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Dienstag

2. Februar 1926

Unterhaltung und Wissen

Der Mann mit dem Vogel.

Bon Heinrich Lersch

Seit einigen Tagen quält mich mein Junge unablässig mit der Frage: Was ist das eigentlich, dichten! Vater?"

Jah überlegte; ich hatte es ihm schon als Singen und Erzählen erflärt, aber da auch Leute, die nicht Dichter sind, fingen und ers zählen können, glaubt er mir nicht mehr so recht.

,, Siehst du, Erifa," sagte er zu seiner Mutter ,,, was wir für einen dummen Vater haben, der weiß gar nicht, was seine Arbeit eigentlich richtig ist."

Da kam der Lumpenmann, der Holztiere und Windmühlen gegen altes Geflüngel eintauscht, und darüber ward die Dichterei vergessen. Ein paar Tage später fuhren wir zu unserem Freund Wincler, der in Mörs wohnte. Der Dichter war gerade daran, das Bomberg­Buch fertig zu machen. Er schnitt die gestrichenen Steilen aus dem Manuscript, fügte die verbesserten Seiten ein, flebte und leimte die Geschieten wieder zusammen.

Manni sah mit Erstaunen dem Kleben zu und schlich sich an den Schreibtisch.

Ontel Windler," fragte Manni ,,, ist Dichten Leimen ?" Windler sah in das ernste, erstaunte Kindergesicht und sagte freundlich: Ja, Junge, du hast recht! Erst schreibt und dichtet man fich allerhand zusammen, und dann schneidet man es wieder kaputt, und dann kommt die Hauptsache: Richtig zusammenleimen. Das zersplitterte, zerfaferte, verslogene Leben zusammenleimen, das ist Dichten!"

Als wir ein paar Tage später nach Hause tamen, ging Manni in die Werkstatt und holte den großen Leimtopf.

Den stelle ich Vater auf den Tisch, damit er besser dichten fann. Schreiben, das famm Bater schon, aber Leimen , das fann er noch night!"

Drei Tage lang thronte der Leimtopf auf meinem Tasch. Da tam eines Tages Jakob Kneip zu Besuch.

Wir sprachen auch von unserer Arbeit. Als Manni zu Bett ging, fagte er zu Kneip: Jatob, wann sprecht ihr denn vom Leimen?"

Vom Leimen , Manni, was sollen wir vom Leimen sprechen?" staunte Jakob Kneip .

,, Ja, Jakob, dichten und schreiben, das fönnen alle Leute, aber leimen, das fann mir der Onkel Windler in Mörs . Der leimt feine Bücher zusammen und sagt: Leimen ist Dichten!"

Als Kneip wieder weg war, fam Manni traurig zu mir und sagte: Bater, nun sage mir, was ist denn Dichten richtig!"

Als ich nach Worten suchte, sagte er zu seiner Mutter: Da fiehst tu es wieder, wie dumm die Dichter sind, sie wissen alle nicht, was Dichten eigentlich richtig ist. Alle Leute missen, was ihre Arbeit ist, ich weiß, was Schmieden ist und Hausbauen und Schreinern und Gartengraben. Blog Dichten, das weiß feiner! Das ist doch traurig, menn man so einen duminen Bater hat."

Da tam ein Freund, der Privatdozent an der Universität au Berlin war. Natürlich lauschte Manni. Und als vom Dichten ge­sprochen wurde, wurden seine Augen meit.

T

Und jeder hat noch ein lehtes Hemd Und jede ein letztes Paar Schuhe.

Wiſſen

Pfandleihe.

Und wenn uns der Regen die Haare kämmt, Braucht keines mehr Betten zur Ruhe.

" Der Onkel Profeffor, der meiß, was Dichten eigentlich richtig auch e

ist, der weiß überhaupt mehr, wie deine dummen Dichter! hetzte ich Manni auf ihn.

Als der Junge mit der Frage herausrüdte: Ontel Hermann, was ist Dichten?", ging ich einen Augenblid abseits. Mochte der an­gehende Literaturprofessor sich allein aus der Patsche helfen. Und er half fich und half mir.

Manni machte ein höchft befriedigtes Gesicht, und ein paar Tage hatte ich Ruhe vor dem fragenden Jungen. Für diesen Erfolg dante ich von Herzen hiermit öffentlich allen Bertretern der Literaturwissenschaft! Bisher hatte ich teine Ahnung, wozu fie eigentlich gut war.)

Dann aber, nach dem Mittagessen, drückte Manni sich an mich heran und sagte verlegen: Bater! Was ist auch wieder.... Er

schämte fich.

Dichten ist.", stotterte er ,,, Dichten ist... Nun hab' ich es wieder vergessen!"

Leider muß ich den vorher ausgesprochenen Dant wieder zu­rüdnehmen, und mein Wiffen um die Wissenschaft löst sich in Dur auf.

Nun Schluß mit der Fragerei! Jetzt fag' ich dir, was Dichten ift! Manni, tomm auf meinen Schoß. Ich werd' es dir sagen!" ( Leider wußte ich noch selbst nichts.) Als Nein. Paß auf. Num, was ist dein Bater?"( Ich

geminne Zeit.).

" Du? Du, Vater, du bist dumm!"

Ja, mein Junge, mun paß auf: Boher meiß der Vater denn alles das, mas er so fleißig aufschreibt und wofür er seine Löhnung bekommt? Woher meiß der Bater das? Die Mutter fagt es ihm nicht und der fluge Opa sagt es ihm auch nicht. Auch der aller­flügste Herr Professor tann dem dummen Vater nichts Neues fagen! Wer wag ihm das denn alles sagen, mas er aufschreibt? Der Vater fiht doch immer so allein. Wer sagt ihm das nun alles?"

,, Kleine Oma sagt, der liebe Gott weiß alles!", unterbrach er mich, und ich geriet aus dem mühsam gefundenen Gedankenweg.

"

Also der liebe Gott! Gut, der ist aber doch für alle Menschen da. Warum sagt er es denen nicht, daß sie es auch aufschreiben

tönnen."

,, Da ist der himmlische Telephondraht taputt, bei den anderen Leuten, schmigte Manni mir ins Gesicht.

Die Teller und Tassen, die brauchst du nicht mehr, Wenn felten das Brot wird im Hause.

Und der Mantel ging hin und der Rock muß her, Denn der Hunger, der kennt keine Pause.

Beilage

des Vorwärts

Und morgen was wird morgen fein? Schlingt sich der Strick? Wird Arbeit kommen? Wird Dunkel fein? Ein lichter Schein? Was macht uns frei

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was wird uns frommen?

Das wiffen alle Leute, frage sie mir einmal. Und sie werden sagen:| Schafe hergestellt wird, murde von den Griechen bereits vor 2000 " Der Mensch, natürlich! Der hat einen Vogel!"

Das hatte Manni begriffen.

Ein paar Tage später tam Manni in die Küche zu seiner Mutter gelaufen. Wo ist Bater?, rief er, ich muß ihm ganz was Extras sagen: Ich hab' auch einen Vogel! Als ich da oben im Garten unter den Himbeeren lag, da auf einmal hör' ich ganz leise sagen: ,, Manni, lauf in die Küche! Mutter hat Apfelkuchen gebacken und backt dir den ersten und gibt ihn dir sofort. Und die Mutter hat auch noch ein Stück Schokolade für dich!"

Wahrhaftig!" sagte die Mutter, ich hab' eben gedacht, jetzt willst du mal schön Apfelpfannkuchen backen, den mag der Bater so gern. Und um das Vögelchen nicht gleich zum Lügenbold zu machen, opferte die Mutter das Stück Schokolade.

Bögelchen ist eine Weile der gute Geist des Hauses. Eines Abends kommt Manni und sagt, daß er im Keller die Leinölflasche umgeworfen. Ich hatte schon vergessen, es dir zu fagen, aber dann kam Vögelchen und hat mich daran erinnert. Ach, Bater, nun hat das Verkohlen keinen Zwed mehr, Bögelchen faat mir doch alles, wie es richtig ist, wenn ich was angefangen hab'." Bögelchen ist langsam der Schrecken der Großmutter und Tanten geworden. Vögelchen brütet Nester von Märchen aus und schwindelt furchtbare Geschichten zusammen. Seine Phantasie geht über Wohl­anständigkeit und herkömmliche Sitte. Manni und sein Vögelchen bringen uns in Berruf.

Wenn ich seinen tolldreisten Schwindeleien nicht glaube, zuckt er die Schultern und lacht: Vögelchen hat es gesagt!" Wenn es Abend wird und die Muttter nicht da ist, dann ist unsere Stunde gekommen. Wir hocken zusammen und schwindeln

im Afford.

sehen.

Worin die Alten uns schlagen.

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Jahren verwendet. Dann war dies Geheimnis vollkommen ver­loren und ist erst spät im 19. Jahrhundert wieder aufgefunden worden. Die alten Römer fonnten auch bereits ein Anstrichmittel, durch das das Rosten von Eisen verhindert wurde. Auch dieser wichtigen Erfindung der Alten ist man erst gartz neuerdings wieder auf die Spur gekommen. Bor einem Wunder stehen wir bei den Mumien der Aegypter, die die Einbalsamierungskunst zu einer heute nicht wieder erreichten Höhe vervollkommnet hatten. Wir sind heute stolz auf die Güte des Stahls, den unsere Werke herstellen. Aber niemals hat man die Feinheit des Stahls erreicht, der vor 1000 Jahren bei den Degenklingen der Sarazenen verarbeitet wurde.

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Die fingenden Mäufe. Daß Mäuse eine unverkennbare Vorliebe die kleinen Tierbuden der guten alten für Musik haben, ist bekannt- Zeit machten daraus ein beliebtes und gutes Geschäft. Leute, die denn doch wohl mit mehr Phantasie, als eratter wissenschaftlicher Beobachtungsgabe behaftet sind, wollen sogar wissen, daß es den Mäusen, wenn sie nachts in ein Zimmer geraten, in dem ein offenes Klavier steht, einen Hauptspaß mache, über die Tasten zu laufen und sie zum leisen Anschlagen zu bringen. Daß Mäuse sehr niedlich piepen, meiß auch jeder, der einmal mit ihnen näher zu tun gehabt hat, begabte Mäuse sollen sogar regelrecht fingen können. So führt neuer­dings der englische Naturforscher Wood die Beobachtung eines ge wissen Bampfield an, in dessen Küche, und zwar unter dem Getafel, Mäuse es sich mit ihrer Brut bequem gemacht hatten. In der Küche befand sich zufällig auch ein Kanarienvogel, deffen Triller allmählich, zunächst allerdings nur sehr unvollkommen, von den Mäufen nach­geahmt wurden, und zwar sowohl bei Tag wie bei Nacht. Der Gefang der Mäuse war süß und zart, nur er hatte nicht die Kraft und Fülle des Gesangs des Vogels, er war aber doch angenehm zu hören. Bampfield fühlte sich veranlaßt, auch andere ähnliche Fälle zu beobachten, und er überzeugte sich, daß Mäuse, die von klein auf mit Wir haben es heute so herrlich meit gebracht, daß wir mit einer Singvögeln in Kontaft fommen, in furzer Zeit in gewissem Umfange gewissen Geringschäzung auf die Leistungen der Vorfahren zurüdingen lernen. Biele andere Forscher haben sich ebenfalls mit diesem Aber wenn diese Verachtung in geistigen Dingen ganz Mäusegesang befaßt. So hat Brehm gehört, daß die Großwürden­unangebracht ist griechische Kunst und Weisheit wird nie überträger in China fich in eleganten Vogelbauern anstatt der Bögel troffen werden, so ist sie doch sogar auch in Fragen der Technik Mäuse halten, deren Gesang die fremden Reisenden in Staunen nicht ganz zutreffend, denn es gibt so manche Dinge, in denen uns setzt. Im übrigen hält Brehm selbst nicht viel von dem Mäusegesang. die Alten noch heute schlagen. Man denke z. B. an die Werke der Er denkt dabei vielmehr an franke, an Atemnot leidende Tiere, die alten Malerei. Bilder, die ein halbes Jahrtausend alt sind, wie die vielleicht auch Schmaroher in der entzündeten und verengten Luft­Werke eines Jan van End oder Giotto, prangen heute noch so herr- röhre haben oder an frankhaften Beränderungen in der Lunge leiden lich wie am ersten Tage. Es ist aber mehr als zweifelhaft, ob die und so Geräusche hervorbringen, die eine gewisse Aehnlichkeit mit heute gemalten Bilder so lange standhalten werden, und wir haben musikalischen Tönen haben. Dagegen sprechen viele andere Natur­eine Fülle von Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit, die zeigen, forscher mit leberzeugung von dem Mäusegesang, unter ihnen daß wir es heute verlernt haben, so dauerhaft zu malen. Deshalb Dr. Eichelberg, auch ein Deutscher, der vor längeren Jahren in Kassel eine Singmaus beobachtet zu haben behauptet. und der Farbenmischung zu ergründen, das die Künstler des Mittel­alters besaßen. Die fabrikmäßige Herstellung der Farben, die geringere Sorgfalt ihrer Handhabung, die gerade durch die Fort­schritte der Technik hervorgerufen wird, hat die Dauerhaftigkeit beeinträchtigt. Nicht anders ist es mit den Bauten der Alten. Die Mauern altrömischer Architekturwerke oder mittelalterlicher Burgen erscheinen so für die Ewigkeit gefügt, daß es uns ganz unbegreiflich dünkt. Man hat nach dem Mörtel geforscht, den die Alten ver­wendeten, und diese Bemühungen zeigen sich in merkwürdigen Sagen, wie z. B. in der, daß die preußischen Ordentsritter beim Anrühren des Mörtels Buttermilch" verwendeten. Solche alten Mauern lassen sich nur durch Dynamitsprengungen auseinander bringen, mährend die Bauwerfe unserer Zeit leider eine solche Festigkeit nur selten aufweisen. Lange Zeit zerbrach man sich auch den Kopf über die Zusammenseßung der altrömischen Tonwaren, die aus der sogenannten terra sigillata" bestehen. Diese Fabris tation ist erst in neuerer Zeit von dem banerischen Töpfer Fischer wieder entdeckt worden, Lanolin, das Fett, das aus der Molle der

,, Richtig, mein Junge! Das stimmt! Früher, da konnte der liebe Gott mit allen Leuten sprechen, und er fagte ihnen, was fie wiffen wollten und was er ihnen zu fagen hatte. Aber jetzt haben die Leute keine Zeit mehr dafür. Die müssen mie der Vater in die Fabriken gehen und arbeiten. Und müssen immer an Geld denken und Brot und Kleider und Schuh. Und haben gar keine Zeit mehr, auf den lieben Gott zu hören. Auch der Vater, der hatte immer blog Kessel im Kopf, Transportfessel, Teerkessel, Dampfkessel, und die vielen Zahlen davon, weißt du? 3,14 x 1800 5652. Und Löhnung für die Gesellen und Geld für das Walzwerk. Und die Ohren voll Bumbum vom Refselschlagen. Da auf einmal, als der Bater im Garten beim Graben mar, sieht er sich einmal um, und da lachen ihn die Bäume aus und die Blumen und die Pflanzen und die Wolfen am Himmel, und die Sträucher lachen ihn aus. Du hummer Bater! Was denkst du soviel und weißt doch nichts Gestrebt man seit langem danach, das Geheimnis des Malgrundes fcheites. Bas liest du in den Büchern und in den Zeitungen und fachst doch nicht! Barum bist du immer so traurig? schrien und lachten alle Blumen und Bäume. Und da, auf einmal, fam ein ganz fleines Bögelchen, das jetzte sich bei dem Vater auf die Schulter und sagte ihm leise ins Ohr: Komm, du dummer, dummer Bater! Komm, ich sag' dir alles, was du wissen willst, hör' auf mich!" Natürlich wollte der Vater das gern. Und er ging dann ganz still in den Garten und in den Wald, und der Vogel faß auf seiner Schulter und fang ihm alles ins Dhr. Wenn der Vater aber an den Autos vorbeikam, dann schwieg er still, und wenn der Manni Bater brüllte, dann flog er gar fort.

Aber wenn nun der Vater still an seinen Büchern arbeitet, und niemand stört.ihn, dann fikt Vögelchen ganz nah an seinem Ohr und ſagt ihm alles; der Bater schreibt, und menn er es richtig versteht, danu fliegt Bögelchen schnell in den Himmel und fragt noch einmal nach. Siehst du, das ist Dichten. Das Ausschreiben, was das Bögelchen von der Belt, von Gott, den Menschen, Bäumen, Bolten nb Tieren fingt. Ein Dichter ist ein Mam, ber einen Bogel hat.

Neuverwerfung von Zeitungspapier. Die deutsche Reichspost be förderte 1924 täglich rund 6 Millionen Zeitungen und Zeitschriften, denen man ein Gewicht von rund 200 Tonnen zuschreiben kann. Diese Masse wird gelesen und fällt dann als wertlos faft vollständig der Bernichtung anheim. Bu ihrer Herstellung sind aber jährlich ungefähr 150 000 Tonnen Holz nötig, abgesehen vom Kohleverbrauch. Dies ist ungefähr der Jahresertrag von 500 Quadratkilometer Wald. Für jeden erwachsenen Deutschen werden also jährlich etwa drei Bäume gefällt, um daraus Zeitungspapier zu machen!

Bekanntlich fann man das alte 3eitungspapier nicht wieder ver. werten, weil die Rusdruckerschwärze sich nicht entfernen läßt. Da durch gehen ungeheure Werte verloren. Neuere Bersuche sollen mit Braunstein statt Ruß glänzende Ergebnisse gezeitigt haben Geht sich der neue Drud durch, so gehen die jährlich zwei Milliarden Exemplare von Zeitungen fünftig nicht mehr für die Wiederver arbeitung auf Bapier verloren, oder anders ausgedrüdt: Zeitungs­matulatur wird wertvoller H