Abendausgabe
Nr. 290 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 142
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
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Montag
22. Juni 1925
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Die Zollvorlage im Reichstag.
Die Aenderungen durch den Reichsrat.
Die Zollvorlage der Reichsregierung ist nunmehr gestern, nachdem bereits heute die Beratung des 199 Seiten umfassenden Ent wurfes beginnen sollte, dem Reichstag zugegangen. Die Beratung wurde bekanntlich vertagt. Die Borlage enthält die Agrarzölle in gänzlich unveränderter Fassung. Der Brotwucher soll also ebenso wie die starke Berteuerung von Fleisch, Milch und Fett produkten auch nach den Wünschen des Reichsrates plaßgreifen. Maßgeblich ist diese Stellungnahme des Reichsrates nicht, ta fic
bekanntlich zustande kam, ohne daß Preußen seine Stimmen go schloffen abgeben fonnte. Die Provinzialvertreter Preußens haben gegen den Antrag der preußischen Staatsregierung gestimmt, der die Beseitigung der Mindestzölle für Getreide vorsah.
Einige Abänderungen weist die Zollvorlage gegenüber ihrer ursprünglichen Fassung auf dem Gebiete der Industriezölle auf. Diese sind jedoch so unerheblich, daß der Charakter des Tarifes als ein hochschußzolltarif feineswegs beeinträchtigt wird. Im Gegen teil find neben einigen unwesentlichen Ermäßigungen von Zollfägen einige Positionen neu geschaffen worden. So sollen die Arzneimittel Morphin und kodein mit einem Zollfaß von 10 000 Mart pro Doppelzentner oder 15 bis 20 Proz. des Wertes belastet werden. Die Zölle auf Baumwollenfilz als Meterware sollen gegen bisher vervierfacht werden, die Zölle auf Tiergarne wurden vom Reichsrat noch einmal verdreifacht, diejenigen auf feine Tiergarne ( Mohair, Alpacca usw.) werden teilweise sogar auf das Achtfache erhöht. Berteuert werden ferner die 3ollfäße auf grobe Fuß bodenteppiche, z. B. aus Jute oder Kotosfasern, wie sie besonders für die fleineren Haushaltungen in Betracht kommen. Hier wird der Zollfaz für gewebte Kotosteppiche auf das Anderthalbfache erhöht.
Man
Bei Metallwaren ist man den Protesten der verarbeitenden Industrie insofern entgegengekommen, als man die geplante Zollerhöhung für Bleche gestrichen hat. Diese Streichung ist deswegen so bezeichnend, weil die Regierung in der ersten Fassung der Zollvorlage ausdrücklich behauptet hatte, die Blech erzeugende Cisenindustrie sei auf die Zollerhöhung angewiefen. scheint sich also in Regierungstreifen über die so oft und so laut betonte Notwendigkeit" von Schutzöllen durchaus nicht klar zu sein. Unverändert blieben die phantastisch hohen Automobilzölle. Der Boll auf Stanniol( Blattzinn) wurde vom Reichsrat um die Hälfte in die Höhe gesetzt.
Die Sozialdemokratie wird den Kampf gegen die Hochschutz zollvorlage im Reichstag mit aller Entschiedenheit aufnehmen. In folge der Differenzen innerhalb der Regierungsparteien steht es noch immer nicht feft, wann die erfte Lesung des Entwurfs
stattfinden soll.
Eine notwendige Mahnung zur Vernunft. Die deutschen Kommunisten haben bekanntlich beschlossen, ihre Taktik zu ändern. Sie wollen sich nicht mehr dem Vormurf aussetzen, daß ihr Berhalten unmittelbar der Reaktion zugute tommt. Wie wird sich diese neue Taktik im Zolltarifs tampf auswirken?
An dem ernsten Willen der Sozialdemokratischen Partei, die Arbeiterschaft vor einer Verteuerung ihrer Lebenshaltung durch Zölle zu schüßen, fann vernünftigerweise nicht gezweifelt werden. Bersuche, die Sozialdemokratie als „ Berräterin" zu entlarven, sind also zum mindesten auf diesem Gebiet völlig aussichtslos.
Meinungsverschiedenheiten fann es höchstens darüber geben, auf welchem Wege das Ziel am besten zu erreichen ist. Die Sozialdemokratie wird sich diesen Weg selber suchen und ihn der gegebenen Lage anpassen. Ratschläge, die man ihr erteilt, wird fie prüfen. Man wird es ihr aber nicht verdenten können, wenn sie sich gegenüber den Ratschlägen, die ihr pon kommunistischer Seite fommen, etwas vorsichtig verhält.
Gerade als Lehrmeisterin der Taftif besitzt die KPD . wirklich feinen unangefochtenen Ruf. 3u oft hat sie schon ihre eigene Taftit preisgeben müssen. Bu oft schon hat sie das, was fie früher getrieben hatte, für falsch erklärt und die dafür verantwortlichen Führergarnituren abgesägt.
Bären wir in früheren Situationen den bringlichen, im Ton der Unfehlbarkeit vorgetragenen Ratschlägen der Brandler und Thalheimer oder der Rah und Scholem gefolgt, fo müßten wir uns jetzt von der KPD. selber sagen lassen, wir feien Esel gewesen. Läßt sich doch niemals im voraus bes stimmen, ob man nicht dadurch, daß man der augenblicklichen RBD.- Parole folgt, eine„ rechte" oder eine„ linke Abweichung" begeht! Augenblicklich, man weiß nicht für wie lange, ist Frau Ruth Fischer in der KPD . die tonangebende Zentralperson. Solange sie den Segen Moskaus befigt, hat ihr jeder deutsche Bolschemit unbedingt zu parieren.
Die deutschen Sozialdemokraten sind aber keine Bolschewiki, ie erlauben sich noch immer, ihren eigenen Kopf zu haben. Sie werden ihn auch im Zolllampf behalten und ihn nicht mit bem der Frau Ruth Fischer vertauschen.
Die Sozialdemokratie hat den Willen zum Rampf, und fie stellt die Massen zu diesem Kampf. Die Kommunisten sind mur eine fleine Minderheit. Wäre es ihnen mit ihrer neuen Tattit" ernst, so müßten fie die Sozialdemokratie im 3oll fampf vorbehaltlos unterstügen.
Werden sie das tun? Die Haltung der kommunistischen Presse läßt diese Hoffnung nicht zu. Statt die Arbeiter objektiv über die Bedeutung des Kampfes aufzuklären, beschränkt sich die kommunistische Presse darauf, der Sozialdemokratie in freischendem Ton Borhaltungen zu machen und ihren Lesern einzureden, die verruchte SPD . sei schon wieder einmal drauf und dran, Arbeiterinteressen schnöde zu verraten".
Dieses tommunistische Pressegeschrei nehmen wir nicht ernst. Mit desto größerer Entschiedenheit möchten wir darauf aufmerksam machen, daß in den bevorstehenden Reichstagsfämpfen für derartige Hanswurstereien kein Raum sein wird. Die Sozialdemokratie führt den Kampf! Nachdem die Kommunisten Hindenburg zum Reichspräsidenten gemacht haben, werden sie es sich nicht leisten können, auch noch der Sache des Brotwuchers zu dienen, indem sie der Sozialdemokratie in den Rücken fallen.
Ein paar gänzlich Vernagelten wird die KPD . vielleicht den Glauben beibringen können, daß die Taktik der Sozialdemokratie falsch und von verräterischen Absichten diktiert sei. Die erbrüdende Mehrheit der Arbeiterschaft versteht aber in Dingen, bei denen es um ihre Lebensinteressen geht, feinen Spaß! Sie wird nicht dulden, daß der ernste, nach wohlerwogenen Regeln geführte Kampf der Sozialdemokratie durch kommunistische Mäßchen gestört wird.
Arbeitsteilung.
Der Brotwucher und die Hugenbergpreffe. Als die Zollvorlage der Reichsregierung mit den muche rifchen Getreidemindestzöllen dem Reichsrat zuging, fand der Lofal- Anzeiger", daß es noch nicht genug des Brotwuchers sei, und erklärte, der Bogen sei noch nicht genug gespannt".
Das hieß den Lefern des Lokal- Anzeiger" etwas viel zumuten, und der Lofal- Anzeiger" ist seitdem in der Frage der Getreidezölle schweigsamer geworden. Aber Herr Hugenberg befigt neben dem Lokal Anzeiger" noch den Tag", der sich vom Lokal- Anzeiger" nur dadurch unterscheidet, daß er einen anderen Leitartikel hat. Was bei den " Tag" verzapft. So schreibt Herr Schulze- Pfaelzer Lesern des„ Lokal- Anzeiger" Anstoß erregen könnte, wird im im ,, Tag":
Getreidezölle auskommen, denn die landwirtschaftliche Produktion in Tatsächlich würde keine deutsche Regierung auf die Dauer ohne Deutschland ist so teuer geworden, daß sie nur mit Hilfe fefter Präventivmaßnahmen aufrechterhalten oder gesteigert werden kann. Agrarzoll ohne Mindest tarife pflegt praftisch meist feiner zu sein, denn beim Abschluß von Handelsverträgen entschließt man sich oft am ehesten zur Durchlöcherung des Agrarschutzes. Wenn die Agrarmindestzölle hoch angesetzt würden, so müßte man angesichts unserer schwierigen inneren sozialen Lage in der Tat bedenklich sein. Nun ist aber die Belastung wirklich im Verhältnis zu der heutigen allgemeinen Preisstala minimal. Man kann doch die Landwirtschaft nicht ohne jede zollpolitische Kom pensation lassen, wenn sie die neuen Industriezölle mittragen muß und sich schon jetzt in einer wenig rosigen Lage befindet. Mit der Sozialdemokratie ist in den Fragen der Agrarzölle jetzt doch nicht zu reben, und so sollten wenigstens die bürgerlichen Gruppen Vernunft annehmen."
Die Belastung durch den Getreidezoll beträgt mindestens 25 Broz. des Getreidepreises das nennt der Tag" eine minimale Belastung". In den bürgerlichen Barteien bestehen starte Bedenken gegen den Getreidemindestzoll aber der Tag" redet ihnen zu, vernünftig zu sein und sich zu Dienern des agrarischen Sonderinteresses zu machen.
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Herr Hugenberg hat seine beiden Ausgaben. In der einen werden die fleinen Leute eingeseift ihnen braucht man ja nicht gerade alles zu sagen, was man will. In der anderen tröstet man die Interessenten: seht ihr, wir sind bran für den Brotwucher. Das nennt man Arbeitsteilung!
Fortgang der Börsenflaute.
Die neue Woche eröffnete mangels jeglicher Anregung in luft. lofer Haltung. Das Kursniveau, das sich am letzten Sonneinheitlich neuerlichen Abschlägen. An den führenden Aktienabend im Freiverkehr der Banken erhalten hatte, unterlag heute märkten konnte die Tendenz demzufolge als ausgesprochen schwach bezeichnet werden. Der herannahende Ultimo macht sich am Geldmarkt dadurch fühlbar, als Monatsgeld so gut wie nicht zu haben ist, und die Interessenten für ihre Bedürfnisse daher tägliches Geld in Anspruch nehmen. Der Zinssa hierfür erfuhr aus dieser Sachlage noch keine Veränderung und beträgt 7% bis 9 Proz., Monatsgelb 10 bis 11% Proz. Wenn auch im Verlauf der Börse zu den ermäßigten Kursen verschiedentlich Deckungen stattfanden, so wurde hierdurch zunächst doch eine grundlegende Erholung der erniedrigten Anfangskurse bewirkt.
Auf Statstoften hat die Philosophische Fakultät der Unipersität Heidelberg eine Broschüre drucken lassen, die den Beschluß der Fakultät zum Disziplinarverfahren gegen den befannten Pazifisten Privatdozent Dr. Gumbel enthält. Schon zweimal war von der Heidelberger Universität gegen Dr. Gumbel wegen der Art seiner politischen Betätigung Antrag auf Suspendierung von der Lehrtätigkeit an das badische Kultusministerium gerichtet worden. In beiden Fällen wurde diesen Anträgen nicht stattgegeben. Auch die verschiedenen Hoch- und Landesverratsverfahren, die vom Oberreichsanwalt gegen Dr. Gumbel eingeleitet waren, mußten wieder eingestellt werden, wenn anders sich der Oberreichsanwalt nicht eine grenzenlose Blamage holen wollte. Blieb also nur noch ein Disziplinarverfahren, das von einem Untersuchungsausschuß der Universität Heidelberg durchgeführt und durch den in der genannten Broschüre niedergelegten Beschluß der Philosotommen die Heidelberger Profefforen zu dem Resultat, daß phischen Fakultät vom 16. Mai 1925 getrönt wurde. Darin der Antrag auf Entziehung der Lehrtätigkeit nicht zu stellen sei, daß der Fakultät aber die Zugehörigkeit Dr. Gumbels zu ihr als durchaus unerfreulich erscheint".
wissen, daß unter den drei Beisigern des Untersuchungsaus Bei Beurteilung dieses Beschlusses ist es wesentlich, zu schusses sich ein völkischer Privatdozent befand. In dem ganzen Berfahren wurde nicht etwa die wissenschaftliche Leistung Dr. Gumbels und seine Eignung zum Hochschullehrer, sondern die politische Seite seiner Bersönlichkeit einer Untersuchung unterzogen. Während die Fakultät gleich auf der ersten Seite der Broschüre Dr. Gumbel eine ausgesprochene Demagogennatur nennt, tommt sie später zu dem Resultat, er sei ein fanatischer Idealist.
,, Er glaubt an seine Sache, den Pazifismus, und an seine Mission darin. Leidenschaftlich und voll Haß steht er allem gegenüber, was ihm Gewalt, Nationalismus, Tendenz zu fünftigem Kriege scheint. Wo dieser Idealismus in Frage tommt, hat er Mut, nicht nur die Zivilcourage, zu sagen, was er denkt, sondern den Mut zum Wagnis seines Lebens."
Ein Mann von diesen hohen sittlichen Qualitäten ist den zünftigen Professoren unerwünscht. Sie machen ihm geradezu eingeleiteten Verfahrens feine politischen Ueberzeugungen einen schweren Borwurf daraus, daß er trop des gegen ihn weiterhin verfocht, statt durch Zurückhaltung der. gegen ihn angehäuften Mißstimmung Rechnung zu tragen."
Der Ausschuß spricht den politischen Arbeiten Dr. Gumbels jedes Niveau ab. Gemeint ist dabei Gumbels Buch Bier Jahre Mord". Tatsächlich hat aber das Reichsjustizministerium dieses Buch zur Grundlage einer Denkschrift gemacht, in der alle Angaben Gumbels bestätigt werden. Auf die wissenfchaftlichen Leistungen Dr. Gumbels wird nicht eingegangen. Der Beschluß der Fakultät spricht nur furz von einer Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten und erklärt dann:„ Der Ausschuß ist außerstande, über ihren wissenschaftlichen Wert ein Urteil zu gewinnen." Das ist eine sehr bequeme Art, der Anerkennung wissenschaftlicher Leistung des politischen Gegners auszuweichen. Nichts wäre leichter gewesen, als durch Zuziehung des Gelehrten, der Dr. Gumbels Arbeiten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vorlegte, fich ein flares Bild von deren wissenschaftlicher Bedeutung zu verschaffen. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, einen Fachmann zu befragen. Schließlich entscheidet doch über die Eignung zum Privatdozenten nicht die politische Ueberzeugung, sondern die wissenschaftliche Leistung. Aber der Fakultät scheinen die politischen Beweggründe ihres Handelns entscheidender gewesen zu sein. Und die gleiche Fakultät, die Dr. Gumbel die Fähigkeit abspricht, sich in die Denkweise anderer hineinzuverfeßen, läßt recht deutlich werden, daß sie selbst dazu außerstande ist. Sie scheint nicht zu wissen, daß weiteste Kreise des deutschen Volkes den Krieg, die politischen Morde, die Rechtsputsche und die Vorbereitung zum Rachefrieg ablehnen und Dr. Gumbels Arbeiten in dieser Richtung bejahen.
Die ganze Broschüre der Fakultät zwingt zu der Annahme, daß es sich hier nicht um eine objektive Untersuchung handelt, sondern um den Versuch, einen politischen Gegner in der Deffentlichkeit herabzusetzen. Trotzdem beschuldigt die Fakultät Dr. Gumbel, gegen den sie in dieser unerhörten Weise vereine Gefahr für ihr einheitliches Wirken. Sie muß aber an fährt, des Mangels an torporativer Solidarität und sieht darin anderer Stelle zugeben, daß Dr. Gumbel in seinen Universitätsvorlesungen teine politischen Tendenzen verfolge.
Einen außerordentlich interessanten Vergleich mit dem Verfahren gegen den Bazifisten Dr. Gumbel bietet das Berfahren gegen den nationalistischen Professor Dr. Marschall von Bieberstein. Bei einer Reichsgründungsfeier am 17. Jamuar 1925 der Universität Heidelberg führte er in seiner Rede neben anderen Ausfällen gegen den heutigen Staat u. a. aus:
An dem Gesetzrecht gemessen, waren objektiv die Willensakte. der Usurpatoren, der Herren Ebert, haafe und Genossen, die sich fich gegen bolshewiftische Propaganda zu schützen, die Häfen des Die chilenifhe Regierung, die lehthin beputscht war, hat, um angebliche Gefeßeskraft beilegten, doch nichts als hochperrat. Gie tonnten feineswegs der Nationalversammlung die Befugnis Bandes für den Sowjetbampfer Waclaff Worowity" gegeben, die vorläufige Reichsgewalt zu schaffen. Die mußte ihr auf ( perst.
andere Weise werben."