Abendausgabe
Nr. 577 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 286
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10 Pfennig
7. Dezember 1925
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
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Um die große Koalition.
Am Sonntag vormittag hatte der Reichspräsident mit dem Reichstagspräsidenten Genoffen£ öbe eine längere Unterhaltung über die Frage der Regierungsbildung. Heute vormittag 10 Uhr empfing der Reichspräsident die Bertreter der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die Genoffen Hermann Müller und Dittmann.
Der Reichspräsident stellte den Bertretern unserer Fraffion im Berlauf der Unterhaltung u. a. die Frage, wie fie fich zur Bildung einer Großen Koalition ftellten. Er befürwortete die Bildung einer Regierung auf breiter Grundlage, da diese am ehesten imftande fein werde, der im Winter für große Teile des Volkes zu erwartenden wirtschaftlichen Not zu steuern.
Die Vertreter der Sozialdemokratle entgegneten dem Reichs präsidenten , daß die Entscheidung der Fraktion vorbehalten bleiben müsse, die am Mittwoch nachmittag zusammentrete. Sie wollten aber auch jetzt schon nicht verhehlen, daß in der Fraktion gegen die Bildung einer Regierung der Großen Koalition nach den Erfahrungen, die man in. Herbst 1923 und feitdem gemacht habe, fehr farte Bedenten bestünden. Bisher habe der Vorstand der Deutschen Volkspartei in Borbesprechungen nicht zu erkennen gegeben, daß die Deutsche Volkspartei überhaupt die Große Koalition wolle..
Der Reichspräsident erfuchte um Zustellung eines schrift. lichen Bescheids. Die Bertreter unserer Partel sagten einen
folchen Bescheid zu. Der Beschluß der Fraktion werde dem Reichs präsidenten
fofort zugeleitet werden.
Im Anschluß an den Empfang der Sozialdemokraten erschienen für die Deutschnationalen Graf Weft arp und Geheimrat Thomfen, darauf für das Zentrum bie Abg. Marg und Dr. Bell; für die Deutsche Volkspartei Dr. Scholz und Dr. Curtius; für die Demokraten Abg. Koch und Ertelen z; zuletzt werden die Fraktionsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung und der Baye rischen Volkspartei empfangen werden.
Bayern und die Regierungsbildung. Landesparteitag der Bayerischen Volkspartei . München , 7. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Am Sonnabend hielt die Bayerische Boltspartei in München ihren Landes: parteitag ab, auf dem die bedeutendsten Persönlichkeiten der Partei fich eingehend über die politische Lage in Bayern und im Reiche äußerten. Die Deffentlichkeit war, wie üblich, von sämtlichen Ver. handlungen des Parteitages ausgeschlossen. In seinem Rückblid auf
Für die Aufhebung der Besetzung.
Erst dann der wahre Friede hergestellt. London , 7. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) 3m Observer" schreibt der Chefredakteur, ein persönlicher Freund des englischen Außenminiffers, über die Auswirkungen der Friedens politit, daß die Befehungspolitit im Rheinland möglich st rasch und vollständig liquidiert werden müffe, sobald Deutschland Mitglied des Bölkerbundes geworden sei.
Die längere Aufrechterhaltung der Besahung sei mit einem wahren Frieden unverträglich und nur ein Aushilfsmittel zur Sicherung gewefen, das beseitigt werden müffe, nachdem wirksame Sicherungen gefchaffen worden seien.
Das nächste große politische Problem, das eine Lösung erfordere, fei die Abrüftung. Eine wirkliche allgemeine Abrüftung fönne aber erst erfolgreich in Angriff genommen werden, nachdem der Spannungszustand zwischen England und Rußland befeitigt fel.
General Percin für Rheinlandräumung.
die politischen Ereignisse während der letzten Jahre bezeichnete der Parteivorsitzende die Parole Hindenburg bei der Reichspräsidentenwahl als eine schwere Belastungsprobe für die Partei. Im übrigen habe das Volk jetzt andere und dringlichere Sorgen als die Wiederherstellung der Monarchie. Das Programm der Partei laffe in bezug auf die Staatsform mit Absicht alles offen. Der größte Teil der Parteifreunde stände wohl wohl nach wie vor auf dem monarchischen Standpuntt, aber darin fei man sich einig, daß eine Aenderung des verfassungsmäßigen Bustandes nur auf verfassungsmäßigem Wege herbeigeführt werden dürfe. Es wäre unverantwortlich, wenn in der jeßigen Zeit jemand den Bersuch machen wollte, in dieser Richtung etwas zu unternehmen. Er würde zu allem Elend auch noch den Bürgerkrieg unter dem deutschen Bolte heraufbeschwören.
Dann sprach der Domkapitular Leicht als Vorsitzender der Reichstagsfraktion. Er erklärte u. a.: In der grundsäßlichen Einftellung der Reichstagsfraktion der Bayerischen Bolfspartei zur bayerischen Wünsche erreichen lassen, vor allem deshalb nicht, weil Rechtsregierung hat sich leider keine bessere Grundlage für die die Deutsche Boltspartei als die Erbin des früheren Liberalismus ganz auf den Gedanken der Unitarisierung und Bentralisierung eingestellt ist und bei der Vertretung der Länderrechte im Reichstag die allergrößten Schwierigkeiten macht. Die jetzigen Schwierigkeiten in der Regierungsbildung fönnen nicht durch Neuwahlen behoben werden, denn wir dürfen wählen. so oft wir wollen, wir werden weber eine ausgesprochene Rechts- noch eine ausgesprochene Links mehrheit in Deutschland zustande bringen. Die Reichstagsfraktion der Bayerischen Volkspartei steht geschlossen auf dem Standpunkt, baß Luther wieber mit der Kabinettsbildung beauftragt werden sollte, und zwar sollte er sein Kabinett auf der Basis ber augenblicklichen Regierung, also eine Minder hettsregierung, bilden. Grundsätzliche Differenzen zwischen der Reichstagsfraktion und der bayerischen Regierung und der Landtagsfraktion bestehen nicht. Abweichende Anschauungen ergeben sich daraus, daß die Voraussetzungen, unter denen die Partei im Reichs: tag und im Landtag arbeiten muß, grundverschieden sind. Am Sonntag sprach u. a. auch der bayerische Ministerpräsident Held. Er äußerte sich bei dieser Gelegenheit auch über die Regie rungsbildung und wandte sich gegen die Große Koalition. Er wünscht die Zusammenfassung der bürgerlichen Parteien", und Er wünscht die Zusammenfassung der bürgerlichen Barteien", und zwar fo, daß die Deutsch nationalen jederzeit wieder ihre Rückkehr anmelden können. Im übrigen fordert Held von der neuen Regierung von heute, daß Bayern von ihr nicht als Provinz, sondern als Staat betrachtet und behandelt wird.
Hauptursachen des Krieges der Bunsch des nationalistischen Frank reich gewesen sei, Elsaß- Lothringen zurückzugewinnen, was nach Lage der Dinge nur mit Waffengewalt geschehen konnte. Die Pflicht einer demokratischen französischen Regierung, die wirtlich die deutschfranzösische Berständigung und Berföhnung wolle, sei es deshalb, felbft die Initiative zur Revision des Artifels 231 des Friedensvertrages zu ergreifen.
Dementierspritzen für Arbeitslose! Reichswirtschaftsrat und Angestelltennot.
Unsere fachliche Darstellung der Verschleppungsmanöver, die sich die Reichsregierung bei der längst notwendigen Erhöhung der Erwerbslosenunterstüßungsfäße hat zufchulden fommen lassen, ist durch eine offiziöse Erklärung zu dementieren versucht, aber mit feinem Wort entkräftet worden. Es gibt nur eine Form der Entlastung für die Reichsregierung: Sofortige Durch führung des Beschlusses des sozialen Ausschusses auf Erhöhung der Unterstützungsfäge um mindestens 30 Proz. mit Einschluß der Fa milienzufchläge.
Wir warnen eindringlich vor weiteren Verschleppungen! Der Unterausschuß des sozialpolitischen Ausschusses des Reichs. wirtschaftsrats zur Beratung der Maßnahmen für erwerbs. lofe ältere Angestellte hat die Beratungen über eine sofortige finanzielle Hilfsaktion abgeschloffen. Einstimmig gelangte ein Antrag do( 3d2.) zur Annahme, der für alle erwerbslosen älteren Angestellten, soweit sie ausgesteuert sind oder der Erwerbslofenfürsorge nicht unterstehen, eine fofortige ein. malige Unterstügung von mindestens 100 mart fordert. Die erforderlichen Beträge find durch das Reich auf. zubringen.
Beiderseitige Bekämpfung der Nationalisten. Paris , 6. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Der als einer der mutigften Vorfämpfer des Pazifismus in Frankreich bekannte General Bercin veröffentlicht am Sonntag in der Bolonie einen Artikel, in dem er die sehr berechtigte Auffassung vertritt, daß die feit Locarno von den Staatsmännern Frankreichs und Deutsch lands immer wieder beteuerte platonische Bereitschaft zur Berständigung nicht genüge, um eine wahre Berföhnung zwischen den beiden Bölfern herbeizuführen, sondern tonkrete Borauslegungen, deren Erfüllung in erster Linie bei der franzöfifchen Regierung liege. Die wahrhafte Bedeutung fei, daß man entschlossen einen Strich unter die Bergangenheit ziehe und aufhöre, sich gegen- Es ist zu begrüßen, daß der Reichswirtschaftsrat diese Frage, feitig der schlimmsten Abfichten zu verdächtigen. Beide Regierungen die der Afu- Bund in seinen Forderungen als vordringlichste Maß müßten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln der Bernahme aufgestellt hatte, norweg behandelt hat. Der Unterausschuß leumbungstampagne ber nationalistischen Bar. teien ein Enbemachen und alle kundgebungen der Feindschaft und des Haffes, die die Beziehungen der beiden Bölter aufs neue zu vergiften fuchten, unterdrücken. In London habe Briand im Anschluß an die Unterzeichnung der Berträge der Hoffnung Ausbrud gegeben, daß sie das Bewußtsein der internationalen Solidarität fördern und auf diese Weise dazu beitragen würde, die von Mißtrauen und Argwohn diftierten Borsichtsmaßnahmen verschwinden zu lassen. Hierzu gehöre in erster Linie die Belegung des Rheinlandes, deren Fortdauer unvereinbar fei mit dem Getste von Locarno und vom Gesichtspunkt der militärischen Sicherheit aus vollkommen zwedlos fei. Eine wirkliche Berständigung zwischen ben beiden Bölfern sei weiter nicht möglich, solange die Legende Donder Alleinschuld Deutschlands am Kriege nicht aus der Welt geschafft werde. Tatsächlich sei durch die bisher veröffent lichten diplomatischen Dokumente ungmeideutig bewiesen, daß eine der
wird nunmehr die anderen Forderungen des AfA- Bundes behandeln. zu befürchten ist nur, daß auch bei dieser dringlichen finanziellen ilfsaftion die Reichsregierung versuchen wird, die Angelegenheit zu verfchleppen. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion wird auch hier auf dem Posten sein; dank ihrer Initiative liegen dem sozialen Ausschuß des Reichstags entsprechende Anträge vor, auf deren fofortige Erledigung die Fraktion mit allem Nachdruck bestehen wird.
- Dentsche Lehrerbibliotheken in Südtirol angezündet? Bozen . 7. Dezember. ( T.) Der Bezirksschulinfpeffor Bini in Brigen erteilte den Befehl, die reichhaltige deutsche Lehrerbibliothet zu verbrenne n.
Die Meldungen aus China überstürzen sich. Selbst derjenige, der einigermaßen mit den chinesischen Verhältnissen vertraut zu sein glaubt, steht nach den letzten Nachrichten einer heillos perwirrten Lage gegenüber.
Man darf fich nicht durch die ständig wechselnden und felbft einem sprachbegabten europäischen Kopf schwer verständlichen und faum behaltbaren Namen verwirren lassen. Man muß, sich, um zu einer Beurteilung der Lage zu kommen, die es heute in Machtgruppen vergegenwärtigen, die China gibt.
Der den Europäern bekannteste Mann Chinas ist auch heute noch der General Isch ang tsolin. Sein Machtgebiet dehnt sich vom Amur längs der Meerestüfte bis zum Jangtsetiang. Durch eine Niederlage, bie er vor einiger Zeit durch Truppen erlitten hat, die aus einer südlich vom Jangtse gelegenen Provinz vorstießen, war er gezwungen, sich längs der Bahnlinie Pufau- Tientsin bis zu einem Orte namens fuchow fu zurückzuziehen.
Hinter Tschangtfolin sollen ungefähr 250 000 Mann stehen. Diese Soldaten sind nach chinesischen Begriffen gut ausgebildet. Sie haben ihr Hauptquartier in Murden in ber Mandschurei . Es ist ein offenes Geheimnis, daß General Tschangtfolin von den Japanern unterstützt wird, die ihm aus Port Arthur und Dairen Material und Menschennachschübe zugehen lassen.
Der Macht Tschangtfolins steht westwärts nach dem Inneren Chinas zu die Macht des General Fengyüfiang gegenüber. Fengyüfiang hat seine Basis in der inneren Mon golei. Er beherrscht die chinesischen Provinzen von Schenfi bis Kanju. Das Hauptquartier Fengs ist in Kalgan , dem Endpunkt der von den Chinesen erbauten Beting- KalganBahn. Fengnüsiang ist bekannt als„ chriftlicher General". Sein Heer, dessen Grundstamm aus etwa fünfzigtausend gut ausgebildeten Söldnern besteht, hat sich unter dem Namen Die Eisenköpfe" berühmt gemacht. Feng steht durch die Mongolet mit den Russen in enger Verbindung. Er ist ein ausgesprochener Feind Englands und hat oft in der Preffe dem Haß gegen England mehr als deutlichen Ausdruc gegeben.
Die mittleren Provinzen Chinas stehen unter dem Kommando Wupeifus, der sein Hauptquartier am Tungtingsee in der Provinz Hunan aufgeschlagen hat. Seine Macht reicht von der Provinz Setschuan bis zu der Provinz Fukien . Wieviel Truppen ihm zur Verfügung stehen, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Wahrscheinlich sind es nicht mehr als zehntausend Mann. Wupeifu ist im Verdacht, von den Engländern Geld und Materialunterstützungen anzunehmen. Er wurde im vorigen Jahre von den Truppen Tschangtfolins gefchlagen und hat erst in letzter Zeit einen Teil feines alten Einflusses zurückgewonnen Er herrscht nicht so sehr durch die Zahl seiner Soldaten als durch seine Moral", in der alle Freunde eines alten, alfo des konfuzianifchen China ihre Unterstügung und Hoffnung sehen.
Unabhängig von diesen drei Generalsgruppen wird der ganze Süden Chinas von der südlichen Hauptstadt Kanton aus von der Nationalen Bolksregierung" oder dem Ruomintang beherrscht. Die Machtgruppe des Kuomintang untersteht zum Unterschied von den anderen nicht einem einzelnen General. Sie ist nach dem Vorbild der russischen Regierung gebildet und wird von sechzehn Volkstommiffaren geleitet.
Der Kuomintang ist eine Gründung Dr. Sunnatsen, s, des großen chinesischen Revolutionärs, dem es im Jahre 1911 gelang, die alte Mandschudynastie zu stürzen und aus Bering zu verjagen. Dr. Sunnatsen ist bekanntlich im Anfang dieses Jahres gestorben: seine Ideen sind aber heute das Programm aller derjenigen, die sich in irgendeiner Form, das heißt unter dem Namen einer der zahlreich bestehenden fulturellen oder politischen Reformparteien zu einem Jungen China " bekennen.
Die hier aufgezählten Machtgruppen, einschließlich der Don Kanton aus agierenden nationalen Volksregierung find nun in einer dauernden Berschiebung gegenein an der begriffen. Sie wollen die oberste Gemalt über das Riesenreich erlangen und verfahren dabei nach den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Die Art der Mittel wird bestimmt: einmal durch die Hilfe, bie einzelne der genannten Parteien durch die fremden Mächte, also vorzüglich England und Japan , erhalten und dann durch eine moralische propagandistische Komponente, die in lekter Zeit immer mehr in den Bordergrund getreten ist. China ist ein unterbrüdtes Land und fühlt sich als folches. Das Schauspiel der jekt in Beting tagenden 3olltonferenz muß für jeden chinesischen Patrioten ein überaus schmerzliches sein. Denn hier foll wieder gut gemacht werden, was die Gewalttaten eines ganzen Jahrhunderts, an gefangen von dem berüchtigten Vertrag den Engiand im Jahre 1842 au Manating mit den Chinelen schloß. bis zum Mord an den chinesischen Studenten in Schanghai im Mai dieses Jahres an China verbrochen haben.
Die nationale Bewegung, die nach der Tat des Kapitän Martin im Mai in China zum Ausbruch fam und die fich eruptiv in den Streits der Hafenarbeiter in Shanghai und Honkong zeigte, hat sich im Laufe der letzten Monate trog aller Beschwichtigungsversuche noch verstärkt. Nur der Gewalt dieser Bewegung fann man es zuschreiben, daß die einflußlose Befinger Regierung, also der von Tschangs
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