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Abendausgabe

Nr. 2643. Jahrgang Ausgabe B Nr. 13

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10 Pfennig

Sonnabend

16. Januar 1926

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Fürstenabfindung und Volksentscheid. Die neue Betriebsführung.

Ein Beschluß des Parteivorstandes.

Der Parteivorstand hat befchloffen, dem am Dienstag zufam-| aber, wenn fie gefaßt sind, mit der denkbar größten Kraft mentretenden Parteiausschuß vorzuschlagen, die organisatorische entfaltung durchgeführt werden müssen. Borbereitung für einen Bolfsentscheid über die Fürften- Die letzte Entscheidung in dieser Frage wird fallen, sobald abfindung zu treffen. fich flarer herausgestellt haben wird, was der Reichstag Der Beschluß des Parteivorstandes ist unter dem Eindrud fann und will. der Tatsache gefaßt, daß nach der bisherigen Entwicklung der Dinge menig Aussicht besteht, im Reichstag eine Lösung zu erzielen, die dem Rechtsempfinden des Bolfes einigermaßen entspricht. Wenn der Reichstag versagt, bleibt nur noch der Appell an das Volk übrig. Zu seiner erfolgreichen Durch führung ist notwendig, bag ein einheitlicher Entwurf zustande gebracht wird, der juristisch einwandfrei ist, und das Zustandekommen eines rechtskräftigen Gesetzes im Sinne der Berfassung ermöglicht. Andernfalls besteht die Gefahr, daß froß allem die ganze Frage wieder auf den Weg der Recht sprechung durch die Gerichte geschoben wird und daß aller

Aufwand mußlos vertan ist.

Der Erfolg des Boltsentscheids wäre im höchsten Grade gefährdet, menn verfchiedene mit einander fonfurrierende Entwürfe eingebracht würden. Denn dann würde Stim­mengerfplitterung eintreten, und es fäme nichts zu

stande.

Es darf also nur ein Entwurf eingebracht werden und dieser muß so beschaffen sein, daß er erstens den Rückweg zur ordentlichen Rechtsprechung versperrt und zweitens die stärkste Anziehungskraft auf die breitesten Volksmassen ausgeübt wird. Alles in allem handelt es sich um Entschlüsse, die, bevor fie gefaßt werden, auf das allersorgfältigste vorbereitet, dann

Noch immer nichts.

Die Mittelparteien tönnen sich nicht einigen. Die Besprechungen der Mittelparteien beim Reichs­fangler Luther über die Regierungsbildung, zu denen jede der beteiligten Frattionen zwei Bertreter entfandt hatte, haben heute vormittag 10 Uhr begonnen. Die Besprechungen haben bis 1 Uhr gedauert, sie werden heute nachmittag fort gefegt werden.

Mit dem Reichswehrminifter Geßler wird meiter Derhandelt. Sein Entschluß zurüdzutreten, scheint noch nicht endgültig zu sein. Das Zentrum wirkt sehr start auf ihn ein, zu bleiben. Es wird versichert, daß die Ein wirtung nicht aussichtslos sei.

Die Fraktionen der Demokraten, des Zentrums und der Deutschen Bolkspartei haben gegen mittag Sigungen abge

halten.

Der Streit um die Refforts.

Die demokratische Bresse vertrat heute morgen mit großer Entschiedenheit den Anspruch der Demokraten auf das Innen­Entschiedenheit den Anspruch der Demokraten auf das Innen­ministerium. Das Berliner Tageblatt" bezeichnete den Streit um das Innenministerium als Prinzipien frage, nicht als Personenfrage; die Boffische 3ei. tung" erflärte, in einer Regierung, die nur der Vorbereitung einer Rechtsschwenkung dienen solle, hätten die Demokraten nichts zu suchen.

Die Germania " versicherte, daß der Borschlag, das Reichswehrministerium mit dem Beltsparteiler Brüning haus zu befeßen, auf starten Widerstand gestoßen sei, und

erklärte weiter:

Das Sentrum fann sich nicht damit einverstanden er flären, daß das Innenministerium nach den Plänen Luthers besetzt wird und gleichzeitig ber Bollspartei noch dazu das Wehr minifterium gegeben wird.... Die Demokraten dürften, wie verlautet, darauf bestehen, daß das Innen- und Wehrmini sterium von ihnen besetzt wird. Dieser Anspruch findet im Zentrum jebenfalls feinen Widerspruch. Es bleiben für die Deutsche Bollspartei dann immer noch drei Ministerien über, das wichtige Außenamt und das Finanz- und das Berkehrsminifterium. Ueber die Haltung der 3entrumsfrattion ver. öffentlichte das Berliner Tageblatt" einen Bericht, in dem es heißt:

Es murde dabei der Meinung Ausdrud gegeben, daß Luther Es wurde dabei der Meinung Ausdruck gegeben, daß Luther augenscheinlich beauftragt sei, ein sogenanntes neutrales Stabinett" zu bilden, und daß angesichts dessen besonders darauf geachtet werden müffe, daß jede Fühlungnahme nach rechts, die durch jogenannte unpolitische und unparlamentarische Bersönlichkeiten offenbar hergestellt werden soll, vermieden werben muß... Bon diesem Gesichtspunkt aus wurde in der Zentrumsfraktion über einstimmend das Berlangen ber bemokratischen Frat tion nach dem Innenminifterium als burchaus berechtigt anerkannt. Es wurde ferner betont, daß man der demokra­tischen Frattion auch das Reichswehrministerium zu geftehen tönne, wenn fie darauf Anspruch erhebt. Ferner wurbe in der Zentrumsfraktion sehr deutlich gesagt, daß man dringend wünsche, baß an die Stelle des zurücktretenden Reichswehrminifters eine zuverlässige republitanische Persönlichkeit treten

möge.

Die Pläne Luthers , das Reichsinnenminifterium zu neutralifieren", haben weder in der demokratischen, noch in Der Sentrumspreffe Gegenliebe gefunden.

Eine Auseinandersehung dem Taylor- System. Bon Anna Geyer .

Nachdem die Stabilisierung unserer Währung für Deutschland wieder normale Berhältnisse auf dem Weltmarki geschaffen hatte, zeigte sich sehr schnell, daß unsere Kon­furrenzfähigteit gegenüber den Borfriegsjahren ge­ringer geworden ist. Andere Länder, besonders Amerika , tonnten billigere und teilmeise auch beffere Industrieerzeug nisse anbieten. Sie hatten in den Kriegs- und Nachkriegs­Mittelparteien und Fürstenabfindung. jahren ihre Betriebsorganisation verbessert und zugleich durch Lohnerhöhungen die Kaufkraft der Zwischen den Mittelparteien des Reichstags find am Freitag Arbeiterschaft gesteigert. In Deutschland waren in den Bereinbarungen über Grundfäße zustandegekommen, Jahren der Flucht in die Sachwerte" die Betriebe zwar ver­nach denen bei der Regelung der Fürſtenabfindung fünftighin vergrößert worden. Eine bessere Durchorganisierung wie in fahren werden soll. Diese Vereinbarungen sollen in einem Gese- Amerika wurde indessen nicht vorgenommen. Die Löhne der entwurf zusammengefaßt werden, der schon demnächst dem Reichs Arbeiter wurden niedrig gehalten, so daß auch auf dem inne­tag zugehen wird. Dieser Gesezentwurf soll die Einsetzung eines ren Markt keine günstigen Absatzmöglichkeiten bestanden. besonderen Schiedsgerichts beim Reichsgericht in Leipzig rersehen. Es wird nicht nur über alle Abfindungs, sondern auch Aufwertungsansprüche der ehemaligen Fürſten zu entscheiden haben. Diefes Schiedsgericht wird aus Berufsrich tern und hohen Berwaltungsbeamten zusammengesetzt fein. Die Entscheidungen, die es fällt, sellen sich auf die im Gesetz feft aufgestellten Grundfäße stüßen, an die das Schiedsgericht ge bunden ist. Die Entscheidung dieses Schiedsgerichts soll dann end­gültig sein. Ausgenommen find Abfindungsansprüche, die durch Bergleich oder durch gerichtliches Urteil bereits erledigt find. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder eine leberprüfung fann nicht erfolgen.

Wie verlaufet, wollen die Mittelparteien sich jetzt bemühen, auch die Zustimmung der anderen Fraftionen zu dieser Bereinbarung zu erreichen. Bei der Sozialdemokratie muß die hier vorgesehene Regelung die allergrößten Bedenten auslösen.

Der Horthy - Sumpf.

Die Rolle des Berliner Gesandten von Kanya. Der Pariser Matin" veröffentlicht Auszüge aus einem Tagebuch, das der in Amsterdam auf frischer Tat ver­haftete ungarische Oberst Jantowitsch in den legten Wochen führte. Darin finden sich zwei Eintragungen, die sich auf den ungarischen Gesandten in Berlin , Roloman v. Ranna, beziehen und deren Sinn ganz unzweideutig ist. Am 2. Dezember trägt Jantowitsch ein:

"

" Ich wohnte schon bei Windischgrät in einem sehr schonen 3immer. Wir gingen zusammen zu Nadossy. Er verspricht uns alle Unterſtügung zur Reise. Dann gingen wir zum Bureau der Noten". Ich soll nach Berlin , wo mir Kanya helfen foll." Eine Woche später schreibt der Fälscher- Oberst: Heute sind wir endlich fertig, nur die Bisen fehlen noch. Nadossy hat über mich an Kanna geschrieben."

Unmittelbar nach Aufdeckung des Fälscherstandals war in deutschen Blättern behauptet worden, daß der Gesandte von Kanna ein Bertrauensmann ber Rassen Bei einer hier bereits erwähnten Bressebesprechung in der ichüler" fei und mit den Fälschern in Verbindung stehe. hiesigen ungarischen Gesandtschaft trat der Stellvertreter des Gesandten von Wettstein diesen Behauptungen entgegen.

In der Zeit der herannahenden Krise steigerte sich bei uns das Interesse für die amerikanische Form der Betriebs­führung. Viele Bücher und noch mehr Artikel wurder in den letzten Jahren über dieses Problem geschrieben. Zei chriften erschienen. Wissenschaftliche Forschungs institute entstanden. Betriebsleiter und Ar beitervertreter reisten nach Amerika , um an Ort und Stelle ihre Studien zu machen.

Nun ist die Wirtschaftskrise, die durch finanztechnischt und politische Maßnahmen zwar verzögert, aber nicht aufge halten werden fonnte, ausgebrochen. Die Steigerung der Produktivität der Betriebe ist damit zu einer Tages- und Eristenzfrage der deutschen Wirtschaft geworden. erfordert das besondere Interesse der Arbeiter­schaft, weil ganz offenbar bei den deutschen Unternehmern die Neigung besteht, vorwiegend die für die Arbeiterschaft un­günftigen Seiten der amerikanischen Betriebsführung und des Taylor- Systems auf Deutschland zu übertragen. In dem Kampf, den in erster Linie die Gewerkschaften auf diesem Ge= biet zu führen haben, ist ihnen ein starter Mitstreiter ent ftanden in einem Buch von Prof. Er mansti, Mostau*), das in Rußland schon mehrere Auflagen erlebte und das jetzt auch in deutscher Uebersetzung vorliegt.

Der besondere Wert des Buches besteht darin, daß hier ein Sozialist, vom Interesse der Arbeiterschaft ausgehend, sich in gründlicher Weise mit dem Taylor- System ausein­andersetzt. Das Buch ist lebendig geschrieben. Es sollte troj seines Umfanges von über 500 Seiten von allen Gewerkschafts­sekretären und von möglichst vielen Partei- und Gewerkschafts­funktionären und Betriebsräten gelesen werden, weil bei der fommenden Umgestaltung der Betriebe die Arbeiter sich flar darüber sein müssen, inwiefern eine Steigerung der Produk­tivität der Betriebe sich mit ihren eigenen Interessen deckt.

Ermansti. unterscheidet zwei Faktoren des Arbeits­erfolges: Produttivität und Intensität. Als Pro­duttivität der Arbeit bezeichnet er ein möglichst vorteilhaftes ftoffe, Maschinen und wohlgeordnete Werkzeuge) mit dem für Zusammenwirten von erstklassigen Produktionsmitteln( Roh­diese Arbeit besonders geeigneten Arbeiter. Arbeitsintensität ist die erhöhte Anspannung der Arbeitskraft selbst. Sowohl die eine wie die andere Methode wird im Taylor- System an­begewendet.

Dem ,, Berliner Tageblatt" hat von Kanna auf Anfrage zugegeben, daß er Nadossy seit vierzig Jahren fenne, er streitet jedoch entschieden, einen Brief von Nadossy oder einen Besuch von Jankowitsch empfangen zu haben. Gegenüber den sehr präzisen und unzweideutigen Tage­bucheintragungen des Jankowitsch vermag dieses Dementi feineswegs zu überzeugen. Geradezu lächerlich wirft namentlich die Ausrede Kanyas, daß mit der von Jan fowitsch erwähnten, Hilfe" nur jene allgemeine Hilfe gemeint feine fonnte, auf die jeder ungarische Staatsbürger von den Gesandtschaften seines Landes Anspruch habe.

Demgegenüber muß mit aller Entschiedenheit erklärt werden, daß der Gesandte von Kanya nunmehr in Berlin eine unmögliche Figur geworden ist. Das deutsche Auswärtige Amt hat die Pflicht, dies der ungarischen Regierung deutlich mitzuteilen, falls diese nicht den Mut und den Taft selbst aufbringt, von sich aus die not­wendigen Konfequenzen zu ziehen. Die deutsche Regierung hat lange genug der ungarischen Regierung gegenüber eine Schwäche gezeigt, die an Würdelosigkeit grenzte. Wir er innern nur an die stillschweigend hingenommene Sabotage der Fahndung nach den Erzbergermördern und an das Beileidstelegramm des Reichsverwesers Horthy an den König Rupprecht von Bayern " nach dem Tode des ab­gedankten Königs Ludwig III.

Zur Steigerung der Produktivität der Arbeit müssen die Fabriken zweckmäßig gebaut sein, die jeweils modernsten Maschinen, die besten Werkzeuge und erstklassige Rohstoffe müffen getauft werden. Zur Steigerung der Intensität der Arbeit müffen die Arbeiter gefunden werden, die zu einer außerordentlichen Anspannung ihrer Kraft bereit sind. Die Lohnzuschläge, die sogenannten Brämien, die diese Arbeiter anfangs bekommen, fallen gegenüber ihrer Mehrarbeit für den Unternehmer faum ins Gewicht. Zur zweckmäßigen Umge­ftaltung ihrer Fabrifen und Maschinen müssen die Unterneh mer indessen in der Regel größere Aufwendungen machen. Der Linie des geringsten Widerstandes entsprechend, findet der Teil des Taylor- Systems, der sich mit der stärkeren Anspan­nung der menschlichen Arbeitskraft befaßt, unter den Fabrit­befizern begeisterte Anhänger:

Taylor läßt einen besonders fräftigen Arbeiter einige Beit mit aller Energie arbeiten, mißt die verbrauchte Arbeits­zeit mit der Stoppuhr und setzt die Arbeitsleistung dieses Arbeiters dann als normale Leistung für alle Arbeiter feft. Sie bekommen für diese Normalleistung" einen Lohn­zuschlag von etwa 50 Broz. Erreichen sie die festgesetzte Ar­beitsleistung nicht, so fällt der Lohn meistens steil ab. Er ist oft niedriger als vordem, trotz höherer Leistungen. Nach Tay­lors Theorie sollen folche Arbeiter entlassen werden.

Die Tagebucheintragungen des Jankowitsch im Fall Ranna zeigen, was von offiziellen ungarischen Dementis Die Durchführung solcher Grundfäße ist nur möglich überhaupt zu halten ist. Der Ministerpräsident Bethlen mit der Zustimmung der Arbeiterschaft. Diefe verspricht zwar täglich, daß er reinen Tisch machen werde, Buftimmung ist von einer gut organisierten Arbeiterschaft aber, felbst wenn man ihm persönlich den guten Glauben natürlich nicht zu erreichen, und ganz folgerichtig vertritt Tan einräumt, so zeigt sich immer aufs neue, daß aus politischen lor den Grundsaß, daß möglichst un organisierte Ar­Gründen alle möglichen führenden Bersönlichkeiten gebeiter auszuwählen sind, und daß mit jedem Arbeiter ein­schont werden, solange sie nicht überführt sind. Aus ein verhandelt werden muß. Ganz bewußt wendet sich diefem Grunde wollen wir zwar das amtliche Budapester Taylor gegen die Hauptquelle der Kraft der Arbeiterklasse. Dementi registrieren, in dem die auch von uns gebrachte gegen ihre Klassensolidarität Melbung bestritten wird, daß der Kabinettchef Horthys Dr. Bartha und der Flügeladjutant Magashazy in die Fälscheraf äre vermidelt feien, aber Glauben tönnen wir dieser Berichtigung ebensowenig schenten wie den Erflärun gen des Herrn von Ranya.

In der Praris hat sich gezeigt, daß das Solidaritätsge fühl und der Selbsterhaltungstrieb der Arbeiterklasse stärker

Prof. J. Ermansti: Biffenschaftliche Betriebsorganisation und Taylor- System. Berlag: 3. H. B. Die Nachf., Berlin 1925.