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Freitag

1. Januar 1926

Unterhaltung und Wissen

Bauernregeln für das Jahr 1926.

JANUAR

FEBRUAR

MÁRZ

APRÍL

JUNI

Bellage des Vorwärts

JULI

vka

Januar muß vor Kälte knacken, Wenn der Landbund gut foll facken. Sagt der Ochs am 27. Muh, Wählt er auch deutichnational dazu.

Wenn's an Lichtmeẞ stürmt und schneit, Tit der Frühling nicht mehr weit, Doch kommt er ipät und nicht gefchwinde, So hat auch diefes leine Gründe.

AUGUST

Märzichnee

Cut allen Saaten weh.[ Ichnelen Doch tut es unterm Schutzzoll So kannst du trotzdem gut gedeihen.

SEPTEMBER

Geht nun im Feld die Arbeit an, Beherzige jeder deutiche Mann: Wie wirbilger Aprilenwind Dentichnationale Worte find.

OKTOBER

MAÍ

Schwärmen am 1. die Hrbeiter aus, Bleiben die Rauern muffeind zu Haus.

Ein Regen an St. Barnabas

Macht keinen preaẞ'ichen Richter naß! Es hat

Herr Zehnhoff lel gelegnet­Hoch nie einem Richter in die Bade geregnet

DEZEMBER

000

NOVEMBER

Ob Sleben ichläfer naß oder trocken, Deutichland wird immer im Schlafrock Das war fo und das wird fo bleiben,[ hocken. Man kann drüber Bauernregein schreiben.

Wie's Wetter am Derfallungstag, Es wohl im ganzen Jahr fein mag! Drum fel so gut und gib Dir müh', Und mache gut Wetter für die Demokratie!

Die Brücke der Zeit.

Wir wollen nicht das neue Jahr beschwören, Denn alte Laft gab ihm das alte Jahr, Und leerer Wunsch bleibt armes Sichbetören. Die Erde selbst muß uns als Stern gehören Und Menschen fragen, start und sonnenklar.

Wir wollen nicht die harten Hände falten, Denn unser Goft wirkt in der eigenen Bruft. Er zwingt zum Beten fich die Urgewalten Und dröhnt in Städten, die zur Tat fich ballten, Und redt sich auf, der eignen kraft bewußt. Wir dürfen nicht Vergangenes beklagen, Nicht taflos fräumend in die Zukunft sehn, Denn hart auf hart geht es in unsern Tagen Wir müssen selbst der Zeit die Brücke schlagen, Soll uns ein Neujahr leuchtend auferstehn. Bruno Schönlant

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Begegnung am Jahreswechsel.

Bon Franziska Mann.

Ach," sagte die junge Neujahr, das glaube ich nicht. Netu, Altjahr, so schlimm werden die Menschen nicht sein."

Auf der Orientierungskonferenz, die alljährlich furz vor Mitter­

nacht am 31. Dezember anberaumt iſt, äußerte sich Neujahr in dieſem

Sinne.

Hat Jugend je dem Alter geglaubt? Bohl begreiflich, daß die grämliche, zermürbte Greifin auf die beschwingte, rofige, unerfahrene, junge Neujahr feinen vertrauenerweckenden Eindruck machen tann. Unfeinfühlig, wie die neue Generation nun einmal ist, plappert Neu­jahr rüdsichtslos heraus: Es muß doch wohl Ihre Schulb sein, daß fo viele Ihr Ende herbeisehnen, Sie werden nicht verstanden haben au individualifieren."

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Altjahr widerspricht milde: Individualisieren? Kind, dazu hat unsereins doch mit viel zu vielen zu tun. Und im übrigen wesentlichen gleichen sie sich fast alle."

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im

Am liebsten hielte Neujahr sich die Ohren zu. Unbeeinflußt will fie ihre Regierung antreten. Wenn nur die verflirte Konferenz nicht vorgeschrieben wäre.

Seltsam berührt es die Ueberempfindsame, daß es fast schmerz­haft in ihren Flügeln zuckt, so oft ihr Blick fich auf die abgehärmte Gestalt ihr gegenüber richtet. Ueberhaupt: wo hat Altjahr denn ihre Schwingen gelaffen? Gehabt muß sie sie doch auch einmal haben. Das, was da so zerrupft und zerzauft an ihrem Budel- en

"

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Rüden

herunterhängt, das fönnen

fann man wirklich nicht mehr sagen unmöglich einmal Flügel gewesen sein. Mühevoll hat sich Altjahr zur Konferenz oben ins Nebelmeer getaftet. Acht Tage gebrauchte fie eigentlich wäre der Weg in brei Minuten zu durchfliegen. Mit Altjahrs Augen wird es nicht beffer bestellt sein als mit ihren Beinen," stellt die Junge im Stillen fest. Sie fann anscheinend alles nur noch umdunkelt sehen." leberheblich klingt dann auch ihr Fragen: Alle einander ähnlich? Das mag vor Jahrzehnten richtig gewesen sein, aber heute in der neuen Zeit, im Jahrhundert moderner Erziehung, fegueller Auf­flärung, allgemeiner Berbrüderung, unbegrenzter Freiheit?" Weiter fommt Neujahr nicht. Altjahr ist die Geduld gerissen, fie läßt den guten Ton außer acht und unterbricht grollend die junge Nachfolgerin:

Neue Zeit? Gibt es gar nicht. Großmäuliger find fie ge­morben, ftreitfüchtiger, das ist der ganze Unterschied. Größenwahn belaftet fie. Grundfalsch faffen sie das Leben an. Sie bilden fich ein, es Jei meine Schuldigkeit gewefen, fie glüdlich zu machen. Ich finde, fie hatten fein Talent, glücklich zu werden. Aber davon haben fie feine Ahnung, daß sie selbst ihr Schicksal find. Stets schieben sie die Schuld auf andere nie auf sich selbst. Ich bestreite nicht, daß sehr wenige. Und dann ihre bie tann nur noch pathologisch genannt

es Ausnahmen gibt, aber wenige Gebächtnisschmäche,

St. Sedanstag Regen bringt Gicht in die Der wohlbekannten Kriegervereine.

[ Beine

Fällt der erite Schnee in Dreck, So bleibt der ganze Winter ein Geck! Fällt Herr Cadendorff in Dreck, Erfüllt er trotzdem feinen Zweck.

Tut der Wind vom 9. felbft Kronen verwehen, So wird das wohl auch mit Zylindern mal geben! Zumal, wenn die Magen, die Hunger veripliren, Für Martinsgänie fich intereflieren!

werden. Wie rasch vergessen fie all die großen, schönen Augenblicke, die ihnen von mir geschenkt wurden. Immer hörte ich laute Klagen über mich. Ich sage dir: es lohnt nicht, den Menschen wohlzutun. Nur das Unerfreuliche gräbt sich ihnen ins Hirn. Rein

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aber in diesem Jahr-, und dann fangen sie mit thren Borwürfen an. Die ungerechtesten Beschwerden schleudern sie mir entgegen. Es gehört unendliche Nachsicht dazu, fie für ihr oft unberechtigtes Jammern nicht ganz anders zu bestrafen. Und das allertraurigste: ihnen fehlt jede Begabung zur Freude. Auf dem Gebiete der Begeisterung sind fie völlig talentlos. Rausch, ja, den tennen fie: durch geistige Getränke, aber nicht durch geistige Genüffe." Die junge Neujahr hält sich längst die Ohren zu. Ihre Augen ftarren verängftigt auf die verfrüppelte Gefährtin, die unbarmherzig fortfährt:

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Der beste Wille hat mich befeeft, als ich zu den Menschen berufen wurde. Mein Herz war von Liebe und Tatfreudigteit erfüllt. Alles follte beffer werden: Brot wollte ich ihnen schaffen, Törichte belehren, Berbitterte mit ihrem Schicksal aussöhnen, Diplo maten wirklich diplomatisch machen, Klugen beweisen, wie wenig Klugheit allein bedeutet, ihnen eine wahrhaft ethische Wertbeftini mung zwischen ihresgleichen beibringen; weitfichtiger follten Sie merben, gerechter, größer. Alles ist mir mißglückt. Alles ist an threm Starrfinn oder an ihrem Schwachsinn gescheitert. Ein paar Lage bemühen fie sich, eine so etwa bis zum 4. Januar Lebenswende durchzuführen( du wirst dich auch von ihrer Energie losigkeit überzeugen); dann bleibt wieder alles beim alten. Es muß etwas in ihrer Konstruktion verfehlt sein, fie scheinen fich nicht ändern zu können. Nur so ist es zu begreifen, daß sie von ihren ewigen Irrtümern nicht laffen. Glaube mur, fleine Neujahr, es ist schwer, mit den Menschen auszukommen. Ihre große Verschiedenheit den Nuancen; die gleichen Ursachen erpressen ihnen Tränen oder be seligen fie: Geburt, Leidenschaft, Liebe, Tod- in allen nur Nuancen nur Nuancen. Sogar zwifchen arm und reich ist der Abgrund nicht so gewaltig. Alle wandern sie dem Tode entgegen. Manche gelangen früher, manche später zu der Einsicht, daß es gar nicht lohnte, soviel Aufhebens von sich zu machen. Die Allerbeschränfteften geben es nicht zu; ich aber weiß, flein werden sie zuletzt alle."

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Grüne Weihnachten, weiße Oftern! Grüne Jungens, welße Führer! Weiße Führer, Ichwarze Taten!

Der Feme wird noch manch Ding geraten!

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aber

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Einmal noch versucht Altjahr ihr Unrecht gutzumachen, schon flattert ihr Atem. Neujahr hat Mühe, fie zu verstehen: Die ar- men Men- schen find schlecht ton- stru- tert fehlt -get- fti- ge- Ge- fund- helt-und in völliger Klarheit un- hell- bare und mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte De- fel- te- Schonung- for- dern-- Liebevoll, aber zerstreut neigt Neujahr sich über die Entfeelte. Erstaunt fühlt fie in dieser Setunde, daß ihre Flügel anfangen, fich langfam, ganz langsam zu bewegen. Seligkeit durchschauert sie. Die Borstellung ihrer Unentbehrlichkeit treibt Röte in ihre Bangen.

Auf Erden scheinen sie anläßlich Reujahrs Geburt illuminiert zu haben. Von allen Bergen und Bäumen glißert es. Neujahr ist von dieser allgemeinen Aufmerksamkeit entzückt. Flammende Begeiste rung für die Menschheit überkommt fie glühenber als je. Threthalben alles illuminiert! Ihre Persönlichkeit muß doch eine ganz andere sein als die der eben Berstorbenen! Die tat ja, als habe sie ihr Lebelang nur mit Miffetätern zu tun gehabt. Neujahr, die junge, die schöne, zweifelt nicht, daß sie, die hoffnungsstarte 1926, dazu aus: erwählt ist, den Umschwung zum Besseren auf Erden herbeizuführen.

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Immer heftiger bewegen fich Neujahrs Schwingen. Schon um brauft fie die jubelnde Begrüßung der Menschen. Schon ist ihr tatbereites Selbstvertrauen ins unermeßliche gestiegen.. Eine abschließende Krittt, nein, die will die junge Neujahr nicht schon heute fällen. Aber das erkennt sie in sicherem Instinkt aus den vielen, vielen sehnsüchtig auf sie gerichteten Augen der Menschen: nicht Schuld flagt aus ihnen, sondern Schicksal, das sie nicht allein formen founten. Sie will ihnen helfen. Sie wird ihnen helfen. Sie ganz bestimmt!

bilden fie fich nur ein; im wesentlichen unterscheiden sie sich allein in Honigkugeln, gebutterter Tee, Geistertänze.

Altjahr ist ganz außer Atem geraten. Ihr Bericht ist vollendet, ihr Jahresabschluß nicht gefälscht. So schlecht, wie die junge Neujahr sich einbildete, müssen doch wohl der Alten Augen nicht sein. Deutlich erkennt die Erschöpfte das Glitzern des Schnees unten auf der Erde und die traurig ge­wordenen Blide ihrer Nachfolgerin. Und feltfam: genau wie der Mensch in seiner Sterbestunde Haß und Bitterteit hinter sich läßt und vor der großen Pforte, durch die wir alle müssen, der Wahrheit im tiefen Schweigen und in nahe tommt, so fühlt Altjahr jetzt im tiefen Schweigen und in plötzlich nichts als tiefes Mitleid der lautlosen Stille der Nacht mit den Menschen.

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War es nicht doch vielleicht falsch, die junge Neujahr so zu be­

taften? Sanft greift fie nach deren Hand und ftreichelt fie behutsam,

während sie sich einmal noch zu ihrer einstigen Höhe emporrichtet. In dieser Minute erkennt Neujahr deutlich, daß das Berzaufte doch Flügel gewesen sein müssen, die nur durch dauernde Mißhandlung so wurden, wie sie heute find.

Berzeth, geliebte Neujahr, vergiß, was ich dir eben fagte." Jede Härte ist aus Altjahrs Ton geschwunden: Ich bereue, dich durch Boreingenommenheit unsicher gemacht zu haben. Bergib. Es war schmer, sich den Blick nicht trüben zu lassen und gerecht zu bleiben. Eigentlich find die Menschen ja teines Befizes sicher, nicht ihrer Liebe, nicht des Verständnisses ihres Nächsten, nicht ihrer eigenen Redlichkeit und Treue. So ist es wohl gekommen, daß sie glauben, fich fortwährend zur Wehr setzen zu müssen. Aus dieser Einbildung heraus spalteten fie fich in Barteien, wurden allmählich ia auch geräuschvoll, rechthaberisch, hartherzig, dünfelhaft, heftig, verbrecherisch.( An noch mehr unangenehme Eigenschaften erinnerte fich Altjahr nicht, ihr Gedächtnis muß doch stark gelitten haben.) Sie find von bösen Geistern beseffen, alle find sie von ihnen besessen."

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Ergriffen sehen Alijahr und Neujahr sich in die Augen. Keine Ueberhebung ist mehr in den Augen der Jungen. Jetzt ist sic es, die Altjahr liebevoll über die Stirne streicht. Biel , muß die Arme gelitten haben, bis all ihre Ideale Reißaus nahmen.

Eine Reifeerinerung von Arthur Körner.

Die Erneuerung des Jahres ist für die Tibetaner, mie für alle Bölfer, eine Zeit der Feste und Beluftigungen. Die letzten Tage des zwölften Monats werden bereits zu den Vorbereitungen des Neujahrsfestes verwendet, indem man sich mit Tee, Butter, gerösteter Gerste und einigen Ochsen- oder Hammelvierteln versieht. Man reinigt die Wohnung, und namentlich die Hausaltäre find insofern Gegenstand einer besonderen Sorgfalt, als man die alten Bilder neu bemalt, Pyramiden baut, Blumen und andere Zierrate aus frischer Butter anfertigt, um damit die fleinen Heiligtümer zu zieren, in denen die sogenannten Familienbuddhas ihren Siz haben. Die erste Lukso oder Festordnung beginnt um Mitternacht. Alles ist wach und erwartet mit Ungeduld die feierliche Stunde, die das alte Jahr schließen und das neue eröffnen soll.

Meine beiden Reisegefährten und ich schliefen noch feft, als mir durch das in allen Teilen der Stadt ausbrechende Freudengeschrei aufgeweckt wurden. Bald ließen sich die Glocken, die Zimbeln, die Seemuscheln, die Tamburins und all die Instrumente der tibetani­schen Mufit vernehmen, die einen schauderhaften Lärm verursachten. Wir wollten anfangs aufstehen, um den Spettafel mit anzusehen, aber die Kälte war so schneidend, daß wir nach reiflicher Ueber­legung lieber unter unferen Bolldecken liegen zu bleiben beschlossen. Das half aber nichts; wiederholte Schläge an unsere Tür verkünde­ten uns, daß wir unseren Plan aufgeben mußten. Nach einigem Zögern verließen wir endlich unfer warmes Lager, legten unsere Kleider an, öffneten die Tür, und einige Tibetaner unserer Bekannt­schaft traten ein, um uns mit der gewöhnlichen Bewillkommnungs­speise zu erfreuen. Alle trugen nämlich einen fleinen irdenen Topf in den Händen, worin Kugeln aus Honig und Weizenmehl in fieden­dem Wasser schwammen. Einer der Besucher bot uns eine lange filberne, in einen Hafen auslaufende Nadel und lud uns damit ein, in feinem Gefäß zu fischen. Wir sträubten uns anfangs unter dem Vormand, daß wir bei Nacht teine Nahrung zu uns nehmen, aber der gute Mann wurde so dringend, daß wir uns schließlich der Lufso um den Geschmad zu untersuchen. Wir sahen uns an und schnitten fügen mußten. Jeder von uns stach eine Kugel an, die wir zerbiffen, Gefichter, doch aus Höflichkeit mußten wir sie hinunterschlingen. wäre es nur damit zu Ende gemesen, aber die Luffo war unerbitt­lich, benn die zahlreichen Freunde, die wir zu Lhaffa, der tibetanischen Hauptstadt, hatten, folgten einander ohne Unterlag, und mir mußten tibetanische Honigkuchen verspeisen bis zum hellen Morgen. Die zweite Lukso besteht gleichfalls in Visiten, aber mit einem neuen Zeremoniell. Gleich mit Anbruch des Tages durchlaufen die Tibetaner die Straßen der Stadt, einen Topf mit Tee, der mit Butter angemacht ist, in der einen und in der anderen Hand eine große, vergoldete und gefirnißte Blatte, worauf geröstetes Gersten­mehl in Byramidenform aufgeschichtet ist. An einem solchen Tage