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Abendausgabe

Nr. 372 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 183

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10 Pfennig

Sonnabend

8. August 1925

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SB. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Vergewaltigung durch den Zollblock.

Die Zollvorlage soll in wenigen Stunden durchgepeitscht werden.- Stürmischer Protest der Opposition.

Die heutige Sigung des Reichstags wurde um 10,15 Uhr vom Präsidenten Löbe eröffnet. Auf der Tagesordnung steht die zweite Lesung der Zollvorlage.

Von den Regierungsparteien ist dazu ein Antrag zur Ge­

schäftsordnung eingegangen, wonach

die Redezeit zur Zollvorlage bei der allgemeinen Aus­Sprache eine Stunde, bei den Agrar- und 3ndustriezöllen einschließlich der Tarifsätze zwei Stunden und für alle weiteren Teile der Borlage zusammen eine Stunde betragen foll. Die Berlesung dieses Untrages wird von der Linken mit stürmi schen Entrüstungsrufen aufgenommen. Die Erregung, auf der Linken steigert sich noch als der Präfident mitteilt, daß in diefer Redezeit von insgesamt vier Stunden die ganze Zollvorlage die Begründung der Anträge eingeschlossen sein foll.

Abg. Müller- Franken( Soz.):

Es ist bezeichnend, daß niemand von den Antrag stellern den Mut hat, diesen Antrag zu begründen, der in der Geschichte des Barlaments einzig dasteht.( Stürm. sehr richtig links.) Selbst bei den Zollkämpfen des Jahres 1902 hat die Mehr heit es nicht gewagt, eine Redezeit von vier Stunden anzusehen. Meine Fraktion hat bis in die letzten Tage hinein bei den Aufwer­tungsgefegen wie auch bei der Steuervorlage gezeigt, daß fie die Interessen der breiten Massen des Boltes fachlich und gründlich wahrnehmen will. Auch bei der Zollvorlage ist ineine Partei bereit, in derselben sachlichen und gründlichen Beratung mitzuarbeiten. Ich verstehe es nicht, wie man in der

zweiten Lesung, die doch dazu da ist, bie Borlage gründlich burchzuarbeiten, einen solchen Antrag einbringen fann. Belche Begründung haben Sie( nach rechts) dafür? In der Breffe

wurde das

lints.)

Ferienbedürfnis der Herren von rechts

als Grund angegeben. Ich mache mir diesen Grund nicht zu eigen, ich glaube, daß die Mehrheit andere Gründe hat, um auf folche Weise die sachliche Arbeit der Opposition zu unterbrüden. Das ist nur aus den materiellen Interessen heraus zu verstehen, die sie an der Zollvorlage haben.( Stürmische Zustimmung lints.) Das ist parlamentarische Korruption engros!( Stürmischer Beifall lints.) Sie können die Generaldebatte, die eine Stunde lang dauern foll, eröffnen, fie fönnen die Redezeit übertragen laffen, aber fie fönnen uns nicht sagen, daß wir uns fügen sollen. Wir haben daş Recht der Geschäftsordnung und der Tradifion auf unserer Seite. Die Sozialdemokratie wird dabei verfahren, daß die Behandlung diefer Borlage fachlich erfolgt, fie wird sich mit allen Mitteln gegen die Durchführung dieses Antrages wehren.( Stürmischer Beifall Abg. Stöder( Komm.) weist darauf hin, daß gestern im Aeltestenrat die Regierungsparteien diefen Antrag nicht vor. gebracht haben, sie haben also jetzt den Reigstag über rumpelt. Das sei ein Sohn auf jede parlamentarische Beratung Abg. Stoeder( Komm.) weist darauf hin, daß gestern im erklärt im Auftrage der Regierungsparteien, daß von einer Ber. schlechterung der Geschäftsordnung durch diesen Antrag teine Rede sein könne.( Stürm. Widerspruch links.) Der Reichstag habe das Recht, eine Reihe von Bestimmungen zusammenzufaffen. Bon diesem Recht hätten die Regierungsparteien Gebrauch gemacht. Die Gegner dieses Antrags verwechselten bas Plenum mit dem Aus. Gegner dieses Antrags verwechselten bas Plenum mit dem Aus schuß. Im Ausschuß sei sehr ausgiebig über die Zollvorlage ge sprochen worden. Die Ausschußverhandlungen seien doch dazu da, um die Plenarverhandlungen zu entlasten. In der vierstündigen Redezeit tönnten die großen und allgemeinen Gesichtspunkte vor getragen werden.( Stürm. Widerspruch links.) Das Blenum sei doch nicht dazu da, die Ausschußberatungen in allen Einzelheiten wiederzufäuen.( Großer Lärm auf der Linken, dem Redner wird" Frechheit" zugerufen.) Wir halten deshalb an unserem Bar­schlag feft.

Abg. Koch- Weser ( Dem.):

Meine Frattion hat bei den Aufwertungs- und Steuergefeßen den Willen gezeigt, fachlich zu diskutieren und jede Obstruktion zu vermeiden. Auch der Sozialdemokratie fann nicht der Vorwurf gemacht werden, daß sie zur Obstruktion übergegangen sei.

Um fo empfindlicher muß ein Antrag berühren, der fachliche Erörterungen unmöglich macht.

( Sehr richtig! links.) Die Bedenken, die gegen die Regierungs­vorlage und die Ausschußverhandlungen bestehen, tönnen nicht innerhalb der wenigen Stunden vorgebracht werden. Sie( nach rechts) tönnen doch nicht auf die Ausschußberatungen verweisen, an der Sie sich doch gar nicht beteiligt haben. Eine grund. liche Diskussion ist der Zwed aller parlamentarischen Auseinander­fegungen. Er hat gar nicht stattgefunden und nun wollen Sie die Guillotine wieder fallen lassen. Der Sinn der Geschäftsordnung ist nicht der, daß man bei der zweiten Lesung große Teile einer Borlage zujammenfaßt, es sollen lediglich mehrere Einzelbeftim mungen zusammenberaten werden fönnen. Der Redner warni die Regierungsparteien in legter Stunde, diesen gefährlichen Weg zu gehen. Deutschland habe in seiner gegenwärtigen Lage doch das Barlament als Bentil, um hier in fachlicher Beratung das Bolt von den Gegenfäßen zu befreien. Wenn Sie die fachliche Beratung ver­hindern, dann übernehmen Sie eine ungeheure Derantwortung. ( Stürmischer Beijoll links.)

Abg. Koenen( Komm.) wirst den Rechtsparteien vor, sie wollten die Beratung nur verhindern, um ihren Raub in Sicher heit zu bringen.

Abg. Breiffcheid( Soz.):

Der Abg. Scholz hat fein Recht, sich darauf zu berufen, daß die Geschäftsordnung formal gewahrt worden sei. Darüber streite ich nicht. Ich stelle nur fest, daß die Mehrheit entschlossen ist, in vier Stunden ein Gesetz zu beraten, das von der größten Bedeutung für das ganze deutsche Volk und für die Volkswirtschaft ist. Man tann sich auch nicht auf die Geschäftsordnung berufen, wenn man hier mit einer solchen Debatte

über Paragraphen von ungeheurer Bedeutung einfach zur Tagesordnung hinweggehen will. Im Ausschuß haben die Regierungsparteien passive Resistenz geübt. Cie haben es nicht für nötig ge­halten, den sachlichen Gründen der Opposition ihrerseits fachliche Gründe entgegenzusetzen. Niemand von uns verlangt eine Wieder­holung der Ausschußberatungen. Auch wir haben gestern einen Borschlag für eine Zusammenfassung von einzelnen Bestimmun­gen gemacht. Ich muß hervorheben, daß das Zentrum sich überhaupt feine Mühe gemacht hat, sich dazu zu äußern. Wir verlangen mur eine zweite Lesung, wie sie in diesem Hause üblich ist. Ich erinnere Sie daran, daß für die Aufwertungsdebatten und für die Steuerdebatten verhältnismäßig viel mehr Zeit verwendet worden ist, wie man sie hier für die Zollvorlage vorgesehen hat.

Wir haben ein Gesetz von acht Paragraphen. Sieben davon follen mit einer Redezeit von einer Stunde erledigt werden. Und darunter befindet sich das Ermächtigungsgesetz, das das Parla­

ment in der zufünftigen Zollgefehgebung ausschaltet. Biffen Sie nicht, daß es fich hier um eine Aenderung, eine Ber­

legung der Berfaffung handelt? Bollen Gie trobem feine Möglichkeit einer fachlichen Aussprache geben? Wollen Sie das Ge­fez, gegen das Millionen braußen im Lande protestieren, in dieser Beise erlebigen? Wir haben es hier zu tun mit der

Diffatur der Entente der Rechtsparteien

unter Führung des Grafen Weftarp. Wenn wir uns der Gewalt fügen müssen, so wird die Abrechnung nachher fommen. Abg. Rojenberg( Romm.) weist darauf hin, daß die Regierungs­parteien für die so wichtige Zollvorlage nicht mehr Zeit auf­wenden wollen, wie sie für die Uniformfrage aufgewandt

haben.

Abg. Fehrenbach( 3tr.), wiederholt von lärmenden Zurufen unterbrochen, erflärt, er fönne in die leidenschaftlichen Töne nicht einstimmen, die er nicht begreife. Er hebt besonders hervor, daß es physisch unmöglich sei, den Reichstagnoch längere Zeit hindurch zusammenzuhalten. An irgendeine Menderung im Plenum sei nicht mehr zu denken.

Stoeder( Ronim.) beantragt, die Sigung um eine Stunde auszusehen, um den Fraktionen Gelegenheit zu geben, zu dem Antrag der Regierungsparteien Stellung zu nehmen. Bei der Abstimmung erheben sich für diesen Antrag nur die Sozialdemokraten, die Demokraten und die Kommunisten. Die gesamte Rechte vom Zentrum ab ftimmt dagegen. Das Ergebnis wird von den Linksparteien mit stürmischen Zurufen aufg­nommen, die die Rechte mit betretenem Schweigen oder ver­legenem Lächeln beantwortet. Der Gewaltakt ist also vollzogen.

Reichskanzler Luther

erhält das Wort zur Begründung der Vorlage der Reichsregierung. Auch er wird von den Kommunisten fortgesetzt durch erregte Zurufe am Sprechen gehindert, bis mehrere Ordnungsrufe und Berwar­nungen des Präsidenten ihm Redefreiheit verschaffen.

Luther führt, wiederholt durch laute 3mischenrufe der Kom­munisten unterbrochen. aus, die schleunige Schaffung eines Zoll­trifs als Instrument für die Handelsvertragsverhandlungen ſei eine Lebensfrage des deutschen Voltes. Deutschlands Wirtschaft braude, um die Dames Berpflichtungen. abtragen zu fönnen, bringend normale Handelsverträge( Rufe lints: Die Lasten sind ja schon den Arbeitern aufgebürdet!). Wir haben nicht

Empfang der Deutsch - Oesterreicher.

Begrüßung am Anhalter Bahnhof .

und schon haben sich über drei Millionen Republikaner in ihm ver­einigt. Diese gewaltige Macht steht dafür ein, da wir in unserem neuen Staate

Als erste auswärtige Teilnehmer an den Verfassungsfeierlich| wird, den Frieden zu fördern und den Aufstieg der Menschheit zu feiten des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold trafen heute Morgen die sichern." deutsch österreichischen Bundesbrüder auf dem An­Reichstagspräfident Genosse Löbe halter Bahnhof ein. Schon lange vor der Ankunft hatte sich eine hieß die Gäste namens des Reichsbanners und zugleich als Vor­nach Taufenden zählende Menge vor dem Bahnhofsgebäude und auf fizzender des Desterreichisch- deutschen Boltsbundes willkommen. den Bahnsteigen versammelt. Trotz des Verbotes der Reichsbahn - Raum anderthalb Jahre sind verflossen, betonte er, daß das Gänge. Die Kameradschaft Kreuzberg hatte die Ehrentompagnie gestellt: zum offiziellen Empfang und zur Begrüßung waren Gau­vorsitzender Friz Koch und Reichstagspräsident be erschienen. Als der fahrplanmäßig um 9,05 Uhr einlaufende Zug hielt, grüßten gewaltige Frei- Heil- Rufe die Gäste. Mit Fahnen- und Lücher­schwenkten, Frei- Heil"- und Freundschaftsrufen erwiderten die an­tommenden Kameraden den Gruß. Die große, rote, mit vielen Freundschaftsbändern geschmückte Bundesfahne, die für unfere öfter reichischen Rameraden und Genoffen zugleich die Fahne der Sozial bemokratischen Partei ist, voran, entstiegen sie dem Extra­wagen und formierten fich zu einem imposanten Zuge.

unsere Freiheit nach innen wahren, daß wir aber außen­politisch nach der Bereinigung aller deutschen Stämme in einem Staatsverbande streben.

gung geschehen. Wir deutsch - österreichischen Volksgenoffen ver Das fann und darf natürlich nur auf dem Wege der Berständi­öfter- gung langen, daß uns dasselbe Selbstbestimmungsrecht gegeben wird, welches man den fleinen Staaten und Völkern Europas längst ge­währte, damit wir, augenblicklich durch Gewalt getrennt, uns im ge meinsamen Staat vereinigen fönnen. Als deutsche Brüder, die ein gemeinsames Ziel und gemeinsames Wollen zusammenhält, werden mir in diesem Sinne wirken, bis das erreicht ist: der Groß­deutsche Bundesstaat." Dann dankte

Friz Koch und Präfiident Löbe geleiteten die Gäfte nach der ehemaligen Fürstentreppe des Bahnhofs, wo sich inzwischen die Em­pfangstompagnie mit der Mufit am linken Flügel und dem Gau banner formiert hatte. Im Augenblick des Erscheinens der Deutsch­österreicher war der Kontakt hergestellt: Aus tausend Herzen tamen die begeisterten Willkommgrüße, Frei Heil" vom Reichsbanner, Frei- Heil" vom Bublifum, Dank und Freundschaft" von den Empfangenen. Einige furze Kommandos reihten sie in die Mitte der Ehrentompagnie, die Musit spielte den Reichsbannermarsch.

Dann nahm Gauvorsitzender Koch das Wort zur Begrüßungs­ansprache:

Rameraden! Im Auftrage des Gauvorstandes überbringe ich Ihnen die herzlichsten Grüße und heiße Sie in Berlin willkommen. Wir wissen, melche Opfer Sie auf sich genommen haben, um an unserer Berfassungsfeier teilzunehmen und wollen deshalb versuchen, Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Taufende andere Kameraden in Desterreich hatten den Bunich, mit­zufeiern. Leider war es ihnen nicht möglich, die Mittel aufzubringen. Doch wir sind gewiß, daß fie im Geiste bei uns weilen und daß die Idee und der Gedante, dem wir anhängen, bei ihnen gestärkt wird durch die Eindrücke, die Sie, werte Kameraden, von Berlin nach Wien mitnehmen.

Sie werden morgen gemeinsam mit uns ein Boitsfest feiern, das hoffentlich recht bald das Boltsfest der gesamten deutschen Nation sein wird, die Feier des Geburtstages unserer Weimarer Verfassung. ( Bravo- und Heilrufe.) Wir be­trachten Sie heute schon als ein Glied des großen Ganzen und dokumentieren es damit, daß Sie sich einreihen in unsere For mation. In diesem Simme heiße ich Sie nochmals willkommen und hoffe, daß die Tage Ihres Hierseins Tage der Freude sein werden, die Sie stärken in dem Kampfe, den Sie mit uns gemeinsam zu führen haben, um ein wirklich großes Deutschland , das auf einer freien demo­fratischen Grundlage aufgebaut ist, zu schaffen. Im Sinne eines Deutschland , das als freies Land im Rat der Bälter dazu beitragen

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Boigt für die Deutschösterreicher

Er sagt: Deutsche Republikaner ! Im Namen der Zentral leitung des Deutschösterreichischen republikanischen Schutzbundes Gruß und Dank für den festlichen Empfang. Sum zweitenmal ist es uns vergönnt, mit Euch gemeinsam republikanische Feste zu feiern. Es freut uns aber auch ganz besonders daß wir mit roter Fahne nach Berlin kommen fonnten. In Desterreich ist die Sozial­demokratie die einzige verläßliche, treue republikanische Partei, und Deshalb haben wir das Banner der Sozialdemokratie mitgebracht. ( Bravo !) Kameraden! Brüder! Wir bekräftigen das Gelöbnis Cures Präsidenten Löbe, indem wir Euch versichern, daß auch wir nur den einen Wunsch haben, mit Euch in einem Großdeutschen Bundesstaat vereinigt zu sein. Freundschaft!"

Stürmischer Beifall des Publikums, ein tausendftimmiges Frei Heil! des Reichsbanners erfcholl zur Bekräftigung des eben gelobten Anschlußwillens.

Unter Borantritt der Reichsbannertapelle jezte sich dann der 3ug in Marsch, die Ehrengäste in der Mitte. Am Bahnhofsplatz vorbei, ging es die Königgräger Straße hinunter, über das Hallesche Tor nach dem Gewerkschaftshaus. Berfassungsfeierer, Ar­beiter und Angestellte, die ihre Ferien dazu bemizen, der Republit an ihrem Geburtstage die Reverenz zu erweisen, alle geschmückt mit dem schwarzrotgoldenen Abzeichen dem schwarzrotgoldenen Abzeichen nicht wenige auch mit unserem Parteiabzeichen begleiteten Ehrentompagnie und Gäste nach dem Heim der Arbeiterschaft am Engelufer, wo zunächst für das leibliche Wohlergehen Vorsorge getroffen ist. Blumengeschmückt ihrem roten Banner folgend, schritten unsere deutschösterreichischen Kameraden im Zuge, ein Bild der Entschloffenheit und des Maies ar Stepmblit.

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