Abendausgabe
Nr. 27042. Jahrgang Ausgabe B Nr. 132
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5 Pfennig
Mittwoch
10. Juni 1925
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Macdonald gegen Chamberlain.
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Die englische Arbeiterpartei gegen den Pakt für das Genfer Protokoll.
London , 10. Juni. ( WEB.) Ramsay Macdonald erflärte dem Parlamentsberichterstatter des„ Daily Herald", die gesamte Arbeiterpartei werde sich dem Abkommen Chamberlains mit Briand widersehen, das der Beginn nicht eines allgemeinen Einvernehmens, den Frieden aufrechtzuerhalten, fei, fondern der Beginn individueller patte, Bündnisse und Garantien. Es werde nicht den Frieden fördern, sondern eine Atmosphäre für den krieg schaffen. Seiner Ansicht nach werde England den Patt nicht unterstützen, wenn es wisse, welche Caften er ihm auferlege und welches Risiko es übernehme.
Dem diplomatischen Berichterstatter des„ Daily Herald" zufolge ist gestern in britischen amflichen Kreifen vollkommen in Abrede gestellt worden, daß ein Abkommen, wie es in Paris geschildert wurde, erzielt worden sei, oder auch nur in Aussicht genommen werde. In Genf fei nur der Inhalt der nach Berlin zu fendenden Note vereinbart worden. Es werde eine freundschaft liche Rofe fein, die den deutschen Vorschlag eines Paftes gegenfeitiger Garantien begrüße und ganz allgemeine Grundfähe niederlege.
Es sei versichert worden, daß von einer einseitigen Allianz feine Rede sein könne. Jeder Pakt müffe vollkommen gegenseitig fein. Der Berichterstatter bezeichnet die augenblidliche Lage als erstaunlich fowle als einen Reford im diplomatischen Durcheinander. Was sei die Deutung? Mache die franzöfifche Regierung aus Gründen der Innenpolifif gelfend, daß Briand von Chamberlain etwas herausbekommen habe, was er tatsächlich nicht erhielt, oder habe Chamberlain die formelle Note, die er Briand aushändigte, durch formelle Zusicherungen ergänzt, so daß ihre unbeffimmte Faffung in Wirklichkeit ein englisch - fran3öfifches Militärbündnis bedeute, und habe der Quai d'Orsay
indistreterweise das Geheimnis verraten?
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man dürfe den Bölterbund nicht mit Aufgaben be. lasten, die für ihn heute noch nicht ratsam seien.
Er hoffe, daß in nicht allzu langer Zeit eine Reihe wechselseitiger Verträge zwischen den ehemalig kriegführenden Ländern zustande tomme. Der Bölkerbund, der so einen weiteren Rückhalt finden werde, fönne dadurch den Frieden der Welt auf eine solide Grundlage stellen und die heute noch bestehende Unsicherheit be seitigen.
tommentiert das in Genf getroffene englisch - französische Ueberein Rom , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die italienische Bresse fommen vorläufig nicht. Es verlautet, daß die Regierungs, presse Anweisung erhalten hat, sich zunächst nicht zu äußern. Giornale d'Italia" läßt sich aus Genf melden, daß der Baft zu Fünft, wie ihn Mussolini plant, noch nicht endgültig erledigt sei. Tatsächlich hat jedoch die Verständigung zwischen England und Frankreich in Genf , insbesondere aber die Ausfertigung der Antwort auf den deutschen Garantiepakt ohne italienische Anteilnahme in Mom sehr verschnupft.
Tschechische Blätter gegen England.
Breffe nimmt bei Besprechung der englisch - franzöfifchen VereinPrag. 10. Juni. ( WTB.) Die tschechische nationaldemokratische barung in der Garantiepattfrage lebhaft Stellung gegen England.
„ Narodni Listi" bedauert, daß der englische Einfluß, der in Berlin ebenso mächtig sei wie in Paris , sich ausschließlich auf Angelegenheiten englischen Intereſſes beschränke. Mitteleuropa lei den Engländern zu weit entfernt. Bei der großen Verschiedenheit der englischen und der französischen Interessen fet allerdings das bisher Erreichte zu begrüßen, auch wenn die TschechoLondon, 10. Juni. ( BTB.)„ Daily Herald" verkündet in fett- flowatei feine neuen Garantien erhalte. gebrudter Ueberschrift, daß die Arbeiterpartei die Battpolitit angreifen werde. Das Blatt weist auf die abweichende Auslegung der erzielten Uebereinfunft feitens des Quai d'Orsay und des Foreign Office hin. Daily Herald" teilt mit, daß die Arbeiter partei, die die Oppofition gegenüber der gesamten Baltpolitik und die Unterstübung des Genfer Prototolls erklärt habe, beantragt habe, die Frage im Barlament zu erörtern.
Eine Rede Chamberlains.
Genf , 10. Juni. ( WTB.) Bei einem Pressediner hielt Chamberlain eine Rede, in der er mit einigen Worten die nächste Entwicklung der Sicherheitsfrage ftreifte und sagte,
Keine Matteotti - Gedenkfeier. Im Parlament verboten, außerhalb unmöglich! Rom , 10. Juni. ( WEB.) Nach der Verfügung des Kammerpräfidenten, daß heute das Kammergebäude gefchloffen gehalten werde, hat das Erekutivkomitee der Oppofition befchloffen, daß für matteoffi nur in der Kammer eine Gedenkfeier abgehalten werden könne und daher die für heute geplante Feier ausfallen müffe. Man nimmt an, daß infolgedeffen der heutige Tag ruhig
verlaufen wird.
Der Beschluß der Opposition ist in dieser kurzen Fassung doppelsinnig. Sie fann meinen, daß mur das Barlaments gebäude, in dem Matteotti jene Antlagereden hielt, für die man ihn meuchelte, die würdige Stätte der Gedächtnisfeier märe. Der Beschluß fann aber auch bedeuten, daß das Andenken des Ermordeten außerhalb des Parlaments, im Bereich der mussolinischen Kultur nicht begangen werden darf, wenn die Teilnehmer nicht an ihrem Leben gefährdet sein sollen. Beide Deutungen treffen zu und beide werden in der ganzen Welt verstanden und gewürdigt werden.
Narodni Politica" sieht in dem Genfer Uebereinkommen nur englischen Egoismus, der lediglich an das Verhältnis Englands zu Rußland dente, und zwar auf Kosten Mitteleuropas . Eng. fand sichere Frankreich nur das, was eine unmittelbare Sicherung Englands bedeute. Der Versailler Bertrag, dem England die Siche rung der östlichen Berbündeten Frankreichs überlasse, sei bis. her unaufhörlich von Deutschland , ja jogar von England und Amerifa erschüttert worden. Das Blatt bezweifelt ferner die Aktions. fähigkeit des Völkerbundes in ernsten internationalen Fragen. Die tschechische Außen- und Innenpolitik müßte sich gemäß der Mög lichteit einer Neugruppierung der europäischen Berhältnisse einrichten.
Englisch - französische Rifblockade.
Paris , 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die spanish französischen Berhandlungen über ein gemeinsames Borgehen in Maroffo haben nunmehr zu einem Ergebnis geführt. Eine französisch- spanische Kommission soll am nächsten Montag in Madrid zusammentreten, um vor allem über die Unterdrückung des Waffenschmuggels zu beraten. Es ist wahrscheinlich, daß die beiden Länder zu diesem Zweck eine Blodade des Rifs er öffnen werden. Darüber hinaus soll die militärische Kooperation Spaniens und Frankreichs im Rif Gegenstand der Berhandlungen bilden. In der Kommission dürfte Frankreich durch den ehemaligen Minister des Innern, Malvy, vertreten sein, der auch bisher die Berhandlungen mit Spanien geführt hat.
Der Landtag beschlußunfähig. Neue Sitzung- sofort!
Präfident 12% Uhr. Nach Erledigung von Eingaben wird die zweite Novelle Bartels eröffnet die Landtagsfizung nach zum Gefeßentwurf betr. Erhaltung des Baumbestandes und Erhaltung und Freigabe von Uferwegen im Intereffe der Boltsgefundheit in erster und zweiter Beratung ohne Aussprache erledigt und unverändert angenommen. Zur weiteren Förderung des Baues von Kleinbahnen wird ein Kredit die Borlage dem Hauptausschuß überwiesen. Don 2 Millionen Mark angefordert. Nach kurzer Erörterung wird Es folgt die dritte Beratung des aus der Initiative des Hauses hervorgegangenen Gefeßentwurfes über die
Gedächtnisartikel beschlagnahmt! Mailand , 10. Juni. ( P.) Stampa ", Corriere della Gera" und andere Oppositionsblätter wurden gestern beschlagnahmt, weil sie am ersten Jahrestage der Ermordung Matteottis Gedächtnisartitel veröffentlichten, in denen fie den unbeugsamen Standpunkt der Liberalen gegenüber dem faschistischen Regime betonten und den Ermordeten als einen unWahlzeit der Provinziallandtage und Kreistage erfchrodenen Borfämpfer der Freiheit feierten. Die sozialistische und ihrer Mitglieber. In zweiter Beratung war die Berlängerung „ Giustizia " erschien heute statt mit einem Gedächtnisartikel, der der Wahlzeit bis 1. November 1925 beschlossen worden. doch beschlagnahmt worden wäre, mit dem Bilde Matteottis, das Abg. Dr. v. Kries( Dnat.) beantragt unter Bezugnahme auf die die ganze erfie Seite des Blattes ausfüllt. Die Behörden haben befannte Stellung seiner Fraktion zur Frage der Innehaltung der einen Teil ber faschistischen Miliz mobilisiert, um jede vierjährigen Wahlperiode namentliche Abstimmung, damit eine qualifizierte Mehrheit für den Entwurf festgestellt werde. Gedächtnisfeier und Rundgebung für Matteotti im Arbeiterptertel Abg. Schüfing( 3) will die Abstimmung auf Freitag verschoben zu verhindern. In Rom wird bas Parlamentsgebäude gewiffen, zieht diesen Antrag aber auf den Widerspruch der Rechten schlossen und besonders bewacht sein, was seit Jahrzehnten zurüd. nicht vorgetommen ist. Die Straße, durch die Matteotti vor seiner Ermordung hindurchgeführt wurde, wird behördlich ab
gesperrt.
Deutlicher als durch diese Maßnahmen kann der Faschismus nicht beweisen, daß er jede Matteotti- Feier als gegen fich gerichtet empfindet, weil er der mörder ist.
Die namentliche Abstimmung ergibt die Beschlußunfähigkeit des Hauſes, de nur 149 Stimmen abgegeben worden sind. Die Sihung wird gefchloffen und vom Präsidenten eine neue Sigung auf fofort Das Haus wendet sich zu den Verordnungen und Novellen betr. die Erhebung einer vorläufigen Steuer vom Grundvermögen.
einberufen.
Das Tschechenheer bleibt unter französischer Leitung. In Prag wird amtlich die Meldung über die Auffassung der Prager 20 m, 10. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Der auch im Auslande französischen Militärmission als unzutreffend de bekannte Geschichtsprofeffor der Universität Florenz , Genoffe Salve- mentiert. mini, wurde in Rom verhaftet, nachdem man ihn in Florenz tage- Die Internationale Arbeitskonferenz in Genf ist heute por lang gesucht hatte. Er wird beschuldigt, an der Herausgabe anti- mittag mit einer Rede ihres Borsitzenden Dr. Benesch geschlossen fafgifisher Shriften beteiligt zu sein.
worden.
Schikanen der Interalliierten Militär- Kommission. Bon Rud. Wissell
Die Deutschen Werte kommen aus ihren Schwierigkeiten nicht heraus. Jahre hindurch hatten sie unter der gesamten Wucht des Vernichtungswillens der Interalliierten MilitärKontrollfommiffion( IMK.) zu leiden. Soeben fonnten wir hoffen, daß die im Frühjahr eingetretenen finanziellen Schwierigkeiten überwunden worden seien, und nun fommt die Note der alliierten Regierungen, die im dritten Teil der Anlage auch Forderungen für die drei Werke Hanau , Spandau und Haselhorst erhebt, von deren Auswirfung jetzt nur das eine gesagt werden fann, daß sie zum mindesten eine ganz wesentliche Belastung, wenn nicht die wird. Unmöglichkeit der Fortführung der drei Betriebe bewirken
Eingriffen der JMK. zu leiden gehabt. Die Schwierigkeiten Bon Anbeginn haber die Deutschen Werte unter den der Produktionsumstellung waren ungeheuer. Insgesamt mußten bisher Hunderte von Maschinen für Reparations- und Wiedergutmachungszwecke abgeliefert werden, rund dreizehntausend Maschinen zerstört und rund zwölf tausend Maschinen zerstreut werden. Unter Zerstreuung ist der Verkauf an Einzelfirmen zu ver stehen, wobei die JMK. Beri darauf legte, daß die Maschinen in die Hände möglichst vieler fleiner Firmen gelangten, damit Dabei handelte es sich nicht etwa um Spezialmaschinen- die. ja nicht etwa wieder eine einheitliche Benuzung möglich war. mußten zerstört werden, sondern um Werkzeugmaschinen, die für die verschiedensten Zwede der Friedensfabritation überall Berwendung finden. Das große Angebot diefer Maschinen, die in gleicher Art natürlich auch von den anderen Waffenfabriken zu gleicher Zeit auf den Markt kamen, zeitigte einen nur überaus geringen Erlös, so daß man geradezu von einer Verschleuderung fprechen muß. Freilich von einer durch die JMK. erzwungenen Verschleuderung!
Für Erfurt und has el horst wurde den Deutschen Werken die Erzeugung von Sport- und Jagdwaffen und die Herstellung der Munition dazu unter der Bedingung gestattet, daß z. B. die zur Bearbeitung der Gewehrläufe dienenden Bänke verkürzt würden, so daß fie für die Anfertigung von Militärgewehren nicht mehr verwendet werden fonnten. Das geschah. Die Sport- und Jagdwaffenfabrikation hatte nach einem etwa zweijährigen Anlauf eine überaus günstige Entwicklung genommen, so daß mit der Weiterbeschäftigung vieler Arbeiter gerechnet werden fonnte. Dann wurde auch diese in beiden Werken vollkommen aufgezogene Fabrikation verboten und mußte wieder eingestellt werden. Die Folge war, daß in Erfurt etwa 4000 und in Haselhorst etwa 2000 Menschen entlassen werden mußten. Rund 10 Millionen Goldmart haben die Deutschen Werke lediglich an Löhnen für Zerstörung von Baumerten, Maschinen und Materialien ausgezahlt, den Wert des Zerstörten nicht mitgerechnet.
Nun stellten die Alliierten neue Forderungen.
In Hanau sollen noch einige Spezialeinrichtungen zerstört werden. Noch weiß keiner, was das für Spezialeinrichfabrik; das Werf stellt heute Kunstleder und Lace her. Alles tungen sein werden. Wolfgang- Hanau war eine Pulverhat zerstört werden müssen. bis herab zu der unterirdischen Sanalisation, bis auf verzinkte Eimer und auf 2oren. Für Wolfgang- Hanau war die Fabrikation von Filmwolle in Aussicht genonimen. Die Fabrikation von Filmwolle, die durch Umarbeitung von Schießbaumwolle erfolgen sollte, stellt gang cußerordentlich hohe Anforderungen in bezug auf Durch fichtigkeit, Farblosigkeit, Reinheit, Biegsamkeit und Beständigfeit dieses Materials und hatte lange umfangreiche und Arbeit duktionszweig einführungsreif war. Die Alliierten hatten für und Geld verschlingende Versuche erfordert, bis dieser Prodiese Fabritation auch schon 50 Tonnen Schießbaumwolle freigegeben. Dann wurde die Erlaubnis plößlich zurückgezogen und dem Wert ein ungeheurer Schaden zugefügt.
Spandau . In Spandau sollen ein vierter Martinofen und das Gebäude des Bessemer- Stahlwerts zerstört und das Walzwerk eingeschränkt werden. Spandau hat sich auf die Erzeugung von Schrauben, Nieten, Stahlguß, Grauguß, 3ylinderguß, Kompressoren, Walzwerks, Preßwerkserzeugbeitungsmaschinen, Landmaschinen usw. umgestellt und findet nisse, auf maschinenbearbeitete Teile, Bettstellen, Holzbear für seine Fabrikate, die erster Qualität sind, gute Aufnahme in der Wirtschaft. Die Seele des ganzen Betriebes ist die Eisenerzeugung in den alten Siemens- Martinöfen, die noch benutzt werden dürfen, und das fleine Walzwert. Wenn Spandau überhaupt hochkommen soll, muß diefe Produktion ausgebaut werden. Heute wird der in Berlin anfallende Schrott nach und Profileisen zurüd. Bei einem Ausbau der ja in Spandau dem Westen gefahren und kommt von dort als Rund-, Flachschon vorhandenen und an sich auch von der JMK. zugelassenen Eisenerzeugung würde dem Berte Spandau selbst, wie auch der Wirtschaft Berlins ganz wesentlich gedient werden. Gerade die leichten Eisenprofile müßten in Berlin leicht Absatz finden. Ein solches Eisen- und Stahlwert vor den Toren Berlins würde wohi für den aus Berlin anfallenden Rohstoff wie für das Fertigerzeugnis erhebliche Frachtvorteile aufweisen. Ein Teil der eigenen Eisenerzeugung würde im eigenen Wert, ein nicht unerheblicher anderer Teil im Nachbarwert Haselhorst Ber mendung finden.
Nun soll diese Erzeugung noch beschränkt und das sowieso schon nicht modernen Ansprüchen genügende Walzwert einge