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Menöausgabe Nr. SIS> 42. Jahrgang Ausgabe 3 Nr. 257
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rw Devlinev Volksblatt
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Zentralorgan der Sozi aldemokrati fchen Partei Deutfd�lands
Schwenkung Neue Orientierung der
Während der ganzen Zeit, wo die Verhandlungen über den S!cherheilsxakt geführt wurden und insbesondere während der Beratungen in Locarno  , tobte die kommunistische Presse in heftigster Weise gegen den Pakt, den sie alsKriegs- palt", alsVerrat an Rußland  " usw. bezeichnete. So lautete der Besehl aus Moskau  , so mußten die Kommunisten tanzen. Jetzt scheint aber plötzlich der Wind in Moskau   um» geschlagen zu sein. In derPrawda", dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Rußlands  , wird in der Nummer vom 25. Oktober an leitender Stelle auseinandergesetzt, es sei keineswegs richtig, daß die Verträge von Locarno Sowjet- rußland isoliert hätten. Es sei überhaupt undenkbar, daß eine Politik der Isolierung gegenüber Rußland   anwendbar sei. Sie würde stets nur ein frommer Wunsch bleiben: Wir werden nicht mehr zu den Zeiten der militärischen Inter- ventlon zurückkehren. Wir kehren nicht mehr zurück zu der diplo- malischen Blockade, zu den Zeiten von Genua   und chaag. Warum? Weil sowohl die diplomatische wie die finanzielle Blockade eine zwei- schneidige Waffe ist. Nach diesen Feststellungen geht diePrawda" noch weiter. Sie findet plötzlich, in Widerspruch zu ihren früheren Behauptungen, daß die Verträge von Locarno   keineswegs die Selbständigkeit der vertragschließenden Mächte behindern: Im Rohmen der Verträge von Locarno  , die angeblich mit dein Versailler Vertrag geschlossen werden, ist auch Raum für«ine Verständigung über ökonomische und politische Interessen zwischen der Sowjetunion   und jedem beliebigen der Stdaten, die an den Verträgen von Locarno   teilnehmen. Zum Schluß weist diePrawda" noch auf das ent- scheidende Moment hin, daß die Volksmassen in allen Ländern, insbesondere in England, einen Abscheu vor dem Kriege und Furcht vor dem wirtschaftlichen Chaos hätten, und oeshalb jeden Versuch bekämpfen würden, die Verträge van Locarno   in eine Waffe gegen die Sowjetunion  zu verwandeln. Nach diesen Feststellungen, die offensichtlich gegen die Unentwegten" in den Reihen der Kommunistischen Partei gerichtet sind, entwickelt das kommunistische Zentralorgan sein eigenes, positives Programm: Die Vertröge von Locarno   müssen wir nur als eine Reih« von Bcraussetzungcn betrachten. In welcher Richtung sich diese Voraus- sim ngen einwickeln werden, wird von dem Kräfteverhältnis ab-
in Moskau  ? russische» Autzeupolitit. hängen, das jetzt besteht und da» zwischen der Sowjetunion   und den verschiedenen europäischen   Staaten sich entwickeln wird. Man sagt, daß die Verträge von Locarno   das Ziel verfolgen, den Frieden zu sichern. Aber ein« Sicherung des Friedens gegen uns und ohne uns ist ein reaktionäre Utopie. Wer wirklich die Sicherung des Friedens anstrebt, muß einen anderen Weg einschlagen er muh die Differenzen zwischen der Sowjetunion   und den Staaten, auf die es hier ankommt, beseitigen. Gewiß gäbe es Differenzen, die aus der verschiedenen Struktur Rußlands   und der Westmächte entsprängen: Aber es gibt eine Reih« von Fragen, sowohl politischer wie wirt- schaftlicher Natur, die von der Vergangenheit übernommen oder sich im Prozeß unserer Existenz gebildet haben und die man zweifellos lösen kann, aber nur unter der Bedingung, daß die kapitalistischen  Staaten sich uns gegenüber gleich zu gleich verhalten werden. Und nun folgt der entscheidende Passus, der die neue Stellungnahme Sowjetrußlands gegenüber dem Völker- bund umreißt: Wer aufrichtig unseren Eintritt in den Völkerbund befürwortet. muß uns vor allem in der internationalen Politik in eine solche Lag« versetzen, daß man uns nicht als einen Staat mit be- schränkten Rechten betrachtet. Wenn das geschieht, wird auch der Völkerbund nicht notwendig sein, um zwischen uns und den an- deren Staaten jene minimalen normalen Beziehungen zu schaffen, die eine neue Etappe in der Entwicklung der Weltwirtschast und der Sicherung des internationalen Friedens möglich machen würden. Trotz der verklausulierten Fassung der letzten Sätze ist aus dem Artikel derPrawda dennoch deutlich ersichtlich. daß eine Schwenkung der russischen   Außcnpolotik in der Richtung der Annäherung an den Völkerbund in Vorbereitung ist. Biese Annahme wird auch durch Moskauer   Meldungen bestätigt, daß in leitenden Kreisen der Kommunistischen Partei und der Sowjetregierung eine Mehrheit für eine neue Orientierung der Außenpolitik sich gebildet habe. In Verbindung mit dieser Neuorientierung sei auch die plötzliche Versetzung Rakowskis als Botschafter nach Paris   zu werten. Diese Meldungen tragen in Verbindung mit der sen- sationellen Schwenkung derPrawda" einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Welche kontreten Forderungen daran geknüpft werden können, dürften schon die nächsten Tage zeigen.
Große Koalition? DieSseits nichts davon bekannt. Ein Zeitungsgerücht behauptete vor einiger Zeit, der Außenminister Abb el Krims sei wegen Verrat abgeurtellt, auf Befehl Abd el Krim? vor eine Kanone gebunden und hingerichtet worden. Auf dies Gerücht hin teilte der angeblich Erschossene lakonisch mit:Mir ist davon nichts de» t a n n t." Ein Berliner   Mittagsblatt meldet heute, daß eine Um- bildung der Reichsregierung bevorstehe, die Rückkehr zur
Großen Koalition sei wahrscheinlich, es handle sich nur noch um die Frage der Kanzlerschafl, und Stresemann habe diese Umbildung als einzige Lösung der Krise erklärt. Große Koalition? Unmittelbar bevorstehend? Davon müßten wir etwas wissen. Wir können aber nicht anders als lakonisch mitteilen:Uns ist davon nichts bekannt".
Die Erwartungen öes Rheinlanües. Eine Entschliestnng. Köln  . 2. November.(Eigener Drahtbericht.) Der Bezirk». vorstand der Sozialdemokratischen Partei für die obere Rheinprovinz   beschäftigt« sich am Sonntag in einer außerordentlichen Sitzung mit der gegenwärtigen pow.ichen Lage. Er legte sein« Ausfassung in einer einstimmig angenommenen Ent» s ch l t e ß u n g nieder, die folgenden Wortlaut hat: .Tie Sozialdemokratisch  « Partei für den Bezirk Obere Rhein  - Provinz ist in größter Sorge um rheinisches Bolk und rheinisch«, Land. Erfüllt von brennenden Hoffnungen auf die Ergebnisse von Locarno  , sieht die Sozialdemokratische Partei   mit Enttäuschung und Erbitterung, wie die das Rheinland betreffenden Rückwirkun- gen von der verantwortungslosen Demagogenpolitik der Deutsch  - nationalen gefährdet werden. Die rheinische Sozialdemokratie fordert weitgehende erleichternd« Zugeständnisse zugunsten der besetzten Gebiete, darunter vor allem die baldige Räumung der ersten Zone,«in Berlongen, das ganz außerhalb von Locarno   längst verbriefte Rechte des Rhein  - landes und ganz Deutschlands   berührt, Verminderung der Besatzungstruppen, grundlegende Wandlung des Regimes der Rheinlandkommission, freie Geltung aller Gesetz« der de. tschen Republik. Di« Verhandlungen von Locarno   und die hier getroffenen Vereinbarungen machen nach unserer Ueberzeugung eine weitere Bei- beHaltung der militärischen Besetzung zu militärischen Sicherheit»- zwecken gegenstandslos./ Das rheinische Volk durfte auf Grund der Besprechungen zwischen den deutschen   Delegierten und den Staatsmännern der Entente an- nehmen, daß weitgehend« Erleichterungen zur Entlastimg der Bs- vöLkerung des besetzten Gebiets durchgeführt werden sollten. Es er- »artet, daß trotz der deutschnationalen Aktion die
Staatsmänner der Entente von ihren Versprechungen nicht ablassen und daß Locarno   weiterhin die europäische   Verständigungsbrücke bleibt. Durch die Flucht der Deutschnationalen aus der Re- gierung und ihre Verantworwngsfchcu wird in maßgebenden Kreisen der Entente wiederum das Problem der Sicherheit als ungelöst be- zeichnet, zum schwersten Schaden der aus Erleichterung und Erlösung harrenden rheinischen Bevölkerung. In ihrer schweren Wirtschafts- not sieht sie in dem Verhalten der Deutschnationalen einen neuen Hemmschuh für den sozialen Wiederousslieg der breiten Massen, die durch Lohndruck, Preissteigerung und Arbeitslosigkeit augenblick- lich stärker al» je zu leiden haben. Di« deutschnationale Aktion gegen Locarno   hat die Inter  - national« der Nationalisten aufs neue gestärkt. Sie hat auch im Lager der Entente wieder alle Kräfte des Nationalismus und Ehauvmismus aufs neue entfesselt und der Befreiungspolitik zugunsten des Stheinlandes neue Schwierigkeiten bereitet. Trotzdem erwartet die rheinisch« Sozialdemokratie, daß dle Staatsmänner der Entente sich in Ihrem Mllen. für das besetzte Gebiet Erleichterungen zu schassen, nicht beirren lassen werden. Da» besehte Gebiet und da» ist vor allem der Will« der rheinischen Sozialdemokratie will die Arieden»brücke sein, auf der sich dle vom Rationalismus und Kapitalismus verhetzten Länder Europas   wiederfinden. Zw Kampf gegen die Feinde der Dersöhnungspolitik im eigenen Lande sagt sie daher den Deutschnationalen und ihren offenen und versteckten Helfershelfern den schärfsten Kamps an. genau so. wie sie erwartet. daß auch die Sozialisten de» Anstände» gegen die Friedensstörer in ihren Ländern all« Kampfmittel einsehen werden.
Reichstag   und Seamtengehälter. Sin unmöglicher Antrag. Die kommunistisch» Reichstagssrattion Hot unterm 2S. Oktober cm den Vorsitzenden des Haushaltungsausschusses, Genossen Hugo Heimann  , den Antrag gestellt, er sollewegen der auherordent- lichen Rotlog« der unteren und mittleren Beamten sofort den haushaltungsausschuh zwecks Stellungnahme zur Besoldungs- ordnung in der Erhöhung der Gehälter der unteren und mittle- reu Beamten" einberufen. Der Lorsitzend« de» Reichshaushaltausschusses hat darauf den Kommunisten unterm 2. November nachfolgende Antwort erteilt: Ohne sachlich zu Ihrem Schreiben vom 29. Oktober 1925 Stellung zu nehmen, bedauere ich, Ihrem Wunsche, den Haushalt- ausschuß sofort einzuberufen, nicht entsprechen zu können, da weder Reichsoersassung noch Geschäftsordnung mir dazu die Möglichkeit geben." Da» Jüterboger Schießunqlück. dem General Müller zum Opfer gefallen ist, wird noch dem Ergebnis der amilichen Untersuchung der Fehlerhaftigkeit eines aus 1917 stammenden, bisherim- beschossenen" Laufe» zugeschrieben.
Schulaufbau in Rußlanö. Eindrücke und Beobachtungen.*) Von Fritz Karsen  . Fährt man mit der Eisenbahn in Sowjetrußland tage- lang durch öde Steppe, die noch kein Pflug berührt hat und die vielleicht bei moderner maschineller Urbarmachung, durch Anlage moderner Bewässerungsanlagen Hund erttau sen- den Nahrung geben könnte, sieht man die mit seltenen Ausnahmen! unglaublich primitiven Ackergeräte, die aus Urväterzeiten stammend« zurückgebliebene Form der Bewirtschaftung, sieht man, welcher Hunger nach indu-
striellen Produkten jeder Art bei dem erwachenden Bauern vorhanden ist, wie dieser Hunger aber nicht befriedigt werden kann, well die russische   Industrie qualitativ und quantitativ völlig unzureichend ist heute, trotz aller sicht­
baren Zeichen der Erholung, 40 Proz. der Vorkriegszeit! so weiß man, daß dieses Land nichts nötiger braucht, als den gelernten, den qualifizierten Arbeiter, den Landarbeiter, den Fabrikarbeiter, den gelernten Techniker, den Lehrer, den sozialpolitischen Beamten. Kein Wunder, daß dort das WortArbeitsschule" den von allein bloß Methodischen abweichenden Sinn bekommen hat, durch lcbensgemäße(kollektivistische, systematisch«) Arbeit, ja durch wirkliche soziale Arbeit die Jugend zur Lebensarbeit kjeranzubilden. Kein Wunder, daß die Schulen geteilt werden in Land und Bauernschulen, solch« für die Bauern-, und solche für die industrielle Iug-md, worin zugleich die Zwecksetzung dieser Schulen ausgesprochen ist. Kein Wunder, daß man bei so deutlicher Zweck setzung solch« Schulen, die ein von den Bedürfnissen der Jugend innerhalb der werdenden Gesellschaft ausgehen, ablehnt und sie nach anfänglick- freiem Experimentieren heute an das 1923 vom gelehrten Rat(Güs) herausgegeben« und ent- sprechend ausgestellte Programm(Lehrplanvichrlinien) bindet, kein Wunder, daß man, der Rot gehorchend, sich heute mit einer vierjährigen(Schule des ersten Grades), im b e st e n Falle sieben jährigen(Schule des ersten Grades und drei Jahre Schule des zweiten Grades) Allgcmeinschule sich begnügt, in die die Kinder von 8 bis 15 Jahren gehen können, während das achte und neunte Schuljahr, wo es vor- Händen ist, bereits der Berufsbildung gewidmet ist. Kein Wunder, daß nach einem weiteren Jahr Technikum (höhere Berufsschule) die Berufsbildung des Technikers, des Agronomen, des Lehrers der ersten Stufe abgeschlossen ist und nur ein geringer Teil in einem dem neunjährigen Schul- besuch folgenden vierjährigen Studium die höheren Weihen der Alma Mater empfängt, die etwa auf dem päda- gogischen Gebiet die Befähigung gibt, Lehrer der zweiten Stufe zu werden. Kein Wunder schließlich, daß man industriellen(Fabrik- schulen) und landwirtschostlichen Berufsschulen, die auf die Schule der ersten Stufe ausbauen, heute freilich auch noch nicht einmal deren Anforderungen stellen können, sehr viel Auf- merksamkeit widmet. Daß man tbnen eine längere Dauer gibt als bei uns(vier Jahre), erklärt sich ebenso wie de? relativ längere theoretische Unterricht neben der praktischen Betätigung in den ersten zwei Jahren vier und vier Stunden täglich, in den nächsten zwei Jahren sechs Praxis und zwei Stunden Theorie aus der völlig ungenügen- den Vorbildung. Zuletzt weise ich auf das wichtigste, das zentrale Bedürfnis Sowjetrußlands hin, das erst den Schlüssel für den inneren Sinn der neuen Schule gibt. Das ist das Ve-> dürfnis, die Errungenschaften der Revolution zu sichern und die Revolution auszuweiten zur Weltrevolution. Also gllt es. die ganze Jugend mit dem Bewußtsein ihrer Sendung zu erfüllen, sie zu Trägern der auf dem Gcmeinschastsprinzip aufgebauten neuen"Gesellschaft zu erziehen, in ihnen den Willen zu stählen, sich für diese, wenn es verlangt wird,«ntf zuopfern. Es ist kein Zweifel, daß in einigen guten Schulen, die ich gesehen Hab«, dieses Ziel auch erreicht wird, daß es dort die völlig durchgeführte Selbstverwaltung weit über den Rahmen einer Erziehungsmaßnahme hinaushebt und ihr eine wirkliche Würde gibt, die in dem selbstverständ- lichen Aultreten der Schüler gegen die Lehrerkameraden und gegen Fremde etwas sehr Wohltuendes hat, die sie befähigt, In jugendlichem Alter öffentliche Aufgaben zu lösen. Daß heute die meisten Schulen noch nicht auf der Höhe dieser Musterschulen sind, daß mir die Tendenz dahin geht, scheint mir sicher. Die äußeren Mittel zur Durchsetzung dieser Tendenz sind immer dieselben: Die Lehrstoffe, die überall, nicht nur in Geschichte, unter dem Gesichtspunkt stehen, daß sie revolu- tionären Klassenkämpfergeist in dem Schüler hervorrufen sollen, ferner die großen Symbole der Revolution, die Bilder der großen Führer, die in jeder Schule, in jedem öffentlichen Gebäude im Lenin  -Zimmer zusammengetragen werden. Don dieser zentralen politischen Einstellung aus wird man nicht nur dos Wesen der russischen Schule, sondern auch das der außerschulischen Bildung verstehen, die L e s e h ü t t e n auf dem Laiche, die Arbeiterklubs in und außerhalb der Fabriken, die Volksbüchereien und Volkshäufer. deren ganzer Bildungsgedanke, so reich gegliedert er auch sein mag, sich im Lenin  -Zimmer zusammenfaßt! Und nicht zuletzt die A r b e i t e r f a k u l t ä t e n! Sie sind bewußt Bildungsstätten für Staatsfunk- t i o n ä r e, die aus der Arbeiterklasse stammen und selber in Reih und Glied Jahre hindurch Handarbeiter waren. Sie sind, wie Lunatscharsky selber äußert«, mir eine Ueberyangs- *) Vgl. Nr. 515 de».Vorwärts'