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Abendausgabe

Nr. 346+ 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 170

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Pfennig

Freitag

24. Juli 1925

Berlag und Anzeigenabteilung:

Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Ferafprecher: Dönhoff 2506-2507

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Unsere Kundgebung.

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pincéder Aufmarsch der Massen nach dem Lustgarten.

Heute nachmittag werden sich die Massen aus den Be­trieben in Bewegung sehen, um im Luftgarten gegen die Ber­teuerung der Lebenshaltung durch Zoll- und Zinswucher zu demonstrieren. Es ist wahrlich nicht lebermut, der diese Männer und Frauen veranlaßt, sich in dieser drückenden Sommerhize den Anstrengungen dieser Rundgebung zu unter­ziehen. Sondern sie treibt die bittere Sorge um ihre Eristenz, um ihr Stückchen Brot, das jetzt schon nicht mehr groß genug ist, um sie und ihre Kinder ausreichend zu er nähren, sie treibt das Grauen der Vorstellung, daß bei gleich bleibenden Löhnen und Gehältern

Brot, Fleisch, Gemüse, Milch, Wohnungsmiete und jeglicher Lebensbedarf noch feurer werden sollen, fie treibt der Wille, das wenige, das ihnen noch geblieben ist, um ihrer Kinder willen zu verteidigen. Darum darf ihre Rundgebung auch die Achtung der Gegner fordern. Nur Brutalität fönnte sich über sie mit irgendeiner leichtherzigen Redewendung hinwegsehen.

Der Zmed der Rundgebung ist, denen, die aus Eigen­nuz ihres Standes oder bloß aus parteitaktischen Erwägungen fo verderbliche Pläne gesponnen haben, ins Gewissen zu reden und sie zu

warnen, folange noch Zeit ist.

Ihr Zwed ist, diejenigen zu unterstützen, die sich im Reichstag diesen Plänen widersehen; ihr 3wed ist schließlich, eine Aftion einzuleiten, die mit dieser Kundgebung noch nicht zu Ende sein wird. Auch wenn die Reichstagsmehrheit davon Abstand nehmen sollte, die Zollvorlage schon in den allernächsten Tagen, vor den Reichstagsferien, durchpeitschen

zu wollen, so wären ihre Absichten damit noch lange nicht aufgegeben und erledigt, fondern es wäre dann erst recht not wendig, die Voltsmassen aufzurütteln und den Kampf weiter­wendig, die Volksmaffen aufzurütteln und den Kampf weiter zuführen.

Inzwischen hat die allgemeine Zeuerung, allen fühlbar, schon längst begonnen. Die Maffen müssen sich wehren, wenn sie nicht ganz unter die Räder kommen wollen. Darum müssen sie ihre Organisationen stärten, müssen fie sich vorbe­reiten auf gewertschaftliche und politische Rämpfe. Ob es im Berlauf dieser Kämpfe zu Neuwahlen, oder zu direkten Voltsabstimmungen tommen wird, wie sie die Verfassung der Republit vorsieht, turz, wie im einzelnen sich die Dinge weiter entwickeln werden, läßt sich noch nicht voraussagen. Auf alle Fälle gilt es, bereit zu sein. Auch der Förderung dieser Kampfbereitschaft dient die heutige Rundgebung.

Wenn sich die Massen der Lohn- und Gehaltsempfänger, der Rentner und fleinen Geschäftsleute, die hier alle das selbe Interesse haben, durchsehen wollen, dann

müffen fie einig sein!

Daß heute Arbeiter, Angestellten- und Be­amtenorganisationen gemeinsam aufmarschieren, ist ein großer, bedeutungsvoller Fortschritt. Nur wenn es gelingt, eine Boltsmehrheit auf ein gemeinsames Ziel zu einigen, ist die verfassungsmäßige und tatsächliche Straft vorhanden, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen.

Leider zwingt das Verhaltender Kommunisten auch in diesem Augenblic dazu, Streitpunkte zu erörtern.

Die Kommunistische Partei beklagt sich darüber, daß sie zu der heutigen Kundgebung nicht besonders eingeladen worden

Brotwucher und Volksgesundheit Auschuß nicht auf diese Schrift berufen?

und

Wo bleiben die Profefforen der Medizin?

Bon Dr. Julius Moses .

Warum hat sich der Bertreter des Reichsgesundheitsamts im Wo bleiben die Aerzte, wo bleiben die medizinischen Professoren und Fakultäten in diefen Kämpfen um die Boltsgesundheit? Berstehen sie den Ernst der Lage nicht oder wollen sie ihn nicht verstehen? Im Zollausschuß schlug ein kommunistischer Abge- Glauben sie im Ernst, daß ein Volk gesund und leistungs­geordneter vor, zur Klärung einer bestimmten Frage fähig bleiben kann, wenn man ihm das Brot verteuert? Haben unabhängige maßgebende Professoren zu hören. Abg. fie die nackte Wahrheit und Selbstverständlichkeit aller medi­Dietrich- Baden( Dem.) wandte sich gegen diesen Bor - zinischen Wissenschaft vergessen, daß Krankheiten verhüten schlag, weil: Unabhängige Professoren dem Krankheiten heilen vorangeht? Bären unsere Mediziner, nicht maßgebend und maßgebende nicht vor allem ihre maßgebenden Persönlichkeiten bzw. diejenigen, unabhängig feien."( Heiterkeit). die es zu sein für sich in Anspruch nehmen, in Wirklichkeit die Männer, die sie sein wollen und sein müßten, fie dürften feine höhere Pflicht und teine vornehmere Aufgabe fennen, als jetzt Schulter an Schulter mit dem schwer bedrohten Bolfe in einer Boltsgemeinschaft zusammenzustehen, sie müßten der Regierung das Ge wissen schärfen, sie müßten mit allem Schwergewicht der Wissenschaft klarlegen, wie schwer die Verantwortlichkeit derer ist, die jetzt mit ihrer 3ollpolitit der Bolts gefundheit den leßten Stoßversetzen. Aber sie schweigen.

In der Aussprache über den Bericht des Agrar Enquete Ausschusses" habe ich meinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß man in diesem Ausschuß zwar Bertreter aller möglichen Wissenschaften, Theoretiler wie Brattiter, gehört habe, nicht aber Bertreter gerade derjenigen Wissenschaft, die in erster Reihe berufen gewesen wären, die schweren Folgen einer Berteuerung der allernotwendigsten Lebensmittel auf gesundheitlichem, sozialhygienischem wie bevölkerungspolitischem Gebiet darzulegen, die Einwirtung der Teuerung auf Krantheit und Sterblichkeit, insbesondere der Rindersterblichte it innerhalb der ar­beitenden Maffen, ihre Wirkung auf die Tuberkulose, furz auf den Gefundheitszustand des ganzen Boltes zu fennzeichnen: diese Vertreter der Ernährungswissenschaft, der Ernährungs­physiologie, der Sozialhygiene, turz, die Vertreter der medizinischen Wissenschaften, hätten in erster Reihe gehört werden müssen.

Zwar waren Vertreter des Reichsgesundheits­amtes bei den Beratungen zugegen gewesen, aber direkt aufgefordert, fich zu äußern über die Einwirkung der Lebens­mittelverteuerung auf den Gesundheitszustand des Boltes haben sie es vorgezogen, sich in allen Tönen auszuschweigen, Bertreter desselben Reichsgesundheitsamts, das seinerzeit ins Leben gerufen wurde mit der ausdrücklichen Bestimmung, die Regierung in allen denjenigen Fragen und in allen denjenigen Maßnahmen zu beraten, die fich in irgendeiner Weise auf den Gesundheitszustand des Bolles auswirken tönnten. Desfelben Reichsgesundheitsamtes, das vor einiger Zeit eine Schrift her. ausgegeben unter dem Titel Die Ernährung des Menfchen, in der festgestellt wurde: Es ist nicht Begehr lichkeit und Genußfucht der Arbeiter, wenn sie sich einen reich licheren Genuß von Fleisch, Milch, Eiern usw. zu verschaffen juchen, sondern ein derartiges Verlangen ist physiologisch begründet. Das deutsche Bolt muß sich jeßt ernähren wie vor zwei Menschenaltern, da es noch zum größten Teil aus Bauern, Landarbeitern und Handwerkern bestand. Und es foll dabei die hochwertige Arbeit leisten, die das Zeitalter der Maschinen und der Großstädte von ihm verlangt. Eine Schrift, in der der Sag niedergelegt ist: Wenn ein Bolt oder eine Schicht eines Boltes irgendwie hungert oder unterernährt find es immer zuerst die Mütter, die leiden

Es war nicht immer so in der medizinischen Wissenschaft wie heute. Ich erinnere nur an die Sprache, die ein Rudolf Birchow im Jahre 1847 gesprochen, als er feinen ge­harnischten Bericht an die Regierung über die oberschlesische Hungerkatastrophe gegeben. Ich erinnere weiter daran, daß bereits in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Heidelberger Professor der Medizin, Oesterlen , in seinem Handbuch der medizinischen Statistit betonte, daß das Sinken der Brotpreise um einen Groschen der Medizin vielleicht als ein fehr fleinliches Ding erscheine, aber doch für die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens mehr bedeute als die ganze Heil­funde", und schon damals den Satz prägte: Je teurerbas Brot, um jo mehr ertranten und sterben". In gleichem Sinne äußerte sich Eduard Reich in seinem 1870 erschienenen System der Hygiene":" Will man eine Bevölke­rung glücklich und gesund erhalten, muß man zunächst Teuerung und Hungersnot verhüten." Bon jeher hat die medizinische Wienschaft, insbesondere die Hygiene, auf ungeheuerliche Ein­wirtung einer Berteuerung der allernotwendigsten Lebens mittel auf den Gefundheitszustand unseres Boltes hingewiesen, ja selbst bei den Kämpfen um den 3olltarif im Jahre 1902 finden wir noch die Bertreter der medizinischen Wissenschaft auf feiten der Gegner des Zolltarifs. Und ich erinnere daran, daß fein Geringerer als Geheimrat Rübner, der führende Kopf unserer heutigen Ernährungswissenschaft, es ge­wesen, der den Aussproch getan: Ungemügende Ernährung der großen Boltsmassen bringt dem Staate mur linheil, denn fie macht die Menschen weniger widerstandsfähig gegen Seuchen und Krankheiten aller Art. Gute Ernährung gibt raftgefühl, schlechte Ernährung das Gefühl der Ohnmacht und Schwäche Es ist daher von

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ist. Beranstalter dieser Kundgebung sind die Gewertschafts­leitungen und der Bezirksverband der Sozialdemokratischen Bartei, denen die Kommunistische Partei in erbitterter Feindschaft gegenübersteht. Niemand kann gezwungen werden, jemanden einzuladen, von dem er weiß, daß er nur tommt, um ihn zu beschimpfen. Eine derartige Einladung wäre aber erst recht sinnlos und zwedwidrig, wo es fich darum handelt,

einheitlich zu demonstrieren!

Wie soll denn eine Rundgebung auf die Gegner wirten, bei der die verschiedenen Redner sich gegenseitig herunter­reißen, bei der es zu Streit zwischen den Teilnehmern oder gar noch zu schlimmerem tommt? Eine solche Rundgebung würde nicht nur wirkungsvoll verpuffen, sondern sie würde nur die Ohnmacht der Arbeiter beweisen und die Gegner glauben machen, daß ihnen einer so zersplitterten aftionsunfähigen Masse gegenüber alles erlaubt sei! Heute gilt es, gegen den Brotwucher zu demonstrieren, nicht Parteiftreitigkeiten auszutragen! Darum sei fich jeder Teilnehmer feiner großen Berantwortung bewußt!

Heute muß sich zeigen, daß das schaffende Bolt Berlins flarsehend genug ist, um zu erkennen, worum es geht. Es geht darum, eine Not abzuwehren, die allen auf die Nägel brennt; es geht darum, eine Gefahr zu verhüten, die uns mit dem Schlimmsten bedroht; és geht um einen Kampf des Tages, dessen Wirkungen weit in die Zukunft hineinreichen. Es geht darum, den Gegnern zu zeigen, daß wir auf dem Posten sind, es gilt, ihnen zu zeigen, daß wir wieder demon­strieren fönnen wie in alter Zeit: d

machtvoll, würdig, diszipliniert, geschlossen!

größter Bedeutung für den Staat, daß der Erwerb von Nah­rung nicht erschwert werde, auch der geringste, mit redlicher Arbeit zu erzielende Verdienst muß die Möglichkeit einer aus­reichenden Ernährung bieten. Die Boltsernährung muß sich in gesunden Bahnen bewegen." Die Ernährung ist die Grundlage der physischen und psychischen Leistung des Individuums, also auch die Grundlage der natio­nalen Leistungskraft des Gefundheitsgrades eines Volles." Die Ernährungsfrage ist für weite Kreise der Politiker ein noli me tangere, weil man an der Meinung festhält, das Endrefultat aller folchen Betrachtungen müßte stets an der Unmöglichkeit, allen Menschen das nötige Einkommen zu sichern, scheitern. Das ist aber ein völlig laienhafter Stand­punkt, die Bogelstraußpolitif bringt es mit sich, daß man die helfende Hand ruhig in den Schoß legt."

Ich erinnere weiter daran, daß der bekannte Sozial­hygienifer Alfons Fischer, der Herausgeber eines Grund­riffes der sozialen Hygiene, im Anschluß an eine Untersuchung über die Einfommersverhältnisse innerhalb der Arbeiterschaft zu dem Schlusse gekommen:" Bon dem Gesamtaufwand waren 57 Broz. für die Ernährung erforderlich. Man erkennt zu­gleich, wie entscheidend die Gesamtausgaben von den Ernäh rungstoften beeinflußt werden. Wären die Ausgaben für die Ernährung infolge von niedrigeren Nahrungsmittelpreisen fleiner gewesen, so hätte auch die Frauenerwerbs­Das hätte arbeit eingeschränkt werden fönnen. namentlich eine bessere Fürsorge für Schwangere, sorgfältigere Pflege der Säuglinge und wir­tungsvollere Beaufsichtigung der Klein­finder bedeutet."

Wie fann man weiter überhaupt an eine Bet ämpfung der Proletarierkrankheit, der Tuberkulose , im Ernst denken, wenn man die Grundlagen dieser Tuberkulojebe­fämpfung, nämlich die bessere und fräftigere Ernährung, voll­ständig erschüttert durch Verteuerung der allernotwendigsten Lebensmittel. Hat doch Wassermann erst vor kurzem einwandfrei an der Hand von Zahlen dargelegt, daß jede Ber­teuerung der Lebensmittel ein halbes Jahr bis ein Jahr später begleitet ist von einem Ansteigen der Tuberkulosekurve. Es ist schon so, wie Friedrich Naumann im Jahre 1902 erklärt hat:" Der Tubertelbazillus meicht dem besseren Brote, bei billigerem Brote werden die Lungen freier und starter."

Das alles ist der medizinischen Wissenschaft und den Ber tretern derselben durchaus bekannt. Aber sie stehen abseits und damit im Dienste unserer herrschenden Mächte. Genau fo waresim Kriege. Auch da gab es in der medizinischen Wissenschaft nicht Köpfe genug, um in den lichtesten Farben zu malen, was nach einem höheren Willen gemacht werden sollte, nicht schreibfähige Hände genug, um zu beweisen, was nach diesem Willen eben bewiesen werden sollte. Nur mit Schauder und Entsetzen tann man heute noch an diese Dinge denten. Wenn im Ausland die ehedem auf hoher Stufe stehende medizinische Wissenschaft Deutschlands unendlich viel