Nr. 299+ 42. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Im Kindergarten jenseits der Ackerstraße.
Einen Rindergarten mit einem richtigen Garten als wesentlichen| schicken, usw. fommen, so wird man begreifen, daß es über die Bestandteil, wie er Fröbel vorschwebte, an und für sich eine Seltenheit, Kräfte einer Kindergärtnerin gehen muß, jedem einzelnen Kinde wird man natürlich im Proletarierviertel einer modernen Weltstadt se viel Aufmerksamkeit zu schenken, wie es im Sinne Fröbels einem am allerwenigsten suchen. Aber auch, wenn man eine Anstalt meint, Gewächs im Garten Gottes" gebührt. Als sie im vorletzten Winter no es Kinder so gut haben, wie Blumen oder auch nur Gemüse vorgefunden. Ein eisernes Defchen konnte den Raum nur etwas ihre Stelle antrat, hatte sie noch dazu alles schrecklich verwahrloft in einem Garten, wird man schwerlich auf seine Rechnung fommen, anwärmen, auf feinen Fall die immer feuchten, fast fahlen Wände sobald es sich um eine Einrichtung für Kinder handelt, die in der trocknen, an denen in den Eden Pilze wucherten. Die Dielen starrten Mahl ihrer Eltern nichts weniger als vorsichtig waren. Was mich vor Schmuz. Im Keller stand immer Grundwasser. Den schlimmsten veranlaßte, die Gegend jenseits der Aderstraße im Norden Berlins Drängeln ist seitdem abgeholfen worden. Der Boden ist mit Linooufzusuchen, um dort unweit bes 3ionstirchplatzes einen proletarischen Kindergarten fennenzulernen, war auch nichts weniger als die Erwartung, etwas Mustergültiges vorgeführt zu bekommen.
Auf kleinstem Raum.
Die äußeren Umstände, die ihre Leistungsfähigkeit des Kindergartens auf eine niedere Stufe halten, springen ohne weiteres in Die Augen. Das Hintergebäude, wo zu ebener Erde der Kindergarten untergebracht ist, schließt gemissermaßen einen Reigen hoher grauer Mietfasernen, aus deren immer trüben Fenstern tausend fältiges Wohnungselend düster auf den ganz winzigen, notdürftig aut Sand aufgefüllten Spielplatz herabftiert, der einem fleinen Hof raum abgerungen ist. Drinnen hat die Anstalt nur einen Raum für durchschnittlich 60 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren. Die Aleinen fommen früh um 6 Uhz, und die letzten werden zwischen 6% und 7 Uhr abgeholt. Die große Zahl der zu beaufsichtigenden Rinder macht Spaziergänge über die allernächste Umgebung hinaus zu einem gewagten Unternehmen. Das Beschränktjein auf einen Raum schließt, ebenso wie die Größe der Schar, die meisten Mög
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Spiel auf kleinstem Raum. lichkeiten, die Kinder zu beschäftigen, aus, so daß die Leiterin ihre ganze Erfindungsgabe aufwenden muß, um den Aufenthalt für sie gleichwohl abwechslungsreich zu gestalten. Berüdfichtigt man, daß zu der anstrengenden Arbeit an den Kindern noch Haushaltsarbeiten, obligatorische Teilnahme an Sizungen und Bersammlungen, Haus besuche, Samariterdienste on Kranke in den Familien, die Kinder
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Die Baumwollpflücker.
Roman von B. Iraven.
Copyright 1935 by B. Traven, Glumbus, Tamaulipas , Mexice,
Er schickte einen seiner Söhne mit dem Pferde nach Haufe, der dann bald mit einer Ranne Regenmaffer zurüdtam. Baumwolle ist teuer. Das lernt jeder bald, menn er fich einen Anzug, ein Hemd, ein Handtuch, ein Baar Strümpfe oder nur ein Taschentuch fauft. Aber der Baumwollpflücker, der wohl die härteste und qualooliste Arbeit für die Kleidung leiftet, den ein König, ein Milliardär ober ein einfacher Landmann trägt, hat an dem hohen Preis des Anzuges den allergeringsten Anteil.
Für ein Kilogramm Baumwolleplücken bekamen mir sechs Centavos, ich ausnahmsweise acht. Und ein Kilogramm Baumwolle ist beinahe ein fleiner Berg, den zu schaffen man unter ständigem Büden in der mitleidlosen Tropenfonne 200 bis 500 Rnollen auszupfen muß. Dazu eine Nahrung, die als die allerbescheidenste angesehen werden darf, von der Menschen irgendwo auf Erden leben. Den einen Tag schwarze Bohnen mit Pfeffer, den nächsten Tag Reis mit Pfeffer, den über nächsten wieder Bohnen, dann wieder Reis; dazu Brot, selbst gebaden aus Weizen- oder Maismehl, entweder tieifstrig oder zu Rohle verbrannt, Monate altes, abgestandenes Regen maffer, Raffe gefocht aus felbftgebrannten Raffeebohnen auf einem Stein zerrieben und den Raffee gefüßt mit einem Billigen, übelriechenden, schwarzbraunen Rohzuder in fleinen Regeln. Das Salz, das man vermendet, ist Seefalz, das man fich selbst vor dem Gebrauch erst reinigen muß. Ein paar Rilogramm Zwiebeln in der Woche hinzugekauft ist bereits Delikatesse, und ab und zu ein Streifen getrodnetes Fleisch ift ein Burus, der, menn man ihn fich zu oft leistet, vom Lohn nicht einmal das Reisegeld bis zur nächsten Stadt, wo man neue Arbeit finden fönnte, übrig läßt. Bei sehr fleißiger Arbeit verdient man in einer Woche gerade so viel, daß man fich, wenn man feinen Centavos für Essen ausgibt, das billigste Baar Schuhe kaufen kann, das man im Laden vorfindet.
Der Baumwollfarmer verursacht auch nicht immer die hohen Breise der Fertigware. Er ist oft fief verschuldet und fonn in den meisten Fällen die Pflückerlöhne nur auszahlen, menn er auf die Ernte einen Borschuß nimmt.
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In der Stubs der Aelteren.
leum belegt. Das Gebäude hat Zentralheizung und elektrische Be= leuchtung erhalten. Die nun ausgetrockneten Wände haben einen sauberen Anstrich und tragen freundlichen Bildschmud. Eine Ede ift als Puppenstube hergerichtet. Aber der fleine Vorraum für die Garderobe hat immer noch fein Fenster, trotzdem sich dort, in muffiger Luft, die noch nicht abgeholten Kinder nach fünf Uhr aufhalte: müssen, wenn der Kindergarten offiziell geschlossen wird.
Der Gruppencharakter der Kinder.
Ich sehe einigen Kreisspielen zu und suche dabei einen Eindrud von dem Gruppencharakter der Kinder zu gewinnen. Eine mert würdig bunte Gesellschaft. Fast alle find dürftig gekleidet, aber wie viele Nuancen hat doch diese Dürftigkeit. Gerade dort, wo das jahlimmste soziale Elend herricht, scheint die Mutterliebe den größten Ehrgeiz zu entwideln, das eigene Kind in der Kleidung, sei es auch nur um einen Zon, fich vorteilhaft von anderen Kindern abgeben 3u laffen. 2uch jeelisch scheinen die Kinder durchaus nicht einförmig zu sein. Jedes trägt Züge ausgeprägter Individualität. Freilich, bei aller Berschiedenartigkeit sind die Physiognomien doch leicht auf einen Generalnenner zurückzuführen: die allgemeine Not. Je nachdem dos einzelne Rind auf fie reagiert, lassen sich deutlich zwei bestimmte Inpen unterscheiden. Da sind die ungebeugt Troßigen, deren gesunder Erbmasse alle Entbehrungen nichts anzuhaben vermochten. Sie fühlen sich geftählt für den härtesten Kampf ums Dasein. Thre 3üge verraten schon im zarien Kindesalter eine eiserne Energie. Die macht sie zu Infarnationen der Naturgemalt, durch die die Not im Proletariat jo furchtbare Ausleje hält. Wenn sie groß sind, werden sie vielleicht die Geseze dieser Naturgemalt an jenen Volks. schichten vollstrecken, wo so vieles aufgepäppelt wird, was im pro
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Um 4 Uhr nachmittags machten wir Schluß, um noch bei Tageslicht nach Hause" zu tommen und unser Essen zu fochen. Sch quartierte aus.
In der Nähe des Hauses, nur etwa 200 meter entfernt, hatte ich eine Art Unterstand entdeckt. Welchen Zwecken er Diente oder gedient haben mochte, wußte ich nicht. Er hatte ein Dach aus Bellblech, aber feine Wände, es wäre denu, daß man einige Baumstämme, die an der einen Seite gegen das Dach gelehnt waren, als Wand bezeichnen will.
In diesem Unterstand war eine Art Tisch. Es waren vier Pfähle in die Erde gerammt und auf den Pfählen lagen ein paar Blatten Wellblech.
Diesen Unterstand wählte ich als Behausung und den Tisch als Bett.
Der große Rigger wollte den Unterstand mit mir teilen. Er tam hin, sah sich die Sache an und es gefiel ihm. Plöhlich rief er: A snake! A snake!" Bo?" fragte ich.
eine
,, Da, dicht vor Ihren Füßen."
Richtig, da wand sich eine Schlange auf dem Boden hin, feuerrote, etwa einen Meter lang.
,, Macht nichts," sagte ich ,,, die wird mich nicht gleich auf fressen, die Moskitos sind schlimmer."
Der Nigger zog wieder ab.
Nach einer Beile fam Gonzalo. Die rote Schlange war inzwischen verschwunden.
Es gefiel ihm sehr, und er fragte mich, ob ich etwas dagegen habe, wenn er auch hier schliefe.
ganz
Rein," sagte ich, schlafen Sie ruhig hier, mir ist das egal."
Da starrte er auf den Boden. Ich folgte feinem Blid.
Es war wieder eine Schlange. Diesmal eine schöne grüne. Ich will doch lieber im Hause schlafen," sagte nun Gonzalo ,,, ich mag Schlangen nicht."
Sonnabend, 27. Juni 1925
letarischen Kampf ums Dasein nicht bestehen könnte. Die kleinen Bertreter dieses Typs machen sich hier besonders durch die impulsive Lustigkeit bemerkbar, womit sie sich an den Spielen beteiligen. Ganz im Gegensatz zu den anderen. Das sind die, auf deren Zügen eine bleierne Müdigkeit lagert. Ihr unsicher flackernder Lebensgeist läßt sie zeitweilig im Spiel bei der Sache sein. Auf einmal ersterben ihnen die Laute auf der Zunge. Der lähmende Druck des Elends, der nie ganz von ihnen weicht, macht es ihnen unmöglich, fröhlich zu jein. Stumm verfolgen sie, müde und mit einer Miene wehmütigen agieren erst wieder auf starte motorische Reize, z. B. auf allgemeines Reides den Reigengejang der glücklicheren Spieltameraden. Sie reHändeklatschen. Plöglich singen und machen sie wieder mit; doch nicht mit dem Rhythmus wirklichen Kraftüberschusses, stets halb und halb automatisch. Die Not im Zuhause.
Ich mache mir nichts aus Schlangen. So leicht würden fie ja wohl faum auf den Tisch tommen; und wenn sie sich wirklich hinaufringein sollten, was sie zuweilen tun, so werden fie ja nicht gleich beißen, und wenn sie beißen sollten, so werden fie ja nicht gleich giftig sein. Bären sie alle giftig, und würden fie alle einen schlafenden Menschen, der ihnen nichts Iau leide tut, beißen, märe ich längst nicht mehr am Leben.
Man begreift diese Unglückskinder, wenn man hört, wie es bei manchen von ihnen zu Hause aussieht. 3n winzigen Räumen halbdunkler feuchter Keller vegetieren wieder nicht wenige Familien. Man schläft auf Strohsäcken; die einzigen Sitzgelegenheiten find Kisten. Zu feiner Stunde des Tages fommt man ohne fünftliche Beleuchtung aus. In zmei derartigen, nur je zwei Meter breiten Löchern fand die Leiterin Mann, Frau und drei Kinder vor. Befenders schlimm find alleinstehende Mütter daran, die auf Heimarbeit angewiesen sind; denn hierbei ist die Ausbeutung wieder so furchtbar wie Jahrzehnte vor dem Kriege. Ein Dugend Hemden werden für 1,20 m. genäht. Vielleicht fahren Heimarbeiterinnen, die Straußenfedern zu Material für den Besaz eleganter Kleider zerrupfen, etwas beffer. Dafür ist diese Beschäftigung geradezu mörderisch. Die Luft ist im Handumdrehen mit Staub und Fäferchen geschwängert; das alles seht sich in den Lungen fest und bereitet dort einen idealen Nährboden für Tuberkelbazillen. Kindergarten und Kinderhort gehören zu den firchlichen Wohlfahrtsanstalten de: Gemeinde. Die Oberleitung hat eine Diakonissin. Die weltlichen Behörden begnügen sich mit materiellen Beihilfen. Man sollte meinen, nach der Trennung von Staat und Kirche könnten solche rein pädagogischen Einrichtungen ausschließlich Sache der weltlichen Behörden sein. Aber firchenpolitische Bädagogik scheint billiger als staatspolitische.
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Als ich auf dem Rückwege zunächst zu Fuß durch die Straßen schlenderte, drückt mir ein langjähriger Jünger des Propheten Leonhard Stard einen Einladungszettel für Bolksversammlungen in die Hand. Wer kennt nicht schon die Schlagworte dieser Scharlatane: " Zusammenbruch Revolution des Geistes Generalabrechnung
mit den Volksverrätern" und den Refrain: Ich bin die kommende deutsche Regierung der Gerechtigkeit!" Daß solche Saat auch in den Proletariervierteln Berlins auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint, brauchi nicht wunderzunehmen, wenn man sieht, wie dort so wenig fulturpolitische Initiative entfaltet wird, daß in Einrichtungen wie Kindergärien und Kinderhorten religiöse und politische Romantik idyllisch wuchert. Otto Corba ch.
Die gute Ernte.
Die Ernte band sozusagen vor der Tür". Das Getreide drohte notreif zu werden, auf langen Salmen dünne Aehren mit nichts drinn". Die Bohnen in den Erwerbsgärtnereien fingen an gelb zu werden; die Erdbeeren vertrodneien, Spättirichen, Nepfel und Birnen fielen vertrodnet von den Zweigenturz, alle Anzeichen jener Ratastrophe, die uns das obfolui„ trockene" Jahr 1911 beschert hatte, waren vorhanden. Da tam der Regen, nicht im Sausetempo eines dahinjagenden Unwetters, fondern lieblich, nett; freundlión, als wolle er sagen: id bin ja gar nicht so, ich komme zur rechten Zeit. Und wenn der Mensch augenblidlich auf das„ kalte" Better schimpit so soll er nur einen Blick auf die rein gewaschene Natur tun und er wird mit der Notwendigkeit, den Schirm zu tragen immd zu Hause eine dickere Joppe anziehen zu müssen, völlig versöhnt fein.
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Ja, jezt tann die gute Ernie, von der neulich die amtliche Berichterstattung meldete, daß sie zu erwarten sei, Tatsache werden nur gewiß wenn der Regen wieder einmal aufhört. und die Sonne von neuem scheint. Bie oft hat man es erlebt, daß der Frühsommer trocken und heiß und der Juli gerade die Zeit, mo die Kinder Ferien haben so raß und falt war, daß das geschnittene Geireide schwarz wurde und der Erntelegen erst im Herbst geborgen werden fennte. Hoffentlich kommt es diesmal anders...
Da dieser Unterstand höher lag als das Haus, feine Mände haile, jedem fleinen Bindzug freieren Durchgang ließ, in der Nähe auch kein Strauchwerf war und er weit genug von der Zisterne und dem ausgetrockneten Träntepfuhl entfernt war, hatte ich hier in der Lat beinahe gar nicht von den Mostitos zu fejden.
Am nächsten Morgen famen noch etwa zwölf Eingeborene zur Mitarbeit. Die wohnten ziemlich weit entfernt in irgend einem Dorje, das irgendwo im Busch liegen machte. Sie tamen auf Maultieren geritten; manche hatten weder Sattel noch Steigbügel. Andere hatten wohl einen Holzsattel, ober feinen Baum; an Stelle des Saumes war den Tieren ein Strid um das Maul gebunden.
Diese Leute waren an die Feldarbeit in den Tropen besser gewöhni als wir, die wir, mit Ausnahme des großen Riggers, alle Städter waren. Aber sie schafften viel weniger als mir und mußten eine viel längere Mittagspause machen. Jedoch das ging uns nichts an, und darüber nachzudenken, lohnte sich auch nicht recht.
Am Samstag friegien mir ausbezahlt. Wir ließen uns hatten, gerade so viel geben, wie mir brauchten, um Lebens von den paar kröten, die mir in so mühseliger Arbeit verdient mittel für die nächste Woche einzukaufen. Den Nest ließen wir beim Farmer stehen, denn auch nur einen Nickel in der Tasche zu haben ist nichts als Versuchung für den andern.
Selbstverständlich arbeiteten wir Sonntags auch. Der brachte dann fnapp ein Kilo Speck ein oder fünf Kilo Star toffein; weil wir an dem Tage schon um drei Uhr Schluß machten, um uns wenigstens einmal in der Woche majchen zu können und das verschwitzte Zeug, das man Tag und Nacht auf dem Leibe hatte, durchs Wasser zu ziehen.
Der Chin? und Antonio waren in den nächsten Laden gegangen, der etwa drei und eine halbe Stunde entfernt lag, um für uns alle das einzukaufen, was wir ihm jeder auf ein Maisblatt aufgeschrieben hatten. Die hieroglyphen, die auf jenen Maisblättern standen, waren nur für die Einkäufer zu entziffern, denen wir mündlich die Bedeutung der phantastischen Zeichen ausführlich hatten erflären müssen.
Den nächsten Sonntag hatten dann ich und Abraham einkaufen zu gehen.
Aber an diesem Sonntag war Abraham schon um zwei Uhr von der Plantage verschwunden. Er war mit seinem Sad Baumwolle zur Bage gegangen und nicht zurüdgefommen ( Fortsetzung folgt.)