Abendausgabe
Nr. 374 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 184
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Montag
10. August 1925
Verlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der Aufmarsch der Republikaner .
Fast eine Million Menschen unterwegs. Würdiger Verlauf der Feiern.
über sein Schicksal ist dem Bolte selbst übertragen.
Die Weimarer Verfassung ist aber auch ein Instrument, alles was deutsch heißt, zusammenfassen zu können; dafür ist Beweis genug der groß deutsche Gedante, der sich allmählich Bahn genug der großdeutsche Gedante, der sich allmählich Bahn bricht. Der großdeutsche Gedanke, der neben uns Wurzel gefaßt hat bei unseren Brüdern in Deutschösterreich, die auch bei dieser Feier die Zusammengehörigkeit durch ihr Erscheinen deutlich dokumentierten. Wir begrüßen unsere deutschösterreichischen Kameraden auf das herzlichste und danken ihnen, daß fie troß allem dem großdeutschen Gedanken die Treue halten und für diese Idee mit uns tämpfen.
Der Berfaffungstag, den die Republikaner Deutschlands | rufen. Mit einem Wort; die Gewalt über das deutsche Bolt und and Deutschöfterreichs gestern in Berlin veranstalteten, wurde zu einem würde- und glanzvollen Bekenntnis für die Republik , zu einem wahren Volksfest, das fast eine Million Menschen auf dem mächtigen Gelände der Treptower Spielwiese und in seiner Umgebung bis in den späten Abend zusammenhielt. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß Berlin eine Kundgebung von ähnlichem Ausmaße noch nicht gesehen hat. Ein herrlicher blauer Himmel wölbte sich über den Hunderttausenden, die in endlofen Zügen hinausströmten und trug zum großartigen Gelingen des Ganzen wesentlich bei. In allen Stadtteilen fanden bereits in den Vormittagsstunden des Sonntags örtliche Feiern im begrenzten Kreife statt, aus denen sich dann die Züge entwidelten, die unter sengender Mittagsglut mit Tausenden von schwarzrotgoldenen Fahnen nach Treptow zogen.
Der Festakt auf der Spielwiese.
Ms Blidfang hatte man am äußersten östlichen Ende der gewaltigen Treptower Spielwiese eine etwa 10 Meter hohe schwarzrotgoldene Wand errichtet, davor ein drei Meter hohes Rednerpult, von dem Drähte fich zu den etwas weiter vorn aufgestellten Lautsprechern hinzogen. Vor der schwarzrotgoldenen Wand hatte der Sprechchor Aufstellung genommen. Um die Rednertribüne versammelten sich die Ehrengäste, Reichstags- und Landtagsabgeordnete der Sozialdemokratischen und der Demokratischen Partei und auch einige Herren des Zentrums, darunter die Genoffen Künstler, Keil, Bels, Scheidemann , Stampfer, sowie den Zentrumsabg. Dr. Diet, der Freund Erzbergers, der bei der schmählichen Ermordung des Ministers zugegen war. Man fah die marfante Gestalt des Gründers des Reichsbanners, des Oberpräsidenten Hörsing. Das Polizeipräsidium hatte seinen Präsidenten Genossen Grzesinski und den Bizepräsidenten Dr. Friedensburg entsandt. Die Stadt Berlin wurde durch den Köpenicker Bezirks bürgermeister Genossen Kohl vertreten. Etwa 80 Vertreter Ber liner , deutscher und ausländischer Zeitungen hatten sich eingefunden, um diesem seltenen republikanischen Schauspiel beizuwohnen. Der Aufmarsch der aus den zwanzig Berliner Bezirken heranTommenden Maffen vollzog sich in prächtiger Ordnung. Ganz zum Schluß tamen die Desterreicher, von betäubenden Jubelrufen überschüttet; fie standen in nächster Nähe der Rednertribüne. Un mittelbar hinter ihnen stand die große Schar der hell und leicht geHleideten Wassersportler. In der Mitte hatte man eine Gasse ge= bildet, durch die die Fahnengruppe heranmarschierte, als erste das Bundesbanner, unmittelbar dahinter eine alte 48er Fahne, die der Stadt Langermünde zugehörig, von der Kameradschaft Tanger münde getragen wurde. Und dann ein prächtiges Wallen und Bogen von vielen hundert Fahnen und Banners in Schwarz- RotGold. Der Trommlerchor ließ seine erregenden Rhythmen über das meite Feld rollen. Die unter der Stabführung von Dr. Felig Günther zusammengefaßten Reichsbannerkapellen spielten prächtig den anfeuernden Reichsbannermarsch. Dann sprach Professor Fer dinand Gregori mit hinreißendem Schwung ben von Friz v. Un ruh gedichteten Prolog. Der große Sprech chor, wenn auch nicht über das ganze Feld, so doch weithin vernehmbar unter Leitung von Heinrich Bitte und Albert Frorath, faßte Hoffen und Wünschen ber Massen in padenden Worten zusammen. Dann bestieg der GauLeiter des Reichsbanners Berlin- Brandenburg,
Frik Koch,
als erster Redner die hohe Tribüne und entbot namens des Gau vorstandes allen Erschienenen den Gruß. Der Redner erinnerte daran, daß einst an dieser Stelle auch Frih Ebert gestanden habe, um in entscheidender Stunde zu den Maffen zu sprechen. Unser Bekenntnis zur Republik darf kein Lippenbekenntnis sein, sondern muz aus dem Herzen kommen. Täglich und stündlich müssen wir bereit sein, uns für die Republif einzusehen. Ein besonderer Gruß des Redners galt den Desterreichern, und besonderer Dank allen denen, die herbeigeeilt waren, um unter großen persönlichen Opfern den Tag der Republit zu begehen. Es zeige fich von Tag zu Tag deutlicher, daß je stärker das Reichsbanner, desto stärker auch die Republik werde.( Starker Beifall.) Darauf ergriff
Bezirksbürgermeister Kohl
das Wort, um namens des Magistrats Berlin die Erschienenen zu begrüßen. In überaus herzlicher Weise wandte sich der Redner fogleich den österreichischen Brüdern zu, denen er den Gruß des Magistrats der Reichshauptstadt entbot. Allen Erschienenen aber gelte ganz besonders der Gruß des republikanischen Berlin . Mit Unrecht werde Berlin im Reich als die Stadt des Genusses und der Sinnenfreuden hingestellt. In dem gewaltigen Heer der Arbeit verschwände die kleine Schicht der Nichtstuer, Genießer und Drohnen. Und das arbeitende, produzierende, werteschaffende, republikanische Berlin sei es vornehmlich, das seinen Gästen herzlichften und freundlichen Willkommen entbiete. Nur unter der ftolzen Reichsflagge Schwarz- Rot- Gold, so schloß Genosse Kohl seine, mit jubelndem Beifall aufgenommene Ansprache, werden wir einer neuen wirtschaftlichen, politischen und fulturellen Blütezeit entgegen. gehen.
Bundesvorsitzender Hörfing:
Bum 6. Mole jährt sich der Tag, an dem das deutsche Volk sich einen neuen Unterbau für das Leben der Nation gegeben hat. Nicht mehr entscheidet ein mann über Krieg und Frieden, über Leben und Lod, sondern die Nation als folche ist hierzu be
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Benn unsere österreichischen Kameraden uns vorhalten, daß nicht die provozierenden und angreifenden monarchistifchen Gegner, sondern unsere Kameraden von den Gerichten verfolgt und gegen Vernunft und Gesetz verurteilt daß selbst Todschläger und Mörder nicht verfolgt, und wenn, freigesprochen werden daß der Radauantisemitismus immer noch sein verbrecherisches Unwesen ungestraft treiben darf, daß Monarchisten statt daß Monarchisten statt| der Republikaner die erdrückende Mehrheit der Beamtenstellen innehaben daß in Bayern wie zum Hohn ein durch nichts begründe ter Belagerungszustand aufrechterhalten wird, einzig und allein zu
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dem 3med, die Agitation der Monarchisten zu begünstigen, die Republikaner niederzuhalten und die gesetzlichen Farben der Repu blit zu unterdrücken, dann müssen wir beschämt schweigen. Aber mir wollen unseren Brüdern in Desterreich wie der ganzen Deffent lichkeit sagen: Die Basis, auf der die monarchistische Reattion figt, wird immer schmäler, dafür sorgen diese Leute selbst, sogar mit allen Mitteln, wie die letzten Monate.es beweisen. Der vermeintliche Fels" der Justiz, nämlich die„ llnab segbarkeit der Richter", er wird immer loderer und wird dank der tatkräftigen Mitarbeit der monarchistischen Elemente in der Justiz viel, viel schneller, als diese Leute glauben, bersten und in den Abgrund verfinten.
Unsere Parole ist klar: Die Republik den Republitanern!
Wenn wir auch mit aller Offenheit aussprechen, was bei uns schädlich für die Fortentwicklung des großdeutschen Gedankens wirkt, so wollen wir aber auch nicht verkennen, welchen Erfolg der republitanische Gedanke in Deutschland gehabt hat. Die tonfequente Politik der republikanischen Regierungen von Scheide mann über Müller, Dr. Wirth und Rathenau bis Marg, erst von der Rechten mit allen Mitteln bekämpft, jetzt von derselben Rechten mit allen Mitteln betrieben, hat sich dahin ausgewirkt, daß große
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Unerhörte Lärmszenen im Reichstag.
Fünf Kommunisten ausgeschlossen.
Als der Reichstag heute die zwette Lesung der Zollvorlage fort. feßen mollte, zeigte es sich, daß die Bequemlichkeit der Reichstagsabgeordneten des Rechtsblocks fast noch größer ist als ihr Wille, die Minderheit zu vergewaltigen, dem sie schon oft in der bekannten brutalen Form Ausdrud gegeben haben. Um 10% Uhr wird die Sizung eröffnet.
Die Site auf der Rechten des Hauses weisen große Lüden auf. Da beantragt der Kommunist Stoeder, die Sizung auf 12 Uhr zu vertagen. Die Auszählung, ob die notwendige Zahl von Abgeordneten anwesend ist, wird erforderlich. Anhaltendes Läuten, die Sirenen tuten. Die Auszählung dauert auffallend lange. Eine Reihe von Abgeordneten erscheint mit der üblichen Verspätung, beSonders drollig nimmt es sich aus, als die betagte Abgeordnete Frau Neuhaus vom Zentrum in großer Haft die Stufen zur Tribüne hinaufeilt, ohne sich überhaupt ihres Mantels und ihres Hutes entledigt zu haben. Sie wird mit großem Hallo und Zurufen wie Hut ab" begrüßt.
Ein Zwischenspiel: Der Kommunist Schütz, der sich inzwischen in einer hinteren Ecke des Gaales aufgehalten hat, ruft erbost über die Absicht des Vizepräsidenten Graef, durch das Hinauszögern der Abstimmung seinen Gäumigen noch auf die Beine zu helfen:„ Alter Schieber". Graef nimmt einen Anlauf, den Spötter zur Ordnung zu rufen. Der hat aber feinen Anwesenheitszettel nicht abgegeben und ruft dagegen:„ Ich bin ja gar nicht da."
Endlich ist das schwierige Auszählungswert vollbracht. Die Rechte hat zusammen mit den Demokraten, die sich frampfhaft bei aller Oppofition darum bemühen, daß das Kabinett Schlieben - Luther auch einen verhandlungsfähigen Reichstag hat, also trop dieser Unterstügung der Demokraten nur 238 Stimmen aufgebracht.
Das Haus ist beschlußzunfähig.
Ordnung und dann geht man auseinander, um die inzwischen einDer Vizepräsident Graef ruft jetzt den Abg. Schüz doch noch zur treffenden D- 3üge und Flugzeuge abzuwarten, die der Rechten Verstärkung bringen. Um 11 Uhr soll es wieder losgehen.
Brachialgewalt gegen Abgeordnete.
Als in der zweiten Sigung, die um 11 Uhr begann, Genoffe Schmidt- Köpenick seine Rede beendet hatte, tam es zu einer unwürdigen Szene.
Der für den heutigen Tag von der Sizung ausgeschlossene Kommunist Schüh ist auf Beschluß seiner Fraktion wieder im Saal erschienen. Der Bizepräsident Graef fordert ihn auf, den Saal zu verlassen. Er weigert sich. Die Sigung wird wie üblich auf 10 Minuten unterbrochen.
Graef stellt bei der Wiedereröffnung fest, daß diese Weigerung den Ausschluß non Schütz auf acht Tage zur Folge habe. Darauf lebhafte Zwischenrufe bei den Kommunisten: Was hat er getan? Graef erklärt, daß er den Aeltestenrat erst dann um eine Entscheidung zu bitten brauche, wenn es ihm paffe. Er fordert Schüß abermals auf, den Saal zu verlassen; die Kommunisten protestieren milt Rufen wie:„ Wir sind hier nicht auf dem Kasernen hofe." Die abermalige Weigerung des Kongmunisten Schütz hat feinen Ausschluß auf 20 Gigungstage zur Folge. Der Präsident läßt den Saal räumen und empfiehlt auch den Vertretern der Presse hinauszugehen.
Es erschien nun eine größere 3ahl von Kriminalisten unter Führung eines Hausinspektors. Die Kriminalisten waren in Zivil. Als sie Schüh hinausführen wollten, verlangte er, daß man ihm die Ausweise zeige. Das wurde verweigert.
Darauf hoben die Kriminalisten ihn von seinem Sig heraus und schleppten ihn gewaltsam hingus.
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Die Nervosität auf dem Höhepunkt.
aus, daß der deutschnationale Vizepräsident Graef vergessen hat, die Türen der Publifumtribünen öffnen zu lassen. Dagegen gab es lärmende Proteste und erregte 3wischenrufe. Die Worte des Präsidenten und die Zwischenrufe hallen durcheinander. Das Publikum, das die Tribünen hatte verlassen müssen, drängt sich um die verschloffenen Glastüren der Tribüne. Der Kommunist Weber- Düsseldorf, der zu den lebhaften Zwischenrufern gehörte, wird nun ebenfalls von der Sitzung ausgeschlossen. Er weigert sich, hinauszugehen, eine neue Bertagung von 10 Minuten ist erforderlich.
Nach Wiederaufnahme der Sizung, wobei der Bizepräsident Graef mit lebhaften Bfuirufen von den Kommunisten begrüßt wird, teilt der Bizepräsident mit, daß der Ausdruck Schämen Sie sich nicht", wie festgestellt worden sei, nicht von dem Abg. WeberDüsseldorf, sondern von dem Abg. Torgler gebraucht worden sei. Er schließt Torgler dafür für den Rest der Sigung aus. Die Kommunisten protestieren lärmend und verlangen das Wort zur Geschäfts ordnung. Bizepräsident Graef hört nicht darauf, sondern flellt mit erhobener Stimme feft:„ Er fügt sich nicht" und unterbricht die Situng aufs neue auf 5 Minuten.
Wieder drei Kommunisten ausgeschlossen. Neue Sigung 12,50 Uhr: Vizepräs. Graef erscheint. Er wird von den Kommunisten mit großem Lärm und lauten Zurufen begrüßt, aus denen man die Worte„ Hentersinecht“ und„ Sie verlezen andauernd die Geschäftsordnung" heraushört. Der Vizepräsident fragt, ob der Abgeordnete Torgler sich im Saale befindet. Neuer Lärm bei den Kommunisten. Der Abg. Torgler befindet
fich im Saale. Da der Lärm der Kommunisten nicht nachläßt, ruft
„ Ich werde, wenn der Cärm nicht aufhört, auch nicht davor zurückschrecken, die ganze kommunistische Fraktion auszuschließen."
Ungeheurer Lärm bei den Kommunisten, die„ Bravo!" rufen und den Vizepräsidenten als Henter, Lügner" usw. beschimpfen. In dem großen Lärm hört man, daß der Bizepräsident mehrere fommanistische Abgeordnete von der Sigung ausschließt, darunter die Abgg. Geschte, Münzenberg und Neubauer. Da die Ausgeschlossenen den Saal nicht verlassen, wird die Sitzung aufs neue wiederum auf 10 Minuten vertagt.
12,55 Uhr: Bizepräsident Graef erscheint. Der übliche große Lärm bei den Kommunisten. Man hört, daß es sich bei den letzten Ausschlüssen um die Abgeordneten Münzenberg , Geschke und Neddermener handelt. Da diese drei im Saale sind, werden sie zunächst auf acht Sigungstage ausgeschlossen. Die Tribünen werden geräumt, die Sigung wiederum vertagt.
1 Uhr 5 Minuten neue Sigung. Bizepräsident Graef stellt feft, daß die von der Sitzung ausgeschlossenen Kommunisten wieder anwesend find; es folgt die übliche Prozedur. Nachdem Saal und Tribünen geräumt find, erscheinen 17 Rriminalisten in Zivil unter Führung eines Hausmeisters. Die Kommunisten verlangen Legitimation. Als sich die Beamten auf ihre Dienstpflicht berufen, folgen die vier Mann unter pathetischen Rufen gegen die Rechte
den Beamten.
Bei der Hinausführung der vier ausgeschlossenen kommunistischen es zu Personenverwechselungen. Abgeordneten fam Bizepräsident Graef fam plöglich selbst wieder in den Saal gestürzt und stellte sich an der Bundesratstribüne auf, um den Hinauswurs persönlich zu dirigieren.
Ein unmürdiges Schauspiel! Ein Präsident des Reichstages als Dirigent eines polizeilichen hinauswurfs!
Dann trat im Saale Ruhe ein. Der Kommunist uz erhielt Mis der Kommunist Buh das Wort erhalten soll, stellt sich her bos Mort. Der Aeltestenausschuß tritt um 3 Uhr zufammen,