Freitag
8. Januar 1926
Unterhaltung und Wissen
Adel verpflichtet.
Bon Aage Lotinga.
( Schluß.)
,, Du, Biola..." tam es undeutlich und stoßweise.„ Ich bin geliefert... ich bin... ja, ich bin nun ganz fertig..
Liola war eben im Begriff, ihren Frisiermantel anzulegen, fie wandte sich mit einem Rud um und starrte Henning Trolle ver ständnislos an, der unter ihrem Blid noch mehr zusammenzusinten fchien Er ftammelte weiter:
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„ Ja, ich bin geliefert genau so wie früher Lyttichau. Nun gerate ich auf denselben Weg.
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puh!"
Bisla ging zu ihm hin, nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und zwang ihn froß seines Widerstrebens, aufzubliden.
" Du meinst doch nicht, daß Du auch... Ach, Henning, es handelt fich doch wohl nicht um einen falschen Wechsel?"
Henning vergrub seine Hände in den Hosentaschen und starrte hoffnungslos vor sich hin.
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„ Ja, eben das ist es. Zum Henker, ich brauchte notwendig Geld. Was müßt das wenige, das Mutter mir schickt? Wenn man Henning Trolle heißt, fann man nicht wie ein Lumpenhändler leben. So ahmte ich Harsdorffs Namen nach. Du weißt, Harsdorff aus Garden. Er lautet auf 700 und verfällt morgen. Hast Du denn gar nicht versucht, Dir Geld zu verschassen?" " Das ist hoffnungslos. Ich hatte die ganze Zeit mit Lyttichaus Hilfe gerechnet da fiel er selber von der Stange. Die übrigen paar Menschen, mit denen ich bekannt genug bin, um mich an fie zu wenden, haben fein Geld. Und an jene, die Geld haben, fann ich mich nicht wenden. Nein, weißt Du ich bin fertig. Nun fann ich mich darauf gefaßt machen, Weihnachten im Rittchen zu feiern, anstatt nach Hause zu reisen wenn ich mir nicht eine Kugel durch den Kopf jage. An meine Mutter und Schwester darf ich gar nicht denken Ich glaube, daß Mutter vor Kuminer den
Verstand verlieren wird!"
Tränen erftidten feine Stimme.
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Biola strich bedächtig über sein Haar hin.
Du
Ach, schnid, schnad, Du bummer Junge. Du follft weder in Arrest fommen, noch Dich erschießen. Das fehlte nur noch. fannst Dir ja das Geld von mir borgen. Ich habe 1200 Kronen auf meinem Sparkassenbuch ausstehen, und
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Henning Troll sprang mit einem Satz vom Stuhl auf. Seine Augen leuchteten in neuer Hoffnung, aber er schüttelte den Kopf. „ Nein, Biola es ist furchtbar nett von Dir, aber ich fann Dein Geld nicht nehmen, das wirst Du doch verstehen." „ Du sollst es ja auch gar nicht nehmen, Du Dummerjan fondern nur leihen. Dann sollst Du es mir ja immer abzahlen, gang langsam, allmählich, wie Du es entbehren kannst."
Henning starrte einige Augenblicke stumm vor sich hin. Dann ergriff er Biolas Hand und preßte fie heftig.
Dant, Biola. Tausend Dant," fagte er bewegt. Das werde ich Dir niemals vergessen!"
Er setzte sich nieder und beruhigte sich ein wenig, während er die Schweißtropfen, die auf seiner Stirn perlten, abtrocknete. Dann zog er Viola auf seinen Schoß.
" Du, Biola, was würdest du dazu sagen, daß wir beide uns Derheirateten und zufammen fortreifen. Jawohl, das ist Ernst," fuhr er eifrig fort, als sie ihn mit einer ungläubigen Miene an starrte. Ich meine es wirklich, Biola. Ich bin dieses Hundelebens hier ganz und gar überdrüffig, dieses verdammten, jammervoll gentilen Dajeins ja, denn Du kannst Dir feinen Begriff davon machen, wie verzweifelt das ist, den Schein aufrecht zu erhalten und ben Ebelmann zu spielen, menn man nicht anderes als ein Graf Habenichts ist, und das ganze Batererbe in einem Stüd Brachland und ein paar Mauerresten oben auf Fünen besteht.
Laß uns zusammen nach Amerita reisen. Du bist auch zu gut für das Leben, das Du hier führst. Und drüben fann ich auf alle feinen Empfindeleien pfeifen, ich fann alles unternehmen, was, zum Henter, es fein möge, und fann etwas werden. Und Dich habe ich hoch einzuschäzen gelernt, Viola, Deine Vergangenheit tut mir nichts. Herrgott, ich bin ja selber nur ein Zuchthauskandidat, der gerade durch Dich aus dieser verdammten Geschichte heil hervorgegangen ist."
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Gie saßen bis in die tiefe Nacht und machten Zukunftspläne Morgen abend sollte Henning Trolle heimreisen, um mit Mutter und Schwester Weihnachten zu feiern. Und nach den Feiertagen wollte er sich mit Mutter aussprechen und ihr flar machen, daß es nur einen Ausweg gebe, wenn er nicht in einem inhaltlosen, halbperlumpten Dasein verfumpfen solle. Die Reise über das Meer zum Lande der goldenen Zukunftsmöglichkeiten für jeden, ber vorwärts fommen wollte. Reisegeld und etwas Barmittel, um die erste Zeit drüben durchhalten zu können, würde Mutter wohl entbehren wollen. Ehe sie zur Ruhe gingen, tranten fie Champagner und in diesem festlich perlenden Trant brachten sie ein Hoch auf die Zukunft aus. Am nächsten Tage reifte er zu feiner Mutter, und Viola begann die Stunden zu zählen. bis er wieder etwas von sich hören laffen würde. In der Zwischenzeit baute sie Hunderte von Luftschlössern und träumte sich einstweilen in eine zufünftige Eriftenz hinein, als achtungswürdige Ehefrau in dem fernen Lande, von bem fie dann zuweilen als die reiche dänisch - amerikanische Frau Viola Trolle zu Besuch fommen und ihren alten Bekannten im ponieren würde.
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Es fam ein furzgefaßter Weihnachtsgruß von Henning, bann hörte sie bis Neujahr nichts von ihm. Da kam endlich sein Brief. Er schrieb:
Entschuldige, daß ich nicht früher geschrieben habe, aber ich war sehr in Anspruch genommen, unter anderem durch verfchiedene Familienangelegenheiten, die mich mit Beschlag belegten. Hinsichtlich gewiffer Bläne, die Du und ich neulich erwogen, muß ich Dir mitteilen, daß verschiedene Umstände fich bei näherer Erwägung als hindernd herausstellen namentlich in bezug auf meine Familie, die mit Bestimmtheit von mir erwartet, daß ich mich mit einem Mitglied unseres eigenen Kreises vermähle. Ich fehe ein, daß ich mich leider diesem Gebot beugen muß. Adel verpflichtet nun einmal.
Freundliche Grüße Dein ergebener H. T. P. S. Ich verlasse mich selbstverständlich vollständig auf Deine Diskretion. Die 700 wirst Du balbmöglichst zurückerhalten. Biola weinte einige Tage ein wenig über diesen Brief, dann fnüllte sie ihn zusammen und warf ihn in den Kachelofen, wonach fie refolut ausging, ihre Enttäuschung in einem munteren Cham pagnerrausch ertränfte und ihr gewohntes Gewerbe wieder aufnahm. Eine Reihe von Jahren ist seitdem vergangen Henning Trolle hat mit Mühe sein Examen gemacht und wurde durch Protektion Ministerialbeamter . Die Berpflichtungen seiner Familie gegenüber hat er dadurch erfüllt, daß er eine bleichfüchtige, magere Dame Don Etand ehelichte. Biola hat ihre 700 Kronen noch nicht erhalten, und sie hat sich niemals dazu entschließen fönnen, ihn daran zu erinnern mas vielleicht viele moralisch und bürgerlich gesinnte Leser in Er. staunen ſegen wird. Ab und zu begegnet sie Henning auf der Straße, sowohl mit der Frau, als auch ohne sie. Er aber starrt stets gerade aus. Ein verheirateter, heimgekehrter" Trolle achtet selbstverständlich nicht auf die Straßendirnen. Denn Adel verpflichtet.
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( Berechtigte Ueberlegung von Senna Bod- Reamen
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Beilage des Vorwärts
Carol, der Hohenzoller.
ZYX
„ Die alberne Königskrone kannst du ruhig fahren lassen. Wenn das rumänische Volk erwacht, ist eure Familie den Thron ja doch los."
Bon Paul W. Eiseler.
Wir wollen Farbe nicht, mur Schatten, ben leifen feinen Uebergang. bie Schwingungen, den halben Klang
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Als am 8. Jamuar des Jahres 1896 in einem armfeligen Quartier der Tod über das seltsame Leben Paul Verlaines seinen ewigen Schatten fenfte, da tam er für ihn als gewünschter Beschluß eines Bresto- Daseins, dem auch nicht die tiefste Tiefe unerschloffen geblieben war. Eines Daseins, das, zehrend vom Glanz vergangener Tage und in lächerlicher Eitelkeit, in den Hofpitälern und Spelunken des dunkelsten Paris verlöschte.
Und dennoch: Es war ein Leben, buntfarbig, pielgeftaltig, graufig, schön. Still und leiſe, zärtlich behütet und geführt, begann es 1844 in Metz und spinnt sich weiter in Paris , wo Berlaine nach der Studienzeit in beschaulichen guten Verhältniffen als Beamter bei feiner Mutter hauft. Erster Dichterruhm blühte ihm zu: die„ Satur nischen Gedichte"( Poèmes saturniens), auf den Schulbänken der Universität geschrieben und mit Hilfe seiner Rusine veröffentlicht, machten ihn befannt und trugen ihm die Anerkennung der litera rischen Welt ein. Stärfer, wenn auch gebändigter und einheitlicher, leuchtet der Unterstrom der Pubertät in den bald darauf folgenden Gebichtbänden; in reinster, fristallflarer, mit Keuschheit innig ver. bundener Form in dem„ Benne chanson", den Gedichten, die der liebende Jüngling an seine Braut schrieb. Allein, schon in dieser Zeit war eine böse Gewalt in Verlaines Leben eingebrochen: der Dämon Alkohol. Wohl schien es, in der kurzen Pause der Liebesund Chezeit, als ginge die Linie wieder aufwärts, doch bald schwenkte das Boot des Daseins unrettbar auf den stürmischen Wellen der Leidenschaft, die es in höchsten Taumel und dann wieder in tiefste Erniedrigung schleuderten. Der Absinth, das„ grüne Gift", reißt bie 3wiespältigkeit der Berlainefchen Natur in ihre legten Extreme; innenmensch, Trinker, Wüftling, pervers und brutal, ist er morgen Beter und Büßer, weich und sentimental, zerknirscht und reuepoll. Und noch ein anderer griff zerstörend in das Leben ein: Artur Rimbaud, der zwischen 15 und 20 Jahren die besten Gedichte und nachher feine Zeile mehr schrieb, der fraftstrogende, leidenschaftliche Mensch, ber mit Berlaine die gleiche Reigung tellte: zu trinken. Ge meinsam wanderten sie durch die halbe Welt Berlaine Frau und Kind verlassend durch Elend und Not, Bechereien und Gefängnisse. Als Rimbaud eine Trennung versucht, schießt Berlaine in Brüssel auf ihn; zwei Jahre Kerker find die Strafe. In dieser Zeit wurde Verlaine zum Frömmler, zum katholischen Dichter. Noch einmal ttaf er mit Rimbaud zusammen und versuchte diesen zu befehren, allein fte fommen wieder ins Trinken und in Streit, in deſſen Berlauf der stärkere Rimbaud den schwächeren Verlaine am Neckar im Monden scheine niederschlägt und liegen läßt.
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Dann, nach Paris zurückgekehrt, schrieb ber arme, alte Mann noch eine Menge Verfe, seines Glaubens voll, schrieb in eifriger Haft und um seinen armseligen Unterhalt zu fristen. Auf Hospital zetteln reimte er, was von ihm verlangt wurde, reimte bie wider lichsten, gemeinsten Dinge und wurde so zum graphen der Welt. Dozierend zog er wohl auch von einem Café zum anderen, tranf und hielt mit Dirnen Freundschaft, erlebte noch einmal, von der Jugend zum roi des poetes"( Dichterfänig) ge
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größten Porno
trönt, eine späte Wiederholung seines einstigen Ruhmes, und fant bann, frant und luftlos, in Schmutz und Bergessenheit, in den fünstlerischen Tod zurück, bis ihn der Tod auch leiblich ereilte.
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Die Verlainesche Kunst erschöpft sich in seiner Lyrif. Er war schlechthin ein lyrisches Genie. Ein Dichter, weich und findlich, der das Tönen der Wälder, den Kuß des Windes, das Sausen des Riedgrafes und die Stimme des Abends in seine Berse bannte, ein überzartes Instrument, auf dem die Dinge und Erscheinungen
des Lebens spielten, spielten mit jener wunderbaren Musit, die von Herzen kommt und zu Herzen geht. Alle unterirdischen, dunkelrauschenden Ströme", die je eine Menschenbrust bewegten, alles Berfließende, Unergreifbare, alles Wirre und Wilde, 3arte und Ungestaltete einer Seele floffen in seinen Bersen zusammen, verdichteten fich in unendlicher Zartheit, in unendlicher Süße zu den seltenften Kristallen. Für die unaussprechlichen Sekunden einsamer Besinnlichkeiten fand er die einzige und immer kunstvolle Wortprägung: immer sprach und sang er aus sich selbst, sein Sinnen und Fühlen, feiner Wefenheit Berauschtsein und Ergriffenfein. Darum ist auch seine Dichtung zutiefft menschlich, ehrlich und echt. Ein heiliges Feuer lobert in ihr: die Liebe zu allem Ding und aller Kreatur, die Liebe, die unbewußt ihre schönsten Blüten treibt, weil sie die reinsten unb gottnahesten sind. Freilich findet das zerrissene Leben Berlaines seinen Niederschlag auch in der Dichtung: der gemütstiefe Lyrifer, der die Urlaute des Seins fennt, wird in späteren Jahren
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nachdem noch einmal, in den Weisheiten", die frühen Blumen schön, katholisch- religiös, aufgeleuchtet zum funftlosen, pervers überhitzten Reimer, stofflich und formal ein Schattenbild seines Selbst.
Stefan Zweig , selber ein nicht unbedeutender Lyriker, hat in einer Ausgabe im Infel- Verlag" die besten Uebertragungen Berlainescher Gedichte gesammelt; von ihm stammt auch ein mit großer Sachkenntnis und vieler Liebe geschriebenes Lebensbild des unglück. lichen Dichters, der es verdient, auch von Arbeitern gelesen zu werden, denn wer sich einmal dem Bauber dieser überirdischen Lyrif hingegeben, wird auch seltene, bereichernde Feierstunden erlebt haben.
Weihnachtsfiegel zur Bekämpfung der Schwindsucht. Alljährlich um die Weihnachtszeit pflegt man in Amerifa auf die Rückseite der Weihnachtsgrün umgeben, und ein rotes Doppelfreuz erscheinen. Briefe und Batete eine Marke zu leben, auf der zwei Kerzen, vor Diese Marken sind das offizielle Abzeichen der Weltbewegung gegen die Schwindfucht. Der Brauch geht auf den verstorbenen Dr. Trudeau zurück, den Begründer des Trudeau- Sanatoriums im Staate New Dort, dessen Gedanken und Wirken mehr als 600 Sanatorien für Tuberkulosetrante in den Bereinigten Staaten ihren Ursprung verdanken. Dieser Arzt war selbst schwindsüchtig gewesen und nach bein Adirondackgebirge im Staate New York gegangen, um feine lebten Tage mit dem beliebten Jagdsport zuzubringen, Dant seiner Lebense weise, die auf Ruhe, frischer Luft und nahrhafter Speise" aufgebaut war, hat er jedoch noch vierzig Jahre gelebt und vielen anderen Menschen das Leben gerettet. Heute finden seine Gedanken Ausdruc in der Gesundheitspropaganda, die von staatlichen und lokalen Gefundheitsbehörden und von 1500 organisierten, tatkräftigen Gefell. fchaften betrieben wird. Die Gesellschaften zur Bekämpfung der Schwindfucht werden fast ausschließlich durch die Einfünfte unter halten, die jährlich aus dem Verkauf der Weihnachtsfiegel fließen. Hier haben wir also einen der wenigen Fälle, in denen der Weih nachtsgeist nicht nur bloße Redensart bleibt, sondern eine sehr ver. dienstvolle prattische Auswirkung erfährt.