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Lüdenbüßers, der für die Deutschnationalen die Kaftanien aus dem Feuer holt und ihnen die wirksame Pose der nationalen Opposition" überläßt, mit der gleichen Entschiedenheit zurüdweisen, wie das die Demokratische Partei bereits getan hat. Das Rumpfkabinett wird sich entschließen müssen, aus der Tatsache, daß die stärkste bisherige Regierungspartei ihr bei der Erfüllung seiner wichtigsten Aufgabe die Gefolgschaft verweigert, die selbstverständlichen Konsequenzen zu ziehen oder fich in einem neuen Reichstag eine neue Mehrheit für ihre Politif zu suchen."

Die Rechtspreffe tobt selbstverständlich über den sozial­demokratischen Beschluß. Die Deutsche Tageszeitung" schimpft über Theaterdonner", die Deutsche Zeitung" entrüftet sich über angebliche Berantwortungslosigkeit der Sozialdemokratie". Das Blatt der skrupellofesten Demagogie hält sich für berechtigt, der Sozialdemokratie Demagogie vorzuwerfen, weil sie nicht die Absicht hat, den Oberdemagogen das Handwerk zu erleichtern. Wie recht die Sozialdemokratie mit ihrer Haltung hat, wird sich in den nächsten Wochen noch viel mehr zeigen. Sie hat Klarheit über den Gang der deutschen Bolitik verlangt, und ihre und ihre Haltung wird dazu beitragen, daß solche Klarheit im Interesse Deutschlands unbedingt erreicht wird.

Westarp für Locarno .

Ein Brief des Abg. Henning.

Vor einigen Tagen richtete Graf West arp einen Brief an den völkischen Abgeordneten Henning wegen einer Rede, die dieser im badischen Wahlfampf gehalten haben sollte. Henning follte behauptet haben, Westarp sei in Locarno ge­wesen und habe dort Zusagen wegen der Annahme der Ber­träge gemacht. Auf diesen Brief antwortet nun Henning in einem Schreiben an Westarp, das von der Kreuz- Zeitung ", dèm Organ Westarps, ohne Kommentar abgedruckt wird.

Henning bestreitet, etwas von einer Reise Westarps nach Locarno gesagt zu haben und fährt dann fort:

Ich habe gesagt, daß die Deutschnationalen sich in der Sigung des Auswärtigen Ausschuffes vor der Abreise der deutschen Dele­gation nach Locarno grundfäßlich mit dem Abschluß eines Sicher. heitspaktes und damit mit dem Eintritt in den Bölferbund einver­standen erklärt hätten, wenn sie auch einige Vorbehalte hierbei gemacht hätten. Ich führte aus, daß jeder Sicherheitspatt mit Frankreich und England- wie es auch in den Besprechungen und Noten vorgesehen war mur auf Grund der im Friedensver­trag von Versailles festgelegten Grenzen erfolgen fönne, und daß damit die Deutschnationalen trog ihrer Borbehalte ihre 3ustimmung grundsäglich dazu gegeben hätten, daß wir freiwillig diese Grenzen noch einmal unseren Feinden garan­

tieren.

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Wenn die Kreuz- Zeitung " zu diesen Feststellungen schweigt, so kann das zweierlei Gründe haben: entweder hat sie nichts dazu zu sagen und bestätigt damit die Richtigkeit, oder ober dem Grafen Westarp ist es sogar erwünscht, vor der Deffentlichkeit festgestellt zu sehen, daß er denn er war der Redner der Deutschnationalen in jener Sigung des Aus: märtigen Ausschusses fich grundsäglich für den Vertrag von Locarno erklärt hat. Graf Westarp hat bekanntlich bis zuletzt versucht, einen Beschluß seiner Partei zu verhindern, der alle Türen zuschlägt. Vielleicht ist ihm also die Erinnerung an die Rede, die er im Auswärtigen Ausschuß gehalten hat, gar nicht unangenehm.

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Für uns ist der Brief Hennings wertvoll, weil durch ihn noch einmal festgestellt wird, daß die Deutschnationalen für die Politik von Locarno bis zur Paraphierung verant wortlich sind. Erst auf dem Weg von der Paraphierung zur Unterzeichnung haben sie talte Füße bekommen und sind ausgeriffen. Nun mag Herr Luther sehen, ob er sie noch ein­mal friegen fann!

Theater in Sowjetrußland.

Jeder, der im neuen Rußland war, erzählt uns Dinge, die Märchen scheinen, Märchen im Guten und Märchen im Schlimmen. Alle berichten von dem außerordentlichen Eindruck des Theaters.

In der Gesellschaft der Freunde des Neuen Rußland" gab Bro. jeffor Alerei Gwosdeff von der theaterwissenschaftlichen Ab teilung des kunsthistorischen Instituts in Leningrad einen Ueberblick über das moderne Theater im neuen Rußland . Man unterscheidet die professionellen und die felbfttätigen" Theater, die der Berufsschauspieler und die Liebhaberbühnen und nach Art der Aufführungen die alten akademischen" und die mos bernen Theater.

Im Brennpunkt des Interesses steht das professionelle, moderne Theater Meierhold , deffen Leiter, der Schauspieler- Regiffeur Dramaturg Wsjewolod Meierhold, der vom alten Theater herkommt, in erstaunlichen Versuchen den Weg des modernen Theaters führt. Eine Reform des alten Theaters reicht nicht mehr aus, sein ganzes System muß geändert werden. Meierhold arbeitet ohne Rampen licht, Borhang und Dekorationen. Er stellt Konstruktionen" Treppen, Türen, Fenster, Räder, nackte Holz- und Eisengestelle auf die Bühne.. Er lehnt die übliche Deforation, die schön sein soll, ab und bringt das Zweckmäßige, das für die Arbeit des Schau­[ pielers geeignet ist, wie das Zirkusgerät für den Afrobaten. Meier­holds Bühne will tein Bild, sondern das Arbeitsfeld des Schau­spielers jein.

Durch diese neue Bühne mit Fahrstühlen und beweglichen Schirmen fann eine starte Dynamit des Bühnengeschehens hervor­gebracht werden: es wird z. B. jemand verfolgt. Er rennt fort, doch bewegliche Schirme, die die Bühne lose abgrenzen, werden auf ihn zu geschoben. Er flieht in anderer Richtung, wieder fommen ihm Schirmwände entgegen. Gleichzeitig wird der Berfolgte von einem hin und her zuckenden Scheinwerfer beleuchtet. Das Ganze gibt ein tolossal bewegtes Bild von Flucht und Berfolgung. Oder Meierhold läßt einzelne Kreisstreifen des Drehbühnendistus mit den Schauspielern im bestimmten einprägsamen Augenblick vom Bu­schauer fort- oder zu ihm hindrehen. Professor Gwosdeff schildert die ungeheure Wirkung dieser Inspenierungen, die das Theater zum überlegenen Konkurrenten des amerikanischen Kinos" werden lassen. Meierhold hat aber auch für die Oper durch die flingende De­foration" ein neues Bild geschaffen. Die Bühne wird von einem Halbkreis von Bambusröhren, die vom Schnürboden herabhängen, abgeschlossen. Tritt der Schauspieler langsam durch diesen Bor­hang", so tniſtern die Bambusröhren leise, stürzt er auf die Szene oder stürmt eine Menge hindurch, so entsteht ein startes Klappen. Dadurch erzielt Meierhold eine Nachatzentuierung des Rhythmus der Sandlung. Es ist darauf hinzuweisen, daß das chinesische und japanische Theater mit tönenden Dekorationen" arbeiten.

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Meierhold kann feine Aufführungen nicht mit alten Schau­spielern, die an Salonstücke gewöhnt waren, spielen lassen. Er braucht junge Kräfte mit neuer Bewegungsart( Biomechanik). Eine große Wirkung erzielte er mit der Berivendung alter und neuer Schauspieler zur Charakterisierung des tapitalistischen Europa und Amerifa und des sozialistischen Rußland.

Die kümmerliche Bilanz".

Zentrum gegen die Rechtsregierung. Frankfurt a. M., 29. Oftcber.( St.) Die Rhein- Mainische Volkszeitung", das Organ der Frankfurter 3entrumspartei, chreibt über den Austritt der deutschnationalen Reichsminister aus

dem Amt:

Auch die Zentrumsfraktion des Reichstages wird aus den Borgängen der letzten Tage eine ernste Lehre zu ziehen haben. Wenn sie sich die fümmerliche Bilanz des Experiments der Cuther­regierung betrachtet, wird sie an der Frage nicht vorbeigehen können, ob dieses Ergebnis zu einer schweren Belastung, die mit der auch nur bedingten Teilnahme an diefer Regierung verbunden war, in einem einigermaßen vernünftigen Verhältnis steht. Sie wird über legen müssen, ob sie in ihre taktische Rechnung nicht eine allzu optimistische Einschäzung der Deutschnationa= len eingelegt hat. Sie wird der Tatsache ins Auge sehen müssen, daß sie um die Früchte ihrer wahrhaftig bis an die äußerste Grenze gehenden Entsagung betrogen worden ist und daß die Befürch­fungen derer sich bewahrheitet haben, die vorausjagten, daß die Deutschnationalen zwar bereit feien, mit Hilfe des Zentrums ihre innenpolitische Ernte bequem in die Scheuern zu bringen, daß fie aber vor außenpolitischen Entscheidungen die Flucht ergreifen wir­den. An diesem Punkte freilich wird die lleberlegung aus der Ber­gangenheit in die Zukunft umschlagen müssen.

Nachdem der Bersuch einer Zusammenarbeit mit den Deutsch­nationalen gescheitert ist, wird das Zentrum sich unter feinen Um­ständen ein zweites Mal zu einem ähnlichen Experimente miß­brauchen lassen dürfen. Die Tatsachen liegen jetzt flar zutage. Die Taktik der Deutschnationalen geht offenbar darauf hinaus, fich vor der außenpolitischen Entscheidung zu drüden und dann wieder ihre Machtansprüche anzumelden. Das Zentrum wird demnach alle Wege verbauen müssen, die den Deutschnationalen eine folche Taftit irgendwie gestatten fönnten. Das ist jetzt die erste Forderung der Stunde. Mit faulen Kompromiffen ist Die Lage nicht mehr zu retten. Das Experiment ber Lutherregierung fann nur dann noch einen pofitiven Sinn befom­men, wenn es nicht mehr wiederholt wird.

Ein zweiter Thüringer Tendenzprozeß.

Heute morgen begann vor dem Schwurgericht in Weimar der Prozeß gegen den früheren Präsidenten der Thüringer Staats. bant, Genoffen Loeb. Die Anflage lautet auf meineid.

Der Tatbestand, der der Anklage zugrunde liegt, ist der fol­gende: Im Interesse einer Frankfurter Versicherungsgesellschaft ver. handelte Loeb im Ottober 1919 beim Reichsaufsichtsamt für Privat versicherung mit Oberregierungsrat Meißner. In einem Straf­prozeß gegen die Gesellschaft vor dem Frankfurter Schöffengericht beschwor Loeb als Zeuge Tatsache und Inhalt der Berhandlung. Im Urteil gegen die beklagte Gesellschaft wurde sein Zeugnis als unglaubwürdig bezeichnet und die Behauptung aufgestellt, Deb habe nicht mit Meißner, sondern mit Oberregierungsrat

Beder verhandelt.

Im Zusammenhang mit dem Rampf der voltischen Landtags­fraktion in Thüringen erstattete auf Grund dieses Tatbestandes ein Döltischer Gerichtsassessor Dr. Krebs in Franfurt am Main gegen Loeb Strafanzeige wegen Meineids.

Die Boruntersuchung gegen Loeb endete mit einem

Fiasko der Staatsanwaltschaft. Sie beantragte, das Berfahren einzustellen, versuchte aber in der Begründung Loeb als immer noch dringend des Meineids verdächtig" zu infamieren. Genosse Loeb setzte sich gegen diesen Berjuch zur Behr, mit dem Erfolg, daß nunmehr auf sein Verlangen das Straf. verfahren gegen ihn eröffnet wurde.

Der Prozeß wird in die politischen Treibereien, die der Anzeige zugrunde liegen, hoffentlich Licht bringen.

C. G. Weimar , 29. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) Der Prozeß gegen Loeb begann heute morgen mit der Vernehmung des Angeklagten. Die Bernehmung erstreckte fich zu nächst auf die Frage, ob Loeb in seinem Eide Dinge verschwiegen habe, die er hätte erwähnen müffen. Die Anflage stüßt sich darauf, beß Loeb einmal für den Generalagenten der Süddeutschen Ber ficherungsgesellschaft bei dem früheren Frankfurter Bolizeipräsidenten Arris interveniert habe. Loeb erklärte, daß es sich um eine flüchtige Besprechung im November 1918 gehandelt habe, an die er feine

Meierholds Regie soll von orchestraler Wirkung sein. Er be­herrscht die Affekte durch Licht, Musit, Rhythmus des Wortes und Gebärde wie eine Klaviatur. Er versucht mit dem System des alten Theaters, des Theaters des 19. Jahrhunderts, zu brechen und greift teilweise zurück zur deforationslofen Bühne Shakespeares, zur Comeedia dell'arte, zum Theater in Japan und China und zur Akrobatik- Meierhold nennt es Biomechanit-, die der Hanswurst, der Zirkusclown bewahrt hat.

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Das moderne Theater wird neben dem profeffionellen Meier­holds durch die selbst tätigen Theater der Arbeiter­( chaft" verkörpert. Jeder Betrieb hat seinen Klub, in dem neben sozialwissenschaftlicher und politischer Ausbildung der Arbeiter Musik und Liebhabertheater getrieben wird. Man stellt sich Themen, meist die Feste des roten Kalenders, und versucht, sie bühnenmäßig zu lösen. Man hat lebende Zeitungen", die sämtliche politische, lofale Betriebsnachrichten und Feuilletonistisches darstellen, etwa in der Art eines neuen Kabaretts oder einer Revue. Durch diese Tätigkeit im fleinen fommt man zu gegliederten Demonftrationen bei großen Anlässen, so daß eine solche Maifeier etwa, mit Laftautos von jedem Betrieb, die etwas vorführen und damit in die zuschauende Menge übergreifen, das Bild eines neuen Karnevals ergeben.

Die Theater der Arbeiterflubs wollen die Berufsschauspieler nicht nachahmen, fie wollen Liebhabertheater von ungeheurem Maß stab sein, die ein neues Theater des Bolles bilden werden.

Aus den Wechselwirkungen zwischen Meierholds moderner Bühne und hen felbfttätigen Theatern", die auf die Straße drängen, aus dem starken Anteil, den das ganze Bolt daran nimmt, ergibt sich ein reges Theaterleben im neuen Rußland , das zu kritisieren mir nicht magen dürfen, da die Beschreibung uns nur etwas unerhört Mert­würdiges ahnen läßt.

Gewe.

Brief des toten Bergmannes.

In Dortmund verunglüdten sechs Bergleute... Liebe Kinder!

Weinet nicht über meinen Tod! Er foftete mich nichts als zwanzig Jahre meines Lebens. Diese zwanzig Jahre gleichge­stampfter Alltagsplage murden aber reichlich aufgewogen durch die wenigen Stunden und Tage, die ich als Toter erlebte. Wäre ich allein gestorben, wer wüßte heute, ob ich lebte oder tot sei! 3u meinem und eurem Glück aber fuhren fünf gute Kameraden mit mir in die Grube, aus der fie uns herausholten, um uns feierlich in die andere zu verfenten. Die Zahl wirkt auf die Mitmenschen. Bor wenigen Jahren noch, als das Massensterben blühender Jugend die große Mode bei allen Kulturvölkern war, hätte das Aufgebot des Todes, um aufzufallen noch viel größer sein müssen. Heute genügen sechs Leichen, um die Zeitungstelegraphen in Tätigkeit zu setzen.

Wer hätte je den lebenden Bergmann beachtet, wer sich von seiner Not rühren lassen? Wäret ihr alle verhungert, fein Teufel hätte sich um mich und euch gefümmert. Erst durch mein Sterben merkten sie, daß ich gelebt hatte und nicht leben fonnte. Und sehr hohe Herren besuchten den Toten, deren Besuch der lebende Berg­ mann nie hatte erwarten dürfen. Auch eure Not merkten sie. Hätte ich als Lebender noch so laut geflagt, die Klagen wären an falten

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Erinnerung mehr habe. In breiter Form werden dann Geschäfts vorfälle und Zusammenhänge aus dem Jahre 1919 erörtert.

Dann wandte sich die Bernehmung der Unterredung zu, die Loeb im Jahre 1919 im Reichsauffichtsamt für Privatversicherung in Berlin gehabt habe. Loeb hält seine eidliche Aussage aufrecht, daß er mit Meißner, nicht mit dem Geheimrat Becker verhandelt habe. Der Vorsitzende versucht, den materiellen Inhalt der Unter­redung zu rekonstruieren. Der Angeklagte lehnt es ab, nach sechs Jahren noch Hypothesen darüber aufzustellen und stüßt sich auf feine Aussage.

Im weiteren Verlauf stellt Loeb fest, daß die Anzeige von dem Führer der Völlischen in Frankfurt a. M. erstattet worden sei. Er bittet um Feststellung, daß in dem Frankfurter Urteil gegen die Firma Fränkel Behauptungen über feine Aussage aufgestellt worden sind, die absolut falsch sind, und die eigent­lich schon damals zu einer Anflage wegen Meineides hätten führen müssen. Er wundere sich, daß nicht schon längst auf Grund dieses Urteils Anklage gegen ihn erhoben worden sei. Der Staatsanwalt sucht den politischen Charakter diefes Prozesses zu leugnen und will das Frankfurter Urteil insoweit als Beweismittel heranziehen, als es den Angeklagten belastet. Der Vorsitzende stellt ausdrücklich feft, daß tatsächlich in dem Frankfurter Urteil zwei zu Unrecht erhobene Vorwürfe gegen Loeb enthalten find, die ihn zu Unrecht belasten. Das Gericht tritt dann in die 3eugenvernehmung ein.

General Gröner als Zeuge.

Auch er muß sich gegen Verleumdungen wehren. München , 29. Oftober.( Bd3.) In der weiteren Fortsegung des Dolch stoßprozeifes wurde heute als erster 3euge General Grön er vernommen. Dem Beugen wurden mehrere in den Dolchstoßheften der Süddeutschen Monatshefte" erschienenen Artikel vorgelesen, die sich mit ihm selbst beschäftigen und ihn wie Brinz Max von Baden des Berrats be­

zichtigen.

Beuge Gröner führte aus: Die 3ermürbung des friegerischen Geistes der deutschen Nation hat im Jahre 1916 begonnen. In meiner Stellung als Chef des Feldeisenbahnwesens hatte ich sehr viel Gelegenheit, zwischen Heer und Heimat hin und her zu reijen und also die Stimmungen genau bennen zu lernen. Bis 1915 fonnte ich keinerlei Schwächung des friegerischen Geistes in der Nation entdecken. Die ersten Spuren einer Schwächung des seelischen Lebens des Wolfes habe ich erkannt im Früh jahr 1916. Ich hatte Gelegenheit, die ganze Entwicklung, die ihren Ausgang von der jogenannten Hunger. blockade nahm, zu beobachten. Es machte sich eine starke Nerpo­fität auf seiten der Arbeiterschaft breit. Je nach dem Temperament der Führer und ihrer politischen Haltung waren die Ausführungen mehr oder weniger scharf und richteten sich in der Haupt­diesen Besprechungen den Eindrad gewonnen, als ob rein politische ache gegen die Regierung. Ich habe aber niemals bei und Gewerkschaften waren immer ehrlich bestrebt, mit uns zusammen­zuricfen und Schroierigkeiten zu beseitigen.

Ungern tomme ich hier auf die Regierung zu sprechen. Ich muß fagen, fie war nicht auf der Höhe. Bei aller persönlichen Vera ehrung für den Reichsfanzler v. Bethmann- hollweg muß

ich sagen, daß ich schon bei den ersten Besprechungen mit ihm über die Kriegsernährungslage den Eindrud gewinnen mußte, daß er bei aller Einsicht nicht von seinen Machtmitteln als Reichs­fanzler Gebrauch zu machen verstand. Die Folge war, daß mir mit unseren Maßnahmen zur Beruhigung der Arbeiterschaft selten rechtzeitig famen.

Im Zusammenhang mit dem Aprilstreit 1917 bin ich zu der fefren Ueberzeugung gelommen, daß unsere staatliche Form nicht standhalten tonnte, wenn der Krieg verloren ging. Ich habe mit verschiedenen politischen Persönlichteiten gesprochen, jo mit Graf Schwerin gömiz. Weiterhin habe ich mit dem ver­storbenen Hugo Stinnes über Wirtschaftsfragen gesprochen. Er sagte mir bei jedem Wort, das ich über die staatsmännische Führung des Krieges fagte: Sie sehen schwarz, Ludendorff wird fiegen!" Als Stinnes ging, habe ich ihm nachgerufen:

Nein, Ludendorff wird nicht fiegen!"

Zu meinen Borschlägen möchte ich folgendes fagen: Beih­mann Holl meg war meines Erachtens nicht der Mann dazu, hinsichtlich der staatsmännischen Führung des Krieges was zu unternehmen.

( Schluß in der Morgenausgabe.)

Schultern erstarrt, an Zifferngesichtern zerbrochen. Der Blid meines erstarrten Auges aber durchdrang fie so, daß sie sogar ihre Geld­beutel aufriffen.

Das, was einem Vater das Sterben fo schwer macht, ist die Sorge um das Brot seiner Kinder. Ihr werdet versorgt werden. Hätte ich statt acht Stunden vierundzwanzig Stunden gearbeitet, mie hätte ich so viel Kohlen hauen fönnen, um euch das schaffen zu tönnen, was euch euer toter Vater in wenigen Stunden erwarb. Ich höre bis hierher die Sammeltrommel. Sie schlägt guten Taft und jeder Schlag bedeutet einen gesicherten Tag für euch. So wird mir die Erde leicht. In wenigen Tagen hat mich die Welt vergessen, in wenigen Jahren auch ihr mich, meine Kinder. Das muß so sein, denn nur das Leben hat recht. Und dies sollten fie alle einmal merken und den Lebenden nicht vorenthalten, was sie den Toten gewähren. Euer toter Bater.

Die Hauptdarsteller" organisieren fich. Eine Anzahl der best. bezahlten Berliner Schauspieler hat unter dem Namen ,, Berliner Schauspielervereinigung einen Berein gegründet, um außerhalb der Bühnengenossenschaft ihre Sonderinteressen zu ver treten. Sie nennen sich nicht Prominente, sondern Hauptdarsteller". Zum Borstand wurde Rechtsanwalt Neumond gewählt, dem ein Berwaltungsrat zur Seite steht, der sich aus anßler, Klöp fer, Kortner , Ballenberg und Wegener und der Frau Durieur zusammensetzt.

Berboi des Aufogeräuschs in New York . Der Bolizeichef von New Dort hat einen Kreuzzug gegen die unnötigen Geräusche" der Autos unternommen, indem er eine Verfügung erlassen hat, in der es heißt, daß der Lärm der Autos auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden müsse. Diese Rücksicht sei notwendig besonders wegen der Kranten, der Refonvaleszenten und der nervösen Personen, dann aber auch wegen der vielen Nachtarbeiter, die gezwungen wären bei Tag zu schlafen. Die Hupen und Pfeifen werden nach der Ansicht des Polizeichefs zuviel gebraucht und ihr Lärm müsse herabgefeßt werden, ehe die Klagen und Beschwerden des belästigten Bublitums allzu laut werden würden. Ob der mutige Polizeipräsident mit feinen Forderungen in dem autowimmelnden New York durchdringen wird, wo alle 14 Tage 300 bis 400 Automobilisten wegen Autoraferei und( trozz Alkoholverbot) wegen Trunkenheit die Autolizenz ent­30gen bekommen?

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Tanzabend. Harald Kreuzberg und Edit Mezey tangen am 31., abends 8 Uhr, im Klindworth- Scharwenfa- Saal, Lugonftr. 76. Heinrich Zille - Ausstellung. Der Neue Buchladen Augsburger Straße 33 ſtellt vom 1.- 15. November Graphik und Bücher von Heinrich Bille aus.

Eintritt frei

31. eine Musitellung, in der eine Rollettion Gemälde von Wilhelm Nobl

Die Kunsthandlung Frik Gurfift, Botsdamer Straße 113, eröffnet am hoff, fowie Beichnungen von Walter Wellenstein und Aquarelle des ital. Malers Luciano Baldessari gezeigt werden. In dem 8me g geschäst, Friedrich- Ebert- Straße 7, ift neben Gemälden von Lovis Corinth , Dans Thoma, Delacroir und Sisley eine Sonderausstellung von Zeich­nungen von Joh. M. Schmidt( Stremser- Schmidt) zu sehen.

Ernst Friedrich spricht Dichtungen Von Adam bis Hindenburg" und Bon Paradies und Hölle", Sonntag, den 1. November im Bürgersaal bes Berliner Rathauses( Eingang Königftr.). Beginn abends 8 Uhr.