Einzelbild herunterladen
 
!Tr. 57$ 42.�ahrgavg
7. Beilage öes Vorwärts
dkenstog, S. Dezember 1H25
Im Alltag wie in festlicher Stunde immer wandern wir (oft, ohne es zu wissen) auf der schmalen Grenzscheide zweier Kul- turen. Wir achten Herkommen und alten Brauch und sehnen uns doch nach neuer Form und neuem Geholt. Denn nur zu leicht ward uns der alte Brauch zu einer leeren Schale, deren Kern welkend zerfiel. Ist es nicht auch so mit dem.Fest der Feste". mit weihnachtlicher Feier und weihnachtlichen Festgebräuchen? Wir entNeiden Weihnachten des christlichen Mantels, den ihm mittel- elterlicher Glaube um die heidnischen Schultern hängt«, wir feiern wieder die Wende der Sonne und den Archruch des Lichts, Tannen- grün und Kerzenglanz werden uns Symbole des Hoffens einer neuen Zeit ein neues Geschlecht. Das weihnachtliche Geschenk ist es uns nicht wirklich zu einer hohlen Form, einer inhaltlosen Geste geworden? Schenken wir nicht, um zu schenken? Gleich- gültig, was und wie? All die Zufälligkeiten und Nichtigkeiten, die kapitalistische Prositsucht mit großer Neklome auf den Weihnachts- markt wirft? Und doch könnte auch da» weihnachtliche Geschenk für uns einen tiefen Inhalt und einen neuen Sinn haben. Es sollte und mühte eine Festlag«gäbe sein, die etwas Bleibendes ist für die lange Reihe der kommenden Alliag« und die doch etwas vom Wesen des Lichtfestes in sich birg», eine Gabe, die den schaffenden Menschen in- mitten der alltäglichen Sorge und des olltäglichen Kampfes über
Kindern kein Gift!
nicht minder aber das Geschenk, das den angedeuteten Zweck wirklich erfüllt, kann nur das Buch fein. Das Buch wühle für uns das selbstverständliche Weihnacht». gescheut werden, soweit wirtschaftliche Enge und wirtschaftliche Not überhaupt eine mehr als alltägliche Ausgabe gestatten. Ein Buch natürlich unseres Geistes und unserer Weltanschauung. Und alles liebevolle Einführen in die Seele derer, die wir beschenken möchten, müßte in dieser vorweihnachtlichen Zeit daraus gerichtet sein, zu erforschen, mit welchem Buch oder wenigstens mit welcher Art von Büchern wir die größte Freude bereiten würden.
Denn nicht jedes Buch kann jedem ein Eesährte im Alltag werden. Das muß es ober sein, wenn es den tiefen Sinn erfüllen soll, den wir einem festlichen Geschenk geben möchten. Das schnell
Erwachsenen keinen Schund! gelesene und schnell in die Ecke gestellte Buch hat keinen bleibenden Wert. Darum ist es nicht damit getan, in der Haft des letzten Augenblicks vor dem Feste ein paar Bücher zusammenzukaufen. Wer es ernst nimmt mit dem Schenken und dem Freudebereiten, der sollte rechtzeilig, lange vor der weihnachllichen Uebersüllung der Läden, wenigstens eine Stunde für den Besuch seiner Volks­buchhandlung freimachen. Jeder echte Volksbuchhändler will nicht nur Verkäufer, sondern auch
öerater rnid Wegweiser sein. Er wird gern die besonderen Wünsche entgegennehmen und daraufhin vorlegen und prüfen lassen, erklären und beraten. Aber Zeit muß sein. Zeit für den Ratsuchenden und Zeit für den Bc- roter. Wenn man nocb nicht ganz klar ist, ob das Buch wirklich den erstrebten Zweck erfüllt, braucht man dann auch nicht übereilt zu kaufen, sondern kann es noch einmal zu Hause überdenken. Jeder Volksbuchhändler hat auch zwei kleine Kataloge zur Hand, die er kostenlos zum häuslichen Studium abgibt. Der eine ent- hält die Geschenkliteratur unseres Geiste-, volkstümliche Werke, Romane, Erzählungen für Erwachsene usw. mit kurzer Chorakteri- sierung des Inhalts und trägt die Ausjchrist:.Wir schenke».. Der andere führt die Iuaendschriften, noch den Altersstufen ge- ordnet, auf und betitelt sich lustig:»Zungc oder Mädel?"(Wo keine Volksbuchhandlung am Orte oder in der Nähe ist, fordere man diese Kataloge vom Verlage I. H. W. Dietz Nachf., Berlin  SW. 68, Lindenstraße 3, der sie gratis jedem zur Durchsicht zu- sendet.) * Prüfet alles und das Beste behaltet! Nehmt e» ernst mit dem Schenken! Bedenkt, daß ein skrupelloser Kapitalismus Schund und Gift in Mengen auf den Markt wirft und daß wir diesen Kapitalismus nur bekänipsen können, wenn wir unserem Buch Eingang in die Häuser des schaffenden Volke? verschaffen! Tausende von Büchern warten nur daraus, Gefährten und Weggenossen der Männer und Frauen zu werden, die mit uns für eine bessere Weltordnung kämpfen. Tausende van Büchern möchten Gefährten der Kinder werden, um sie allmählich zu unseren Kampfgenossen zu erziehen. Verschafft lhnen Einlaß! Laßt sie nicht vergeblich warten! Weihnachten sei uns das Fest des Büchergeschents, sei Wegbereiter für das Buch, da- mit uns als festlicher Gefährte durch den Alltag schreitet!
Die BOcber des Dietz-Verlages und andere gute Qe- schenidi eratur sind ausgestellt und käuflich in Jeder 'Vorwärts"-Spcdltioa, in der Bachaasstellang im Gesund- beltsbaas, Am Urban 10-11(vom 12.-24. Dez., 11-8 Uhr ge­öffnet), in der Bacbbdlg. des Dietz-Verlages, Lindenstr.2.
Allen ein Buch!
Orientalische Phantasien" nannte sich die zweite, vom Groß-Berliner Bezirksbild ungs- a u s s ch u h arrangierte Sonntagsveranstolwng in der P h i l h a r- m o n i«. In Volkstänzen, die Max Terpis   mit Künstlern und Künstlerinnen des Staatsballetts vorführte, zogen phantastische Bilder, Szenen und Typen des alten und neuen Orients an uns vorüber. Antik ägyptische Reliefs werden lebendig, von Dorothea Albu und Rudi Kölling in scharf akzentuiertem Parallelismus ge­geben. Als alttestamentarischer Priester schreitet Terpis in einem aus majestätischem Pathos und krauser Beweglichkeit, aus Zion und Getiho seltsam gemischten Rhythmus über die Bühne. Hin- gebung, Rausch. Ekstase, Selbstoeigessenheit eines Derwischs oer-
LI)
Die Passion.
Roman von Clara vlebig. Eva nickte. Sie sah sich den Mann gar nicht näher an, sonst wäre sie vielleicht rasch an ihm vorbeigegangen, hätte sich nicht in ein Gespräch mit ihm eingelassen. So blieb sie ruhig stehen. Ihre schwachen lichtscheuen Augen flackerten ein wenig von der blendenden Schneehelle. Hält nich mehr wann." sagte er und klopfte sich den Schnee von dem fadenscheinigen Ueberziehsr. Dann zog er eine Flasche aus der Tasche und nahm einen Schluck.Liste ooch kalt? Willste ooch mal probieren?" Er bot die Flasche dem Mädchen an. Verträumt schüttelte Eva den Kopf:«Nein, ich danke." Der Hund knurrte. Der Strolch gab ihm einen Tritt, daß er sich winselnd zur Seite drückte.Kleene Kröte, mit dir wer'ch schon noch sertia werden!" Er faßte Eva unters Kinn.«Sag mal, hafte nischt zu essen bei dir?" Der arme Mann hatte Hunger! Sie wollte ihr« Butter- brotbüchse öffnen und ihm ihr Frühstück geben: er nahm ihr gleich beides zusammen weg, Brot und Büchse. Sie traute sich nicht, dagegen Einwand zu erheben, er kam ihr auf ein- mal widerlich vor, und auch zum Fürchten. War, im grinste er so» Sie wollte an ihm vorbei mochte er ihre Büchse behalten nur ihn los sein. aber er streckte seine Hand aus, seine Hand mit Nägeln, die so schwarz waren wie Pech: er hielt sie am Mäntelchen fest. Sie wollte ihren karierten Mantel, den die Mutter so hübsch verziert hatte mit Kaninchen- pelz, seiner Hand eniwinden, aber das gelang ihr nicht. Er zog sie immer näher zu sich- in semen scheuen Augen glomm etwas auf. sein Er-nscn wurde starker, er lächle so unband g laut, daß es wie Gemecker durch d:e bisherige Lautlosigkeit schallte:Komm man, da steht ne �anke. Kleene� komm man! Ich bin der Weihnachtsmann, ich Hab was�S Heenes vor für in n Sack hier. Sollst mal sehn, komm m m Er wollte sie mit sich ziehen, aber sie webrte sich. Plötz. lich erwacht, mit allen Kräften. Die waren nicht groß, scho mar sie halbwegs zur Bank gezerrt, da b'si'e ihn mit ihren smtzigen Zähnen so fest in d-e sc!, mutzige Hand, daß e. zu- sammenzuckend, sie losließ. Sie stieß e'nen gellenden«hrei «us und rannte fort, kläffend der H"nd h nterher. Und da tauchte plötzlich ein patrouillierender Schutzmann aus. Eva hatte zuletzt nur noch mühsam laufen können, sie
war allzusehr gerannt, ihr Herz klopfte rasend. Als sie nach Hause kam, war das Ehepaar längst vom Standesamt zurück. Olga hatte eine Schürze vorgebunden und war sehr ge- schäftig. Eva sollte den Tisch decken: die Mutter sah heute nicht, wie blaß sie war. Frau Bullmann kochte. Der Bräu- tigam hatte zwar gemeint, es sei besser, in ein Restaurant zu gehen, da hatte man keine Mühe, und viel mehr kostete es auch nicht, aber Olga wollte sich heute als berechtigte Haus- frau fühlen, in der eigenen Häuslichkeit ihre Gäste bewirten. Wilkowskis waren geladen, er und sie. und Herr Tän- deler. Der Gänsebraten war zart, der Rotkohl mit allen mög- lichen Gewürzen gekocht, und um dem Hochzeitsmahl einen würdigen Schluß zu geben, erschien noch eine Apfeltorte mit Schlagsahne. Zum Kaffee selbstgebackener Rapskuchen. Wil- kowski hatte ein paar Flaschen Wein gebracht, noch von Gretchens Hochzeit her. Es fehlte nichts zu einer Festlichkeit, aber die rechte Fröhlichkeit wollte doch nicht aufkommen. Eva war so blaß und stumm, daß Frau Ella ihrem Mann ins Ohr flüsterte:Da war es bei Greten doch anders! Sieh dir bloß mal die Eva an, da kann einem ja schon der Appetit vergehen. Die sieht aus, als sah' sie'n Gespenst." Eva sah auch ein Gespenst. Es saß neben ihrer Mutter und legte seine Hand auf sie. Das Gespenst hieß Enttäuschung. Eva wußte seinen Namen noch nicht zu nennen, aher mit un- kindlichen Augen erkannte sie. wie es die Arme öffnete und die Mutter in die hineinnahm. Das wäre eine gerechte Strafe für die Mutter, warum war ihr ihre Eva nicht genug, warum mußte sie den Blechhammer noch nehmen; aber mit Angst fühlte das Kind doch, was auf die Mutter wartete. Ob dieser junge Mensch, der so dicht neben der Mutter saß, ihre Hand mit dem neufunkelnden Ehering immer in die seine nahm, auch ab und zu einen Kuß darauf drückte, der jetzt sogar den Arm um sie legte, ob der, wenn die Mutter im täglichen Kleide war und nicht mehr so schön frisiert, wenn sie auch keinen Wein mehr auf dem Tisch hatten, ob der dann noch immer so verliebt tun würde?Ach, meine Mutter," schrie es in Eva. Olgas Wangen waren hochgerötet. Ihre Augen schim- werten feucht, aber es war nicht das Glück, das ihr zu Kops nestiegen war. Nun sie ihrJa" gegeben hatte, die bindende Formel unterschrieben, tickte es in jedem ihrer schnellen Puls- schlüge: hast du auch das Rechte aetan, das Rechte für dich und für deine Eva? Sie hörte n-cht, was Hans, der heute oanz ausgelassen war, ihr zuflüsterte, ihr Blick suchte das Kind.
Wilkowski räusperte sich zu einer kleinen Rede. Es war dieselbe, die er der Tochter gehalten hatte: nun hielt er sie der Schwester mit einigen Varianken. Die Varianten waren ihm nicht ganz leicht gefallen, es sollte recht witzig sein, nun geriet er ins Tranige. Seine Frau zupfte ihn:Mach Schluß," das ließ ihn erst recht keinen Schluß finden. Er verhaspelte sich. Es war doch auch keine Kleinigkeit, daß hier
1'
schon so ein halberwachsenes Mädchen vorhanden war. Möchte dir die Effc keine Enttäuschungen bringen, liebe Olga, nur Befriedigung und Freude!" Des Onkels Blick suchte Eva. Und möchte das Kind heute einen Vater bekommen, der es mit Liebe erzieht zu einem braven und glücklichen Menschen!" Prost, Tochter," sagte lachend Hans und stieß so mut­willig stark mit Eva an, daß ihr Glas überschüttete. Es war ihm auf einmal höchst komisch, daß er Vater sein sollte von so einem großen Mädchen. Aber Eva lachte nicht, sie blieb ernst und hatte ihr Glas nicht dem seinen enrgegengesührt. Ihr war sehr schlecht. Nicht bloß traurig war sie, nein, alles tat ihr w�h, sie fühlte sich zerschlagen am ganzen Körper. Sie war zu rasch gelaufen, das konnte sie nie vertragen. Aber die Angst vor dem bösen Mann hatte sie gejagt. Mit ihren Zähnen hatte sie den gebissen o, sie fühlte seither einen Schmerz in ihnen. Sie hatte ihn bis aufs Blut gebissen, fui, das schmeckte sie nun. Starren Blicks sah sie auf ihren ieller. Warum hatte der böse Mann sie auf die Bank locken wollen? Sie glaubte das zu wissen. Schreckliche Geschichten raunten sich die Schulmädchen zu, und die Lehrerin hatte neulich ausdrücklich gewarnt: nie sollten sie mit einem gehen, den sie nicht genau kannten, der ihnen Bonbons und Schoko- lade versprach. Das waren böse Männer, die brachten kleine Mädchen um, schlachteten sie ab, wie man Hühnchen schlachtet und dann rupft. Sie waren nun beim Kaffee, die Herren rauchten mächtig. Herr Tändelei machte einen berühmten Virtuosen nach, er spielte Klavier auf der Kommode, warf die Mähne, hieb auf die Tasten wie mit Pranken und Hans Blechhammer spielte dazu ein Violinkonzert auf dem hölzernen Stiefelknecht. Die Tante Ella lachte sehr, Eva konnte das gar nicht mehr mit anhören. Ihre Nerven waren zum Reißen gespannt. Ein seltsames Geflimmer hatte sie vor den Augen, sie konnte besonders mit dem rechten Auge kaum etwas sehen. Das kam, sie war so aufgeregt, sie fühlte es selber. Das Stück Kuchen, das sie sich genommen hatte, konnte sie nicht essen: schon der erste Bissen wurde ihr zu einem Riesenkloß im Halse. (Fortsetzung folgt.)