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flr. 49 4Z. Jahrgang

I« Seilage ües vorwärts

Sonaabenö, ZS. Januar 1924

wie märtisthe Kleinstädte aussehen:

In gleicher Weile wie die an der Berlin Dresdener Dahn ge» legene Gerberlrodt Kirchhain eine Schöpfung des Klosters Dobrilugk ist. muh Luckenwaldes früheste Entwicklung als mit dem Kloster Zinna verbunden angesehen werden. Die Gründung dieses Klosters fand IckTI statt; um 1?00 wird die deutsche Ritterburg Luckenwalde CLuch im Walde) entstanden sein, die bereits lSS5 Eigentum des Klosters wurde. Dein entstehenden Ort verhall seine Lage an dem Verkehrswege Sachsen Preußen rasch zur Bedeutung, aber erst das 19. Jahrhundert, das Maschinenzeitalter, gab der gewerblichen Entwicklung den raschen Ausstieg, der um so bemerkenswerter ist» als er sich doch eigentlich im Bannkreis von Berlin (50 Kilometer Entfernung!) abgespielt hat. Der Staütcharakter. Also �obritstadlt Tuch«, chüte. Pianos, Schrauben usw. Lucken. walde ist nun zweiiellos eine Fabrikstadt. aber sie wirkt nicht so. nicht annähernd so bedruckend wie manche Berliner Gegenden, wo Oualm und Ruß und Lärm die Lust erfüllen... Der industriell« Eharokler wird durch die Balur gemildert und die Ruthe, die durch den baumbestandenen.Jhaag* fließt, wirkt wie ein erfrischendes und reinigendes Bad. In wenigen Minuten ist man ja auch in der frischen Luft, auf freiem Felde, in Anlagen, Wäldern, aus Höhen der nahe Fläming«pielt eine Rolle, Kloster Zinna . Jüterbog . Treuen- irn-stoi bieten architektonische Reize, und der aus Sensation aus- gehende Luckenwalder fährt sogar mit O-Zug nach Berlin : kurz, es ist.alles da", was dos Leben angenehm zu machen geeignet ist. Mit chren 25 090 Einwohnern wird die Stadt unter den, dem sogenannten Berliner Einfluß umerliegenden märkilcken Orten nur noch von Brandenburg übenroilen, das durch die schiffbore Havel begünstigt ist und als olier Bifchofsstg alle Vorbedingungen zur kraftvollen Entwicklung belaß. Was Luckenwalde austveist, ist da- gegen fast ausschließlich aus eigener Krast geschaffen; wir werden sehen, wie die Reuzest dieses Vermächtnis betreut und ausbaut. Geschichte Ser Staöt. Wenngleich Luckenwalde l4Z0 stadtartige Rechte erhielt, fo blieb doch die Obergewast den Aebten, und iclbst als Zinna 1547 iäkularisiert und>n ein wagdebiirgilche» Rentamt(1680 in ein preußisches) umgewandelt wurde, dauerte die Abhängigkeit in Rechts- lachen bis ins IS. Jahrhundert fort: erst die Städteordnung oon tS0S gab Luckenwolde volles Stadlrechl. Ende des 17. Jahrhunderts waren die ersten Tuch- und Zeugmacher eingetroffen: das neue Ge-

werbe blühte aber erst auf. als Friedrich II. das Kolonisationswerk im großen betrieb; er gründete 1750 die Zülerboger. 17S0 die Geraer Vorstadt und auf demHaag" wurde dieWollzeugiobrik nach Geraer Art" gebaul, die vom Bolksmunde dieGroße Fabrik" genannt noch heute besteht, durch Neubauten zweckmäßig vergrößert. Kriege und Feuersbrünste hatten bisher schon manches Ungemach über die Stadt gebracht; die napoleonischen Kriege führten weitere Lasten und Leiden herbei: 1813 kam es am 20. August zu

11 Dampfmaschinen. 1901; 21000 Einwohner und an Großbetriebe» 19 Tuch- und 12 Hutfabriken 1921 gibt es 25 Gewerkschaften mit

9433 Mitgliedern oon 1919 bis 1922 sind 340 Siedlungshäuser erstellt. Haag üurch Sie Staöt. Der Bahnhof liegt fünfzehn Minuten oon dem am rechten Ufer der Ruche befindlichen Markt entfernt, aber das ganze dazwisäM liegende Gelände ist bebaut, teils mit den kleinen wcbcrhäuseru au, Friedericiauischer Zeit, teils mit Fabriken, aber auch Dillen und Wohnhäusern. Geht man rechts durch die Friedrichstrahe zum «tadtinnern, so gelangt man vor der Ruthebrücke links abbiegend in die UferstraßeHaag", von der aus man an zwei Stellen, die Ruthe überschreitend, zum Markt gelangt. Diese Uferpromenade laßt wirklich den Gedanken, in einerFabrikstadt" zu sein, nicht auf- kommen. Auch der andere Weg: über die Ruthe hinweg durch die wirklich breite vreltc Straße zum Markt erhöht die Illusion der behäbigen Provinzstadt: flotter Verkehr, schöne Schaufenster. malerische Ausblicke und als Mittelpunkt des Ganzen dieser Koloß von Turm, der wohl mit seinen starken Feldsteinmauern noch von der allen Burg stammt. Diese, die man, wie Lehrer Hahn in seinem verdienstvollen Führer durch das Heimatmuseum hervorhebt, au derBurg " benannten Fortsetzung des langgestreckten Marktes ver­mutet. ist völlig verschwunden. Neben den, Turm steht die inter- -..-fc--------»------ Mönche« nur ---------------------,----------- West. front besonderen Reiz ausübt, wieder hergestellt, sondern auch im Innern malerischen Schmuck aus dem E. Jahrhundert auflebe« lassen. Das am Markt befindliche Rathaus ist ein einfacher Nütz- lichkeitsbau. Bon der Nutheb rücke flußauswärts wandernd, ge» langt man zum Park Elsthal, in dessen Nähe die zweckmäßig um- gebaute Badeanstalt sich befindet. Auch einen durch die Parsttraße erreichbaren Stadtpark besitzt Luckenwalde . Im Zeiche» ües Sozialismus. Bei der Krelstagswahl 1925 wurden in der Stadt gezählt 7969 sozialistische Stimmen. 1203 kommunistische, 886 demokratische; rechtsstehende im ganzen 5206. In de� Stadtverordnetenversamm­lung wie im Magistrat hat die Partei die Mehrheit(16 SPD » 2 Kommunisten. 12 Bürgerliche). Das Partei blattVolksmacht" erscheint täglich seit 1. Juli 1919. Die Erfolge sind aus dem Fehle« oon Absplitterungsverfuchen zu erklären; man hat in Einkrocht auf der alten politischen Grundlage weitergebaut. Das Arbeltersekretariat wurde oon Alex Seiler bis zu dessen Tode geleitet; zurzest übt Stadtrat Genosse Jahn durch seine Tätigtest im Wohlfahrtsamt wohllätigen Einfluß aus. Es sehst nicht an Jugendfürsorge; im Walde binter Elsthal befindet sich eine Malderholungsflätle, für deren Dienst sich auch die Frauen der Arbeiterwohlsohrt bereitstellen. Ein Säuglingsheim, eine kleinkinderbewahranstost, die ausgeboute vodeanstall, der städtische Spielplatz, der städtische VZaldfriedhos mit Urnenhallc in der Hetzbeide, als notwendige Ergänzung zu dem kirchlichen Baruther und dem privaten Jüterboger Friedhof, die Volkshochschulkurse, die Vorstellungen des Wandertheater», da» mustergültige neue städtische Krankenhaus, die Uebernahme des heinrich-hoipltal» durch die Siodt, das ftädtfsche Elektrizitätswerk, oor allem die drei großen städtischen Siedlungen an der Treuen « brietzener und Jonickendorfer Straße und die Gottower Siedlung, die« alles ist Beweis dafür, daß eine sozialistische Mehrheit alt« Kulturgüter bewahren und verbessern und neue schassen kann zum Besten der ganzen Bevölkerung. Auch das Schulwesen ist gut bedacht: ein Gymnasium(Friedrichschule), ein Lyzeum(höhere Mädchenschule), vier Volksschulen, von denen zwei, die D�rck- und die Körner-Schule, allerdings Anspruch auf neue Gebäude erhebe» können. Eine Handelsschule fehlt auch nicht. Glänzend ist der Konsumverein gestellt, der im ganzen 9 Verkaufsstellen, zum größeren Test in eigenen Häusern, besitzt, eine Böckerei sein eigen nennt, in Jüterbog , Sperenberg , Zossen Fllialen Hot und am Markt durch sein Gesellschaftslokal große Zugkraft ausübt. Wie ist iu dieser Krisenzeit die geschäftliche Lage einer solchen Fabrikstadt? Die Hutinduftri« arbeitet verkürzt, desgleichen das Metall-(Klein-- eisen.) Gewerbe, die wichtige Tertllbranche kann als in vollem Be­trieb befindlich angesehen werden, wogegen die Holzindustrie(Piano- forte, Möbel) ziemlich brach liegt. Lohnfragen spielen naturgemäß in solchen Zeiten ihr« Roll«. « Bon der grünen(Wald-) Umgebung der Stadt war schon die Rede. Der Tourist wird es daher nicht bereuen, wenn er Lucken- »»ald« als Endpunkt oder Ziel einer Wanderung auf dem Fläming nimmt, die ihren)öhe"punkt in demhohen Golm" erblickt. Die Verbindungen nach rechts und links sind eine Seltenheit in der Mark recht gut, so daß auch der Richtkraftmeier auf seine Kosten kommt.

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Die Passion. Roman von Clara Viebijs.

Es war Rächt, als Eva in einer ganz anderen Gegend landete. Sie war quer durch kalb Berlin gefahren, war in die erste beste Elektrische gesprungen: nur fort aus diesem abscheulichen Viertel! Nun hielt die Bahn an einem schön angelegten sauberen Platz. Sie sah im Laternenlicht Bäume. deren Wipfel durch das weiße elektrische Licht wie in Mond - schein getaucht schienen und unten in ruhigen Schatten ver­schwommen. Hier war es ganz sicher, ganz friedlich, hier stieg sie aus. Nichts ängstigte sie. Sie war nun wieder ganz Herrin ihrer Gedanken, sich völlig klar, daß sie morgen von ihren Sachen versetzen mußte. Jetzt war es zu spät dazu, und auch um eine Schlafstelle zu suchen allzu spät. Es war eine wunderbare linde, herrliche Frühlingsnacht, und es war gar nickt häßlich, hier auf der Bant zu sitzen, aber die Haltestelle der Elektrischen war ihr noch zu nah. weißes Kugellicht blendete sie. es konnten auch Menschen kommen; so entfernte sie sich noch weiter von dem Platz, ging eine Straße hinunter und war dann ganz im Dunkeln. O, das tat wohl! Es war ihr heimisch hier»wischen den Büschen. Es roch nach Flieder. Sie tappte nach einer Bank. Auf der mochte noch nicht lange vorher ein Liebespaar gesessen haben, denn sie stand ganz im Versteck; jetzt inachte sie es sich bequem darauf. Sie knöpfte ihre Jacke fester zu, band ihr Taschen­tuch um die Ohren, legte ihren Karton als Kopfkissen auf die Bank und streck»? sich lang aus. Ihr Handköfferchen hatte sie tief unter den Sitz geschoben, es durfte ihr ja nichts mehr abhanden kommen: solange sie noch lebte, mußte das reichen. Es war ihr wundervoll, so zu liegen, sie war so erscköpst. daß sie keinen anderen Gedanken hatte nichts von Beklommen- fein. nichts von Sichfürchten nur ausruhen. Schon halb im Traum hörte sie einen Bogel singen. Ah, diesmal war es die Amsel nicht, die schwarze vertraul'che mit dem goldenen Schnäbel ob es wohl eine Nachtigall war? Ja. es war eine. Sc faß in den Büschen, die unten um einen kleinen Tümpel stehen, auf dessen dunkles Wasser Weiden Ihre grünen langflishenden Haare niederhängen.

Sie fang Eva ein, so weich, so süß, so der Liebe voll, daß das Letzte, was die noch hörte, war:Meine kleine meine Eva!" Als die Nachtigall schwieg, wurde es Tag. Eva erwachte. Sie war ganz steif, völlig durchfroren, der Morgen faßte sie an mit eisigem Finger. Mühsam erhob sie sich von der Bank. Die war sehr hart gewesen; sie hatte das in ihrer Heber» müdung nicht gefühlt. Jetzt aber fühlte sie es. Mit kleinen Schritten, um sich zu erwärmen, wieder das Blut rinnen zu fühlen, ging sie hin und her. Wieviel Uhr mochte es sein? Wohl noch sehr früh, der Himmel war noch lichtgrau, kein Rollen von Bahnen war zu vernehmen, auch Stimmen von Menschen nicht. Aber in ihr erhoben sich Stimmen, die waren sehr stark, sehr eindringlich. Die eine rief:.Letzt bist du aus der Straße. Eva. du hast kew Obdach, kein Geld!' Die andere rief:Was liegt daran, da machst du eben ein Endel' Die andere rief wieder:Tu das nicht, gleich kommt die Sonne!' Aber die andere rief:Eva, Eva, tue es nur!' Und die war viel stärker. Eva sah jetzt den Weiher. Cr lag da unten, Nasen stieg sanft zu ibm hinab, Weiden hingen ihre langen Haare darüber. Eva sah Blumen an seinem Rand, sorgfältig ge­pflegte, schöne Frühlingsblumen. Auf Gräber pflanzt man Blumen: sie hatte mit Lenchen zusammen der Mutter Grab mit allerlei Blumen bepflanzt, nun würde s i e hier um ihn Grab auch Blumen haben. Langsam ging Eva zum Wasser hinab, sie ging dicht heran und starrte hinein; es war undurchdringlich. Schon einmal wäre sie beinahe ertrunken, da war aber Hans Blech- Hammer hinter ihr drein gesprungen und hatte sie wieder berausgeholt. Jetzt, hier würde sie niemand herausholen. Sie sali sich scheu um: kein Mensch in Sicht. Hier konnte sie's ungestört mn. Aber die eine Stimme in ihr rief:..Hier, in diesen kleinen Tümpel willst du dich stürzen? Der ist lange nicht tief qenug, der ist keine Unendlichkeit, in der du ver- sinken kannst!' Eva rannte an dem dunklen Wasser auf und nieder: soll ich's jetzt tun oder tu ich es nicht? Angst hatte sie nicht; sie hatte nur Angst, daß das Wasser vielleicht zu seicht sein würde. Sollte sie es doch versuchen? Da gab die Sonne ihr Antwort. Die stand plötzlich ganz groß da: sie war ge« kommen, Eva hatte es nicht gemerkt. Sie streckte ihre

Finger aus, und nun sah Eva: da war gleich Grund. Frösche ruderten, Wasierfpinnen kreisten, eine dicke Kröte kroch lang- sam und vergrub sich im Schlamm. O, es war nur eine Pfütze! Eva schauderte zurück. Sie hob ihre Augen zur Sonne, und es war ihr, als sähe sie in ein schönes, lange nicht mehr erblicktes, geliebtes Antlitz, das ihr lächelnd verhieß:Wenn es einmal gar nicht mehr geht, i ch werde schon sorgen!' Ihr wurde wärmer. Und sie kniete nieder bei den Blumen, hob eine von den langgestengelten dicht an ihr Gesicht und sah ihr tief in das lachende Herz. Frau Alsheim , wie sie sich nannte, wohnte im neuen Westen, dem einstmaligen Dorf Schöneberg , das längst keine Ahnung mehr hat von seinen Kornfeldern, seinen Wiesen. seinen Bauernhäusern und seinen Kuhställen. Im Stadt- park war Frau Alsheim morgens früh spazieren gegangen. Sie brauchte eine Brunnenkur, denn Herrn Alsheim war es unangenehm, wenn sie dick wurde. Er liebte nur das Rassige. Schlanke. Auf einer Bank hatte sie ein Mädchen sitzen ge­funden. das sah sehr blaß und sehr trübselig aus. Sie hatte sich auch auf die Bank gefetzt; da sie gerne sprach, meist aber niemandem zum Sprechen hatte, fing sie eine Unterhaltung an:Ein schöner Morgen!' Eva antwortete erst gar nicht, dann einsilbig, fast un- willig: was kam die. setzte sich auf ihre Bank und störte sie aus?! Aber etwas war an diesem blonden Gesicht, und so wie die das Haar trug, in der ganzen Art der Erscheinung, was sie ein bißchen an ihre Mutter erinnerte. Nicht wie die ausgesehen hatte, als sie mit Hans Blechhammer verheiratet war. aber vorher. Eva ließ sich nun doch in ein Gespräch ein. Und dann kam es so, daß Frau Alsheim erfuhr, in welcher Lage Eva jetzt war: keine Stellung, keinen Anhalt, um ihr Geld bestohlenl Frau Alsheim dachte eine Weile nach, ihr Blick glitt über das Mädchen: das sah ja etwas reduziert aus. aber war das ein Wunder, nach solcher Nacht im Freien, und nach dem Schrecken über das gestohlene Porte- monnaie? Wenn die sich wieder herrichtete, ausschlief, war die gar nicht so übel. Jedenfalls keine ganz gewöhnliche Person. Ich könnte Sie ja vielleicht mieten.' sagte sie zögernd. .Äber mein Buch ist nicht gut,' sagte Eva. Ach, sie hatte gar keine Lust, noch einmal anzufangen. (Fortsetzung folgt.)'