«rdbrigt tun für Me«nfefht,—« fft doch fo'n Heb« nchtg« Kwd. Weihnachtssreude. ganz bescheidene Weihnochtssreude zu schaffen. Für achtzig Pfennig— Ausnahmepreis— nimmt sie das Püppeken■ und verschwindet damit, klein, gebückt und doch voll Freude des Be° fitzens, in der Menge. In diesem Trubel wachsen die Wünsche. treiben zur.Erfüllung— schrumpfen nuch schnell mit einem Griff in die leeren Taschen hählich zusammen. » „Max und KlSrchen, das verNebte Pärchen.— Lametta, La- inetta,— wer will noch einmal,— ein Groschen die Bananen—!' I „Das ist was für die Braut, mein Herr, das ist Ware, da» ist prima Lackleders .�Handtaschen,— Handtaschen— l* „Na, meine Derne ,— wie is mit ner prima LacktascheT� „Nich?"— Lomm'se, Frolleln, der Kavallier kooft Ihnen eine!� Dos ift„Orje" von der Familie Pudelweit, der sein Geschäft für fremde Rechnung vom Alex bis hinauf zum Rosenthaler Plast, mit Handtaschen, mit Schals,— mit Schokolade,— immer Neues, wenn die Stücke verkauft sind, führt. Ware aus Geleqenhestsposten, aus Konkursmasse gekauft, von einem tüchtigen Macher, der oben in der Schönhauser seine Waren aufteill an viele, die für ihn auf die Strohe gehen und ihm den Gewinn bringen, für einen ge' ringen Anteil. Jeder versucht doch einige Mark für die Feiertage zusammenzuschaffen. So steht„Orse* nun mit Handtaschen in dein auf und ab brandenden Gewage des Alexanderplatzes. Die Menschen stoßen und drangen sich,«in Johlen und Schreien, Rufen und Anpreisen. vermischt mit dem Hupen der Autos, klingt dtirch die rieselnden Scheelkocken. „Drei Mark tost'nse noch, die Hondtaschenl" Nach einer halben Stunde find die beiden letzten—« sind ja immer die„Letzten'— an den Mann gebracht, das Geld klimpert ermrnternd in den Taschen, und rauf geht« durch das Straßen- gewühl nach der Schönhauser, Geld abliefern, neue Waren' holen. „Jetzt nimmste ma die Schals— eins, zwei, drei-- zwölfe find's, Stück'ne Mark,'n Groschen det Stück is deine,' sagt der Macher. Orse ist tüchtig und schafft. Eck« Linienstraß? baut er sich auf mit seinen Schal». „Eine Mark noch die Scidenschals, weil's die letzten sindf „Eine Mark noch--!' Wenn«r am Abend mit naffen Schuhen, durchgeweicht, in der väterlichen Behausung eintreffen wird, sollen die Alten mal staunen, wie Orse Geld gemacht hat, da will er mal die Platten aufzählen. „Eine Mark noch die Schals--!' * Maxe ist nicht so geschäftstüchtig, der Lichterglanz der bunten Schaufenster hat ihn b!s in die Leipziger Straße g'clackl Mit glänzende» Augen, die feinen Traum verraten, trippelt er durch die Menschen. Wo dle bunte Pracht von Schaufenstern lockig bleibt er stehen und kann sich schwer losreißen. Und in feinem kleinen Kopf, den die Wollmütze deckt, formen sich Gedanken und Wünsche, er ver« sucht, die vielen Herrlichkeiten, die seinen Anzüge, die bunten Spiel. fachen, dle Leckereien hinter den Schaufenstern in sein Leben hinein. zudenken. Hin und wieder besinnt er sich und denkt an Batans Worte: „Daß du mir heute Lametta vakoofst!" „Lametta, Lametta—— Groschen das Paket Lametta!' Kein Mensch beachtet ihn, wie er sich anpreisend dureh da» Gewühl windet, wie er dann schnuppernd vor einer Konditorei stehen bleibt und hungrig den JtaffeeduH atmet.„Lametta— Lametta!' Eine Dome kauft ein Paket, noch eine Dame kauft. Dann träumt er wieder ein bißchen. .Lametta— Lametta!' In der Menschenflut des Leipziger Platzes verschwindet er. Bald werden sa in den Buden die Herrlichkeiten zusanzmengepackt, dann umuschen die vielen Lampen und Lichter. Der Strom der Menschen wird oerebben— und man wartet auf den neuen Tag, hofft wieder...._ Ein gesundheitsschädlicher Betrieb. Am 22. Dezember ging durch die Preffe die Nachricht, daß in der Metallschleiferei Seifert, Ackerstraße 132. ein Brand entstanden ist, indem Petroleum in der Nähe ein« brennenden Gas- kochers verschüttet wurde, wodurch vier Arbeiter oerietzt worden sind. Einer der Verletzte» mußt« dem Lazarus-Krankenhaus « zugeführt werden. Der Deutsche Metallarbeiterverband hat schon einmal in einem Schreiben vom 15. Juni 1925 das Gewerbe-Aufsichtsamt auf die Gesundheitsschädlichkeit des hier in Frage kömmenden Betriebes hingewiesen. Am 26. August 1925 war-schon einmal in diesem Betrieb ein Brand ausgebrock?en. Am 4. Seotember 1925 Hot der Metallarbeiterverband die Gewerbe-Aufsichtsbehörden wieder auf diesen Betrieb aufmerksam gemacht. Scheinbar ist doch von den in Frage kommenden Instanzen alles versäumt worden. Es mußten erst Menschen in ihrer Gesundheit beschädigt werden, ehe endlich für Abhilfe gesorgt wird. Wir bringen diese Tatsache der Oeftentllchteii zur Kenntnis und glauben, daß auch die maßgebenden Behörden ihre Pflicht tun werde».
Heiland Volk.
Der Heiland Volk liegt nackt in armen Megen. Um neues Leben stöhnt verquättes Trauern. Um Furcht der Mütter fiebert fröstelnd Schauern. Unselig sind, die arm wie Tiere liegen. Die hohlen, heißen Sehnsuchtspfeile stiegen Durch das Gewirr der kalken, kranken Mauern. Die vor dem Lichterkreis des Lebens kauern. Sind als Gespenster nicht dem Grab entstiegen. Längst ward der Heiland Volk dem Volk geboren, Gehetzt vom Wind, gepeitscht von Hungerhieben. Sarmherzigkeil ging wund, am weg verloren. Was fromm ein heilig Wunderbuch geschrieben. Zst kalt und starr iu Wiutcrnacht erfroren Und Bettlergut ward Menschenwort vom Lieben. Franz Rothenfelder. Serliner Weihnachtsfeiern. Ja der Städtischen Blindenanstalt. Eine stimmungsvolle Weihnachtsfeier veranstaltete die Städtische Dliiidenanstalt Ihren Zöglingen bereits am Anfang der Wclhnochts- wache. Der Direktor der Blindenwohlfohrt Niepolt hiest eine weihe- volle Ansprache Die Aufführung eines Festspiels durch Zöglinge der Anstalt beschloß die Weihnachtsfeier, der auch zahlreiche Gäste beiwohnten.-Nach der offiziellen Feier fand unter dem großen Weihnachtsbaum, der mit zahlreichen Lichtern geschmückt war, eine Bescherung für die Kinder statt. Es wurden in reichem Motze Aepfel . Nüsse, Pfefferkuchen und nützliche Gegenstände, die zum Teil von den Freunden des Hauses gespendet worden waren, den Kindern auf den Gabentisch gelegt. Im Städtischen Waisenhaus. Auch da» Städtische Waisenhaus in der Alten Jakob st rohe hatte am Dienstag nachmittag eine schöne Weih- nachtsfeier für seine Insassen, sowie für die Zögling« des Kinder- asyls veranstaltet. Mehr als 596 Kinder waren zu diesem Festakt vereinigt worden, dessen Höhepunkt die Ausführung eines Festspiel« durch die Schwesternschülerinnen und Kinder bildete. Nach der Feier fanden in den einzelnen Stationen, in denen gleich- falls kleine Lichterbäume angezündet waren, die Bescherung statt. Wie der Direktor des Waisenhaus« Golz m seiner Festansprache ausführte, waren die Gobentlsche so reich gedeckt, daß die Insassen des Waisenhauses nichts von der Not merken sollten� unter der zahlreiche Menschen draußen im Lande zu leiden hätten. Di« strahlen- den Augen der Kinder zeigten dann auch, daß der Leitung des Städtischen Waisenhauses ihr schönes vorhaben gelungen war.— Das große Friedrichs- Waisenhaus in Rummelsburg hatte gleichfalls leinen Insassen ein stimmungs- volles Weihnachtsfest zu aeben gewußt. Zur gleichen Stunde fanden auch In den übrigen stäotlfchen Waiienanstolten und Erzlehungs- Heimen Weihnachtsbescheningen und Feiern statt. Im Slädilschen Obdach. Im Skädtsschen Obdach, das sonst wohl mir Rpt und Elend siebt. war am Dienstag nachmittag»m 5 Uhr gleichfalls eine Weihnacht- liche Stimmung eingezogen. Nachdem bereits am Sonnabend der vorigen Woche der Fröbeloerein für die Kinder der im Familienheim untergebrachten Obdachlosen eine Weihnachtsbescherung veranstaltet hatte, fand am Mittwoch die offizielle Feier statt. Nach einer Fest- anspräche wurden die Kinder mit bunten Tellern, einfachem Spielzeug und warmen Kleidungsstücken beschenkt. An der Feier nahmen etwa 399 bis 499 Personen teil. Außerdem hatte jeder größere Saal einen besonderen Weihnachtsbaum erhallen, so daß auch den Äermsten der Annen eine Fest«freude bereitet wurde In den Gefängnissen. Weihnachten im Gefängnis! Das Bittere d« Gefangensews mag vielen Insassen der Sirokanstalten niemals so stark zum Be- wußtsein kommen wie In der Weihnachtszeit. Es ist ein freundlicher Brauch(den nicht erst die neuere Art des Strafvollzuges den Ge- fängnissen gebracht hat), auch den Gefangenen einen Weihnacht?- bäum anzuzünden. Im Zellengefängnis Moabit durften wir gestern, einer Einladung des Direktors folgend, an der Weihnachtsfeier als Gast teilnehmen. Eine Feier war es, die ans Herz griff! In der durch alle Stockwerke der Anstalt bis zum Dach hinausreichenden Zentralhalle, auf die alle Gänge aus den strahlenförmig sie um- gebenden Gebäudeflügeln ansmllnden. ragte ein mächtiger Weih- nachtebamn auf. In allen Stockwerken strömten aus den Gänaen die Gefangenen nach diesem Mittelpunkt, und sie füllten die Ga- lerien, die in die Halle hinausoebaut sie umsäumen. Einen Anblick bot diese Gemeinde, der düster blieb und bedrückend wirkt«, trotz
dem Stchterglanz d« Weihnachtsknmm« und trotz de« sudelnde« Klängen der aus Kindheitstagen oertrauten Weihnachtslieder. Anftostsdirektor Hülsberg sprach in seiner Festrede wie ein Hausvater zu seiner um den Weihnachtsbaum oersammelten Fa- milie, nicht richtend, sondern aufrichtend. Eine kleine Bläserkapelle und ein aus Gefangenen zusammengesetzter Sängerchor verschönten durch ihre Mitwirkung die Feier. Langsam zogen sich die Ge- sangencn In die Gänge zurück, an denen die Zellen aufgereiht sind. Wehmütig klang es, als die Trompeten ihneck zum Abschied ihr „0 Tannebaum, o Taimebaum!' in die Einsamkeit nachiandten. —"« In der Strafansialt Spandau wurde gleichfalls das Weib- nachtsfest gefeiert. In der Anstaltskjrche fand ein stimmungsvoller Gottesdienst statt, an dem auch die Beamten des Gefängnisses unü ihre Familien teilnahmen. Im Anschluß daran fanden In den Haft- räumen Bescherungen für die Gefangenen statt. Di« Gaben waren von der freien Liebestätigkett gespendet worden. Außerdem war die Berpslegung der Bedeutung des Tag« angepaßt und den Ge- sangenen war die Erlaubnis ertsist worden, von ihren Angehörigen Pakete erhalten zu dürfen. Ferner wurden den Insassen der Straf- anstoll kleine Freiheiten gestattet, so daß auch im Gefängnis das Weihnachtsfest als Fest der Liebe empfunden wurde. Neben der Be- scherung für die Gefangenen hatte man aber auch der Fürsorge für die Familien, die durch die Hast de» Ernährer» in Not geraten sind, gedacht und an sie Geldspenden und Lebensmsttel verteilt. Auch im Strafgeföngnis Tegel sowie in den übrigen Gefängnissen Berlins fanden Weihnachtsfeiern statt. In Tegel wurden an die Angehörigen der Häftlinge etwa 1599 Mark verteilt, die ihnen zum Weihnachtsfest« durch Postanweisungen zugesandt wurden. Die Ge- fangenen erhielten Aepfel, Nüsse usw., einen Chriftstollen und besonders gutes Essen._ Ein seltsamer swtouafall. 18 Stunden im Dienst. Ein rätselhafter Fall beschästtgte das Schöffengericht Neukölln. vor dem sich der 24iährig« Kraftwagenführer Gerhard Herzig wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten hatte. Der Angeklagte hatte im Herbst dieses Jahres fahren gelernt und war am 5. Sep- tember morgens aus der Garage fortgefahren. Cr steuerte den Wagen bis 2 Uhr nachts, war also bereits 18 Stunden im Dienst, als er nach seiner Angabe am Ringbahnhos Neukölln eine Fuhre erhielt. Wie er behauptet, ist eine junge Dame in seinen Wagen einge- stiegen, dle nach der Spandauer Straße fahren wollte. Herzig legte ein so scharfes Tempo vor, daß in der Kaiser-Friedrich-Straßc eine Polizeistreise, allerdings erfolglos, versuchte, das Auto aufzuhallen. Die Beamten mußten noch im letzten Äugenblick zur Seite springen, weil sie senlt Übersahren worden wären. Wenige Sekunden später hörten die Polizeiwachtmeister der Streife einen lauten Krach. Sie eilten in der Dunkelheit an die Stelle und fanden dort die Mo- t o r h o u b e ein« Kraftwagens, die sie aus die Polizeiwache brach- ten. Eine andere Polizeistreise hatte im oberen Teil der Kaiser-Fried- rich-Straße inzwischen einen stark demolierten Handwagen gefunden, der ebenfalls auf die Polizeiwache gebracht wurde. Auf dem Wege dorthin sahen die Beamten In der Elbestroß« eine Motordroschke stehen, deren Kühler und rechter Kotflügel schwere Beschädigungen aufwiesen. Die Motorhaube fehlte vollständig. Im Innern des Wagens fand man einen Gemüsekorb von der gleichen Art, wie die oni dem aufgefundenen Handwagen. Im Innern des Wagens lag außerdem eine' Mütze. Die Polizei. beamten fanden nach längerem Suchen den Chausscur, der über die Art des Unfall», den fein Wogen gehabt haben mußte, Ausflüchte , machte und der zuerst behanptcte, die im Wagen liegende Mütze ge- höre ihm. Der Chauffeur—« war der Angeklagte Herzig— wurde i nun festgenommen, und auf der Wache stellte man fest, daß der Angeklagte völlig nüchtern war. Gegen 3 Udr morgens fand ein Gemüsehändler in der Fuldastraße auf den Schienen der Kleinbahn, die für dle Auslchachwngsarbeiten der Nordsüdbahn angelegt ist,«ine Leiche, die sorgfaltig mst einem Sack und einem Bogen Zeltungspapier zugedeckt war. Er benachrichtigt« die Polizei, und« wurde fest. gestellt, daß der Tote ein Händler Altmann aus Neukölln sei.— In der Gerichtsverhandlung behauptete der Angeklagte, er wolle von einem Zusammenstoß mit dem Handwagen überhauot nichts gemerkt haben, und es sei ihm auch unerklärlich, wie die Leiche des Händlers, den er zweifellos überfahren hat, auf die Schienen der Kleinbahn gekommen ist. Der Staatsanwalt vertrat die Ansicht, daß Herzig den Händler vcrn hinten überfahren habe und daß er dann die Leiche besseitegefchleppt und versteckt habe. Er beantragte gegen Herzig zwei Jahre Gefängnis. Das Gericht erkannte auf eine Strafe von 1 Jahr Gefängnis unter Anrechnung von drei Monaten der erlittenen Unterftichimgshaft, billigte dem An- geklagten, obwohl es auf fahrlässige Tötung erkannte, eine drei- jährige Bewähr u ngsfri st zu und legte ihm eine Geld- büße oo« 1S9 M. auf.
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Die Passion.
Roman von Clara Viebig . Wenn Eva an diesen Abend zurückdachte, überliefen sie selige Schauer. Freilich das Spätnachhausekommen und dann keine Stunde Schlaf finden können, denn gerade in dieser Nacht schrie der kleine Felix noch mehr als sonst, und sie mußte ihn bis zum Morgengrauen herumtragen, das liaite ihrer bis dahin mühsam behairpteten Gesundheit einen Stoß gegeben, von dem sie sich nicht recht mehr erholte. Den ganzen Winter hatte sie sich schlecht gefühlt, nun war der erste April vor der Tür, und nun mußte sie es der Tante sagen, daß sie es nicht länger mehr aushielt, damit Grete sich jemand anders zu Felix suchte Aber es tat ihr leid, von ihm zu gehen, sie hatte ihm all dle schweren Stunden, die er ihr bereitet hatte. nicht nachgetragen. Er konnte ja nichts dafür. Sie stand oft in Gedanken verloren, das Kind auf dem Arm und sah in sein leereg Geficht. Warum belebten sich diese blassen blauen Augen nicht, warum blieb in ihnen immer der gleiche starre Ausdruck? Je länger sie in diese leeren Augen sah. desto un- heimlicher wurden sie ihr. Und dann dünkten sie ihr nicht mehr leer, wie ein großer Vorwurf schien es aus ihnen zu blicken. Sie beugte ihr blasses Gssiäitchen nieder auf das andere blasse Gesichtchen und küßte es viele Male.— Fpur Mlkowski war außer sich: war das wohl eine Art. gleich aufzubegehren, wetttt man ein pasrmsl in der Nacht ausstehen mußte, das Kind»herumtragen? .Lch begehre ja nicht auf, Tante. Ich kann es nur nicht mehr.' Und Eva weinte. „Ja, da wird gleich geheult. Heule jetzt nicht,' fuhr die Tante sie an.„Dann kannst du heulen, wenn du zu anderen kommst und zu spät einsiehst, was du bei uns gehabt hast. Hier warst du doch immer bei Verwandten. Und was haben wir alles für dich getan! Dich aufgenommen als kleines Kind, das nichts als Last machte, dich wiederaufgenommen, als deine Mutter gestorben war, dich, als du aus dem Krankenhaus kamst, dann zum drittenmal aufgenommen! Und hast dn es etwa bei Greten nicht gut gehabt�" .T>och.' schluchzte Eva. -Und hast d« es bei mir nicht mich gnt gehabt?' Eva gab keine Antwort.
„Aber bilde dir nur nicht ein, daß ich dich nun wieder aufnehme: ich denke gar nicht dran. Albert ist aus dem Hause, Irma geht auch bald, das bißchen Arbeit kann ich mir nu ganz alleine machen. Dann mußt du dir eben wo anders 'nen Platz suchen, wenn es dir bei Schäfers nicht mehr paßt.' Ja, das wollte sie auch. Es regte sich wie Trotz in Eva: sollte sie sich denn nur immer Wohltaten vorwerfen lassen? Das war schwerer zu ertragen als harter Tadel. Sie schrieb an Frau Lessel, die hoffentlich letzr zurück war. schrieb in großer Aufregung, ob sie nichts für sie wüßte, eine Stellung als Kinderfräulein oder ganz gleich als was. Nur eine Stelle haben, eine Stelle, damit sie die Tante nicht bitten mußte: deholte mich noch. Frau Lessel schrieb umgehend: sie wäre erst eben aus Italien zurückgekehrt: eine Stellung wüßt« sie vorderhand nicht, aber Eva sollte einmal zu ihr kommen. Alb. wenn Frau Lessel ein Plätzchen bei sich in ihrem Hause für sie hätte, nur ein ganz kleines, ein beschetdenstos Plätzchen! Man würde sie gar nicht merken in dem großen Hau?. Aber schaffen würde sie heimlich, mehr tun in aller Stille als zwei große Dienstboten. Eva trug sich mit heim- lichen Wünschen, mit Hoffnungen, deren Erfüllung ihr nicht unmöglich dünkte. Ihre Frau Lessel war ja so gut! Die Dame war erschrocken, als sie ihren Schützling sah. Um Himmels willen, wie hatten sie das arme Ding abstrapa- ziert. Eva kam ihr fast schlechter aussehend vor. als damals in der Charit�. „Ich fühle mich auch schlecht,' sagte Eva. „Eine Stellung kannst du in diesem Zustand nicht an- nehmen, das ist ausgeschlossen,' sagte Frau Lessel. Aber sie sprach mit der Gemeindediakonissin: da sie dieser öfter Zu» Wendungen für ihre Armen machte, konnte ihr die jetzt viel- leicht helfen, das Mädchen unterzubringen, womöglich für längere Zeit, daß es sich auch völlig erholte. Den Betrag, den das monatlich kostete, würde sie gern bezahlen.— Coa wurde zu Frühlingsbeginn von der Gemeinde- diatonissin aus den Stettiner Bahnhof gebracht, ins Coup6 gesetzt und fuhr hinaus, in mecklenburgisches Land hinein. zur Erholung. Die Gemeindediakonissin war ein braves Landkmd: dort auf dem platten Land, in dem kleinen Diako- nissenheim, das für alles dasein mußte, für Alte und Kranke, Bedürftige und kleine Kinder, hatte sie sich glücklich und am Platz gesuhlt. Sie schüttelte Eva die Hand, trug ihr viele
Grüße für dort auf, wünschte ihr glücklich« Reise und eine schöne gesegnete Erbolungszeit. Eva schloß dle Augen, als sie aus Berlin hinausfuhr. Sie mochte die hohen Mauern nicht mehr sehen, jene grauen Häuserzeilen, die hier im Norden noch viel grauer schienen. noch viel trostloser. Sie lehnte den Kopf hintenüber an die Holzwand und fühlte sich sehr müde. JDa wird es sicher nett sein, so ganz auf dem Lande,' hatte Albert gesagt, als sie Abschied von ihm nahm. Bei Schäfers war es: Grete hatte Geburtstag, drinnen waren viele Gratulanten: Tassen klapperten, Schokolade wurde gereicht: Eva hatte den Moment abgepaßt, als er ging und war zu ihm hmausgeschlüpft vor die Entreetür. Da standen sie an der Treppe. Sie hatte ihn nicht gebeten, er solle ihr doch ein- mal schreiben: er sagte das ganz von selber.„Erbole dich nur, du siehst verflucht schlecht aus, Evchenl' Cr sah sie mit- leidifl an. Das wußte sie selber, daß sie schlecht aussah, das brauchte er ihr nicht erst zu sagen. Sie war gereizt gewesen, eine Blutwelle schoß ihr ins Gesicht. Bon ihm wollte sie das nicht hören, von keinem, aber von ihm erst recht nicht, vor ihm wollte sie hübsch und gesund sein, gesund— ach nur gesund! Aber jetzt konnte sie sich ja nachgeben, nun brauchte sie sich nicht mehr zusammenzunehmen..Sie ließ die Hände matt in den Schoß hängen, ihre Haltung hatte, trotzdem sie sich anlehnte, etwas Zusammengesunkenes. Wenn sie doch schlafen könnte! Sie hatte ein unendliches Bedürfnis nach Schlaf. Aber es war nur ein Halbschlaf, in den sie verfiel, ein un- erquickliches Drufeln, bei jeder Station schreckte sie auf: bäuer- liche Leute stolperten herein, stolperten hinaus. Nun, dafür würde sie in der kommenden Nacht ganz ungestört, dopvelt gut schlafen. Und Neugier zwang ihr die Augen auf. Dom Stetttner Bahnhof war sie schon einmal abgefahren— ach in jenen alückseligen Zeiten, als sie«In Kind war und noch eine Mutter hatte! Die Strecke war ähnlich gewesen, mir daß es damals grüner, warmer Sommer war und jetzt nicht. Es war kalt, der Wagen nicht mehr geheizt, sie fror erbarm- sich. Oder war es eine oewisse Beklemmung, wie sie es da treffen würde, oder ihre Blutarmut, die sie so frösteln machte? Auf Wiesen, die halb unter Wasser standen, krustete es sich noch bie und da wie gefrorener Schnee. In Ackerfurchen, unter Hecken zusammengeweht, lag es noch weiß wie ver- lorene kleine Tüchlein. Hier war noch Winter. (Fortsetzung folgt) J