Nr. 30942. Jahrg. Ausgabe A nr. 159
Bezugspreis:
Wöchentlich 70 Pfennig, monatlich 8, Reichsmart voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig , Saar- und Memelgebiet, Desterreich, Litauen , Luremburg 4,50 Reichsmart, für das übrige Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.
-
Der„ Borwärts" mit der Sonntags beilage Bolt und Zeit" mit„ SiedIung und Kleingarten" sowie der Beilage Unterhaltung und Wiffen" und Frauenbeilage Frauenstimme" erscheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.
Morgenausgabe
in sid ni
190
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Anzeigenpreise
Die einfpalttge Nonpareille. zeile 80 Pfennig. Rellamezeile 5, Reichsmart. ,, Kleine Anzeigen" das fettgedrudte Wort 25 Pfeitnig ( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Familienanzeigen für Abonnenten Beile 40 Pfennig.
Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis 4½ Uhr nachmittags im Sauptgeschäft, Berlin SW 68, Lindenftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachm.
Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Redaktion Dönhoff 292-295 Berlag: Dönhof 2506-2507
f not the tedio
Freitag, den 3. Juli 1925
Rechtsumfall der Volkspartei.
Ministerrat über die Antwortnote.
-
Rückzug der Volkspartei. Leitfaden für Stresemann.
WIB. meldet: Das Reichsfabinett fehte heute nachmittag die Beratungen über die außenpolitische Lage fort. Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete über den Stand der Vorarbeifen für die Beantwortung der franzöfifchen Sicherheitsnote. Es besteht über die Grundlinien dieser Antwort Einverständnis, und es ist die Borlage eines Entwurfs im Kabinett ehestens zu erwarten.
Die Reichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei ver veröffentlichte in später Stunde folgende Erklärung:
„ Nachdem der Herr Reichskanzler in seiner Besprechung
mit Bertretern der Reichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei diesen heute die Erklärung abgegeben hat, daß eine AusSprache über die außenpolitische Lage im Reichstag noch in dieser Tagung stattfinden werde, ist die Absicht der Fraf
tion, eine alsbaldige Klärung der politischen Lage herbeizuführen, erreicht. Die Reichstagsfraktion behält sich eine erneute Initiative vor, sobald die in der heutigen Erklärung der Reichsregierung angekündigte Beantwortung der französischen Note vor liegt. Dementsprechend hat die Fraktion von der Einbringung einer Interpellation zunächst abgesehen."
Richtlinien der Volkspartei.
Die Deutsche Volkspartei teilt schließlich nach Mitternacht durch TU. folgendes mit:
Die Reichstagsfraktion der Deutschen Boltspartei hat in ihrer Sizung vom 2. Juli zu der durch die Briand - Note vom 16. Juni geschaffenen Lage Stellung genommen. Sie stimmt der Initiative der deutschen Regierung zu, die in dem gegebenen Moment eingesetzt hat, um die Lösung der Sicherheitsfrage mit Deutsch land , nicht gegen Deutschland herbeizuführen. Sie fordert, daß die in Gang gebrachten Erörterungen in den Grundgedanken des deutschen Memorandums vom 9. Februar fortgeführt werden, jedes Hineinziehen der militärischen Bündnispolitit aber abgelehnt wird. Damit ergibt sich die Aufgabe, folgende Richtlinien zu berücksichtigen und auf ihre Sicherung zu bringen:
Ein Eintritt Deutschlands in den Bölkerbund ist vor der Räumung nicht nur des Ruhr- und Sanktionsgebietes, sondern auch der ersten Rheinland zone undentbar. Er setzt die Einigung über das Sicherheitsproblem und Ausschaltung der für Deutschland in Art. 16 der Böfferbundssatzung liegenden besonderen Gefahren sowie Festhaltung der deutschen Grundsätze des deutschen Memorandums über den Bölkerbund voraus. Er muß zu einer Beseitigung der Beschlüsse des Bölkerbundrates über die Militärtontrolle des Völkerbundes führen, soweit sie über den Versailler Bertrag hinausgehen, insbesondere soweit sie örtliche st ändige Kontrol1 organe im Rheinland in Aussicht nehmen.
Kampfstimmung in der Kammer.
Heute nacht wichtige Entscheidung. Paris , 2. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die Kammer, in der Caillaug am Mittwoch bei der Abstimmung über den eidlichen Deklarationszwang über die im Ausland befindlichen Bermögenswerte französischer Steuerpflichtigen eine parlamentarische Niederlage erlitten hat, dürfte in einer Nachtsizung über die von der Finanzkommission geforderte Befreiung der Lebensmittelhandels von der Imsatzsteuer entscheiden. Der Senat hatte diese Bestimmung seinerzeit gestrichen, die Regierung hat gegen ihre Wiederherstellung Einspruch erhoben und Caillaug in der Finanzfommission der Kammer erklärt, daß er im Plenum dazu die Bertrauensfrage stellen merde. Jedoch ist die gesamte Linke entschlossen, dennoch geschlossen für den Antrag der Kommission zu stimmen. Infolgedessen haben die Republikanischen Sozialisten durch eine Abordnung die Regierung zu bestimmen versucht, von der Stellung der Vertrauensfrage abzusehen. Da der Ausgang der Abstimmung taum zweifelhaft sein tann, ist anzunehmen, daß Caillaur vor dem geschlossenen Willen der Linksparteien fa pitulieren
wird.
Die Kammer hat einen Antrag auf Rüd verweisung der Umsatzsteuervorlage an den Finanzausschuß mit 340 gegen 209 Stimmen abgelehnt. Die Nachtfizung hat um 9½ Uhr be
gonnen.
Rückverlegung des sozialistischen Parteitags. Paris , 2. Jult.( Eigener Drahtbericht.) Der Vorstand der Sozialistischen Partei hat am Donnerstag beschlossen, den Parteitag doch erst am 15. August abzuhalten. Man hofft, durch diese Verschiebung Zeit und Gelegenheit für eine Einigungsformel zu finden.
Der Berfuch der Fraktion, bereits am Donnerstag die bei den Lekten Abstimmungen in der Kammer perforengegangene rat. tionsdisziplin wiederherzustellen, ist vorläufig gefcheitert Es wurde beschlossen, die Entscheidung durch den Parteitag herbeizuführen.
- Ein
Benn auch der Sicherheitspakt selbst den Bersailler Vertrag nicht abändert, so darf doch darüber kein Zweifel bestehen, daß Deutschland feine Verschlechterung der sich aus dem Bersailler Vertrag ergebenden Lage hinnehmen kann, und daß es auf die von ihm felbft gesetzten und die durch fortschreitende friedliche Entwicklung herbeizuführenden Abänderungsmöglichkeiten nicht ver zichten fann.
bilind
Wird das nächste Ziel des Paktes, die Lösung der Sicherheitsfrage erreicht, so wird sich die Notwendigkeit aufdrängen, Bejahung und Rheinlandabkommen den veränderten Verhältnissen anzupassen. Alsbaldige Beseitigung des Delegiertensystems, Unterstellung aller Streitigkeiten aus dem Versailler Vertrag, insbesondere auch über die Entmilitarisierung sowie über über das Rheinlandabkommen unter ein Schiedsverfahren, Ablehnung jeder Wiederaufnahme früherer Sanktionsmethoden, muß erreicht werden. Beim Abschluß von Schiedsverträgen ist von dem deutschen Typus auszugehen; nur als Subjekt seiner Politik in voller Freiheit darf Deutschland fämtliche Schiedsverträge abschließen. Garantie und Entscheidung über die Verlegung durch den Bundesgenossen eines Bertragsteiles ist mit völkerrechtlichen Grundsägen unvereinbar. Eine Zusicherung friedlicher Lösung öftlicher Konflikte wird durch diese Zurüd weifung des französischen Garantieplans nicht abgeschwächt.
Mit Rußland hat Deutschland den Rapallo - Bertrag geschloffen. Dieser wird durch die von Deutschland eingeleiteten Berhandlungen mit den Westmächten nicht verletzt. Deutschland hält an ihm fest und darf sich in feiner Weise gegenüber Rußland in eine die deutsche Interessen schädigende Politik treiben lassen. Ebenso wenig dürfen die Beziehungen Deutschlands zu anderen Mächten durch den Abschluß eines Westpaktes getrübt werden.
Nur bei Wahrung der vorstehenden Grundsätze scheint der Reichstagsfraktion der Deutschen . Volkspartei der Abschluß eines Sicherheitspattes mit Deutschlands Interessen und Europas Neuordnung vereinbar. Das letzte Ziel muß ein wirklicher Friede von Gleichberechtigung auf Gegenseitigkeit durch Schiedsverträge Sicherheit und allgemeine Entwaffnung fein.
Es war uns in später Nachtstunde nicht möglich festzustellen, ob der vorstehende stellenweise unverständliche Beschluß als eine Niederlage Stresemanns in feiner Fraktion oder als ein Umfall des Miniſters ſelbſt aufzu faffen ist. Dieses Mit- der- Türe- ins- Haus- Fallen, diese Ueber belastung der angestrebten Verhandlungen mit Forderungen, die auf der Gegenseite auf starten Widerstand stoßen werden, entspricht, wie wir wissen, den bisherigen Absichten der Regierung nicht.
Wir sind in die Zeiten der Zickzackpolitik zurückgekehrt.
Vorwärts- Verlag 6.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr. 3
Postscheckkonto: Berlin 375 36- Bantfonto: Direktion der Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstraße 3
23
Die Versorgung der Kriegsopfer überragt an finanzieller Auswirkung gegenwärtig immer noch alle anderen sozialen Aufgaben des Reiches. Bei Beendigung des Krieges zählte man in Deutschland 1537 000 perfor gungsberechtigte Kriegsteilnehmer und rund 600 000 itwen. Infolge der Abfindung der kleinen Renten hat sich die Zahl der Kriegsbeschädigten auf 721 000 und die Zahl der Witwen durch Wiederverheiratung auf 336 000 ermäßigt. Rentenbezugsberechtigte Halbwaisen find 131 350 und Elternpaare 62 140. Außer diesen in der Hauptes gegenwärtig noch 963 000, Boliwaisen 65 320, Elternteile sache aus dem Mannschaftsstande hervorgegangenen Kriegsrentenempfängern gibt es noch 50 000 Kapitulanten und rund 66 500 Offiziere, Heeresbeamte und Hinterbliebene dieser Gruppen. Von der Kriegsversorgung werden somit gegenwärtig noch 2 335 000 Personen erfaßt.
-
Die Ausgaben des Reiches betragen unter Berücfichtigung des Standes vom 1. Januar 1925 für ein Jahr berechnet: für Kriegsbeschädigte und Kriegerhinterbliebene 905 Millionen Mart, für die ehemaligen Offiziere rund 200 millionen Mart. Troß dieser hohen Summe- nach Mitteilungen des Reichsfinanzministers handelt es sich um 40 Broz. aller laufenden Reichsausgaben ist die Versorgung für die Kriegsbeschädigten und Kriegerhinterbliebenen durchaus unzu länglich. Es erhielt ein Kriegsbeschädigter vom Beginn des Krieges bis zu dessen Ende bei einer Erwerbsbeschränkung dieser Kriegsbeschädigte in Drtsklasse A, wenn er ledig und von 30 Proz. monatlich mindestens 28,50 M. Jekt bezieht ist und zwei Kinder hat, monatlich 13 M. Bei einer Erwerbsgelernter Arbeiter ist, monatlich 9 M., wenn er verheiratet beschränkung von 40 Broz. erhielt ein Kriegsbeschädigter früher mindestens 33 M. im Monat, jezt 12 M. bzw. 16,80 m. Bei einer Erwerbsbeschränkung von 50 Proz. erhielt der Kriegsbeschädigte früher mindestens 37,50 M., jegt 17,95 m. bzw. 26,90 m. Handelt es sich um einen ungelernten Arbeiter, so bleibt die gegenwärtige Rente noch um einige Mark hinter den mitgeteilten Säßen zurück. Die mindest rente einer 17,50 M., wenn es sich um die Witwe eines gelernten Arbeiters Mitme betrug früher 33,35 m., jetzt in Ortsfiasse A handelt, sonst nur 13,30 M. Da die Zahl der Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 und 40 Pro3. 408 990, die Zahl der Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 Pro3. 135 000 beträgt, so ergibt sich, daß rund zwei Drittel aller Kriegsbeschädigten sich mit Renten begnü gen müssen, die nominell nicht mehr als 30 bis 50 roz. ihrer früheren Bezüge dar stellen. Legt man den Bergleichen die Kauffraft zugrunde, so gestaltet sich das Verhältnis zwischen den früheren und den
Die deutsch - französischen Verhandlungen. jezigen Bezügen für diese Beschädigten noch viel ungünstiger. Die äußersten franzöfifchen Vorschläge überreicht. Paris , 2. Juli. ( Eigener Drahtbericht). Der Vorsitzende der französischen Handelsdelegation hat am Donnerstag nachmittag dem Staatssekretär Trendelenburg die angekündigten und ausbrücklich als äußerste Grenze der französischen Bugestände uisse bezeichneten Vorschläge überreicht, die die französische Delegation im Laufe des Mittwochs ausgearbeitet hat.
England mahnt seine Gläubiger. Terminangabe für Schuldenverhandlungen verlangt. London , 2. Juli. ( WTB.) Wie der Amtliche Englische Funtdienst meldet, hat die englische Regierung in den letzten Tagen Tagen an Frankreich , Italien , Portugal , Serbien , Ru mänien und Griechenland je eine Note zur Frage der Kriegsschulden überreichen zu lassen. Wie verlautet, bilden diese Mitteilungen feine Mahnung, sondern nur eine Aufforderung an die Schuldnerstaaten, den 3eitpunkt zum Beginn von Berhandlungen über die Regelung der Schulden anzugeben. Die Haltung der englischen Regierung in der Schuldenfrage ist in dem Schreiben des Schazkanzlers Winston Churchill an die französische Regierung vom 6. Februar d. 3. niedergelegt. Es wird darauf hingewiesen, daß England auf Grund des Schuldentonjolidierungsabkommens mit den Bereinigten Staaten bereits mehr als 80 Millionen Pfund bezahlt hat, ohne bisher von seinen Schuldnern Barleistungen empfangen zu haben. Im Interesse des englischen Steuerzahlers hält sich die Regierung unter den jezigen Umständen für berechtigt, auf die Erledigung der Angelegenheit zu dringen.
Die Rentenpolitik der Regierungen ging in den letzten Jahren dahin, durch Einführung und immer stärkere Unterstreichung des Bedürfnisprinzips das Gros der Hinterbliebenen und die Schwerbeschädigten wenig stens vor einer Benachteiligung gegenüber dem früheren Recht zu bewahren und gewisse zahlenmäßig fleine Gruppen von Beschädigten und die Hinterbliebenen mit größerer Kinderzahl über das frühere Rentenniveau zu heben. Wie aus den wiedergegebenen Zahlen hervorgeht, geschah das um den Preis einer empfindlichen Schädigung der großen Masse der Beschädigten und eines fleineren Teils der Hinterbliebenen. Diese Rentenpolitik hat aber darüber hinaus den Kriegsopfern im ganzen mehr genommen, als sie ihnen durch die Einführung des Bedürfnisprinzips wiedergegeben hat. Durch die Verschlechterungen, die für große Gruppen von Versor gungsberechtigten im Vergleich mit dem alten Recht eingetreten sind, hat die jetzige Regierung den Rentenetat jähr= lich um 200 bis 250 millionen entlastet.
Diese Tatsachen, die von der Regierung offen zugegeben werden, sind auch von den Parteien des Reichstags erkannt worden. Seit dem Zusammentritt des Parlaments find nicht weniger als 65 2nträge zugunsten der Kriegsbeschädigten und Kriegerhinterbliebenen eingebracht worden. Den stärksten Antragseifer hat die deutschnationale Fraktion gezeigt. Nach einem Kostenanschlag, den die Regierung ausgearbeitet hat, würde die Durchführung der deutschnationalen Anträge einen Aufwand von 1095 Millionen Mart verursachen. Auch die Deutsche Volkspartei hat Anträge gestellt, deren Ergebnis ein Mehraufwand von 645 Millionen Mart sein würde. Die RegierungsDer Reichsrat genehmigte am Donnerstag einen Gejegent- parteien denken jedoch nicht im entfernte= turf. der die Aufhebung der Preistreibereiberord- ten daran, diese Anträge auch zu verwirk. nung und der damit zusammenhängenden Berordnungen versieht. lichen. Das hat ihre bisherige Haltung unzweideutig geEinzelne Bestimmungen über Preisverzeichnisse und Preisschilder zeigt. Namentlich die deutsch nationale Vertre bleiben bestellen. So wird z. B. für den Handel mit Fleisch- und tung ließ während der Ausschußberatungen wiederholt er Wurstwaren der Preisschilderzwang und die Vorschrift über Preis, fennen, wie froh fie wäre, wenn ihre Anträge überverzeichnisse aufrecht erhalten. haupt nicht mehr zur Beratung gelangen