Einzelbild herunterladen
 
  

Abendausgabe

Nr. 3843. Jahrgang Ausgabe B Nr. 19

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29% Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

idnadsde

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Sonnabend

23. Januar 1926

Serleg und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Dem Skandal die Krone!

Ein Beamter der Republik als offizieller Verteidiger des Justizmordes. Kapitän Canaris von Geßler geschickt. geschickt.- Weitere Enthüllungen Dittmanns.

Der große Saal des Haushaltsausschusses ist heute noch dichter gefüllt als gestern. Ohne weiteres Vorspiel nimmt Genosse Dittmann das Wort zur Vollendung seines Bor­trages. Er schildert den kläglichen Berlauf des von der Regierung Michaelis im Reichstag gegen die un­abhängigen Abgeordneten geführten Borstoßes und bringt über seine Vorbereitung abenteuerlich flingende, aber attenmäßig bewiesene Enthüllungen.

Ein angeklagter Matrose Calmus hatte, um sein Leben zu retten, den Kriegsgerichtsräten eine Geschichte von einer Konferenz aufgebunden, die er mit Dittmann, Ledebour und einer abenteuerlich zusammengewürfelten Gesellschaft ge habt haben wollte. Die Geschichte war so lächerlich er funden, daß man fast annehmen könnte, Calmus habe die Leichtgläubigt eit seiner Beiniger auf die Probe stellen wollen. Sie fielen prompt auf alles herein, und so tam es zu der großen, elend im Sande verlaufenen Reichstagsaktion gegen die unabhängigen Abgeordneten.

Im zweiten Teil seines heutigen Vortrages bringt dann Dittmann neues Material zur Geschichte der Revo lution von 1918. Daß die Flottenerhebung ihren Anlaß in einem eigenmächtigen Operationsplan ber Admirale gegen England hatte, war schon befannt. Ditt mann bringt für diese Tatsache eine Fülle neuer urkundlicher Beweise. Die Mannschaften erkannten, daß es sich um eine Erhebung der Offiziere gegen die Reichs regierung des Prinzen Mag von Baden handelte und verweigerten den Gehorsam. Das war der Ausgangspunkt der Revolution. Die Regierung in Berlin wurde schamlos belogen! Wie flar aber die Mannschaften den Zusammenhang der Dinge erkannt hatten, zeigen die Aussagen der damals Verhafteten.

Den Anstoß zur Revolution von 1918 gab die meu terei der Admirale!

Als Dittmann geendet, gibt der deutschnationale Bor­fitzende Philipp dem Regierungsvertreter Rorbetten tapitan Canaris, wie er ausdrücklich sagt, zu einer Entgegnung" das Wort.

Man glaubt falsch gehört zu haben, denn was hat die heutige Regierung, was hat das heutige Reichs wehrministerium auf die aftenmäßige Darlegung Dittmanns zu entgegnen"? Ist etwa die heutige Regierung, das heutige Reichswehrministerium in dieser Sache Partei?

Aber wirklich, der Korvettentapitän der Republik spricht als Verteidiger der Korpettentapitäne der Monarchie und ganz wie fie. Er ist von Geßler be auftragt, aber er redet genau so, als ob er von Herrn v. Capelle beauftragt wäre, als ob überhaupt nichts ge­wesen wäre zwischen 1917 und 1926, als ob sich nichts ge­ändert hätte, gar nichts geändert hätte'

Die provozierenden Ausführungen dieses Vertreters der republitanischen Marineleitung gaben begreiflicher weise Anlaß zu stürmischen Zwischenfällen, die schließlich zur Entfernung des Canaris führen. Wir berichten darüber an anderer Stelle.

seines Berichts das Wort

hatten teine Ahnung davon, daß wir bezichtigt wurden, an ben Dingen beteiligt zu sein. Das erfuhren wir ja erst am 9. Ottober. Dobring erhielt das Eiserne Kreuz . Er hat eine Haussuchung bei der USP. abgelehnt, die der Admiralitätsrat Dr. Felisch doch durchführen ließ. Sie ergab nichts. Aber die Offiziere brauchten die Ablenkung auf die USP., weil sie sonst wegen ihres Verschuldens an den Bordmißständen zur Berentwortung gezogen worden wären. Darum sah man überall Verschwörung.

Die Hehe gegen die USP.

Run begann das ständige Drängen des Hochseefommandos nach einer Berfolgung der USP. Man ging auch darauf ein und erwog, ob man den Reichstag schließen solle, um die Abgeordneten ohne Genehmigung verhaften zu können, ob ein neues So3ia­listen gefet notwendig fei oder ob man nur gegen die nicht immune Frau Bieg und einen jungen Werfschreiber ein Verfahren einleiten sollte. Zu diesem Verfahren tam es schließlich auch, aber geftand am 24. Auguft: es mußte eingestellt werden, weil eben nichts vorlag. Helfferich

Ich wäre gern gegen die USP. vorgangen. Da aber jetzt das Material noch schwächer als vorher ist, sehe ich dafür feinen rechten Weg.

Geßlers Vertreter.

|

Aehnlich äußerte sich v. Capelle. Der Admiralitätsrat Felisch berichtete aus Leipzig .

Der Bertreter des Oberreichsanwalts sei bestürzt über die Vorkommnisse und habe nach einer schlaflosen Nacht erklärt, daß tatsächliche Unterlagen nicht gegeben felen. In den Protokollen des vierten Geschwaders würden Handlungen auf die USP. zurückgeführt, die in einer Zeit statt­fanden, als die USP. noch gar nicht best and. Offenbar fei den Abgeorneten vieles unterstellt worden, was gar nicht von diefen ausgegangen sei und wofür sie die Verantwortung mit Recht ablehnen dürften.

Ebenso wie Freiherr v. Eberg, der Vertreter des Oberreichs­anwalts, äußerten sich Reichsanwalt Richter und Reichsjustiz­minister Krause: Auch die Konservative Partei habe am 25. August ecklärt, daß fie ihre Zustimmung zur Verfolgung der Abgeordneten auf Grund des vorliegenden Materials nicht geben

fönne.

Das Geständnis" des Matrosen Calmus. Schließlich wurde aber der Kaiser gegen Capelle mobil ge­macht. Die Angst vor der Ungnade des Kaisers hat diesen dann zu Der seinem Vorstoß im Reichstag am 9. Oftober veranlaßt. Redner schildert dann die befannten Vorgänge jener Sigung, in der der Vorstoß des Reichskanzlers Dr. Michaelis und des Herrn D. Capelle so fläglich fcheiterte, daß nach dem Zeugnis Helfferichs die beschuldigten Abgeordneten schließlich als Triumphatoren da standen. Das überstürzte Borgehen der Regierung mar

Stürmische Zwischenfälle. Korvettenkapitän Canaris Dr. Boesch aus Wilhelmshaven veranlaßt, das am 9. Ottober früh - affenbar durch ein Telegramm des Kriegsgerichtsrats der Hilfe für die Liebknechtmörder beschuldigt! bei der Regierung eingetroffen war, und folgenden Wortlaut hatte. Nach Geffändnis des Angeklagten Calmus Hauptverhand­lungstermin Mittwoch, den 10. Oktober. Es fommt in Frage Hochverrat gegen Person St. Majestät. Urheber nach Geständnis des Calmus Reichstagsabgeordnete, Dittmann und Ledebour im Verein mit deutschen Offi­zieren in Uniform, fcheinbar englischen und französischen Offizieren. Calmus nu Geffänors wiederholen in Hauptverhandlung.

3n der heutigen Sigung des Untersuchungsausschusses des Reichstages fam es zu stürmischen 3 wifchenfällen. Nach­dem der Abg. Dittmann feinen Vortrag beendet hatte, erhob fich als Vertreter des Reichsmarineamis, also auch der Leitung der Reichswehr , der Korvettenfapitän Canaris. Während seiner Ausführungen wurde er wiederholt von Zurufen unterbrochen, all­gemein war die Verwunderung darüber, daß man einen solchen Mann ais Bertreter des Reichswehrminifteriums in den Ausschuß gefchidt habe. Wiederholt wurde ihm zugerufen, daß man die eijerne Stirn bewundere, mit der er an dieser Stelle aufzu­

treten wage

Nachdem er geendet hatte, verlangte Abg. Dr. Mofes( Soz.) das Wort zur Geschäftsordnung. Er verlangte zu erfahren, ob Herr Canaris identisch fei mit jenem

Canaris, der im Prozeß gegen die Mörder von Karl Liebknecht und Roja Curemburg gegen Pflugt- Hartung und Bogel tätig gewesen sei, und gegen den der schwere Borwurf erhoben werde, daß er Bogel zur Flucht ver­holfen habe.

Sei es dieser Canaris, dann müffe der Ausschuß die Konsequenzen daraus ziehen; es sei eine Brüstierung, daß ein solcher Mann hier aufzutreten wage.

Herr Canaris erwiderte, er fei als Bertreter der Marineleitung hier und wolle deshalb über seine Person nicht sprechen. Darauf erhob sich ein ungeheurer Carm. Dem Canaris wird zuge­rufen: Feiger Mörder!

Abg. Rosenberg( Komm.) nennt den Vorgang beispiellos, daß der Reichswehrminister Geßler in den Ausschuß einen Mann Sofort nach Eröffnung der Sigung nimmt zur Fortsetzung als Bertreter entfende, gegen den die schwersten Borwürfe trimineller Art erhoben werden. Er beantrage, jetzt die Sigung zu unterbrechen, weil die Mehrheit es unter ihrer Würde halte, zusammen mit einem folchen Regierungsvertreter zu fagen. Der Borfihende folle mit dem Reichswehrminister in Berbindung treten, damit er vor dem Ausschuß erscheine und erkläre, aus welchen Motiven er einen solchen Vertreter hierher geschickt habe.

Abg. Dittmann( Soz.)

In der Vorstellung der hohen Marineoffiziere war die USP. die treibende Kraft der angeblichen politischen Verschwörung. Am 24. August erklärte Staatssekretär v. Capelle vertraulich:

Eine so gute Gelegenheit wie die jetzige, gegen die revolutionäre Partei vorzugehen, ergibt fich fo leicht nicht

wieder.

Aehnlich äußerte sich Kriegsminister v. Stein. Diese Tendenz beherrscht das ganze Verfahren. Am 11. November schreibt v. Capelle an den Kriegsminister und den Staatsanwalt, man sei in Erörterungen darüber eingetreten, ob man nicht schon Berurteilten Straffreiheit oder Begnadigung zusichern solle, wenn sie weiteres zur Aufdeckung beitrügen. Dieses Verfahren war dem Oberreichs­anwalt Dr. 3 weigert bedenklich. Er mahnte zur Vorsicht gegen über den Aussagen von Verurteilten, die vielleicht in Hoffnung auf Begnadigung gemacht würden. Reichpietsch selbst war zwei Tage nach seiner Berurteilung noch einmal vernommen worden. Er wiederholte, daß seine Unterhaltungen mit den Abgeordneten har m Los gewesen seien und benannte Haase, Dittmann, Bogtherr und Frau Bieß als Zeugen. Warum ist diesem Verlangen nicht statt­gegeben worden? Eine teilweise Antwort auf diese Frage gibt eine Aufzeichnung Capelles zur Benutzung im Reichstag, wo gefagt wird:

Die Gerichtsherren feien davon ausgegangen, daß eine Ver­nehmung der Abgeordneten zu einer milderen Beurteilung der Angeklagten geführt haben würde.

Davor also hatte man Angst! Die Abgeordneten hätten wahrheits­gemäß befundet, daß sie und die Partei von den Stockholmlisten und dem ganzen Verschwörerplan nie etwas gehört hätten. Das märe eine Ratastrophe für die Anflage gewesen. Bir selbst

Abg. Brüninghaus( Bp.) wünscht, daß er erst seine Gegen­ausführungen gegen den Vortrag von Dittmann mache.

Abg. Joos( 3.) schlägt vor, daß der Ausschuß in geschloffener Tagung den heutigen Borgang behandeln solle.

Abg. Dittmann schließt sich dem Anfrage des Abg. Rosen­berg an und weist darauf hin, daß das von Canaris vorgetragene Material bereits vom Reichsgericht geprüft worden fel.

Abg. Dr. Bredt( Wp.) regt an, daß zunächst erst einmal in den Verhandlungen fortgefahren und alles Material entgegengenommen werde.

Abg. Dr. Mofes( S03.) ruft dazwischen, daß der Ausschuß in Gegenwart eines solchen Vertreters des Reichswehrminifferlums nicht weiter verhandeln wolle.

Inzwischen hat sich der Korveffentapitän Canaris mit feinen Borgefehten und Freunden eifrig unterhalten und schließlich nimmt er zu folgender Erklärung das Wort:

Die hier verlangten Auskünfte über meine Person werden von meiner vorgefekten Stelle gegeben werden. Ich werde mich hier nicht verteidigen."

Canaris verläßt darauf den Saal.

Das Geständnis des Matrosen Calmus vom Schiff Rheinland ", von dem in dem ominösen Telegramm die Rede ist, macht der Phantasie des Mannes alle Ehre Es füllt neun große Schreib maschinenseiten und lieft sich wie ein Rinoroman. Kurz fizziert be

hauptete er folgendes:

Er sei am 1. August auf Urlaub gefahren, am 2. Auguft habe er in das Bureau der USP 3entrale in Berlin gewollt. Auf der Treppe zum Bureau sei er von einem Mann, der sich als Reichstagsabgeordneter Dittmann vorgestellt habe, abgefangen und aufgefordert worden, mitzukommen. Auf der Straße habe sich der Abgeordnete Ledebour zu ihnen gesellt. Sie hätten sich zu dritt zuerst mittels Droschke, dann mit der Straßen­bahn und schließlich zu Fuß in eine im Norden Berlins gelegene sehr nobel eingerichtete Wohnung begeben, in der sie

von drei uniformierten Offizieren, zwei Feldwebeln und zwei Unteroffizieren und einem Zivilisten erwartet worden seien. Calmus sei mit Essen und Trinken bewirtet worden, wobei ihm der eine Offiziere, ein Major, gesagt habe, er solle nur ordentlich reinhauen. Nach dem Essen habe Ledebour ihm dann den Blander Marinemeuterei auseinandergesezt und ihm gefagt, er, Calmus, wäre ihm als zuverläffiger Mensch hingestellt worden, und einer der Offiziere habe gewünscht, er solle fich ehren­wörtlich verpflichten, mitzumachen Mit der Hand auf der Klinge des Offiziersdegen habe er dann sein Ehrenwort ab­geben müssen. Dann habe Dittmann aus einer Ledermappe allerlei Papiere hervorgeholt, einer der Offiziere habe ihm zu seinem Schuge einen Revolver gegeben. Darauf habe Dittmann

an Hand der Papiere, die in englischer, franzöfifcher und russischer Sprache geschrieben gewesen seien, nochmals eingehend den Plan der Marineverschwörung erörtert. Schließlich habe Dittmann ihm 5000 Mart in Banknoten oder Gold versprochen, wenn er bis Ende August die Unterschriften der Mannschaften von den Schiffen des Ersten Geschwaders ein­schicken und die Organisation an Bord in die Hand nehmen würde. Einer der Offiziere habe dabei mit Geld in einem Leder­beutel geflimpert. Neben dem Beutel habe ein Haufen deutsches und amerikanisches Goldgeld gelegen. Dittmann habe weiter gesagt, er habe noch eine Ertrasache für ihn und habe ihm dann den Plan entwickelt, bei der nächsten Anwesenheit des Kaisers in Wilhelmshaven ein

Attentat auf den Kaiser mittels einer Höllenmaschine

zu verüben. Als Ort des Attentats habe er eine Stelle im Südhajer

bezeichnet, wo in nächster Nähe ein Boot zum Entfliehen liegen merde; er würde sicher über die Grenze fommen. Dittmann habe ihm 10000 mart Handgeld, nach Gelingen des Attentats das 3ehnfache versprochen. Während Dittmann gesprochen, hätten die Offiziere Gold geld in Säulen aufgebaut, und Ledebour habe ihn mit dem Finger darauf aufmerksam gemacht Er sei plötzlich erregt aufgesprungen und habe mit gezogene Revolver die Anwesenden aufgefordert,

die Hände auf die Stuhllehnen zu legen und den Attentatsp! zu zerreißen.

Erschreckt sei man dieser Aufforderung nachgekommen. Darauf habe er gesagt, er habe sein Ehrenwort gegeben, die Organisation an Bord in die Hand zu nehmen, das würde er auch tun, aber wenn er das geringste von dem Attentat hören werde, so würde er die Sache melden. Dann sei er aus dem Zimmer und aus dem Hause ge­

Damit gilt der erregende Zwischenfall zunächst als abgefchloffen, und furz nach 1 Uhr beginnt der korreferent Abg. Brüning- sprungen, habe zunächst eine Wirtschaft in der Nähe aufgesucht un haus( D. Bp.) feinen Bortrag.

fei dann zum Bahnhof gegangen, um nach Essen zu fahren."