich freundschaftlicher Beziehungen zwischen der tschechischen Republik und ihren beiden wichtigsten Nachbarn, Deutschland und Deutschösterreich, mit denen sie sonst so viele Berührungspunkte und gemeinsame Interessen hat, sondern es zwingt obendrein in unvermeidlicher Rückwirkung die Prager Regierung zu einem inner politischen Kurs der Burüdsegung starter nationaler Minderheiten, der dem Lande auf die Dauer sowohl moralisch wie wirtschaftlich schweren Schaden zufügen muß.
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Diese Außenpolitik Benesch hat zwar in den letzten Jahren äußerliche Erfolge erzielt: die Bildung und Befeftigung der fleinen Entente, die Militärkonvention mit Frank reich , die Herstellung eines engen Einvernehmens mit Bolen trog verschiedener Reibungsflächen. Das Genfer Garantie protokoll wäre die allerdings unerläßliche Krönung dieses Werkes gewesen. Solange aber dieser Schlußpunkt fehlt, find die Ergebnisse der Politik Benesch nur Schein. erfolge, die nicht von Dauer sein können, während umgefehrt die außen- und innerpolitischen und nicht zuletzt die wirt schaftlichen Nachteile dieser im Grunde genommenen ag= gressiven Bündnispolitik mit der Zeit wachsen müssen.
Das wahre Interesse der tschechischen Demokratie dürfte vielmehr in einem herzlichen Zusammenleben mit seinen deut schen Nachbarn liegen, und dieses ist am besten zu erreichen durch Schiedsgerichtsverträge. Die Aufgabe des starren und ungerechten Anschlußverbotes würde die Sicher heit der vertraglich festgesetzten Grenzen der Tschechoslowakei in feiner Weise beeinträchtigen. Weit davon entfernt, die irredentistische Bewegung in den deutschböhmischen Gebieten zu fördern, würde eine solche Politit automatisch eine solche Entspannung innerhalb des Nationalitätenstaates zur Folge haben, so daß die Integrität der Tschechoslowakei auf diese Art viel besser und dauerhafter gewährleistet wäre als mit den bisherigen außen- und innerpolitischen Methoden, die nur eine getreue Nachahmung der Habsburgischen Regierungskünfte find.
Aber einstweisen scheint der Weg zu einer solchen Erfenntnis leider noch sehr weit. Benesch ist nach Genf über Baris gereift, weil er hoffte, dem anscheinend weich werdenden Briand das Rückgrat gegenüber Chamberlain zu stärken. Offenbar wollte er den französischen Außenminister veranlassen, zumindest das Anschlußverbot in den geplanten Garantiepakt noch einzuschmuggeln. Auffallenderweise hat er aber Briand nicht getroffen, weil dieser ,, auf dem Lande" war. Da man annehmen muß, daß Benesch seinen Pariser Besuch rechtzeitig angekündigt hatte, hat es den Anfchein, als hätte Briand kein besonderes Bedürfnis empfunden, mit Benesch in diesem Augenblick zu konferieren. Dieser mußte sich damit begnügen, seine Gedanken und Wünsche dem Generalsekretär
des französischen Auswärtigen Amtes. Philippe Berthelot , vorzutragen. Dieser ist gewiß eine sehr wichtige und einflußreiche Persönlichkeit. Aber er wird wohl auftragsgemäß nur geantwortet haben, daß er das Borgetragene seinem Chef weiterleiten werde, während Benesch den weiten Umweg von Prag nach Genf über Baris sicherlich in der Absicht unternommen hatte, von Briand bin dende 3usagen zu erwirken.
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R. B. München , 31. Mai. Wenn man einen Pfingstausflug zur Eröffnung der Vertehrsausstellung nach München machen fonnte, so schaute man Die war ja zunächst natürlich nach der Festbeflaggung aus. ganz reichlich und farbenfreudig- nur die verfassungsmäßgen Reichsfarben blühen ziemlich im Verborgenen. Zwar ist dem latenten Kriegszustand von Anno Kahr dank bei der seitigem Entgegenkommen ein Frieden gefolgt, der nicht unbedingt feimfrei erscheint, sondern so, als ob er unter Umständen etwas faul werden könnte; indessen weht kein Märzenstum, sondern mur das liebe Mailüfterl, es ist auch nicht grau- griesgrämiger November und das Regieren im Reich hat sich ja der im blau- weißen Lande herrschenden Bayerischen Volkspartei mit Nationalismus und Schutzöllnerei so halbwegs angepaßt, während hinwieder die Münchener Machthaber die von Kahr und den Seinen erst aufgepäppelten Hakenkreuzler zwar unfanft, aber zünftig" an die Wand drückten, die Kommunisten nicht minder, und wenn die Gelegenheit günstig ist, piesact man auch das Reichsbanner ganz gern. Man weiß ja, daß eine Reichsregierung, in der Deutschnationale tonangebend find, sich für die Achtung der Reichsverfassung und ihre Schuhwehr nicht gerade bedrohlich ins Zeug legen wird. Sofonnte man also in München zwar weder am Hauptbahnhof, noch im Straßenschmuck viel von den Reichsfarben sehen, und es be durfte einer nachdrücklichen Erinnerung, um menigstens die Post zur Setzung der Reichsfarben zu veranlassen; menn man sie dagegen an den Finanzämtern recht sichtbar wehen sah, so dürfte das bei der Beliebtheit gerade der Steuerzahlung Schwarz- Rot- Golds Bolkstümlichkeit gerade so er= höht haben, wie man es an zuständiger Stelle wünschen mag! Es fiel als Zeichen bayerischer Eigenart die troj„ Berreichlichung" weiterbesteht, auch auf, daß die sonst sehr empfehlenswerten Reichs postautos im schönen Oberbayern ausschließlich das bayerische Wappen tragen und außerdem auch durch braune Färbung statt der gelben Reichspostautofarbe im ganzen übrigen Reichspostgebiet so eine Art Re=
servat betonen wollen.
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noch glauben, die Reichsfarben aus ihrem Machtbereich fern. Bezeichnend dafür, daß manche Leute in München immer halten zu können, wor es auch, daß unser Parteiorgan, die Münchener Post", Schwierigkeiten mit der Aus= itellungsleitung erit überwinden mußte, um ihre anbringen zu können. Aber man hat diese Schwierigkeiten schwarzrotgoldenen Werbeplakate auf dem Ausstellungsgelände überwunden und die Plakate hängen. Andererseits ist das Hakenkreuz und ist der ganze Spuf der Hafenkreuzlerei aus den Münchener Straßen verschwunden. Die völkische Fraktion im bayerischen Landtag, die nach der Neuwahl vom April 1924 genau so start war wie die fozialdemokratsche, ist gespalten und zerfahren. Die Rundschreiben des immer noch vorhandenen, aber höchst unbeachteten Hitler erscheinen welche Wendung durch Wotans Fügung! nicht selten in der Münchener Post" früher als im„ Bölkischen Beob achter", und ihr Inhalt zeigt den schmunzelnden Münchnern nur die ganze Hilflosigkeit, Ohnmacht und Berzweiflung dieses einst so maulgewaltigen Sjelden vom Bürgerbräufeller.
Kläglicher Rückgang der Bölkischen wie der Kommunisten ist nichts spezifisch Bayerisches, sondern im ganzen Reiche ebenfo anzutreffen. Dagegen mußte es aufmerksame Zuhörer gewaltig überraschen, als Herr Dr. Schweyer, dessen merkwürdige Amtsführung als bayerischer Innenminister unter Kahr wohl noch in lebhafter Erinnerung ist, am Bfingssonntag in Mittenwald , zu Pressevertretern, Eisenbahnern, Bostleuten und anderen, die das Malchenseekraftwerk eben besichtigt hatten, in seiner Rede mörtlich sagte:
Man muß der damaligen Regierung dankbar dafür sein, daß sie dieses große Werk in Angriff genommen und den vielen Arbeitslesen Beschäftigung gegeben hat."
Ob der tschechische Außenminister auf der Tagung des Bölkerbundrates in Genf in der nächsten Woche mehr Glück haben wird? Das ist nicht ausgeschlossen. Einstweilen dürfte der mißglückte Abstecher zum Quai d'Orfan für ihn eine nicht ratsvorsißende der bayerischen Wasserkraftwerke öffentlich unempfindliche Schlappe gewesen sein.
Eine sonderbare französische Erklärung. Paris , 1. Juni. ( WTB.) Wie Havas berichtet, erklärt man in französischen diplomatischen Kreifen, daß der Besuch, den der tschechische Außenminister Benesch am Sonnabend dem Generalsekretär des Quay d'Orsay Philippe Berthelot und dem Ministerialdirektor 2 aro che abgestattet hat, keinerlei Beziehun gen(?!) mit den internationalen Berhandlungen über den Sicher beits patt gehabt habe. Benesch habe sich über Fragen anderer Art unterhalten, die sich auf Frankreich und die Tschechoslowakei beArt unterhalten, die sich auf Frankreich und die Tschechoslowakei bezögen. Nach dem Paris Soir" habe sich die Unterredung nur auf Donau Angelegenheiten( Also doch! Red. d. V.") bezogen.
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Die überstürzte Reise von Benesch noch Paris hängt offenbar damit zusammen. Denn neben den persönlichen. Gründen pielen die vermeintlichen außenpolitischen Interessen der tschechoslowakei eine wesentliche Rolle. Wir betonne: die Diese offiziöse Erflärung flingt reichlich naiv. Sie steht jeden permeintlichen Interessen denn wir halten die die ganze falls in Widerspruch zu den sehr ausführlichen Kommentaren der Entwicklung, die die Prager Außenpolitik in den letzten Pariser Montagspresse, die den Besuch von Benesch mit den SicherJahren unter dem Einfluß von Benesch genommen hat, heitsverhandlungen in engste Verbindung bringt.
Die damalige Regierung aber, der nunmehr der AufsichtsDant fagte, das war die rein sozialistische Revolu= tionsregierung Auer Eisner, die die Baterländischen" jahraus, jahrein und unter stiller oder auch lauter Billigung der reaktionären Regierungen vor dem ganzen Land in tollster Weise geschmäht und beschimpft hatten. Wenn ein Mann wie Schweyer mit einer solchen öffentlichen Anerfennung und Danksagung allerdings nur der Wahrheit die Ehre gibt, so ist das doch eine Tatsache von nicht zu unterSchätzender Bedeutung. Sie beweist, daß eben die Wahrheit auf die Dauer mit noch so viel Geschrei nicht niedergebrüllt und ihr Licht mit noch so viel blauweißem und schwarzweißrotem Fahnenstoff nicht verhängt werden kann. Ein Schwener hätte nicht so gesprochen, wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, sich mit der blauweißen Boltsseele nicht in Widerspruch zu setzen. So kann das gewaltige Werf der Ausnutzung der oberbayerischen Wasser= fräfte zur Elektrizitätsgewinnung, das schon im Gange ist und ganz Bayern bis Aschaffenburg und Hof mit billigem Strom versorgt, ohne der Kohle aus dem fernen