Abendausgabe
Nr. 294 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 144
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Vorwärts
Berliner Dolksblatt
5 Pfennig
Mittwoch
24. Juni 1925
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Painlevés große Mehrheit.
60 Sozialisten für die Regierung
Paris , 24. Juni. ( Eigener Drahtbericht. Kammer.) 3um Schluß der heute Mittwoch, morgens 2 Uhr, zu Ende geführten Marokkodebatte wurde gegen die Stimmen der kommunisten von den bürgerlichen Gruppen des Cintstartells zusammen mit einem Teil der fo3ialistischen Fraktion eine Tagesordnung angenommen; fie beginnt mit einem scharfen Protest gegen die Umfriebe der Kommunisten, heißt dann die Regierungserklärung gut und nimmt ausdrücklich Kenntnis von der Zusicherung des Ministerpräsidenten, daß die Verhandlungen mit der spanischen Regierung im Sinne einer Lösung geführt werden sollen, die mit dem Respekt vor den internationalen Verträgen zugleich auch freie Entwicklungsmöglichkeiten der Rifbevölkerung ficherstellen. Die von der Regierung unter Stellung der Vertrauens frage geforderte Priorität dieser Tagesordnung wurde mit 510 gegen 30 Stimmen beschloffen und die Tagesordnung felbft in einfacher Abstimmung gegen die Stimmen der Kommunisten und eines Teils der Sozialisten angenommen. Was einen großen Teil der sozialistischen Fraktion dazu bestimmt hat, für die Regierung zu ffimmen, war vor allem die unzweideutige Erklärung Painlevés, daß die französische Regierung nicht nur teinerlei Annexions- und Eroberungsabfichten verfolge, fondern daß sie bereit sei, die Unabhängigkeit des Rifs prinzipiell anzuerkennen, eine Erklärung, die, wie felbft der Kommunist Cachin anerkannte, eine völlig neue Situation geschaffen hat, die vor allem der entschiedenen Haltung der Sozialisten zuzuschreiben ist. In der Debatte hatte der Sozialist Renaudel u. a. ausgeführt: Das einzige Mittel, die Gerüchte, nach denen im Juli gemeinsam mit Spanien eine Offensive unternommen werden foll, zu beseitigen, besteht darin, die Wahrheit über die Frie densverhandlungen zu sagen. Es ist nichts gegen eine Ab machung mit Spanien einzuwenden, aber wir wünschen von der Regierung zu wiffen, auf welcher Grundlage die Verhandlungen geführt werden und wie sich die Regierung zu der Unabhängigfeit der Rifrepublik stellt.
Painlevé erwiderte darauf: Die Berhandlungen haben erst begonnen und schon zu einem ersten Ergebnis, nämlich einer gemeinfamen Ueberwachung des Waffenschmuggels, geführt. Die Regierung wünscht, daß eine regelrechte Grenze zwischen der Gebirgsbevölkerung des Rifs und den dem französischen Protektorat unter
stellten Stämmen gezogen wird. Auf die Rifbevölkerung soll fein Druck ausgeübt werden. Die Regierung wünscht nur, daß zwischen der Rifbevölkerung und den Untertanen des Sultans eine friedliche Zusammenarbeit ermöglicht wird.
Außenminister Briand erklärte, daß die schwebenden Berhandlungen nicht auf die Ausarbeitung eines militärischen Operationsplanes, sondern nur auf die Borarbeiten zur Herbeiführung eines raschen Friedens abzielen. Dementsprechende Anweisungen haben die französischen Unterhändler erhalten. Nach weiteren Meldungen haben sich etwa 40 Sozialisten der Stimme enthalten, während etwa 60 für die gemeinsame Vertrauensresolution des Linksblocks stimmten.
Die schon erwähnte Tagesordnung war von allen Parteien des Linkskartells eingebracht und von Léon Blum für die Sozialisten
mitunterzeichnet.
Die Räumung des Ruhrgebiets.
Vollziehungsmaßnahmen angeordnet. Paris , 24. Juni. ( Eigener Drahlbericht.) Der Ministerrat hat am Dienstag die vom Kriegsminister und dem Außenminister angeordneten Maßnahmen zur vollziehung der Ruhrräumung gebilligt. Wie die offiziellen Communiqués ausdrüdlich betonen, foll mit der Ausführung in allernächster Zeit begonnen werden.
Paris , 24. Juni. ( TU.) Die Morgenblätter bestätigen, daß die franzöſiſche Regierung ernstlich beabsichtige, vor dem 15. August sämtliche Truppen aus dem Ruhrgebiet zurückzuziehen. Eine offiziöse Radionote besagt:" Hoffentlich wird Deutsch . land in der Haltung Frankreichs einen Beweis für den Ver= ständigungswillen erblicken, dessen Briand den deutschen Botschafter im Verlaufe der letzten Unterredung versicherte."" Echo de Paris" berichtet, daß dem Räumungsbeschluß mehrtägige Verhandlungen zwischen London und Paris vorausgegangen seien. Ein Teil der Presse gibt der Erwartung Ausdruck, daß die Versöhnlich feit des franzöfifchen Kabinetts die Garantievertragsverhandlungen fördern werde.„ Echo de Paris" meint jogar, daß Deutschand im Austausch gewisses Entgegenkommen bel den Wirtschaftsverhandlungen zeigen fönne.
Deutschösterreichs Anschlußwille.
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40 Stimmenthaltungen.
politif und rief zur Sammlung aller Deutschen unter der schwarzrofgoldenen Fahne auf. Freudig begrüßt wurden die Telegramme des Reichsbanners und der Boltsbundleitung in Berlin . In einer Entschließung verwahrt sich die Versammlung dagegen, den Anschlußgedanken in Machtgelüfte Deutschlands , Deutschösterreich zu anneffieren", um 3 u fälschen. Es wird gefordert, daß auch schon vor dem Zeitpunft, an welchem das unveräußerliche Selbstbestimmungsrecht Deutschösterreichs anerkannt wird, alle Beteiligten, insbesondere Bolfsvertretungen und Regierungen Deutschösterreichs und des Deutschen Reiches die Gemeinschaft der beiden Staaten. er weifern, soweit dies im Rahmen des Friedensdiftats immer möglich ist.
An demselben Tage, da das Volf von Wien so einmütig und eindrucksvoll für sich das Selbstbestimmungsrecht forderte, auf dem angeblich die anderen Nachfolgestaaten Altösterreichs beruhen, hat im Parlament der Tschechoslowakei , deren rühriger Außenminister Benesch ausführliche politische Darlegungen gemacht. Ueber die tschechische Außenpolitik und über die Garantiepaktfrage sprach er viel, sagte jedoch nichts Neues. Das völkerbundliche Sanierungswert" an Deutschösterreich lobte Benesch über den grünen Klee, begreiflicher- und zweck dienlicherweise ließ er jedoch das fürchterliche Massenelend infolge jener„ Sanierung" unerwähnt. Desto mehr verbreitete er sich über seinen Plan, daß die mehr agrarischen Nachfolgestaaten Polen , Rumänien und Südslawien durch Vorzugszölle und-tarife die Einfuhr deutschösterreichischer Industrieprodukte fördern sollen. Wie wenig fie daran denten, mag man daraus ersehen, daß die Wiener Regierung soeben in Warschau gegen die plötzliche Vervielfach ung einer Reihe von Zöllen protestiert hat! Aus der Besprechung der Beneschrede feien folgende sudetendeutsche Ausführungen erwähnt:
Abg. Dr. Czech( Deutscher Sozialdemokrat): Die Stellung nahme des Außenministers Desterreich gegenüber ist eine Ber. sündigung gegen die Tradition des tschechischen Volkes. Wenn die Selbstbestimmung für die Tschechen gilt, dann muß sie auch für alle anderen Staaten gelten.
Abg. Rafta( Dentschdemokrat. Freiheitspartci): Der Minister als einen unfreundlichen Att gegen die Interessen der Tschechen zu hat nicht das Recht, eine legale Anschlußbewegung in Desterreich betrachten. Die ganze Welt schaut auf die Entwicklung der Frage, ob Deutschland in den Bölkerbund eintritt. Der tschechische Abg. Dr. Hajn hat gewisse Befürchtungen geäußert. Behandelt die Tschechoslowakei ihre Minderheiten richtig, dann braucht der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund die Tschechoslowakei nicht zu beunruhigen.
So ward auch im Parlament der Tschechoslowakei , die freilich ein Vielvölkerstaat ist, das Selbstbestimmungsrecht verfcchten.
Wien , 24. Juni. ( WTB.) Die Mitteilung von der plötzlichen Wien , 24. Juni. ( WTB.) Die Mitteilung von der plötzlichen Abreise des Außenministers Dr. Mataja hat große lleber raschung hervorgerufen, wie auch in den Kommentaren der
Blätter zum Ausdruck kommt.
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Die Arbeiter 3eitung" erwähnt die verschiedenen Möglichkeiten, welche diese Reise begründen könnten, und sagt, wie immer nian des Rätsels Lösung sucht, es wird eine höchst verdächtige Reise. Eine solche Reise unter den gegebenen Umständen, ohne je de Information des Parlaments zu unternehmen, ist schlechthin unverantwortlich. Mit stärkstem Nachdruck muß gefordert werden, daß die Regierung über Grund und Ziele dieser Reise unverzüglich Auskunft gebe.
Der christlichsoziale Herr Mataja ist den Anschlußfreunden ohnehin längst sehr verdächtig. Auf ihn führt man auch die plöglichen„ finanziellen Bedenken" der deutschösterreichischen Regierungsvertreter gegen die Aufhebung des Sichtvermerfs im Verkehr mit Reichsdeutschland zurüd.
Das ausländische Vorbild.
Die Steuerverhältnisse in England und Frankreich .
Deutschland ist im Begriff, eine Neuordnung seiner Steuerverhältnisse durchzuführen. Es handelt sich dabei nicht um eine Aenderung des in den Jahren 1919 und 1920 geschaffenen Sy ste m s. Die Haupterrungenschaften der Erzbergerschen Steuerreform bleiben vielmehr erhalten und werden jetzt sogar von jenen verteidigt, die sie viele Jahre hindurch als die Wurzel alles Uebels bezeichnet haben. Also auch hier ein Umschwung auf der ganzen Linie. Dieser Umschwung wird verständlich angesichts der Tatsache, daß man jetzt die Möglichkeit sieht, auch mit dem jezigen System eine Berteilung der Steuerlasten vorzunehmen, die die leistungsfähigen Schichten des Boltes weitgehend schont.
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Das ist die Absicht aller von der Regierung vorgeschlage nen Aenderungen. Und soweit sich bis jetzt die Absichten der bürgerlichen Parteien überblicken lassen, folgen sie der Rechtsregierung darin restlos, suchen sie sogar noch zu übertreffen. Selbst das vernichtende Urteil der ausländischen Sachverständigen im Dawes Bericht hindert sie darin nicht. Es übt zwar an der bisherigen deutschen Steuergesetzgebung eine überaus scharfe Kritit, gibt auch für die Abänderung gute Ratschläge. Der Dames Bericht enthält sich iedoch jedes tatsächlichen Eingriffs in die Einzelgestaltung, da es Deutschlands Sache sei, die Mittel und Wege, wie die Steuerlast aufgebracht werden foll, seiner eigenen Lage anzupassen. Er stellt lediglich die Forderung auf, daß das deutsche Steuersystem mindestens so schwer sein müsse wie das der alliierten Länder. Aber auch das ist nur ein allgemeiner Grundsatz und keine bindende Forderung.
Trotzdem darf bei der Aenderung der deutschen Steuerverhältnisse die Höhe und die Verteilung der Steuerlast im Ausland nicht außer acht bleiben. Man wird eine dauernde Regelung des deutschen Steuersystems nur erreichen, wenn das Gefühl verschwindet, daß das ausländische Steversystem sozialer ist als das deutsche und der Besitz im Ausland stärker belastet ist als in Deutschland .
Das aber ist der Fall. Lange Zeit hat man jede Aufklärung über die Steuerverhältnisse im Ausland unter bunden. Man behauptete, internationale Steuervergleiche seien nicht möglich, während man nur von der Absicht beseelt schwer war, die Erkenntnis zu verhindern, 1. daß die Steuerlast des Auslandes nicht nur mindestens ebenso ich mer ist wie in Deutschland , und 2. daß die Be figenden davon einen viel größeren Teil tragen als bei uns. In der legten Zeit ist eine umfangreiche Literatur über die Steuerverhältnisse des Auslandes erschienen. Drei davon sind von besonderer Bedeutung:
1. die Schrift des Prof. Bühler Die englische Einkommensteuer". Sie enthält neben einem Bergleich mit der deutschen Einkommensbesteuerung auch einen Ueberblick über das ganze englische Steuersystem.
2. Die Schrift desselben Verfaffers ,, Ri nderprivi ! eg, Verheiratetenermäßigung und allgemeine Freigrenze in der Einkommensteuer von Deutschland , England und Frankreich ". Sie enthält ein Gutachten, das dem Vorstand des Bundes der Kinderreichen erstattet wurde.
Und 3. die Schrift von Dr. J. B. Jahn ,, Kritif der Steuerlast", deren besondere Bedeutung vor allem in der Tatsache zu erblicken ist, daß sie in dem deutschnatio= nalen Verlag Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg , erschienen ist.
Es ist nicht möglich, den überaus reichhaltigen Inhalt der fleinen Schrift von Bühler im Rahmen eines Zeitungsartikels erschöpfend zu behandeln. Auf weniger als vier Duzend Seiten gibt Bühler eine bis ins einzelne gehende klare übersichtliche Darstellung des engli= ichen Steuerfystems und der tatsächlichen Finanzverhältnisse Englands. Er stellt fest:
,, Angesichts dieser Zahlen muß unbedingt anerkannt werden, daß die steuerlichen Anstrengungen Englands gewaltige waren und find. England hat, das bestätigt ein Studium seiner Steuergefeßgebung seit 1915, in der Tat von allen Großmächten schon seit dem zweiten Kriegsjahre die zielbewußteste oder vielleicht richtiger gesagt, allein eine zielbewußte, den Notwendigkeiten Rechnung fragende Steuerpolitik betrieben."
tung, in England gebe es feine Gemeindesteuern, stellt Bühler Gegenüber der in Deutschland weit verbreiteten Behaup fest, daß 1923/24 mehr als 3,2 milliarden Goldmart allein durch die lokale Grundsteuer aufgebracht worden sind.
Die Labour Party gegen den Pakt. London , 24. Juni. ( WTB.) Die Parlamentsfraktion der Arbeiterpartei nahm eine Entschließung an, die befagt, der vorgeschlagene Sicherheitspatt fei im Hinblick auf seinen beschränkten Bereich, seine ernſten militärischen Verpflichtungen und unsicheren Berantwortlichkeiten sowie im Hinblick auf das Fehlen einer Vereinbarung, betreffend die gegenseitige und allgemeine Rüftungsbeschränkung nicht geeignet, eine Berföhnung zwischen Deutschland und Frankreich oder einen stabilen europäischen Frieden zu sichern. Er entspreche mehr dem System teilmeiser Am wichtigsten aber sind die Angaben Bühlers über die Bündnisse, gegen das die Arbeiter so oft protestiert hätten, englische Einkommensteuer. Er bezeichnet sie als und sei unvereinbar mit dem Geist und den Idealen der VölkerWien, 24. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Hier fand am bundsfagung. Die Arbeiterpartei fordere mit Nachdruck den Aus das Hauptbarometer für die Steuerlast" und stellt fest, daß Bölferbundes durch den Einschluß Deutschlands und nachher auf das Fünffache erhöht Dienstag in der Boltshalle des Rathauses, und da diefer ungeheure Rußlands und die Schaffung eines allumfassenden Sicher. wurde, und daß sie heute immer noch nahezu das BierRaum publik Dr.- Karl- Lueger- Platz geheißen) vor dem Rathaus eine heitspattes, der sich auf die Grundsätze des Schiedsgerichts, der riefige Kundgebung des Desterreichisch- Deutschen Volksbundes für Sicherheit und Abrüstung gründe, wie es im Genfer Brotokoll den Zusammenschluß mit Deutschland statt. Redner der Sozial- vorgesehen sei. demokraten, der Christlichsozialen, der Großdeutschen, des Bauernbundes und der bürgerlich- demofratischen Parteien riefen unter stürmischem Beifall zum Widerstand gegen alle Bersuche auf, das deutschöfterreichische Bolt gegen feinen willen von Deutschland abzufperren und in einem ander en Staatenbund einzuzwängen. Dr. Stolper befämpfte unter großem Beifall die bisher betriebene Regierungs
Auch die Liberalen gegen den Pakt? London , 24. Juni. ( WTB.) Die liberale Opposition des Unterhauses faßte heute abend einen einstimmigen Beschluß, über die in der morgigen Debatte über den Sicherheitspaft einzunehmende Haltung. Reuter zufolge wird erwartet, daß ihre Wortführer, lond George und Sir John Simon gegen den Batt sprechen werden.
fache gegenüber dem letzten Friedensjahr beträgt. Ihr Erfrag iſt infolgedessen sehr hoch. Er beträgt jährlich etwa 6% Milliarden Goldmark gegenüber etwa 2 Milliarden in Deutschland , einschließlich der Lohnsteuer. Diese gewaltige Summe wird erreicht, obwohl die unteren Einfommen in England zum allergrößten Teil steuerfrei sind. Auch in der Zeit der schärfsten Steueranspannung hat man in England nicht daran gedacht große Masse der Lohnarbeiter der Einkommensteuer zu unterwerfen," fagt Bühler ( S. 36). Und daran hält man auch in der Gegenwart fest.
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