Nr. 279 42. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Schieles Etat.
Ein Mißtrauensantrag abgelehnt.
Bor Eintritt in die Tagesordnung gibt Abg. v. Kardorff( DBp.)| nicht zu, daß er selbst einer so niedrigen Art des Zitierens fähig ist. seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß der Abg. Koch- Weser Die Tatsache einer vollkommenen Berbrehung der damaligen Kanzler ( Dem.) sich wegen Aeußerungen in der Rede des Abg. Kardorff rede bleibt aber bestehen. Wenn mir in irgendeiner Bolksversamm vom Sonnabend, den 13. Juni, verlegt gefühlt habe und nimmt lung irgendein beliebiger Volksredner ein derartiges zurechtgeftuztes unter Beifall des Hauses diese Aeußerungen, die sich auf die Hochzeit Bitat entgegenhielte, würde ich es als und die Gattin des Abg. Koch bezogen, zurüd. eine plumpe Fälschung
In der Tagesordnung erstattet Abg. Rauch- München ( Bayer. Bp.) Bericht über die Ausschußverhandlungen über den Gesetzentwurf über
Depot- und Depofitengeschäfte.
Er bittet um Annahme des Entwurfs, an dem der Ausschuß einige Aenderungen vorgenommen hat. Nach dem Ausschußbeschluß foul das Gesetz am 1. Juli 1925 in Kraft treten. Nach dem Gesetz entwurf dürfen neben jenen Unternehmungen, die bisher zu Depotund Depositengeschäften zugelassen worden waren, auch folche Einzelfirmen, Handelsgesellschaften oder Einzelpersonen diese Geschäfte ausüben, die gewisse Boraussetzungen erfüllen, die auch von ausländischen Banten erfüllbar sind oder deren Inhaber oder Gesellschafter usw. im Inland fünf Jahre in Depot- oder Depositen banten tätig waren.
In der Debatte feßt sich Abg. Fischbed( Dem.) dafür ein, daß in bezug auf die Depot- und Depositengeschäfte die volle Frei heit wiederhergestellt werde. Die Demofraten fönnten dem Gesetz entwurf in feiner gegenwärtigen Form nicht zustimmen und bean tragten Rüdverweisung an den Ausschuß.
Ein Regierungsvertreter bittet dringend, von der Rückverweisung absehen zu wollen; das Gesez müsse am 1. Juli in Kraft treten, weil am 30. Juni die bisherigen Bestimmungen ihre Gültigkeit verlieren. Die Abstimmung bleibt zweifelhaft.
In der Auszählung stimmen 125 Abgeordnete für, 97 gegen die Zurücverweisung. Das Haus ist also beschlußunfähig.
Präsident Löbe schließt die Sitzung furz nach 2 Uhr und beruft zu 2% Uhr eine neue Sigung ein, auf deren Tagesord nung der Gefeßentwurf über die Depot- und Depofitengeschäfte nicht mehr enthalten ist.
Die neue Sitzung
fezt die Beratung des Haushalts des Reichsinnenministeriums fort.
Abg. Dr. Seus( Dem.) wendet sich gegen das Borgehen von evangelischen Kirchenbehörden gegen die evangelischen Pfarrer, die bei der letzten Reichspräsidentenwahl sich für die Kandidatur Mar eingesetzt haben. Bei dem Verhalten der angegriffenen evangelischen Geistlichen handele es sich um Tattfragen. Die Reichsregierung müsse sich gegen solche politischen Uebergriffe firchlicher Stellen einsetzen. Die Reichsregierung habe die Aufgabe des Garanten für den freien politischen Willen der Staatsbürger. Zur Frage des Auslandsdeutschtums weist der Redner darauf hin, daß nach seinen eigenen Erfahrungen beim Deutschen Tage in Innsbrud die Auslandsdeutschen dort nur die schwarzrofgoldene Fahne als deutsche Flagge fannten. Im übrigen müsse Deutschland seine eigene Minderheitengesetzgebung verbeffern,
um, mit eigenen Leistungen im Hintergrund, auch im Bölterbund besser für die deutschen Minderheiten im Auslande eintreten zu fönnen.( 3uftimmung.)
Die Etatrede des Innenministers Schiele gebe zu besonderen Bemertungen feine Beranlassung.( Heiterfeit.) Sie jet eine Rede des Sowohl- als- auch
gewesen. Was den Antrag anlange, den 18. Januar als Nationalfeiertag einzuführen, so hätte Bayern dann Gelegenheit, bis zum 21. Januar zu feiern, denn erst an diesem Tage hätte es fich zum Einfriff in den deutschen Reichsbund entschließen tönnen. Früher hätte der 18. Januar als Feiertag nicht in das Bewußtsein des Volkes eindringen fönnen, weil die dynastischen Ge burtstage das verhinderten.( Sehr richtig!) Der 18. Januar bedeute wesentlich nur einen Gebenttag der Hohenzollerndynastie. Ein Bolt solle zwar sein Elternhaus, jeine Bergangenheit ehren, müsse aber den Mut haben, den Blick auf die Gegenwart richten.( Sehr gut!) Den Antrag auf Einfegung eines Berfassungsaus schusses bezeichnet der Redner als politischen Dilletantis, mus. Man dürfe eine neue Verfassung nicht schon am Tage nach ihrer Geburt mit formaljuristischem Kram belasten.( Beifall bei den Demokraten, dem Zentrum und den Sozialdemokraten.) Abg. Eichhorn( Komm.) verwahrt sich gegen die den Kommunisten gemachten Borwürfe, mit denen ein Ausnahmerecht gegen diese Partei begründet werde, das in dem Spizeltum des Reichskommissars für die öffentliche Ordnung seinen Niederschlag finde. Selbstverständlich wollten die Kommunisten einen Staat stürzen, der nur ein Instrument des Kapitalismus sei. Die Kom munisten feien aber ehrlich und sagten, was jie wollen. Die Rechtsparteien, insbesondere die Bartei des Innenministers Schiele, wollten den Staat auch stürzen, obwohl viele von ihren Barteigängern den Eid auf die Verfassung geleistet hätten. Sie verträten diese Auffassung nur nicht öffentlich, sondern bemühten
fich, dafür in den diskreten Ausschüssen dem Staate zu Leibe zu gehen. Der Spigelsumpf fei heute viel größer, als es der unter dem Sozialistengeset gewesen sei. In den letzten 1% Jahren feien allein gegen die Kommunisten 4700 Jahre Freiheitsstrafen verhängt worden. Und da rede man von Boltsgemeinschaft.( Beifall bei den Kommunisten.)
Dann schließt die Generalbebatte, Es folgen persönliche Bemerkungen:
Abg. Sollimann( Soz.):
Der Reichsminister des Innern hat in seiner Haushaltsrede versucht, auch mich als Kronzeugen für die Notwendigkeit einer grundlegenden Aenderung der Reichsverfassung in Anspruch zu nehmen. Er hat gesagt: " Die Frage der Kenderung der Reichsverfassung hat auch die Reichsleitung in grundsäglicher Weise beschäftigt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Problem des Berhältnisses von Reich und Ländern. Dabei ist die Revisionsbedürftigkeit der Reichsverfaliung im Grundfaz anerkannt worden, z. B. in der Erklärung des Reichs: fanzlers Dr. Stresemann am 6. Oftober 1923. Damals war ja auch der Kollege Sollmann im Kabinett. In dieser Erklärung heißt es: Nach Auffassung des Kabinetts also einschließlich des Herrn Sollmann, einschließlich der Herren Demokraten , die damals im Kabinett faßen fann wirkliche Abhilfe nur geschaffen werden durch eine grundlegende Aenderung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern und Kommunen." So der Herr Minister. Dem Herrn Minister ist ein gefälschtes Zitat
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in die Hand gedrückt worden.( hört, hört! bei den Sozialdemo. fraten.) Ich mache ihn nicht persönlich für die Berdrehung der Rede des damaligen Reichsfanglers verantwortlich, weil er unmög lich alles selbst nachprüfen kann. Die Art des Zitierens aber ist unerhört. Der Verfasser des Zitats hat nämlich mit wohlberechneter Abficht einen einzigen Sag so aus der Rede herausgeriffen, daß deffen Sinn tatsächlich gefälscht worden ist. In der Rede ist von Berfassungsänderungen gar nicht die Rede gewesen. Sich traue dem Minister nach der ganzen Art jeiner Bersönlichkeit
bezeichnen.
Abg. Diffmann( Soz):
Am Sonnabend hat mich in meiner Abwesenheit der völkische Abgeordnete Rube nach dem Vorbild des Erreichsfanglers Michaelis und des Ermarineministers Capelle in Beziehung gebracht zu den angeblichen politischen Marinemeutereien von 1917. Michaelis und Capelle jind 1917 darüber gestürzt. Das kann dem Berson kann mich deshalb nicht veranlassen, auf die Sache zurück Abg. Kube natürlich nicht passieren, denn wer ist Kube. Seine zukommen, aber im Interesse der geschichtlichen Wahrheit will ich das folgende bemerken:
mentarischen Untersuchungsausschusses über die Kriegsurfachen, die Auf meine Beranlassung hat der 4. Unterausschuß des paríasämtlichen Feldfriegsgerichtsaften eingefordert, die 1917 auf den Schiffen der Marine über die angeblichen Vorgänge angesammelt worden sind, und ebenso die Atten, die in einem Ermittlungsperfahren zusammengekommen sind, das damals gegen Frau Luife Bieg angestrengt war, die zu dieser Zeit noch nicht Mitglied des Reichstags war. Ich persönlich habe diese Atten fast ganz durch gesehen es ist etwa ein Zentner Aften! und mill hier vorweg nur das eine sagen: auf Grund dieser amtlichen Atten werde ich im furzen in der Lage sein, dem Hause und
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der Deffentlichkeit über die Borgänge bei der Floffe im Jahre 1917 Enthüllungen zu machen, die Aufsehen und Entfehen erregen müffen( hört, hört! links) und den Beweis erbringen, daß 1917 bei der deutschen Marine überhaupt teine politischen Menfereien ftattgefunden haben( hört, hört! links), daß die damals eingeleiteten feldfriegsgerichtlichen Berfahren mit ihren Todesurteilen und ihren barbarischen Zuchthausstrafen lediglich dem Kampf der Tirpikschen Vaterlandspartei gegen die Friedensrefolution des Reichstags von 1917 und dem Kampfe gegen den Berständigungsfrieden gedient haben.( hört, hört! links.) Nach persönlichen Bemerkungen nimmt das Haus die Abstimmungen vor.
Ein fommunistischer Mißtrauensantrag gegen den Junenminister Schiele wird gegen die Stimmen der Kommunisten und Sozialdemokraten sowie eines Teiles der Demokraten ab.
gelehnt.
Das Gehalt des Ministers wird gegen die gleichen Stimmen bewilligt.
Die weitere Abstimmung wird vertagt. Es folgt die Spezialdebatte, die sich heute mit den Rapiteln Bildung und Schule und Film" beschäftigt.
Abg. Dr. Löwenstein( Soz.):
Dienstag, 16. Juni 1925
bezug auf das Reichsschulgeset wünscht der Redner, daß es balb Tatsache werde.
Frau Abg. Pfülf( Soz.) weist auf Mißstände in der Filmprüfung hin. Die Prüfung werde nicht mit der erforderlichen Objektivität vorgenommen. Bon dem kommenden Gesetz über die Schmuß- und Schundliteratur erwartet die Rednerin nicht viel Positives. Positives für die Jugend fönne dadurch erreicht werden, daß man Berantwortlichkeit in die Jugend trage. Die Kräfte in der Jugend selbst müßten lebendig gemacht werden zu dem Ziele, die Jugend in würdiger Weise heranzuziehen.( Sehr richtig!) Man dürfe Schule und Erziehung nicht nur als eine Sache der Schulmeister betrachten.( Beifall b. d. Goz.)
Abg. Dr. Ellenbeck( Dnat.) jetzt sich für das Gesetz zur Befämpfung der Schund- und Schmugliteratur ein.
Abg. Hofmann- Ludwigshafen( 3.) betont, daß kein Betrag zu hoch fei, der für die körperliche Ertüchtigung der Jugend angewendet werde. Der Redner tritt für die tägliche Turnstunde ein, wenn barunter der andere Unterricht nicht leide. Der Reichs. tag bürfe fich nicht durch das ein bes Finanzministers bestimmen laffen; er muffe die 6 Millionen für die Junglehrer bewilligen. ( Sehr richtig!)
Abg. Dr. Bergfträßer( Dem.) meist auf die Notwendigkeit hin, die Leiter der wissenschaftlichen Reichsinstitute nicht wie Beamte nach Schema F zu behandeln. Auch bei der Festjeßung der Gehälter der Wissenschaftler müsse im Etat ein größerer Spielraum gelassen werden. Gegenüber den Anträgen der Rechten, den 18. Januar als Nationalfeiertag einzuführen, verweist der Redner darauf, daß die preußischen Konservativen der sechziger Jahre gegen die Reichseinheit waren.( Beifall.) Um 7% Uhr vertagt sich das Haus auf Dienstag 2% Uhr. Tagesordnung: Gefeß über Depot- und Depositengeschäfte; Weiter beratung des Haushalts des Innern.
Agrardebatte im Landtag.
Bor Eintritt in die Tagesordnung verweist das Haus auf den Antrag der Sozialdemokratie, zunächst einen von dieser eingebrachten Urantrag auf Gewährung einer einmaligen außergewöhnlichen Wirtfchaftsbeihilfe von 100 mart an die Beamten der Besoldungsgruppen 1 bis 6 an den Beamtenausschuß.
Auf die Tagesordnung wird nachträglich ein fommunistischer Antrag gesetzt, der sich auf die blufigen Borgänge in Halle im Verlaufe einer Rede des fommunistischen Präsidentschaftskandidaten Thälmann bezieht. Nach feiner Begründung durch den Abg. Rilian( Romm.), der darin den Justizbehörden vorwirft, fie hätten in Halle die ihnen obliegenden Pflichten verlegt und von den beteiligten Ministern des Innern und der Justiz zur Beschleunigung der Untersuchung die fofortige Entsendung einer Beamtenfommiffion nach Halle fordert, wird der Antrag auf Antrag der Sozialdemo traten dem Rechtsausschuß überwiesen. Es wird darauf die allgemeine Aussprache zur 3reifen Beratung des Landwirtschaftshaushaltes
fortgefeßt.
Abg. Brandenburg( Soz.):
Eine der gebräuchlichsten Rebensarten der Anhänger des Schußgolls ist die von der Sicherstellung der Boltsernährung. Hat etma früher der Schutzoll die Boltsernährung sichergestellt? Hat nicht dis Reichsregierung durchblicken lassen, daß sie zunächst einmal mit einer Berteuerung der Bolfsernährung durch den Schubzoll rechnet? Was durch Agrarzölle sichergestellt wird, ist nicht die Ernährung der breiten Boltsmassen, sondern der Gewinn Hilfswerk der Landwirtschaft"; es wurde seinerzeit als Hilfe für das ganze Bolt angepriesen, in Wahrheit war es nur eine Hilfe für das Junkertum und für die großen Herren im Reichslandbund. Der Herr Landwirtschaftsminister sieht die Entwicklung in der durch Agrarzölle notwendigerweise herbeigeführten Berteuerung etwas zu optimistisch an. Jedenfalls steht fest, daß Schutzölle eine weitere Berschlechterung der Boltsernährung bedeuten und darüber müssen fich die maßgebenden Regierungsstellen und vor allem auch die Herren auf der Rechten flar sein, daß die Volfsmassen sich eine weitere Herabdrückung ihres Lebensstandes einfach nicht gefallen lassen. Die Folgen der Nahrungsmittelzölle werden
Ich habe nicht die Absicht, erneut über die Lehrerbildungsfrage in diesem Haufe zu sprechen. Meine Freunde und ich haben fowohl im Ausschuß als auch im Plemum so oft die Forderung nach einem Berufsschulgeset und nach einem Lehrerbilder Großgrundbesizer. Es geht hier ähnlich wie bei dem sogenannten dungsgefes gestellt, daß ich heute nicht wieder darauf zurück tommen will. Schon im Ausschuß haben wir die Verfaffungswidrig feit in dem Berhalten der Medienburger Regierung in der Lehrerbildungsfrage gekennzeichnet. Jetzt muß ich auf den gefahr drohenden Kampf aufmerksam machen, der von Bayern her gegen bie Lehrerbildung unternommen wird. Der bayerische Kultusminister Dr. Matt hat im banerischen Landtag nur geringes Berständnis für die ernste und gewissenhafte Arbeit von 50 Jahren der großen Lehrer. vereinigungen gezeigt. Wir halten uns für verpflichtet, die Rede des bayerischen Kultusministers auch von dieser Stelle aus zurückzuweisen und wir fordern die bayerischen Lehrer auf, um der Schule willen in fämpfen. Wir werden ihnen in diesem Kampfe zur Seite stehen. Die ihrem Kampfe für die baldige Erfüllung des Artifels 143,2 3 Reichsregierung hat hier ebenso wenig ihre Pflicht getan, wie gegen die fufturwibrige Maulwurfsarbeit der vleischen Ueberregierung in Thüringen .
fein. Alle Arbeitnehmer, ganz gleich in welchem politischen Lager gewaltige Wirtschaftskämpfe auf der ganzen Linie fie stehen, werden hier zusammengehen. Ich erinnere nur daran, baß 3. B. der Führer der christlichen Bergarbeiter 3m. mandt hat. Graf Stollberg erklärte, die Landarbeiter hätten imbush in den schärfsten Ausdrüden sich gegen den Schutzzoll geein großes Interesse am Schußzoll und nur die bösen Sozialdemofraten redeten ihnen fortwährend zu, fich gegen die Agrarzölle zu nur durch die große Hige der vorigen Woche erflären. Wie war wenden. Diese Behauptung des Grafen Stollberg läßt sich wirklich benn das Los der Landarbeiter in der früheren Schuzzollära? Im borgerechnet, daß gegenüber der Borkriegszeit die Löhne für die Hauptausschuß hat uns Herr Hösch an Beispielen von seinen Gütern Landarbeiter um 25 Broz. und die der Landarbeiterinnen um 80 Proz. gestiegen seien. Heute würden Stundenlöhne von 36 f. für Landarbeiter und 18 Bf. für Landarbeiterinnen gezahit. Wie Deputatlöhnen, die scheinbar fich auf einer gewissen Hölse bewegen, wird wohlverstanden, jedesmal der volle Marktpreis gerechnet, die Bandarbeiter dagegen erhalten in der Bragis niemals den wirtlichen Marktpreis. In Ostpreußen erhält heute ein Landarbeiter neben seinem Deputat pro Monat im ganzen durchschnittlich 7 R.; davon gehen noch allerhand Beträge wie Invalidenversicherung usw. ab, so daß
In welchem Mißverhältnis der Polizeietat zum Rulturetat im Reichsministerium des Innern steht, hat schon mein Parteifreund Sbllmann ausgeführt. Aber auch innerhalb der Ausgaben für Rulturzwecke sieht man eine schreiende Distrepanz zwischen den Aus. gaben für die Wissenschaft, für Kunst, für Boltsbildung und Bolts. schule. Für die Wissenschaft waren nach dem Vorschlag der Regierung vorgefehen 5,6 millionen, für die Kunft nur 300 000, für Wolfsschule, Bolksbildung und höhere Schule 430 000. Auch nach den Arbeiten des Ausschusses ist das Berhältnis nicht viel besser geworben. Die Deutschnationalen haben zu Agitationszweden eine Reihe von Anträgen gestellt, die sie später zurückgezogen haben, nachdem fie für träge von ihrer Seite von der Grundauffaffung aus, daß fie fein Ber trauen zu den lebendigen Kräften der neuen Gesellschaft haben und nur in der Vergangenheit wurzein. Wir aber wollen die Maffen zu bewußten und gebildeten Trägern der materiellen und ideellen Kultur einer werdenden, einer neuen Gesellschaft machen.
Sie opfern freudig 700 Millionen für die Schwerinbuftriellen des Ruhrgebiets, aber Sie ftöhnen, wenn Sie 500 000 m. als Erziehungsbeihilfe für den Aufstieg der Kinder der Arbeiterflaffe geben sollen.
"
Ste opfern die Millionen für Kreuzer und 2bmirale und werden ängstlich, wenn Sie zur Förderung auf bem Gebiete des Schul, Erziehungse, und Boltsbildungswefens auch nur eine halbe Million bewilligen sollen. Im Grunde genommen entspringt der Antrag auf Herausgabe eines Auszuges aus dem Versailler Vertrage als Anhang zur Verfassung dieser gleichen beologie. Sie haben allerdings schon herausgefunden, daß das Säbelraffeln für fie als Regierungspartei augenblicklich lächerlich wirkt. Aber auf den Krücken des Schmachfriedens von Bersailles soll die schwärmerische Jugend im Geiste der Reanche großgezogen werden. Bir dagegen wollen eine moralische brüstung in der Erziehung. Der Artikel 148 der Reichsverfassung ist für uns feine Feiertagsphrase, sondern der Ausdruck unferer mirt fchaftlichen Einsicht, unseres politischen Willens. Das deutsche Bolt hat schon gemerkt, daß ein Krieg verlorengegangen ist. Es fühlt diese Tatsache an der Berschlechterung seiner Arbeitsbedingungen, feiner Lebensverhältnisse, an dem Drud feiner Steuerlaft. Die kleine Oberschicht, die Milliardenwerte gesammelt hat, die das Bolt bei vollen Scheunen verhungern läßt, die sich der Steuerbelastung entzieht, und aus dem Elend und der Not ein blühendes Geschäft gemacht hat, fie braucht nicht den Versailler Bertrag fennen zu lernen. Wir brauchen eine andere Aufklärung. Wir brauchen Aufklärung über den ver hängnisvollen Militarismus und Imperialismus, der den Weltkrieg auf dem Gewissen hat, wir brauchen eine Erziehung zur Solidarität der arbeitenden Menschen.( Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Dr. Mumm( Dnat.) hebt hervor, daß die Aufgaben der Kultur mehr von den Ländern gelöst werden müßten. Das Reich habe aber die wichtige Aufgabe der Grundjaggefeßgebung. Jn
dem Arbeiter oft nur 4 Mart pro Monat übrig bleiben! Eine geradezu glänzende Bezahlung! Dabei ist zu beachten, daß gegenüber der Bortriegszeit eine wesentliche Steigerung der Leistung festzustellen ist. Es wird im Durchschnitt auf den Gütern mit weniger Arbeitskräften das gleiche oder noch ein höheres Resultat erreicht. Wir sind für jede Steigerung des Ertrags und wir sind der Ueberzeugung, daß hier noch ganz andere Resultate erzielt werden tönnten, wenn man endlich einmal eine vernünftige Landarbeiterpolitit treiben würde. Da fehlt es aber sehr bedenklich. Hat doch der Landwirtschaftliche Verband in Ostpreußen fich gerühmt, innerhalb furzer Zeit 1760 Landarbeiter aus der Landwirtschaft entfernt zu haben. Der Segen dieses Borgehens zeigt sich heute bereits ganz beutlich. Heute mehren sich die Barnungen vor der 2 bwanderung nach dem Besten. Gerade die intelligenten und leistungsfähigen Arbeiter wandern infolge der gewerkschafsfeinblichen Ginstellung der Unternehmer vom Lande fort. Der Druck des Unternehmertums auf die Landarbeiter hat sich feineswegs vermindert. Noch immer ist Wohnungsgeber, Amtsvorsteher und Arbeitgeber sehr oft ein und dieselbe Person. Was das bedeutet, fann sich jeder an den fünf Fingern abzählen. Noch immer leibet die Landarbeiterschaft in recht vielen Fällen unter einer geradezu unerträglichen Wohnungsnot. Familien in Stärfe von zehn Köpfen find in Wohnungen mit einer Stube oder einer Stube und einer Rammer untergebracht. Oft müssen Wohnungen bezogen werden, ohne daß fie vorher frisch gefafft wurden. Das Candarbeiterwohnungselend finden wir in Ostpreußen wie in pommern, in Schlesien wie in Brandenburg . In Schlesien hat man etwa 60 polnische Landarbeiterinnen in einem Gebäude untergebracht, in dem zu gleicher Zeit 60 Strafgefangene eingesperrt waren. Noch immer werden Sandarbeiter auf die Straße gefeßt, ohne daß sich jemand