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Nr. 478 �42. Jahrgang

Freitag, 4. Oktober 1425

Wahlbeängftigungen. Nur noch zwei Wochen! Die Zeit drängt, und die Angst steigt. Ach, es waren doch schöne Tage, die die bürgerliche Mehrheit der Berliner Bevölkerung bereitete. In allen bürgerlichen Zeitungen stehen diese trostreichen Versicherungen, die beinahe wie Nachrufe auf einen früh Verstorbenen wirken. Man wußte wieder in den letzten vier Jahren, was gut deutsche Ordnung bedeutete, wie es um Bürgersinn, Familienglück, Religion und Ehrbarkeit stand. Die Rechtszeitungen beginnen dicke Tränen der Rührung vorzubereiten und in Sperrdruck das Gespenst der Sozialisierung ihren Leser» ein- dringlich vor Augen zu führen. Neuwahlen sind manchmal eine pein- liche Angelegenheit, besonders wenn man seinen Thron schwanken fühlt. Man steht bereits vor einem Chaos. Was soll nur aus Berlin werden, wenn es tatsächlich einen sozialdemokratischen Stadt- schulrat bekomnien würde? Was könnte man dann mit den vielen Hohenzollernbildern anfangen, die noch immer in Berliner Schulen von den Wänden herablächeln, und das neue, nationalistische Lesebuch verfügt auch über gewisse Reize. Die Jugend würde einfach ins Verderben geführt werden, sie würde gar nicht mehr wissen, wie hübsch ein Hakenkreuz am Stahlhelm aussieht. Doch die Gesinnungs- erkrankung wäre nicht einmal so schlimm, wenn die Sozialisten nicht noch ganz andere Dinge vorbereiteten. Der Charlottenburger Wasserskandal bewies jedem Einsichtigen, daß die kapitalistische Privatwirtschaft die beste Einrichtung der Welt ist, und daß alle lebensnotwendigen Betriebe unbedingt in privaten Händen unter- gebracht sein müßten. Was würde nun eine sozialistische Mehrheit im Stadtparlament aus der besten dieser Welten machen. Sie könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, zu sozialisieren und den Stadt- arbeitern die Zulage von zehn Pfennigen zu bewilligen. Wo bleibt hier der strafende Donnerschlag? Die Rechtszeitungen singen in tiefster Verzweiflung Schmerzensarien, daneben locken sie mit Nachtigallentönen, der Berliner solle überlegen, was er tue. Es geht ja bei diesen Wahlen überhaupt nicht um bürgerliches Geld, nein, rein ideal« Dinge stehen auf dem Spiel, vor allem die bis dahin gerecht gewesene Verteilung der Steuern. Mag nun schon die Religion beschädigt werden, aber es geht gegen das Weltgewisten, wenn die Besitzenden mehr belastet würden. Aber vielleicht setzt noch eine Sintflut ein oder ein Erdbeben und verhindert im letzten Moment, daß eine sozialdemokratische Mehrheit die Hungerordnung der Dinge untergraben könnte. Mes um Öle Liebe. Im Danne einer Leidenschaft. Lange Jahre hatte der jetzt 45 Jahre alte Postbamte Sch. vom Postamt Charlottenburg II mu st erhaft seine n Dienst ver- richtet und sich auch als tadelloser Ehemann und Familienvater erwiesen, bis er eines Tages eine jung« Hausangestellte kennen lernte und sich so verliebte, daß er fortan wie umgewandelt war. Er machte Schulden und wurde schließlich sogar zum Fälscher im Amte. Die Geliebte stellte immer größere Ansprüche, und da er nicht mehr wußte, wie er das Geld heranjchafsen sollte, verübt« er aus seinem Postamt einen raffinierten Betrug. Er übergab einem Kollegen eine Postanweisung über IS Mark, die an seine Freundin gerichtet war. Nachdem die Anweisung abgestempett war, erbat er sich das Formular nechnials zurück, da angeblich an der Adresse etwas zu ändern sei. Die Aendcrung bestand darin, daß er vor die Zahl eine l setzte und aus dem Betrage dadurch 115 Mark machte. Bei günstiger Gelegenheit nahm er auch im Annahmebuch die entsprechende Aenderung vor. Plötzlich aber bekam er es mit der Angst zu tun und glaubte, daß der Schwindel von seinem Kollegen entdeckt war, was aber nicht der Fall war. Er beichtete nun seiner Frau und oeranlaßte sie, die 100 Mark nach dem Postamt zu bringen. Erst dadurch kam der Betrug heraus und hatte für Sch. sehr üble Folgen, denn das Schöffen- gericht Charlottenburg verurteilte ihn wegen Amtsunterschlagung und Fälschung aintlicher Urkunden zueincmJahrZuchthaus. Sch. wurde sofort in Haft genommen. Völkischer Mörder-Jdealismus. Rothstock, der fanatische völkisch« Mordbube, der in Wien den Schriftsteller B« t t a u e r niederschoß, ist, wie mitgeteill, vom Gericht freigesprochen, irrsinnig erklärt und einer Irrenanstalt über­wiesen worden. Das hakenkreuzlerische.Deutsche Tageblatt� versieht diese Meldung mtt folgendem bodenlos gemeinen Kommentar: Uns will scheinen, als ob der junge Rokhstock, dessen glü- hender Idealismus vor Gericht einen tiefen Eindruck machte und der die Ehre seines Volkstums wahrte, nachdem alle Regierungsinstanzen sich schützend vor den demoralisierenden Schmierfinken Bettauer gestellt hatten, sogar ein außergewöhnlich vernünftiger Mensch sei. Das bedeutet klipp und klar: Denn jemand einem, den er nicht leiden mag, den Schädel«inschlägt, ihn, wie es unter Mordgesellen üblich ist, von hinten niederschlägt und verstümmell. oder(wie im Falle Rothstock) in seinem Bureau überfällt und den Ahnungslosen mtt fünf Schüssen niederknallt, so handelt eräußerst v e r- nünftig", ausglühendem Idealismus" und erledigt damit eine wahrhaft patriotische Dat. Das ist das offene völ-

tische Bekenntnis zum gemeinen Mord. Zynischer und frecher ist wohl kaum je die These des Meuchetterrors prokla- miert worden. Von Leuten, die mit den Fememördern einer Ge- sinnung sind, ist indes kaum eine andere Geistesverfassung zu er- warten. Immerhin ein erneuter eindringlicher Beweis für das ununterbistbare moralische und kulturelle Niveau, auf dem sich das Wirken" der Völkischen bewegt.

Weißer Wimpel mit ßhwarzem kreuz. Zung-Su.Klux.Slan im Wasserturm. Der Drang der Jugend nach einem romantischen und phantastischen Erleben zeitigt manchmal merkwürdige Blüten. Das konnte wieder einmal festgestellt werden, als am vergangenen Montag auf dem Görlitzer Bahnhof ein 12 Jahre alter Junge Willy R. aus der WUmersdorfer Straße zu Charlottenburg auf- gegriffen wurde, bei dem eine goldene Damenuhr mtt silberner Kette gesunden wurde. Dabei kamen die Kriminalbeamten einem richtigen Räuberleben auf die Spur, das phantastische Kinder gleichen Allers in Charlottenburg trieben. Die Uhr und Kette stammten aus dem Kaufhaus des Westens, in dem sich der kleine R. am 3 d. M. hatte einschließen lassen und in dem er sich bis zum 5 unentdeckt aufhielt. Zur Nachtzeil hatte er aus verschiedenen Behältnissen dieses und jenes gestohlen. R.'s Vater befindet sich in Haft, seine Mutter, die von ihrem Manne schon länger getrennt lebt, kann mit dem Wildfang nicht mehr aus- kommen. Er ist mtt seinen 12 Jahren schon ganz ihrer Gewalt ent- wachsen. Diesem Bürschchen schlössen sich nun, wie die weiteren Nachforschungen ergaben, sechs andere Knaben und e i n IZjähriges Mädchen an, alles Kinder, die von Zett zu Zell ihren Ellern entliefen, meistens aber abends wieder in die elterliche Behausung zurückkehrten. Zu ihrem Schlupfwinkel und Stamm- quartier, in dem sie sich in kleineren Gruppen oder auch alle zu- sammen zu treffen pflegten, hatten sich die kindlichen Phantasten den Wasserturm vor dem Charlottenburger Bahnhof ausgesucht, der außer Gebrauch ist. Den Eingang oerschafften sie sich dadurch, daß sie aus einem Fenster einige Scheiben heraus- nahmen. Um den Raum wohnlicher und gemütlicher zu gestalten, strichen sie tue Mauern mtt Farben an, die sie irgendwo bei kleinen Diebstählen erbeutet hatten, Einrichtungssachen wie Tische und Stühle stahlen sie vom Bahngelände zusammen. Durch Decken, Kissen usw. vervollständigten sie die Ausstattung. Ohne zu wissen, was das bedeutet, führte die kleine Bande den NamenÄ u- K l u x- Klan". Als Abzeichen hatten sie sich einen weißen Wimpel mit schwarzem Kreuz zurechtgemacht. Vom Turm aus unter- nahmen die Knaben Streifzüg« in Lebensmittel. g e s ch ä f t e. Die kleinen Diebstähle, die sie dort verübten, gelangen ihnen leicht, weil sie in Gruppen arbeiteten und stets einer den anderen unterstützte. Was zu braten und zu kochen war, machte das 13jährige Mädchen auf einem Spirituskocher zurecht. So lebte die Gesellschaft schon den ganzen Sommer hindurch in ihrem Turmquartier. Einer der Knaben, der eine Zeitlang Häuplling war, wurde von den Eltern beretts der Gemeinschaft enttissen und aufs Land geschickt. Die anderen wurden nach Aufdeckung des phan- tastischen Treibens den Ellern zugeführt, die sie zum Teil schon länger vermißten. Der kleine R. wurde der allgemeinen Sicherheits- Polizei übergeben und wird in Fürsorg« gebracht werden, well seine Mutter nichts mehr mtt ihm anfangen kann. Auf denÄu-Klup. Klan" war dieBande" durch Zeitungslektüre gekommen, ohne d« Tendenz dieser Geheimgesellschaft zu erkennen.

Der<k<kener-Zeppelia. Das Werbekomitee für die Eckener-Zeppelin-Spende hatte zum Donnerstag abend die Vertreter der Presse zu einem In- formationsabend in den Flugzeugpalaft am Schöneberger Ufer ge- laden. Im Verlauf des Abenos ergriff Dr. E ck e n e r das Wort, um zu einigen Fragen Stellung zu nehmen. Er führte aus, daß nach dem Rausch der ersten Zeppelin-Bcgeisterung eine gewisse Skepsis Platz gegriffen habe. Verschiedentlich würde schon von einem Miß- erfolg der Finanzierungsaktion gesprochen. Zu solch pessimistischer Stimmung liege kein Anlaß vor. Nachdem der Zeppelin-Ausschuß die großzügige Werbe-Operation, die in den nächsten Wochen alle Schichten des deutschen Volkes erfassen solle, sorgsältig vorbereitet habe, könne man mtt einem festumrissenen Programm an die Oeffentlichkeit treten. Der Ausschuh lege auf unbedingte Ueberparteilichkeit des Werkes Wert und habe seine Richttinien demgemäß festgelegt. Man müsse nunmehr zur Arbeit kommen, da es sonst überaus schwierig würde, den großen Stab von Ingenieuren und Facharbeitern in der Friedrichshafener Werft un- tätig wetter zusammenhalten. Es gelte, durch Vereinbarung mtt der Entente das Fallen der Beschränkungsklausel zu erreichen, die uns laut Friedensvertrag nur den Bau eines Luftschiffes bis zu 30 000 Kubikmeter gestatte. DerZeppelin", den wir planen, er- läuterte der Redner, soll zu einem internationalen Ver» kehrsluftschiff werden. Natürlich müßte er auch in reichem Maße der Forschung dienstbar sein. Unter einiger Bewegung der Hörer teilte Dr. Cckener mit, daß die Industrie bis jetzt fast noch nichts auf den Fonds gezeichnet hat. Die vier großen O-Banken haben die Summe von 12 000 M. aufgebracht. Da» Komitee hat eine Eckener-Nadel herausgebracht, die im Lande Verbreitung finden soll. Mit Postkarten und Flugzeugmarken hofft man weiterhin die Propaganda zu intensivieren. Anschließend ergänzte der frühere Staatssekretär Dr. Solms die Ausführungen Eckeners, indem er

die ideelle und technische Sette der Zeppelin-Aktion behandelte. Dr. Eckener beabsichtigt in Verfolg einer Einladung des Lokal- ausschusses der freien Gewerkschaften Ende Oktober in Kiel zu sprechen._

Strastenbahnzusammenstost auf dem Potsdamer Platz Zu einem Zusammenstoß zwischen den Wagen der Straßen bahnlinien 13 und 24 kam es gestern nachmittag kurz nach 5 Uhr mitten auf dem Potsdamer Platz . Infolge des An- pralles gingen die meisten Scheiben in Trümmer, doch wurde glücklicherweise niemand verletzt. Nach der kurzen Betriebs. störung, die immerhin auf den N-rkehr ungemein störend ein- wirkte und die aus den Bureaus und den Arbeitsstätten Kommen- den sehr aufhielt, setzten die Wagen ihre Fahrt nach den Depots fort. * Glücklich abgelaufen. Auf der Nardsüdbahn stießen gestern abend in der Nähe des Halleschen Tores zwei Züge aufein- ander, nachdem vorher ein Zug schadhaft geworden war. Unter den Fahrgästen entstand eine Panik, doch wurde niemand verletzt. Der Verkehr zwischen Halleschem Tor und Hasenheide war über zwei Stunden gesperrt.

Heldentaten derRoten Frontkämpfer". Am Mittwoch abend gegen 7 Uhr wurden Reichsbannerkamera- den im Lokal Schillerstroße 75 von Roten Frontkämpfern überfallen. Sie versuchten in das Lokal einzudringen und als ihnen dies nicht gelang, warfen sie Flaschen und Weißbier- k r u t e n in das Lokal hinein. Dabei wurden mehrereReichs- bannerkameraden leicht verletzt. Das Ueberfall- kommando griff ein und brachte die Ruhestörer wieder zur Ordnung.

Volk und Zeit", unsere illustrierte Wochenschrist, siegt der heutigen Postauflage bei. Zu Lichtenrade sprach gestern Stadtrat Genosse Hermes- Steglitz in einer öffentlichen Wählerversammlung über die Erfolge und Notwendigkeit sozialdemokratischer Kommunalpolitik. Besonders das Schulwesen, das trotz aller Anstrengungen bisher nur 12 Ge- meinschafts- von 500 Volksschulen ausweist, muß der Bevormundung durch die Rechtsparteien gründlichst entzogen werden. Verschwinden der Privatschulen, Begünstigung der Aufbau- und Vereinheittichung der Berufsschulen ist erforderlich und nur durch sozialdemokratische Mehrheit möglich. Scharf ging der Redner gegen die Mißstände im Wohnungswesen vor. Wenn Wien 15 000 Wohnungen bietet mtt Mieten von k 7 M. für 2 Zimmer, so muß Berlin sich schämen. Nur wenn die Sozialdemokratie am 25. Oktober ihre Pflicht tut, sieht Berlin einer besseren Zeit entgegen. Parteisekretär Genosse E ck a r d t sprach von den Parteien in der großen Polttik, von den Schiedsgerichten und dem Sicherheitspakt, der auch schon wieder durch die Machenschaften der Deutschnationalen gefährdet wird. Das Publikum dankte den Rednern durch lauten Beifall. verschwinden eine» vierzehnjährigen. Der läjSSrige Bruno Manteufel. Sohn eines ParicisunIlionärS, Scböneberg, Meininger Str. 2, ist feit Dienstagmitlag 8 Uhr vom Spielen auf der Straße aus spurlos verschwunden. Die besorgten Eltern bitten um Nachricht. Zn dem Drama in der vahlemer Straße in LIchlerselde erfahren wir. daß der 09 Jahre alte Schriftsteller Emil Peschkau , der seine kleine Villa in Brand zu stecken versuchte, von der Kriminalpolizei dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden ist. Peschkau bestreit«*"!«> einerseits jedes Rachegefühl gegenüber seinen Angehörigen, gibt aber dann doch wieder zu, daß er den Brand angelegt habe, um besonders seine Frau nicht in den Genuß des Hauses kommen zu lassen. Er habe eine Straftat begehen wollen, um verhaftet zu werden undaus der Hölle herauszukommen" Einen anderen Weg als die Brandlegung habe er schließlich nicht gefunden. Ein Griff in die Armenkasse. Das Bezirksamt Wedding ersucht uns zu dieser Notiz mitzuteilen, daß es sich nicht um den Armen- Vorsteher Reinhard, sondern um den Vorsteher Otto W e i h m a n n der 202 A. Wohlsahrts- und Jugendkommission des Bezirks Wedding handelt. König Krause. In guter Kenntnis seines Ensembles und seines Publikums setzte das Rose- Theater wieder ein recht bekanntes und bewährtes Voltsstück auf den Spielplan. Direktor Bernhard Rose spielte nach attbewährtem Muster den Fouragehändler Kraus«, der zwei Töchter bevorzugt und die dritte vernachlässigt. Karl Winters Regie war recht ansprechend und namentlich das dritte Bild, das ein Stückchen Grunewald auf die Bühne zauberte, fand eine lebhafte Zustimmung bei den heimatlich berührten Zuschauern. Der Beifall gall in erster Linie dem Hauptdarsteller Direktor Rose selber, dann aber auch Traut« Rose, Charlotte Tiburtius, Kurt Mitulfki, Martin Knapfel und Erna Heinrich. Die juristische Sprechstunde findet wieder wie früher täglich von 3 bis 6 Uhr. Sonnabends von 3 bis S Uhr stall.

Groß-Herlmer partemachrichten. Bernau , ffiotmobeui, den 10 Oltoder abends 7>/, Uhr,(Bturpenfonferonji bei Modisch, Kaiserstrahe 79. Vortrag Ken Gierte: Weltwirtschafl und WeUpolittl. Alle Funtlioniire und Mitglieder mllllen erscheinen.