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Abendausgabe

Nr. 524 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 260

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise sind in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

10 Pfennig

Donnerstag

5. November 1925

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Verlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Amnestie für Knoll- Kußmann?

Was soll hier vertuscht werden?

der Presse| Kußmann sich in der ganzen Sache nicht als Vertreter einer objektiven Behörde, der Staatsanwaltschaft, sondern als politischer Vorfämpfer der deutschnationalen Barmat­hetze gefühlt und entsprechend gehandelt habe.

Wiederholt wurde dieser Tage in der behauptet, daß das Verfahren gegen den ehemaligen Staatsanwaltschaftsassessor Kußmann und seinen Freund, den deutschnationalen Spionagechef Knoll, auf Grund der Amnestie eingestellt werden solle. Da die Meldung bisher nicht vom preußischen Justizministerium dementiert wurde, so ist in der Tat damit zu rechnen, daß derartige Absichten zurzeit bestehen, mindestens ermogen werden.

Die Einbeziehung der Kußmannschen Verfehlungen unter die Amnestie würde zunächst aus rein juristischen Gründen bedenklich erscheinen, da die Ueberlassung der Barmatakten an Knoll möglicherweise ein mit 3uchthaus bedrohtes Amtsverbrechen Kußmanns darstellt, wenn man nämlich davon ausgeht, daß durch diese Ueberlassung Knoll Vorteile hatte. Dies kann aber faum zweifelhaft sein, da Knoll die Spionage und die Veröffentlichung von geheimen Aften be= rufsmäßig betrieb, also durch die Ueberlassung der Barmataften in seinem unsauberen Erwerb gefördert wurde. Die Amnestie greift auch nur Plaz für Handlungen, die im politischen Kampfe erfolgt sind. Eine Amnestierung Rußmanns würde daher das Geständnis enthalten, daß

Das Ja" und die Indiskretion. Immer noch Schiele.

Die jüngste amtliche Veröffentlichung über das laute Ja", das Herr Schiele am 19. Oftober in einer Kabinettssigung gesprochen hat, findet in der Rechtspresse geteilte Aufnahme. Die Kreuzzeitung  " glaubt die Intelligenz ihrer Leser richtig einzuschäzen, indem sie jede Kommentierung der amtlichen Meldung unterläßt und einfach darüber schreibt: Zurück­gewiesene Lügen." Die Hugenberg- Bresse und die " Deutsche Tageszeitung" sind nicht ganz so mutig. Sie geben zu, daß die amtliche Meldung in ihrem Kern nicht Lügen zurückweist", fondern die sensationelle Indiskretion des Ber­liner Tageblattes" über Herrn Schieles Haltung im Kabinett bestätigt. Desto stärker ist ihre Entrüstung über die ver­übte Indiskretion.

Eine Indiskretion liegt zweifellos vor. Zweifellos ist es ungehörig, vertrauliche Aeußerungen aus einer Ministersigung in die Deffentlichkeit zu bringen. Auf der andern Seite wird aber doch zugegeben werden müssen, daß es wirklich unmöglich ist, die Stellung der früheren deutschnationalen Minister zum Bertragswerk von Locarno   als ein Staatsgeheimnis zu behandeln. Die drei Herren find zurückgetreten, und es wäre zunächst ihre Sache gewesen, die Deffentlichkeit über die Gründe ihres Rücktritts zu unterrichten.

Sind sie zurückgetreten, weil sie das Werk von Locarno  ablehnten und sich darüber mit ihren bisherigen Mini­fterfollegen überwarfen? Oder sind sie zurückgetreten, meil sie das Werf von Locarno   billigten und darüber mit ihrer Partei in Konflikt gerieten? Auf diese Frage eine Antwort zu verlangen, ist doch wahrhaftig feine Unbescheiden

heit.

Infolge der verschiedenen Indiskretionen weiß jetzt die Welt, daß die drei mit allem einverstanden waren. Sie graften auf der Regierungsweide wie die harmlosen Lämmer, bis sie plöglich gepackt und in den Parteistall zurückgetrieben wurden. Sie haben sich das gefallen lassen ohne ein Wort des Widerspruchs, ohne den geringsten Versuch, das zu verteidigen, was doch bis zum Augenblid ihrer Abberufung fozufagen ihre Ueberzeugung gewesen ist. Daß dieses Berhalten auf die im Kabinett Zurückgebliebenen einigermaßen aufreizend wirfte, läßt sich begreifen, und so wird man den Verübern der Indiskretionen zum mindesten mildernde Um stände zubilligen müssen.

herausgefordert haben.

Trost.

Run gewinnt es aber immer mehr an Wahrscheinlichkeit, daß mit den bisher öffentlich bekannt gewordenen Beziehungen zwischen Knoll und Kußmann der Komplex der staats­anwaltschaftlichen Verfehlungen noch bei weitem nichter fchöpft ift. Die Beziehungen Knolls zur Staatsanwaltschaft sind augenscheinlich noch viel engere und bedeutsamere gewesen. Sollte Herr Knoll etwa damit gedrohi haben, daß er in der auf den 11. November festgesetzten öffentlichen Verhandlung diese Beziehungen restlos ent­hüllen würde, wenn man ihn durch die Gefahr einer strafrechtlichen Berurteilung hierzu zwingen sollte? Und follte es irgendwelche Stellen geben, die solche Enthüllungen fürchten und ihnen durch Einstellung des Ber fahrens zuvorkommen möchten? Wir bitten um eine recht baldige und bestimmte Antwort, indem wir heute schon versichern können, daß alle Versuche, den Skandal der Staatsanwaltschaft zu vertuschen, umsonst sein merden.

stellung für die Gegenwart und lasse für die Zukunft ,, alle Möglichkeiten offen".

Man ist also im Lager der Rechtstoalition trok allem sehr hoffnungsfreudig gestimmt.

Kindermann und Wolfcht begnadigt. Zehn Jahre Gefängnis.

Mostau, 5. November.  ( WTB.) Wie 3jweflija" meldet, hat das Präfidium des Zentralerefutivfomitees der Sowjetunion  am 31. Oktober beschlossen, die vom Oberjien Gerichtshof am 3. Juli zum Tode verurteilten deutschen   Staatsangehörigen Kinder­mann und Wolfcht und den estnischen Staatsangehörigen von Ditmar unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu 10 Jahren Gefängnis zu begnadigen.

Die Begnadigung der jungen Abenteurer, die mit phan tastischen, aber sicher nicht gefährlichen Plänen nach Rußland  gereift waren, fommt nicht überraschend. Ein Todesurteil hätte in einem Fall wie dem vorliegenden in feinem europä­ifchen Staat gefällt werden können, ja es ist fraglich, ob nach europäischen   Begriffen ein strafbarer Tatbestand überhaupt vorlag. Aber auch die zehnjährige Freiheitsstrafe, zu der die drei zum Tode Berurteilten jetzt begnadigt sind, ist eine Waffe in der Hand derer, denen Urteile gegen fommu­nistische Arbeiter in Deutschland   und anderwärts niemals hart genug sein können. Die russische   Regierung hätte besser getan, die drei lästigen Ausländer"- Schlimmeres waren sie ja nicht in aller Stille über die Grenze abzuschieben, und das wird sie ja wohl auch bald tun.

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Die vom Staatsgerichtshof zum Schuße der Republif seinerzeit ausgesprochene Todesstrafe gegen die Kommunisten Neumann, Poege und Stoblemsti ist im Gnaden­wege in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt worden. Ob diese deutsche Begnadigung oder der Moskauer   Gnadenakt gegen Kindermann, Wolsch und Ditmar zeitlich vorangegan­gen ist, läßt sich im Augenblick nicht sagen.

Der thüringische Skandal. Tas Justizministerium fucht sich aus der Affäre zu ziehen. Der Oberstaatsanwalt fündet neue Erklärungen an. zwischen der thüringischen Regierung und dem Oberstaatsanwalt Jena  , 5. November.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Ragbalgerei Dr. Friebers wird in Presseerklärungen munter fortgefeßt. Auf die gestrige Erklärung des Oberstaatsanwalts antwortet heute die Re gierung in längeren Ausführungen. Sie erklärt darin, daß das Juſtizminifterium nur bei einer gelegentlichen mündlichen Aussprache den Vertreter des Generalstaatsanwalts an Hand

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Wahlen in der Tschechoslowakei  .

Bon Josef Stivin  .

Prag  , 4. November. Am Sonntag, den 15. d. M. finden in der Tschechoslowakei  allgemeine Parlamentswahlen statt. Beide Kammern der Nationalversammlung wurden vorzeitig aufgelöst. Das Abgeordnetenhaus hätte sonst bis Früh­jahr 1926 arbeiten sollen, der Senat noch um zwei Jahre. länger. Die vorzeitige Auflösung hat die tschechoslowakische fozialdemokratische Arbeiterpartei bewirkt. Ihre Reichspartei­vertretung hat im Juni die Forderung nach Auflösung gestellt, nachdem die Partei die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß das Parlament bereits durch die Symptomedes Wahl fiebers betroffen war, welche sich besonders in der. Sabo­tierung der gesetzgeberischen Arbeit in der Koalition äußerten. Die agrarische und die Nationaldemokratische Partei hatten in Verneinung der bisherigen Grundsäge der Koalitionspolitik versucht, entweder verschiedene volksfeindliche Maßnahmen, welche beim Zustandekommen des Regierungsprogramms ab­gelehnt wurden, durchzusetzen, oder die Durchführung einiger Bolfsnotwendigkeiten, die einen Bestandteil des Regierungs­programms bildeten, aber bisher nicht durchgeführt werden konnten, zu vereiteln. Diese bürgerliche Politik hat die Ver­hältnisse in der Koalition und auch im Barlament unerträglich gemacht. Die bürgerlichen Parteien gaben zum Schluß ihre Zustimmung zur Auflösung.

Die Wahlbewegung ist bisher ziemlich ruhig, fast teil­nahmslos verlaufen. Die riesige tschechoslowakische Zucker­rübenindustrie hat eben in diesen Tagen die höchste Kampagne. In den Zuckerfabriken wird in drei Schichten zu acht Stunden Tag und Nacht gearbeitet, auch die Rübenfelder erfordern noch große Arbeit der Bevölkerung. Das ist auch ein Grund für die geringe Teilnahme an den Wählerversammlungen im Lande. Die oppositionellen Parteien haben für die Wahlen eine einfache und einige Barole: Weg mit der Koalition!" Leider fehlt es dabei an Rezepten, welches Regierungssystem an ihre Stelle treten soll. Mit einem Beitritte irgendwelcher deutschen   Partei zur Regierungsmajorität kann man heute nicht rechnen, und so bleibt noch immer als die einzige Lösung eine Koalition der tschechoslowakischen Parteien, die aber ohne Teilnahme der sozialistischen   Partei voraussichtlich auch in nächster Zukunft nicht fähig sein wir eine Majorität zu bilden.

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Die Kommunisten wollen bei den Wahlen die Sozial­demokratie vertilgen, indem sie predigen, daß sie in der Koa­lition die Interessen der Arbeiterschaft nur geschädigt habe und der Arbeiterschaft teine Vorteile brachte. Das ist nämlich die bedingte Revolutionspolitit" unserer Kommu­niften, die nicht wagen, im Wahlkampf offen für die Diktatur des Proletariats  " zu sprechen. Sie gebärden fich mur so, als ob sie gegen die Koalitionspolitik eigentlich nicht grundsätzlich stünden. Eine neue tschechische agrarisch tonserva tive Partet, geführt vom gewesenen österreichischen Mini­ster Karl Braschet, wirst wieder der Koalition vor, daß sie durch ganze Jahre nur der Sozialdemokratie gedient und das ganze Erfurter   Minimalprogramm der Sozialdemokratischen Partei zum Gefeß gemacht habe. Die Nationaldemo­fratische Partei des Dr. Kramarsch ist arg bedroht durch Bildung einer neuen Arbeiterpartei", die von Intellektuellen geführt, dem tschechoslowakischen Liberalismus ein neues Antlig verleihen will. Sie fofettiert auch ein bissen mit dem Sozialismus, aber dabei scheut sie nicht vor den üblichen bürgerlichen Niederträchtigkeiten gegen die soziali: ftischen Parteien zurück. Den Kampf gegen Dr. Kramarsch führt diese Partei unter anderem auch mit der Losung einer versöhnlicheren Politik gegen die Deutschen   und für die recht­liche Anerkennung Sowjetrußlands.

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Die

Die deutschen   bürgerlichen Parteien haben versucht, eine nationale Einheitsliste zu bilden, aber die deut­ schen   Genossen haben abgelehnt und dadurch den ganzen Plan mehr die Demokratische Partei   wegen vollständiger Aussichts­zunichte gemacht. Von den deutschen   Parteien fandidiert nicht Wenn die Deutsche Tageszeitung" schreibt, das Ganze losigkeit. Sie war besonders durch den Prager   Prof. Kafka  , ist ein unerhörter Standal", so stimmen wir dem zu, wobei einem guten Renner der auswärtigen Politik, vertreten. wir den Ton auf die Worte das Ganze" legen. Der Stan­größten Hoffnungen auf den Wahlerfolg hegen die Klerikalen, von denen der tschechische Flügel in der Regierung saß, wäh dal beginnt mit dem unmännlichen und unwür digen Verhalten der deutsch   nationalen Mi­rend der slowakische Flügel die niederträchtigste reaktionäre nister, die dadurch die verübten Indiskretionen geradezu zwei Staatsanwälte die Anklage vertreten möchten." An einer Stelle Einrichtungen und gegen die Einheit des Staates führte, dabei in besonders schwierigen Prozessen alle demokratischen einem magyarischen Irredentisten Prof. Tuka folgend. Die Wahlkampf auf drei Fronten, gegen die Bourgeoisie, gegen tschech slowakische Sozialdemokratie führt den die klerikale Reaktion und gegen die Kommunisten. flowakische sozialdemokratische Abgeordneten und 32 deutsche  Bei den letzten Wahlen im April 1920 wurden 72 tschecho­Genoffen gewählt, außerdem 3 magnarische Genossen( Das Abgeordnetenhaus zählt 300 Mitglieder.) Die Spaltung durch die Kommunisten kam erst nach den Wahlen. Vor der jetzigen Auflösung des Hauses zählten die tschechoslowakischen Sozialdemokraten 55 Abgeordnete, die deutschen   Genossen 30, die Kommunisten 19, die unabhängigen Kommunisten 8, magyarische Genoffen 3. Diese Verteilung der Mandate zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten war rein zufällig, weil sie rein individuell ge­schehen ist. Bei den kommenden Wahlen wird das Kräfte­verhältnis zwischen der Sozialdemokratie und den Kommu­nisten zum ersten Male festgestellt.

Man kommt schon wieder zusammen! Die Kreuzzeitung  " findet den gestrigen Zentrumsbeschluß nur halb so schlimm. Sie meint: Das Zentrum . hütet sich aber auch, den Ausschluß der Deutschnationalen aus der Regierung auf die Dauer zu proklamieren und kommt so dem Drängen der Linten nur halb entgegen. Ein Zeichen dafür, daß die Gesamtfraktion wesentlich ruhiger denkt und die Situation wesentlich kritischer beurteilt als die linkspolitischen

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Kenner in der Germania  ".

Die Kreuzzeitung  " denkt:" Dulde, gedulde dich fein! Ueber ein Stündelein ist deine Rammer voll Sonnenschein." In derselben Richtung liegt ein Artikel der volkspartei­lichen Köln  . 3tg.", in dem ausgeführt wird, der Versuch der Linken, zwischen Rechts und Links im deutschen   Bolte eine dauernde Kluft aufzuwerfen", sei unverantwortlich". Auch der Beschluß, den die Barteivertreter bei Luther   faßten, morin gefagi wird, daß sich die Deutschnationalen selbst aus der Re­gierung ausgeschaltet hätten, jei bloß eine Feit

dieser Regierungserklärung heißt es, daß das Verhalten des Ober­staatsanwalts umso unverständlicher sei, als das Justizministerium ihm die Möglichkeit geboten habe, die Anklage nicht zu ver= treten. In einer am 28. Oktober, einen Tag vor der Haupt verhandlung eingegangenen Eingabe habe Herr Frieders gegen die Verfügung des Generalstaatsanwalts wegen seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung Vorstellung erhoben. Am Morgen des 29. Oktober, noch vor Beginn der Verhandlung, jei ihm tele­phonisch mitgeteilt worden, daß ihm frei stehe, die Anklage mit zu vertreten. Er habe geantwortet, dies müsse ihm, ehe er sich entschließen könne, schriftlich mitgeteilt werden. Eine schrift liche Eröffnung habe das Justizministerium abgelehnt, da dies wie eine Anweisung hätte gedeutet werden können.

Diese Erklärung der thüringischen Regierung ist voller Wider sprüche. Der Oberstaatsanwalt hat auf Grund einer Verfügung des Generalstaatsanwalts die Mitvertretung in dem Prozeß zu übernehmen gehabt und das Justizministerium fonnte ihn naturgemäß nur mit Zustimmung des Generalstaatsanwalts von diesem Auftrage entbinden. Wie wir hören, hat Oberstaats: anwait Dr. Frieders eine weitere Erflärung in Aus­sicht gestellt, in der er ganz deutlich zu werden beabsichtigt.

Die Kommunistische Partei   erlebt jetzt eine schwere Krisis. Fast jeden Tag meldet in den sozialdemokratischen Blättern ein fommunistischer Führer seinen Austritt aus der moskowi­tischen Partei, Zrozdem tann man die Stärke dieser Partei