Marokko -Kreöite bewilligt. pari«. 10. Juli. (Eigener Drahtbericht.) Die Sammer hat in ciaer Nachtsitzung die Kredit« für Marokko mit 411 gegen die 29 Stimme» der Sommunisten angenommen. Die sozia. listisch« Fraktion sowie etwa 30 Abgeordnete der bürger- lichen Linken haben sich der Stimme enthalten. Für die Sozialsten sprachen im Laufe der Debatte die Abgg. Renaudel und Lion Blum. Renaudel führt« aus, daß die Nervosität der öffentlichen Meinung ihren Grund vor allem in der Furcht vor einer weiteren Ausdehnung der Operationen und vor internationalen Verwicklungen Hab«. Die späte Neubesetzung des militärischen Oberbefehls in Marokko und die Abfallbewegung der bisher treugebliebenen Stämme zeige, daß die Operationen in Marokko bisher nicht so geführt worden sind, wie es offenbar notwendig gewesen wäre. Die Regierung hätte von Anfang an Abd el Krim ins Unrecht setzen müssen, indem sie durch Bekanntgabe ihrer Friedensbedingungen hätte zeigen können, daß er es sei, der die Verantwortung für das unnütze Blutvergießen trage. Auf die Anspielung des Redners auf die Räumung von Taza erwiderte Paiulevs, daß die Stadt einstweilen nur von den Frauen geräumt worden sei: aber selbst, wenn wider alle Voraussicht Taza vom Gegner besetzt werden würde, sei auch dies kein Grund, den Kopf zu oer- lieren, da Abd el Krim sehr rasch gezwungen werden würde, es wieder zu räumen. Frankreich habe keinerlei Erobe- rungsabsichten. Es wehr« sich jedoch gegen den in sein Gebiet getragenen Angriff. Frankreich habe das Bestreben, mit Abd el Krim zu einem Uebereinkommcn zu gelangen, das es allen Bewohnern Marokkos ermögliche, in Frieden zu leben. Nach Schluß der Generaldebatte begründete Leon Blum die von der sozialistischen Fraktion belchlosiene Stimmenthal- t u n g. Die Fraktion könne und wolle nicht gegen die Kredite stimmen. Auf der einen Seite habe sie zwar die Politik der Parlamentär i.schen Unterstützung und die Haltung, die sie bisher der Regierung gegenüber eingenommen habe, auf- gegeben, aber sie wolle deshalb keineswegs systema- tische Oppposition treiben. Aus der anderen Seite habe die Fraktion trotz der Vorbehalte, zu der sie die Marokkopolitik der Regierung zwinge, und trotz der Enttäuschung, die ihr besonders die Beibehaltung des Marschall» Lyauthey verursacht Hab«, V e r- trauen in den Friedenswillen der Regierung, zu- mal da der Ministerpräsident als Grundlage für den künftigen Frie- den die Unabhängigkeit des Rifs und der um Abd el Krim ge> scharten Stämme ausdrücklich anerkannt Hab«. Es stehe fest, daß Frankreich in der Abwehr eines Angriffs st eh«. Deshalb könne sich die Fraktion, wenn st« auch nicht für die Kredite stimmen könne, nicht entschließen, sie abzulehnen. Ihre Haltung sei ausschließlich von Prinzipien und der Tradition bestimmt. Die Regiervng befinde sich jedoch im Irrtum, wenn sie glaube, daß die französische kolonialpolltik die Zustimmung aller Parteien habe. Die Sozialisten seien von jeher gegen die Soloni- iierung gewesen, in der sie eine moderne Form des Imperialismus sehen. Jeder Franzose wünsche zwar die Ausdehnung der franzö- fischen Kultur, aber die militärische Besetzung eines Landes sei nicht das richtige Mittel hierzu. Genau wie die soziaNstifche Fraktion sich vor einem Jahr bei den Ruhrkrediten der Stimme enthalten habe, müsse sie auch diesmal die politische Verantwortung für ein« Maßnahme ablehnen, mit der sie nichts zu tun haben will.
Trotz Mieterschutz�! wo» ein Hauswirt unter den Augen der Polizei fertig brachte. In Lankwitz hat«in Hauswirt, der Eigentümer des Grund- stücks Bruchwitzstr. 2, sich gegen«inen Mieter eine Selb st- hilf« erlaubt, die in unserer Zeit des sogenannten.Mieterschutzes" beträchtliche» Aufsehen erregen muß. Er hatte eine durch Ausbau de« Dachgeschosse» gewonnene klein« Wohnung an ein« Familie vermietet, aber nach einigen Monaten erklärte die Baupolizei, daß wegen Feuergefährlich. keit die weitere Benutzungber Wohnung nicht geduldet werden könne. Als die Versuche de» Mieter«, durch Der- mittlung des Wohnungsamtes eine andere Wohnung zu erhalten, sich«in Vierteljahr hingezogen hatten, beschloß der Wirt, der Sache ein Ende zu machen. Er setzte eine Räumung». frist, gewährte hinterher noch Ausschub, verlangte aber schließ- lich, daß binnen einer Stunde die Stube ausge- räumt, die Möbel in einer kleinen Kammer untergebracht und der Stubenschlüssel abgeliefert würde. Der Mieter und seine Frau wollten nun da, 14� Jahr alte Kind bei Bekannten unterbringen, doch mißlang da», so daß sie fürchten mußten, mit dem Kind in der Nacht obdachlos zu fein. Als sie abends um 9 Uhr mit dem Kind zunickkehrten, fanden sie in der Bodentür das Schlüsselloch durch einen Holzteil verschlossen. Der Mieter kletterte über da» Dach durch ein Fenster in die Stube und öffnete von innen die Tür, worauf das Ehepaar sich mit dem Kind ins Bett legten. Nachts um 1» Uhr wurden die Ahnungslosen unsanft aufgescheucht. Der Wirt begehrt« Einlaß, mitgebrachte Po- lizei gab seinem Wunsch den nötig«, Nachdruck und dem Ehepaar blieb nur übrig, auszustehen und zu öftnen. Gegenüber den Hinweisen de» Wirte» auf sein vermeintliche» Recht, hielt wohl der Schu.-polizeibeamte sich für machtlos und das Ende war, daß die beiden Eheleute chren Widerstand aufgaben und zur Nachtzeit als Obdachlose mit dem Kind auf die Straße gingen. Auf ihre Frage, wo sie nun Unterkunst finden sollten, jagte ihnen der Pohz-ibemnte:.Wenn sie nichts weiter haben, kommen Sie mit zur Wache". Die Ehe- leute nahmen diesen Borschlag an und brachten dann die Nacht in der Wacht st übe auf zwei Feldbetten zu, inmitten der Poligeideometen, die dort ein- und ausgingen und auf dm anderen Feldbetten nächtigten. Am nächsten Tage setzten sie ihre Bemühungen fort, eine andere Wohnung zu erhalten. Nachdem sie in der darausfolgenden Nacht bei einer ihnen bekannten Familie ein Notquartier gefunden hatten, pe'�ng es dem eingreifenden Wohlfahrtsamt Steglitz , die Auwcisr einer Wohnung im Bezirk Kreuzberg zu erwirk«. Für dm Umzug stellte das Wohlfahrtsamt ein Lastauto, aber fetzt wollte der Wirt wegen einer Mietschuld die Möbel nicht herausgeben. Erst als durch eine Fürsorgeangestellte da: Geld bezahlt worden war, konnte der Umzug bewerkstelligt werden. Das Vorgehen des Lonkwitzer Hauswirtes ist ein lehrreicher Beitrag zu dem Kapitel.Mieterschutz". Und da schreien Hauswirt«, daß sie gegenüber Mietern.wehrlos" seien. Rätselhaft ist, daß gegenüber solchem Vorgehen eines Hauswirtes «in S ch u tz p o Ii z e i b e a m t e r keine Machtbefugnisse zu haben glaubt. Nächtlicher �fabrikbrand in der Reichenberger Straße. In der letzten Nacht stand in der Retchenberger 1-°! unmittelbar neben der Feuerwach« 8,«in Fabrik» 9 e° 0"de aus dem Hofe in großer Ausdehnung in Flammen, und in der Kalb erger Strohe 5 brannte ein Seitenflügel mit angrenzen- dem Oucrgebäude in großer Ausdehnung. Als die Wehr eintraf, brannten im Quergebäude im 2., 3. und 4. Stock die Tischlerei von Gründet v. Lang«, die Jalousiefabrik von Keller u. Sellner«md die
Moröprozeß R. Limburg a. d. Lohn, 10. Juli. Der gestrige Tag bedeutete ein Fiasko für die Verteidigung �wohl wie für den psychologischen Sachverständigen. Angerstein hatte die Bloßstellung der" hessen -nassauifchen Bergwert- und Jndustriegesellschaft angekündigt, in deren Interesse er Vertragsfälschungen begangen haben wollte und die ihn hinterher zum Opfer von Erpressern gemacht haben sollten. Alles hat sich als Lug und Trug erwiesen. Angerstein hat einfach alle Gelder, die er Er- pressern gezahlt haben will, ebenso wie die Grundstücke, die er für andere angekauft zu haben vorgab, für sich nutzbar gemacht. Für sein Phantasieleben ist es aber charakteristisch: Ein frecher Räuber. Erpresser— man ist versucht, an einen eigentümliche», seelischen Kompler zu denken, der das Gebiet der Verfolgungswahn- Vorstellung hart streift. Jedenfalls hat Angerstein heut« eine wich- tige Schlacht verloren. Am Schluß der Sitzung war er schon ganz kleinlaut. Verwirrt schien auch seine Verteidigung. Man muhte sich fragen: Was ist geschehen? Reichten 4009 unterschlagene Mark nicht zur Motivierung eines achtfachen Mordes aus, so tun dies etwa 14 000 Mark? Ein vielleicht noch größeres Rätsel als der Angeklagte sind vorläufig vielleicht diejenigen, die berufen sind, das Problem Angerstein zu lösen. Es hat manchesmal den Eindruck, als feien die psychiatrischen Sachverständigen mit einer so se st gefügten Meinung in den Gerichtssaal gekommen, daß sie höchstens noch interessiert sind, Material zur Begründung dieses bereits fertig mitgebrachten Gutachtens zu finden. Als gestern im Laufe von zwei Stunden Angersteins Bruder, der Ingenieur Max Angerstein mehr über sich und das Unglück sprach, das über ihn und die Familie durch die Tat seines Bruders hereingebrochen ist, als über den Angeklagten selbst, von dem er eigentlich nichts Ge- scheites weiß, kam der Gegensatz der.Schulen" zum Ausdruck. In bezug auf die Fragen, die der Psychoanalytiker Professor der Psycho- logie Dr. Herbertz dem Zeugen unter Ausschluß der Oessenllichteik glaubte stellen zu müssen, erklärte der Professor der Psychiatrie Dr. Regle, daß sie weder an den Fragen des psychologischen Sach- verständigen, noch an dem Ausschluß der Oeffentlichkeit Interesse hätten. Ueberhaupt, meinte er, bestehe ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen der klinischen Schule der Psychiatrie.'zu der er und sein Kollege Professor Dr. Fehrmärter gehören, und der anderen, die Professor Dr. Herbertz vertrete. Später verbesserte er sich: man könne ja überhaupt nicht von einem Gegensatz der Schulen sprechen, da Professor Dr. Herbertz ja nicht Arzt sei. Das war das Vorspiel zu heute. Da sollen die anderen Verwandten des Angeklagten ver- nommen werden. Die können mehr auesagen. Doch um Antwort zu erhalten, muß man fragen wollen und zu fragen verstehen. Die einen wollen kluge Fragen stellen, die anderen verstehen nicht diese Kunst, die gelernt werden will. So bleibt Angersteins Verbrechen ein Rätsel. Er wird es gleich Haarmann mit ins Grab nehmen. Verhandlungsbericht. Limburg a. d. Lahn . 10. Juli. (Eigener Drahtbericht.) Zum heutigen 3. B e r h a n d l u n g s t a g des Angerstein-Prozesses war des Chef des preußischen Landespolizeiamts, Regierungsdirektor Dr. Weiß aus Berlin , erschienen. Di? Fortsetzung der Beweisouf- nahine brachte zunächst die Vernehmung einer ganzen Gruppe von Zeugen, die über das Vorleben und den Leumund des Angeklagten sowie über das Familienleben in' Hause Angersteins Angaben machten. Bürgermeister F i ck aus Haiger bekundete, daß in dem Städtchen über Angerstein allerlei seltsame Gerüchte im Umlauf gewesen seien, wonach Frau Anger st ein allmählich ver-
Schuhfabrik von Flemming u. Co In großer Gefahr schwebten die Schlosserei im Erdgeschoß und die Holzvorräte auf dem Boden. Ausgekommen war der Brand im 2. Stock an einem Trockenofen. Die Flammen hatten reiche Nahrung gefunden und die Holzdecken erfaßt, durch die Exhaustoren fütivten. Die Betrieb« hatten gesterst abend gegen 5 Uhr geschlossen. Von zwei Wachhunden wurde einer tot aufgefunden, der andere lebte noch. Die Gefahr wurde erst be- merkt, als die Flammen schon hell au» mehreren Fenstern empor- loderten. Die Feuerwehr griff über zwei mechanische Leitern und mehrere Steckleitern an. Die Treppen waren unpassierbar. E» gelang, den Boden und das Erdgeschoß vor dem Feuer zu bewahren, doch ist ein starker Wasserschoden zu verzeichnen. Sämtliche Betriebe liegen still. Der Schäden ist groß. Eine Brandwache ist noch auf der Brandstelle tätig. In der Kolberger Straße 3 sind die beiden Dachstühle zum Teil ausgebrannt.
Unnötige Prozesse! Veantragie Skrafe: Z Soldmorrk. Die neueren Bestimmungen über Abbau und Ersparnisse im Gerichtswesen geben den Staatsanwaltschaften da» Recht, unwesent- liche Verhandlungen zu vermeiden. Wo der angerichtete Schoden unerheblich ist, kann dos Verfahren niedergeschlagen werden. Leider scheint von diesen Befugnissen wenig Gebrauch gemacht zu werden, denn sonst müßte ein Prozeß, wie der gcstriege vor dem Schössen- gericht Bcrlin-Mitte zu vermeiden gewesen sein. Lediglich durch die angeklagten Personen, zwei Oberhäupter der Stadt Berlin , erweckt die Angelegenheit ein gewisses Allgemeininteress«. Obcrbürger- Meister Böß und Stadtrat Wege sollen sich gegen die 8 1, 1-, 2s. 27 und den Artikel 3 der Postbestimmungen vom 20. Dezember 1899 oergangen habest. Di« Post selbst ist als Neben- klüger zugelassen. Es handelt sich um die Sammelpoststelle des Magistrats, von hier werden sämtlich« Briefe aller Bezirksämter in einem Umschlag an ihren jeweiligen Bestimmungsort gesandt. Oberbürgenneisterr Böß. der kommissarisch vernommen worden ist, leitet die Berechtigung hierzu von dem Standpunkte aus, daß all« Bezirksämter nur Hilfsorgane seien, die ihm unterstehen. Die Gegenpartei ist anderer Meinung, für sie stellen die Bezirksämter selbständige Körperschaften dar. die also auch ihre Post ollein ver- senden müssen. Der Staatsanwalt schließt sich dieser letzteren Auf« fassung an und beantragt gegen Oberbürgermeister Böß und den Stadtrat Wege eine Geldstrafe von je drei Goldmark. Da« Gericht aber beschließt noch längerer Beratung, die Sache zu vertagen und zur nächsten Verhandlung mehrere Sach- v e r st ä n d i g e der beklagten Behörde, unter anderen auch den Bezirksbürgermeister von Berlin -M'tte, laden zu lassen. Also für die Stoatoonwaltschaft scheint die Tat mit d r ei G o l d- mark gesühnt, das Gericht beraumt eine neu« Verhandlung an, läßt so und so viele Sachverständige laden und bemüht noch einmal Richter und Schöffen um diese hochwichtige kommunale Angelegen- heit.—_
Die Betriebssicherheit bei Schering A.-G. Anläßlich der schweren Explosion in einer Abteilung der Schering A.-G. am Tegeler Weg in Charlottenburg , die bekanntlich zwei Menschen da- Leben kostete, waren uns aus Arbeiterkreisen zahlreiche Zuschriften zugegangen, die ganz erheb- liche Mißstände im sanitären und feuertechnischen Betrieb der Werke aufdeckten. So war behauptet worden, daß die Betriebs- feuerwehr völlig versagt hätte, da ihr technisches Material sich in einem geradezu kläglichen Zustande befunden habe. In dem Riesenheus soll nur eine Tragbahre gewesen sein. Dos s a n i, täre Personal des Betriebes war nur für Tagschicht be- rechnet, so daß bei einem eventuellen nächtlichen Unfall mit sofortiger Hilfeleistung, die in manchen Fällen alle» bedeutet, nicht zu rechnen war. Wir hatten diese schweren Vorwürfe in die Form einer Frage aekleidet und eine gründlich« Untersuchung der Affäre ver- langt. Bis jetzt haben wir weder von der Betriebsleitung noch von der interessierten Behörde etwas gehört. Wir erneuern unsere Anfrage und erwarten dringend baldige Auskunft.
Mgerjlein. giftet worden sei, ferner, daß der Angeklagte in einer frühereu Brandoersicherungssache einen Meineid geleistet habe. Es haben sich aber doch nicht die geringsten Anzeichen dafür ergeben, daß irgend etwas Wahres an den Gerüchten fei. Die Angaben weiterer Zeugen entwarfen im allgemeinen ein gutes Bild von dem Familienleben im Hause Angerstein. Der Angeklagte sei ein l i e b e n s w ü r d i- ger zuvorkommender Mann gewesen, der mit seiner allerdings sehr kranken Frau immer gut gelebt habe und von ihr auch sehr geschätzt worden sei. Allerdings sei die Frau immer sehr auf- geregt gewesen und habe Angst vor Ausbruch von Feuer oder Ein- brechern gehabt. Beide Eheleute waren sehr fromm. Dann wurde der Bruder der Frau Angerslein. der Elektrotechniker Gottlieb Barth, vernommen, der das Ehe- leben zwischen seiner Schwester und seinem Schwager als ein sehr gutes bezeichnete. Seine Schwester habe sich immer sehr lobend über ihren Mann ausgesprochen. Unstimmigkeiten habe es nur immer hinsichtlich der Mutter gegeben, die wegen der Schwach- lichkeit der Frau Angerstein den Haushalt führte, die sich aber ihre Aufgabe nicht richtig einzuteilen verstand und öster das Essen an- brennen ließ, worüber sich dann Frau Angerstein immer sehr aus- regte. Mit den Grundstücksankäufen und mit der Einrichtung eines landwirtschastlichen Betriebes sei Frau Angerstein nicht einverstanden gewesen. Acht Tage var dein Mord, so gab der Zeuge an, habe seine Mutter noch erzahlt, daß Angerstein fürchte, seine Stellung zu ver- lieren, weil sich in der Aktienmehrheit der Firma eine Aenderung vollzogen habe. Der Dorsitzende brachte dann den Brief zu». Er- örterung, der kurz vor der Tat bei Frau Angerstein eintraf und sie sehr aufgeregt haben soll. Der Zeuge erklärte hierzu, daß dieser Brief nicht von den Wetzlarer Verwandten stammen könne, allerdings hätten sie in Wetzlar viele Freunde, so daß die Möglichkeit bestehe, daß von dieser Seile irgend welche Hege getrieben worden sei. Es kam dann noch zur Sprache, daß der Zeuge Kommunist ist, womit seine Mutter aber nicht einverstanden war. Anger st ein sölbst hat sich jedoch, wie der Zeuge erklärt, nicht politisch betätigt. Der ehemalige Lehrer des Angeklagien, Oberlehrer Schneider. schilderte Angerstein als einen mittelguten Schüler, als einen sehr stillen und ruhigen Menschen mit träumerischer Vcran- lagung, der sich aber als sehr zuverlässig erwiesen habe und niemals hätle bestrast werden brauchen. Der Vater des ermordeten Dienst- mädchens, der Polizeiwachtmcister a. D. Stall, gab an, daß seine Tochter sich sehr lobenswert über die Familie Angerstein aus- gesprochen habe. Die beiden Eheleute hätten nach ihrer Ausfassung wie die Kinder gelebt. Jeden Wunsch, den der Mann seiner tzrau von den Augen abgelesen Hobe, habe er ihr erfüllt und sie auf den Händen getragen. Mcthodistenprediger U x o l d, der jetzt in Heidel- berg wohnt, bekundete, daß Frau Anger st ein der Metho- distengcmeinde angehört hatte, der Angeklagte dagegen nicht. Der Angeklagte habe seine Frau gut behandelt und ihr alle Wünsche erfüllt. Sie selbst sei eine liebenswürdige, hilfsbereite Frau gewesen, die aber zur Melancholie neigte. Besonders habe sie immer hervorgehoben, daß ihr Mann so treu für ihre Mutter und Schwester sorge. Allerdings bat die Uebersiedlung nach Haiger in dem Zeugen den Eindruck erweckt, als ob dort der Betrieb dem Angeklagten über den Kops wuchs. Vors.: Hat der Angeklagte freigebige Stiftungen für religiöse Zwecke gemacht?— Zeuge: Jawohl, wahrend der Inflationszeit hat er einmal zum Bau von zwei Kapellen in Dillenburg eine Anleihe von 30 000 Mark gegeben und sie uns später ge schenkt.
Kein Weichseldammbrnch in Westprensien. Dovzig, 10. Juli(TU.) Erkundigungen in Marienwerder haben ergeben, daß für die Weichfclniederung im Restteil West- Preußens keine Gefahr besteht Nach Auesagen des Deich- Hauptmanns von Marienwerder sind die Dämme noch so intakt, daß sie den Fluten des Hochwassers widerstehen können. An besonder- gefährdeten Stellen ist natürlich für die nötige Bewachung gesorgt. Es besteht aber die Zuversicht, daß die Dämme, nachdem sie der Hauptwelle widerstanden haben, auch für die nächsten Tage stand- halten können._
„Volk und Zeit", unsere illustrierte Wochenschrist, und „Der Sinderfrcund" liegen der heutigen Postauslage bei.
Groß-Serliner parteinachrichten. ?>l»!>ko»toUfte«.»rnpp« Zchünedcrg. Heute. Freitax, den>0. Juli. Heimabend vimlnii» 8 Uhr Ztubensslrah». Volkexnwam». Slejetar über die polltische unb wirlschaftliche Lax« der autzerdeutschen Länder.
GewsiMhastsbeWegung � vie Lohnverhältnisse der Lonüaebeiter. woraus sich die Abwanderung vom Lande erklärt. Die Herren Landwirte stellen es so dar. als ob sie jetzt am Ende ihrer Existenz stehen. Kein Stand habe noch ihrer Meinung so stark mit den Wirlschastsnöten zu kämpfen wie sie. Die Hilfeleistung für sie müsse deshalb geradezu als eine zwingende Notwendigkeil angesehen werden Dos hört sich zweifelsohne sehr rührend an, und der Laie ist geneigt, es fast zu glauben. Eicht man sich die Dinge jedoch etwas genauer an, wird man bald eines Lcsscren belehrt werden. Dann wird man nämlich finden, daß nicht die Landwirte, sondern die Land- arbeiter als der Stand anzusehen sind, der heute die traurigsten Lebensbedingungen hat. Bon dieser Tatsache wird man überzeugt, wenn man sich die Lohnzablen ansieht, die in Nr. 12 de?..Landarbester", dem Organ des Deutschen Laudarbeiterverbandes. erwähnt werden. Hier- nach verdiente ein vollwertiger verheirateter Depu- tatarbeiter im Monat Mai einen Gesamt st nndenlohn von 31,27� Pf. in Schlesien , von 33,14 Pf. in Ostpreußen , von 34,83 Pf. in Brandenburg und von 38,96 Pf. in Schleswig-Holstein . Bei Betrachtung dieser Zahlen muß beachtet werden, daß an vielen Orten ein Dcputatarbeitcr nur dann als vollwertige Arbeitskraft eingeschätzt wird, wenn er dem Arbestgeber noch ein oder zwei jugendliche Hofgänger zur Verfügung stellt. Der De- putantenfrau gab man im Monat Mai einen G e s a m t st u n d e n- l o b n von 13 Pf. in Schlesien , von 13 Pf. in Ostpreußen , von 12 Pf. in Brandenburg und von 18 Pf. in Schleswig-Holstein . Der voll- wertigeFrciarbeiter.dasist ein Arbeiter, der in der Haupt- fache nur Barlohn bekommt, verdiente im Monat Mai einen Gesamtstundenlohn von 34 Pf. in Schlesien , von 32,44 Pf. in Brandenburg , von 34 Pf. in Schleswig-Holstein und von 33,44 Pf. in Ostpreußen . Da» sind geradezu empörende Zahlen. Ihre Wirkung wird noch gesteigert, wenn man sich vergegenwärtigt, wie anstrengend gerade der Beruf eines Landarbeiters ist. Ueber die Gründe, die jetzt die starke Äbn-anderung vom Lande auslosen, braucht man sich unter solchen Umständen nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Sie liegen klar zutage. Dl« Landarbeiter halten es unvereinbar mit ihren Lebensinteressen. weiterhin unter solchen Derhältnissen zu oege- tieren. Das ist verständlich und kann ihnen nicht übelgenommen werden. Waren die landwirtschaftlichen Unternehmer die weitsichtigen Leute, für die sie gehasten sein wollen, müßten sie sich s ch n e l l st e n s umstellen. St« müßten begreifen, daß nichts klüger wäre und