Nr. 6743. Jahrg. Ausgabe A nr. 34
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Mittwoch, den 10. Februar 1926
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Bor vollem Reichstagssaal und überfüllten Tribünen in der Diplomatenloge sah man u. a. auch die Botschafter Groß- Britanniens und der Vereinigten Staaten sowie den Gesandten der deutsch österreichischen Republik- gab Dr. Stresemann gestern dem größenwahnsinnigen Diftator Italiens die Antwort der deutschen Regierung. Der Außenminister sprach flug und geschickt. In den wenigen Punkten, an denen von deutscher Seite Unforrekthelten und Ungeschicklichkeiten begangen worden waren, gab er offen der Wahrheit die Ehre. So wenn er sich gegen den Reiseboykott Italiens wandte, der von der„ Nationalliberalen Korrespondenz" propagiert worden war und der an Dieser Stelle zurückgewiesen worden ist. So auch, wenn er die Berichtigungen Mussolinis wegen des Denkmals Walthers von der Vogelweide und des angeblichen Christbaumverbots als berechtigt anerkannte.
Aber im Italien Mussolinis wird das füdtirolische Deutschtum mit dem Ziel der völligen Ausrottung unterdrückt, entgegen den feierlichen Erklärungen, die bei der Ein verleibung Südtirols in Italien abgegeben worden find. Daran hat die deutsche Presse Kritif geübt und mit Recht. Dem Wunsch des Diftators nach Unterdrückungsmaßregeln auch gegen die deutsche Presse( diefer Versuch galt in erster Linie dem„ Vorwärts") sette Strejemann den Hinweis auf die verfassungsmäßige deutsche Preffe freiheit entgegen. Er gelobte für die nationalen Minderheiten in Deutschland Gerechtigkeit und gewann so für seinen Gegenangriff eine überaus günstige Stellung. Er führte ihn mit großer Gewandtheit und ebensoviel Schärfe, wie die Gi tuation sie erfordert, aber er vermied doch jeden Erzeß der Leidenschaft und blieb in den Grenzen, die ein verantwort licher Staatsmann sich steden muß.
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Für den Eintritt in den Bölkerbund gerade im gegenwärtigen Augenblick fand er überzeugende Argumente. Der parlamentarische Außenminister Deutschlands hat sich gestern dem faschistischen Diftator moralisch und intelleftuell überlegen gezeigt.
Nach Stresemann gab Herr Scholz für die Regierungsparteien eine formulierte schriftliche Erklärung ab, die die Ausführungen Stresemanns unterstrich. Dann sprach für die socialdemokratische Reichstagsfraktion Genosse Stampfer. Er konnte als Abgeordneter tun, was sich Stresemann als Minister versagen mußte. Er zeigte die Unterdrückung Süd tirols als ein Teilstück eines ganzen Systems, des Systems des Faschismus, und gegen dieses System richtete er feine Anklage. Als internationaler Sozialist sprach er nicht gegen das italienische Volt, was ja auch Stresemann nicht getan hatte, fondern für das italienische Bolt gegen feine Unterdrücker, die zuoleich die Unterdrüder Südtirols find. Und jenen Cesare Battisti , dem Herr Mussolini jetzt in fraffer Unfenntnis der Geschichte seines eigenen Landes in Bozen ein Denkmal sezen will, stellte er, seine Reden zitierend, dem Faschistenhauptmann als Anfläger gegenüber. Für die Deutschnationalen sprach Martin Spahn , für die Völlischen Reventlow. Sie befanden sich, nachdem durch die Reden des Außenministers und des Sozialdemofraten der Ton für die ganze Debatte angegeben war, in einer recht unglücklichen Lage. In einer Angelegenheit, die das deutsche Volkstum betrifft, hatten ihre Gegner die Führung übernommen, und es blieb ihnen wenig anderes übria, als etwas polternd nachzuhinfen. Besonders für den Bölkischen war es eine verteufelt verpichte Angelegenheit, feinem italienischen Idol entgegenzutreten; darum og er es vor, gegen Stresemann zu kämpfen, der für ihn ja ein richtiggehender Pazifist und darum die größere Gefahr ist.
So waren die patentierten Vertreter der Nation ziemlich arg ins Hintertreffen geraten, und das erloschene Intereffe flacerte erst wieder auf, als der Sozialdemokrat Löbe als Reichstagspräsident das Ergebnis der Aussprache in knappe und würdige Worte zusammenfaßte.
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Alles in allem darf man hoffen, daß von der gestrigen Reichstagsfizung eine nükliche Wirkung ausgehen wird. Die europäische Reaktion erleidet nach der Aufdeckung der Fememorde in Deutschland , nach der ungarischen Franffälscheraffäre- eine neue moralische Niederlage. Der Gedanke, daß im Kampf gegen sie die europäischen De mofratien zufammengehören, daß vor allem Deutsch land und Frankreich ihr Berhältnis zueinander nicht durch neue Intrigen vergiften lassen dürfen, und daß auch England nach seinen Traditionen unmöglich seinen Blaß an der Seite eines Mussolini suchen darf, hat eine Kräftigung erfahren. Schon hat der Bremierminister Englands erkannt, welche scharfe Waffe in der Hand der Opposition die Be
hauptung ist, daß zwischen der konservativen Regierung und dem italienischen Faschismus engere Beziehungen beständen, und er hat solche Beziehungen energisch bestritten. Deutschland fämpft gegen Mussolini , aber für Italien und für den Frieden einen guten Kampf, und es hat Aussicht zu gewinnen.
Im Reichstag waren gestern Plenarsaal und Tribünen sehr start besetzt. Auf der Regierungsbant die Reichsminister Strefe mann, külz und Mary. In der Diplomatenloge sieht man den englischen Botschafter d'Abernon und den österreichischen Ge sandten Dr. Frant.
Präsident Löbe eröffnet die Sigung um 2% Uhr. Erster Bunft der Tagesordnung ist die Beratung der von den Regierungsparteien und den Deutschnationalen eingebrachten Interpellation über die Lage in Südtirol . Das Wort ergreift sofort
Reichsaußenminister Dr. Stresemann:
Die Ausführungen, die der Herr italienische Ministerpräsident in der Sonnabenfigung des italienischen Barlaments gemacht hat, in der Sonnabenfigung des italienischen Barlaments gemacht hat, greifen tief ein in das Verhältnis Italiens zu Deutschland . Sie rollen darüber hinaus die Gesamtlage auf, die mit dem Abschluß der rollen darüber hinaus die Gesamtlage auf, die mit dem Abschluß der Bölterbund in Verbindung fieht. Der rhetorische Ausbruch des Verträge von Locarno und mit dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund in Verbindung steht. Der rhetorische Ausbruch des Herrn Mussolini gäbe Veranlassung, ihn in derselben Weise zu ant morten. Die deutsche Regierung muß es aber ablehnen, auf einen derartigen Ton, der wohl eher auf Massenversammlungen, als auf Aussprache mit anderen Nationen berechnet ist, ihrerseits einzugehen. Wir werden unsererseits von dem Tatbestand ausgehen und von da aus zu den Darlegungen des Herrn italienischen Minister. präsidenten Stellung nehmen. Südtirol ist bei den Friedensverträgen Italien zugesprochen worden, daraus ergeben sich politische Konjequenzen, die wir stets respektiert haben und zu respektieren haben. Die Hoheitsfrage, die Souveränität Italiens über Südtirol steht außer Zweifel. Aber diese unbestrittene Souveränität Italiens erschöpft nicht die Gesamtfituation, auch nicht vom italienischen Gesichts: punft aus gesehen. Gerade bei Schließung der Friedensverträge und bei ihrer Begründung haben wir oft von anderer Seite die Worte gehört, daß es nicht nur ein internationales Recht, sondern daß es auch eine internationale Moral gibt und zur Erhaltung ihrer internationalen moralischen gegenüber der Bevölkerung von Südtirol hat die italienische Regierung selbst zu wiederholten Malen Stellung genommen. Sowohl von der österreichischen Regierung als auch von der Bevölkerung der betreffenden Gebiete wurden während der Friedensverhandlung in Paris Proteste gegen die Einverleibung Südtirols an die alliierten und assoziierten Mächte gerichtet. In der Antwort, die der österreichischen Regierung am 2. September 1919 zugegangen ist, ist erklärt worden, daß die Grenze nicht geändert werden könnte: Aber gleichzeitig haben die alliierten und affoziierten Nationen hinzugefügt: wie aus den sehr klaren vom italienischen Ministerpräsidenten im römischen Parlament abge. gebenen Erklärungen folgt,
beabsichtigt die italienische Regierung, gegenüber ihren neuen Untertanen deutscher Nationalität in bezug auf ihre Sprache, ihre Kultur und ihre wirtschaftlichen Interessen eine in weitem Maße liberale Polifit zu befolgen."( hört! hört! in der Mitte. und rechts.) Am 18. November 1918 wurde Bozen befeht. Der fommandierende General der italienischen Armee Picon Giraldi erließ damals folgende Proklamation: So fehr Italien auch bestrebt ist, seinen Geist und sein Recht auf diesem Boden zu festigen, so liegt ihm die Unterdrückung anderer Rassen oder Sprachen fern.( Hört! hört!)
In Orten, in welchen eine gemischte Bevölkerung lebt, werden Schulen der betreffenden Sprachen eingerichtet werden. deutsche Bolksschulen befizen können( hört! hört!), und allen bereits ( Hört! hört!) Die Gemeinden deutscher Mundart werden
Die Kurzarbeiterunterstützung gesichert.
Für den 3., 4. und 5. Tag der Arbeitsruhe. 3m Sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags famen gestern die Anträge zur Kurzarbeiterunterfügung zur Beratung. Nachdem sich die Vertreter der Regierung gegen die 2inträge ausgesprochen hatten, die ihnen zu weit gingen, wurde ein Unterausschuß eingesetzt, der gleich darauf feine Beratungen aufnahm. Hier fam eine Einigung aller Parteien dahin zustande, daß vorgeschlagen werden foll, die Kurzarbeiter. unterstübung wöchentlich für den 3., 4. und 5. Tag der Arbeitsruhe zu zahlen, die von der Regierung beabsichtigte der Arbeitsruhe zu zahlen, die von der Regierung beabsichtigte Differenzierung zwischen Ledigen und Berheirateten fallen zu laffen und die Frage zu prüfen, ob in Betrieben, bei denen die Kurzarbeit nach Tagen nicht zu berechnen ist, eine ffundenweise Umrechnung erfolgen fann, wobei die besonderen Arbeitsverhältnisse der Angeftellten berücksichtigt werden sollen.
Eine entsprechende Berordnung wird, wie der Soz. Preffedienst meldet, schon am Ende dieser Woche in Kraft treten.
bestehenden privaten und tonfeffionellen Schulen wird freie Bahn gelassen werden.( hört! hört!). Die deutsche Unterrichtssprache wird beizubehalten sein( Hört! hört!), vorausgefeßt, daß Lehrpläne und Schulbücher nicht gegen die Würde und Rechte Italiens verstoßen. 3m Geiste dieser Grundsäge vertraue jeder darauf, daß alles, was die Sprache und Kultur von Hochetsch anbelangt, sorgfältig und liebevoll geregelt werden wird.( Hört! hört!) Das ist die erste Erklärung, die der Bevölkerung von Südtirol abgegeben worden ist. Diese Erklärungen sind in der Zukunft wiederholt worden. So hat Herr Zitoni am 27. September 1919 seinerseits erklärt: Die Völker anderer Nationalitäten, die mit uns vereinigt werden, follen wiffen, daß uns der Gedanke einer Unterdrückung und Entnationalisierung vollkommen fernliegt( Hört! hört!), und daß die Sprache und ihre fulturellen Einrichtungen geachtet werden. ( ört! hört!)
König Viktor Emanuel
hat in seiner Thronrede vom 1. September 1919 ebenfalls zu der Frage von Südtirol Stellung genommen und hat erklärt: Unsere freiheitliche Tradition muß uns den Weg weisen, auf dem wir bei größter Beobachtung der lokalen autonomen Einrichtungen und Gebräuche die Lösung finden tönnen." ( hört! hört!) Ich könnte diese Erklärungen durch weitere vervollständigen. Ich will darauf hinweisen, daß zehn Tage darauf der ministerpräsident Bunomi noch einmal denselben Gedanken ausgesprochen hat, indem er sagte:„ Unfererseits erkennen wir den Deutschen ebenso wie den Slawen das Recht auf Erhaltung ihrer Sprache und ihrer Kultur an."( Hört! hört!)
Italien hatte auch Beranlassung, gerade diesem Problem seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es gibt auch italienische Minderheiten in anderen Staaten, in anderen Ländern. Italien hat gerade Wert darauf gelegt, daß beispielsweise Süd. lawien vertragsmäßig durch Defret vom 24 September 1923 die Minderheitenfrage geregelt hat, in dem Sinne, Südim nationalen Leben; sie genießen volle Freiheit hinsichtlich ihres jlawien gewährt den Minderheiten volle Entwicklungsmöglichkeiten Berkehrs, ihrer Religion, ihrer Preſſe, ihrer Vereins- und Bersamm tungstätigkeit; sie haben das Recht zur Errichtung von Schulen und Erziehungsanstalten, in denen die eigene Sprache ohne Einschränkung verwandt werden kann. Das sind Forderungen gewesen, die Erklärungen annehmen konnte, daß sie auch Grundlage der Politik Italien selbst gestellt hat und von denen man nach den gegenüber Südtirol sein würden.
Das war der Standpunkt der Bersprechungen bei dem Friedensschluß 1919. Seitdem ist im Zusammenhang mit den innerpolitischen Entwicklungen in Italien auch die Entwicklung der Verhältnisse in Südtirol einen anderen Weg gegangen. Der Senator Tolomei hat am 15. Juli 1923 im Bozener Stadttheater ein umfassendes Entnationalisierungsprogramm aufgestellt, das inzwischen zum großen Teil durchgeführt ist.
An der bewußten Entdeutschung von Südtirol besteht kein Zweifel.
Sie wird unter dem Namen der Italienifierung von Südtirol von Herrn Mussolini in der von mir erwähnten Rede selbst als ein Ziel der italienischen Politik hingestellt. Sie steht im stärksten Gegenfah zu den Zusicherungen, die der Südtiroler Bevölkerung bei ihrer Annegion durch Italien gegeben worden find.( Sehr wahr!) Manche Preffeveröffentlichungen über Gewaltmaßnahmen in Südtirol entsprechen zweifellos nicht den Tatsachen, aber ich glaube, auch diese teilungen ändern nichts an dem Gesamtbestande( Lebhafte Su bedauerlicherweise veröffentlichten unwahren und falschen Mitftimmung), der ja schließlich auch von dem Herrn Ministerpräsidenten Mussolini selbst mit dem einen großen lapidaren Satz der Italinifierung Südtirols in seinem ganzen Umfang gekennzeichnet worden ist.( Sehr richtig!)
Herr Mussolini benujte schon einmal die Aufforderung einiger unbeachtlicher Kreise, die zum Boykott italieniicher 23aren aufforderten und so in durchaus unangebrachter Weife links und in der Mitte), um dem deutschen Botschafter gegenüber zu Außenpolitik machen zu fönnen glaubten( lebhafte Zustimmung erklären, daß er amtlich die Einfuhr deutscher Waren nach Italien verbiefen werde und zum Boykott deutscher Waren auffordern würde ( Hört, hört!), wenn derartige Bewegungen in Deutschland nicht aufhörten oder sich wiederholten.( Hört, hört!)
Meine Damen und Herren! Ich halte es für ein unmögliches Vorgehen, die unbeachtete Bewegung weniger Kreise, die von der Regierung entschieden mißbilligt wird, mit dem Bruch internationaler handelspolitischer Abmachungen beantworten zu wollen.( Sehr gut!) Denn in Wirklichkeit wären derartige Maßnahmen der Bruch solcher Abmachungen.( Sehr richtig!) Auf dieser Basis ist ein internationales Zusammenleben nicht möglich.( Lebhafte Zustimmung.) Berträge, die geschlossen werden, würden dann ihre Bedeutung verfieren. lieren. Die Klärung dieser Frage wäre eine interessante Aufgabe für die Weltwirtschaftstonferenz Für die deutsche Re gierung erfläre ich, daß sie allen Bontottbewegungen fernsteht und felche bekämpft.
Herr Mussolini sucht den Eindrud zu erweden, als habe Deutsch land auf Regierungsbefehl hin eine antifaschistische Bewegung entfacht, deren Biel der Anschluß Deutschösterreichs an das Reich und die Beanspruchung der Brennergrenze, also eine Gefahr für Italien ist.