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fr. 29942. Jahrg. Ausgabe A nr. 154

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Sonnabend, den 27. Juni 1925

Kritische Parlamentsnacht in Paris  .

Kompromiß zwischen Caillany und den Sozialisten?

In der französischen   Deputiertenkammer fällt heute nacht die Entscheidung über die Finanzpläne Caillaug. Die Regierungsvorlage ist nachmittags und gbends im Finanzausschuß durchberaten, die Sigung des Blenums von 6 Uhr auf 10% Uhr abends verschoben

worden.

Ueber die letzte Entwicklung der Dinge lagen folgende Telegramme vor:

Sanierung" auf Kosten der Masse.

Paris  , 26. Juni.  ( Eig. Drahtbericht.) Der französische   Finanz­minister Coillaug hat der Kammer am Freitag die bereits angefündig ten neuen Projekte zur Sanierung" der zerrütteten französischen  Finanzen porgelegt. Der Tegt des Gesetzentwurfs bestätigt in vollem Umfange die darüber bereits seit Donnerstag gerüchtweise ver­breiteten Informationen. Caillaur will sich die Mittel zur Ein­

lösung der im Juli und September fällig werdenden kurzfristigen Berbindlichkeiten, die in der Begründung dieses Gejezzentwurfs auf 1,8 bzw. 3,8 Milliarden Fr. beziffert werden,

auf die Schultern der breiten Massen abzuwälzen. Als Caillaur die Begründung der von ihm eingebrachten Bor­lagen vor der Kammer verlesen hatte, wurde die Sizung unter­brodjen, um der Finanzfommission die Möglichkeit zur Be­ratung des neuen Entwurfs zu geben. Der Vorsitzende Abg. Auriol erflärte, daß die Kommission in der Lage zu sein hoffe, ihren Bericht noch am Freitag abend zu erstatten. Die Kammer be­schloß deshalb, anschließend mit der Diskussion zu beginnen. Die Ab fichten der Regierung gehen dahin, die Vorlage noch im Laufe der Nachtsitzung durchzupeitschen. Deshalb ist auch der Senat, der fich in seiner legten Sigung bis Anfang nächster Woche vertagt hatte, für Freitag abend zu einer außerordentlichen Sizung einberufen.

Ein Kompromiß im Ausschuß?

Paris  , 26. Juni.  ( WTB.) Der Finanzausschuß der kammer hat nach Verhandlungen mit Finanzminister Caillaur den Vor­zunehmen, mit 19 gegen 14 Stimmen abgelehnt. schlag der Sozialisten, eine Abgabe vom kapital vor­

Hierauf wurde mit 20 gegen 14 Stimmen beschlossen, in die ausschließlich durch die Notenpreise Beratung des vorgeschlagenen Gejezzentrourfs einzutreten. Der beschaffen. Die Vorlage fordert die Zustimmung des Parlaments zu Finanzansschuß hat alsdann mit wenigen redaktionellen Henderungen einer Erhöhung der dem Staat durch die Bank von Frankreich ge- die vier Paragraphen des Gesetzentwurfes angenommen. Es mährten Borschüsse, die bereits im Laufe der letzten zwei Monate wurde ferner ein Zusatzparagraph genehmigt, der die Regierung von 22 auf nahezu 26 Milliarden gestiegen sind, um weitere verpflichtet, vor Ende dieser Seffion einen Plan zur Finan­6 Milliarden. Um den gleichen Betrag soll die Höchstgrenze für 3ierung vorzulegen, der die Amortifierung der öffentlichen Schuld Den Notenumlauf, der bereits im April von 41 auf 45 Milliarden zum Ziele hat. Diese Amortisierung soll durch eine Amorfijations­hinaufgesetzt worden war, erhöht werden, um fünftighin die fasse durchgeführt werden, deren Mittel durch besondere Einnahme­respektable Giffer von 51 Milliarden zu erreichen. Zur Konsolidierung quellen geschaffen werden sollen. Die Regierung wird ferner ver­

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Mahnung an Europa  .

Das Erwachen der asiatischen Nationen. Von Professor Emil Lederer  , Heidelberg  .

( Der Verfasser dieses Artikels ist in diesen Tagen von einer zweiundeinhalbjährigen Studien­reise in Ostasien   zurückgekehrt. Red. d. V.") Während sich die Völker Europas   noch darüber unter­halten, in welcher Weise die Formen ihrer fünftigen Krieg­führung, das heißt ihrer sicheren Bernichtung geregelt werden sollen, vollziehen sich mit überwältigender Schnelligkeit im fernen. Often politische Wandlungen von der größten Tragweite. Bor zwanzig Jahren noch konnte man sagen, daß nichts in der Welt ohne Europa  , ohne die europäischen   Mächtegruppen geschehen könne. England war unbestritten im Besiz der Seeherrschaft, die ihm selbst die Ver­einigten Staaten nicht streitig machen fonnten. Keine poli­tische Entscheidung von erheblicher Eragmeite konnte in der Welt ohne die europäischen   Mächte gefaßt werden. Es jei nur daran erinnert, daß die europäischen   Mächte jowohl bei Abschluß des chinesisch- japanischen als des russisch  - japanischen Krieges mitintervenierten und daß Europa  , wenn es einig/ war, fast überall in Afrika   oder Asien   das Schicksal der größten Völker bestimmen fonnte. Die mehr oder weniger befolgte Politik der offenen Tür stellte auch alle Europäer in ihrem Geschäftsverkehr vollends als Reisende oder Ansiedler auf die gleiche Stufe. Man lonnie von einer Weltherr= fchaft Europas  , zumindest von einer Weltherrschaft der weißen Raise in der Welt sprechen. Und die ganze Bedeu fung und Wichtigkeit der europäischen   Politik ist auf dieser Vorauslegung aufgebaut. Diese Borausfegung ist aber heute bereits in die Brüche gegangen. In erster Linie jei an die Teilung der Seeherr von Washington eintrat; mit Recht hat die englische Politik in dem Ergebnis dieser Konferenz, welche den Machtbereich der amerikanischen   Flotte so erheblich erweiterte, einen Berzicht auf die einzigartige ausschließliche Seegeftung Englands er­blidt. Das Gewicht der europäischen   Politik ist dadurch auf dem weltpolitisch so ausschlaggebenden Pazifischen Ozean wesentlich vermindert worden.

Der schwebenden Schulden schlägt Caillaug weiterhin eine wertpflichtet, einen Gefehentwurf vor Ende der Session vorzulegen, i dha ft in der Welt erinnert, welche als Folge der Konferenz

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beständige Anleihe vor, deren Zinsfuß und Modalitäten durch den die Erbschaftssteuer abgeändert wird. später durch Defret festgesetzt werden sollen. Die neue auf Gold­bafis aufzunehmende Anleihe soll ausschließlich den Inhabern von Rationalverteidigungsbons reserviert werden, deren Rückfluß, wie in der Begründung der Borlage ausdrücklich hervorgehoben wird, in den letzten Wochen bedeutenden Umfang angenommen haben. Die beiden anderen Artikel der Vorlage scheinen offenbar dazu bestimmt zu sein, dem Parlament und der Deffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Der eine gibt dem Finanzminister dittatorische Vollmacht zur Einschränkung der staatlichen Ausgaben, der andere diktiert die Marimalhöhe der schwebenden Schuld unter Aus­schluß der von der Bank von Frankreich dem Staate gewährten Bor­schüsse auf einen Betrag, den diese Schuld am Tage des Zeichnungs­schlusses für die wertbeständige Anleihe erreicht haben wird. Die Erfahrung, die man mit den gleichen Maßnahmen in Deutschland   gemacht hat, tönnen über die Rückwirtungen der Sanierungspläne faum einen Zweifel lassen. Auch dort war die Auf­nahme mertbeständiger Anleihen der Anfang vom Ende. Sie schüßen zwar die Vermögensbefizer vor Kursverlusten durch weiteren Währungsrüdgang, nicht aber die Masse der Ver­braucher vor dem gerade in Deutschland   zur Genüge befannten verherenden Wirkungen der Inflotion. Caillaug' groß angefündigte Finanzreformen scheinen also, worauf wir bereits früher hingewiesen haben, mehr und mehr die Tendenz zu verfolgen, die unerläßliche Gesundung der französischen   Finanzen

Die Eile, mit der die Regierung ihre Finanzpläne noch im Laufe der heutigen Nacht zur gefeglichen Tatsache werden lassen will, ist mit dem drohenden Termin des 1. Juli begründet, an dem fünf Milliarden Schazanweisungen fällig werden, von denen schäzungsweise 1,8 Milliarden zur Rückzahlung eingereicht werden dürften.

Um der wilden Spekulation zwischen zwei Börsentagen vorzubeugen, will die Regierung das Publikum schon morgen vor eine vollendete Tatsache stellen.

Kabinettsrat über Briands Antwort. Gin nichtssagendes Kommuniqué. Verhandlungen gewünscht.

Offiziös wird von WTB. gemeldet: Das Reichskabinett hat sich in diesen Tagen mit der franzöfifchen Antwortnote zur Sicherheitsfrage befaßt. Ueber das Ergebnis der Beratungen erfahren wir an zuständiger Stelle folgendes:

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Auf der letzten Bollversammlung des Völkerbundes war ein Protokoll über die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten, das fogenannte Genfer   Protokoll, auf­gestellt worden. Ferner war durch im Kreise der Alliierten gepflogenen Erörterungen über die Räumung der nörd lichen Rheinlandzone gegen Ende des vergangenen Jahres das Sicherheitsproblem erneut in den Mittelpunkt der internationalen Erwägungen gerückt worden. Die deutsche  Außenpolitik sah sich damals vor die Frage gestellt, ob sie die Lösung der Sicherheitsfrage den alliierten Westmächten allein überlassen oder auf eine Lösung unter Mit befei ligung Deutschlands   hinwirken solle. Deutschland   lag daran, den anderen Mächten gegenüber klar zum Ausdrud zu bringen, daß es bereit sei, an einer Sicherheitsregelung mitzu­wirken, deren Endziel die von Deutschland   selbst erstrebte Entwicklung auf den Bahnen des allgemeinen Friedens durch cine wirkliche Befriedung Europas   sein sollte.

Demgemäß erfolgte feitens des Auswärtigen Amts um die Wende des Jahres eine entsprechende diplomatische Fühlungnahme. Reichskanzler Dr. Luther hat in feiner Rede vom 30. Januar vor der ausländischen Bresse zum Mushrud gebracht, daß Deutschland   an der Berwirtlichung des

Auch wenn die Caillaugschen Bläne heute nacht abgelehnt werden würden, was nach den Entscheidungen des Aus­schuffes ausgeschlossen ist so müßie die Regierung, unab­hängig von ihrer Zusammensetzung, sich durch beschleunigte Notenausgabe für den Fälligkeitstermin vom nächsten Mitt­woch rüsten.

Allem Anschein nach ist es doch noch gelungen, durch ein Kompromiß eine Regierungsfrise zu vermeiden. Die Sozialisten werden zwar gegen die Vorlage stimmen, jedoch ohne daß dies den Bruch des Kartells der Linken zur Folge hat. Als Gegenleistung dafür bat Caillour verschiedene pro­grammatische Forderungen der Sozialisten, insbesondere eine Erhöhung der Erbschaftssteuer, annehmen müffen.

Sicherheitsgedankens ein reales Interesse habe und zur pofi­tiven Mitarbeit daran bereit sei. Im Einklang mit diesem Grundgedanken erschien es nach dem Ergebnis der diploma tischen Sondierungen unter Berücksichtigung der außenpoli­tischen Gesamtlage den Auswärtigen Amt   angebracht, den alliierten Regierungen zur Kenntnis zu bringen, auf welcher Grundlage eine Mitwirkung Deutschlands   an der Regelung der Sicherheitsfrage in Betracht fommen könnte. Zu diesem Zwecke wurde den allierten Regierungen im Februar ein Memorandum überreicht, das verschiedene Lösungsmög lichkeiten zur Erörterung stellte. Nachdem die von dem fran­ zösischen   Boischafter übergebene Note vom 16. Juni konkrete Borschläge gemacht hat, die die deutscherfeits bezeichneten Lösungsmöglichkeiten feils ändern oder miteinander verbinden und ihnen neue Vertragskonstruktionen hinzufügen, ist mun­mehr das Kabinett zu einer Beratung des Gejamikomplexes der dadurch aufgeworfenen Fragen zusammengetreten.

Das Kabinett ist dabei übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, daß die in der fran­ zösischen   Note vorgeschlagenen Erörterun gen aur Borbereitung der endgültigen Stellungnahme alsbalb aufzunehmen sind. Die deutsche Regierung, die im Einklang mit den Schluß worten der französischen   Note auch ihrerseits das 3 u standekommen von Verhandlungen begrüßen würde, die zu einer neuen und wirksamen Friedensgemähr führen, wird unentwegt an dem Ziel Deutschlands   festhalten, im Sinne der vorstehend dargelegten Bestrebungen zu einem mirklichen Frieden zu gelangen, der durch ein Sicherheits­ab tom men auf völlige Gegenseitigkeit be­gründet werden soll.

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Biel   bedeutsamer ist jedoch das Erwachen derasia= tischen Nationen. Die legten Etappen diefer politischen Erneuerung Afiens beffer gejagt aller Gebiete, welche von farbigen Bölfern bewohnt werden sind der überaschende Widerstand der Türkei  , die Unabhängigkeitsbewegung in Indien  , der wachsende Einfluß der Ruffen in Afien, das Er­starken der nationalen Bewegung in Japan  ( besonders im Bujamenhang mit der Auswanderungsfrage), der erfolgreiche Widerstand Abd el Krims in Marokko  , und noch wichtiger wahrscheinlich als alle diese Vorläufer: der Ausbruch der nationalen Revolution in China  . So kann man am besten die gewaltige Bölferbewegung nennen, deren Borboten sich bereits seit Jahren selbst dem flüchtigen Reisen­den verraten mußten und welche num aus unverhältnismäßig geringfügigem Anlaß ins Rollen gekommen ist. Es handelt sich da in der Tat um einen Erdrutsch allerersten Ranges.

China  , heute noch weitaus überwiegend ein Bauern­land, an dessen Randgebieten kleine Ansäge zu einer In­dustrialisierung mit Hilfe fremden Kapitals und fremder Unternehmen gemacht wurden, war in den letzten Jahr­hunderten nie aggressiv aufgetreten. Die fonfuzianische Ethit, welche bis heute eine politische Kraft darstellt, machie friegerische Experimente unmöglich, weil sie eine Offizierskafte und eine machtpolitische Ideologie gar nicht erstehen ließ. Dieses merkwürdige unpolitische, bloß in der Familien- und Berufsgemeinschaft lebende Bolt wurde wider Willen in die europäisch- amerikanische Betriebsamkeit hineingezogen. Es wurde veranlaßt, sich im Weltkrieg auf feiten der Gegner Deutschlands   zu beteiligen. Es wurde mit Missionaren und amerikanischen   Schulen aller Art beglückt, es wurde gewect und ist in der Tat in einem tiefen Gärungsprozeß begriffen. Viele tausende junger Chinesen, welche aus ihrer alten Tradition entwurzelf jind, verfielen unserem robusten Machtdogma und stehen heute an der Spige der Volks­bewegung, die allzu geeignet ist, die europäischen   Mächte zu beunruhigen.

Diese Wandlung im Ideologischen  - die Tat­sache, daß die junge Generation nicht mehr in dem Studium der alten Klassiker aufgeht, daß sie auf amerikanischen   Uni­versitäten modernen Sport, energische Rücksichtslosigkeit und die Technik der modernen Politit erlernt hat, all das würde nicht ausreichen, um dieses ungeheure, in feiner Tradition seit Jahrhunderten stabile Bolt aus seiner Ruhe aufzuscheuchen. Erft die 3erfegung feines fozialen Rörpers durch die Industrie hat die Maffen in Bewegung gebracht. Das private Leben des Chinesen spielt sich in Familien und Berufsverbänden( Gilden) ab. Ein öffentliches Leben größeren Stils tennt der Chinese nicht. Die Herauslösung der Fabritarbeiterschaft aus den Familien, die großen Be­