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Nr. 105 43.Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 4. März 1926

Die Kraftdroschke nd ihr Führer

Rehnerf.

Die Deffentlichkeit hat sich in letzter Zeit sehr lebhaft mit den| Verhältnissen im Berliner Kraftdroschtenverkehr beschäftigt. Sehr mannigfache Klagen des Publikums in den großen Tageszeitungen führten schließlich zu dem Erfolg, daß die Prüfung von Fahrern, soweit als Prüfungsstelle das Kraftverkehrsamt in Frage kommt, recht erheblich erschwert wurde. Hier ist also schon ein Erfolg info­fern festzustellen, als orisunkundige Prüflinge teine Aussicht haben, den Kraftdroschkenführerschein zu erhalten.

Hat er jedoch Fahrgäste, dann wird ihm die Höchstgeschwindigkeit faum genügen, weil eben bei ihm, wie bei feinem anderen, Zeit Geld bedeutet. Hier liegt des Uebels Wurzel. - In anderen Städten hat man längst Grundlöhne für Kraftdroschfenführer eingeführt, es wäre aus den angeführten Gründen dringend zu wünschen, daß auch in Groß- Berlin baldigst ein gleiches geschieht, um die Verkehrssicherheit zu heben.

Gentlemen- Chauffeure."

Ein Teil der Berliner Presse ist des Lobes voll über unsere " Gentlemen- Chauffeure". Es handelt sich, wie jene Blätter be­haupten, um Herren, die etwas Besseres" jein fömmen. Studierende aller Fakultäten, Barone, Grafen usw. Bedarf liegt tatsächlich nicht vor( wenn man die Ansicht Mondäner und Demimondäner unberüd­fichtigt läßt). Maßgebend ist die reibungslose Durchführung eines großstädtischen Schnellverkehrs. Daß mun die Gentlemen " in den meisten Fällen nicht mehr Qualifitation besigen, als ihr Monokel und andere feudale Requifiten ausdrücken( Dinge, die sie schließlich Don proletarischen Chauffeuren maßgebend unterscheiden), ist seit langem offenes Geheimnis unter Fachleuten. Folgende Episoden veranlassen vielleicht unsere Berkehrspolizet, hier etwas Remedur zu schaffen. Ueber den Kemper Plaz fährt eine Autodroschke mit Richtung von Schöneberg , stoppt und Chauffeur befragt Kollegen und Schupomann über den Weg nach der Apostel- Paulus- Straße. Da die tatsächlich in Schöneberg liegt und Fahrer( Bardon! Gentle men) auf Befragen erklärt, von der Potsdamer Brücke abgefahren zu sein, hatte er für den falschen Weg bereits zweimal 1,20 Mart Weg zu fahren, war ihm infolge mangelhaftester Driskenntnis nicht am Tagameter. Den ihm von Befragten vorgeschlagenen fürzesten möglich. Er nannte die unmöglichste Route und fuhr obendrein noch mehr ab von der Richtung. Wir wollen der Insassin nachträglich Ein anderes: Ein Herr, Aus wünschen, gut gefahren zu sein. länder, entsteiat am Pariser Platz einer Autobroschte und befragt einen älteren Fahrer am Halteplag nach Weg zum Hotel Alexan drowo(!). Er erklärt, fein Chauffeur fährt freuz und quer, fragt fährt, hat schon 26 Mart an der Fahruhr! Er fommt vom Stettiner Bahnhof und erfährt von Befragtem, daß er für 1,60 Mart in 6 Minuten das Biel ( Hotel ist in der Mittelstraße) erreichen fonnte. Der Herr entlohnte dem tüchtigen" Chauffeur mit 1,60 Mart und ließ sich von anderem Auto befördern. Die Anzeige des Falles hätte dem Gentleman" den Verlust der Fahrberechtigung getoftet. Ein driftes: Chauffeur mit Fahrgästen befragt am Dranienburger Tor Die Weidendammbrücke war noch gesperrt und es wird ihm die Auskunft, er müsse durch die Oranienburger , Artillerieſtraße, über Ebertsbrücke und Georgenstraße in die Friedrichstraße. Es fehlt ihm jede Ortskenntnis und man sieht ihn die Friedrichstraße abwärts nach rechts in die Karlstraße einbiegen. Der Weg wurde so um ein Er­hebliches länger.

Was der Kraftdroschkenführer kennen foll! Neben der oft völligen Ortsunkenntnis der neuen Fahrer gab ihre Unsicherheit im Fahren selbst, als auch ihr Benehmen den Fahr­gäfte gegenüber zu Klagen Anlaß. Um gleich das Lezte vorweg zu nehmen, spielt hier wohl der Umstand eine Rolle, daß die Be­werber aus den verschiedenartigsten Berufsgruppen stammen, die nun zum nicht unerheblichen Teil erstmalig eine Stellung befleiden, die sie in fortwährende Berührung mit dem Publikum bringt, be­ftiminte moralische Qualitäten und einen gewissen Zaff erfordert. Eine der vornehmsten Pflichten des Kraftdroschtenführers muß Ehrlichkeit dem fahrenden Publikum gegenüber sein, ob es sich hier bei um die Berechnung des Fahrpreises oder um die Abgabe ver= sehentlich im Wagen zurückgelassener Gegenstände handelt, ist gleich bedeutend. In jedem Fall muß der Fahrer bemüht sein, sich das volle Vertrauen feiner Fahrgäste zu sichern, so wie es früher der Fall mar und oft lobend in der Presse hervorgehoben wurde. Mit der Fahrkunft der neu ausgebildeten Fahrer, die mit Recht als unzu: eine große Rolle, daß Leute, die bisher in Werkstatt oder Bureau beschäftigt waren, nach einer sehr furzen Ausbildung oft nicht in der Lage find, den an fie gestellten Anforderungen im Berkehr zu ent­sprechen. Die Beschaffenheit der Kraftdroschten ist heute unver­gleichlich beffer als früher, doch stellt der gewaltig gesteigerte Ber tehr sehr hohe Anforderungen an die Geschicklichkeit des Fahrers, verlangt aber auch eingehende Kenntnis der Straßenpolizeiverord­nungen und der Droschtenordnung. Alles dies in einem Schnell. furfus fich anzueignen, wird auch dem Fähigsten faum möglich sein. Etwas tommt jedoch noch hinzu, was gerade für die Verkehrssicher­heit eine überaus große Gefahr bedeutet, die übermäßig lange Arbeitszeit der Fahrer oft bis zu 24 Stunden hintereinander, gegen die schon das Kraftverkehrsamt vorgegangen ist, sowie ihre sonder bare Entlohnung. Es soll nicht behauptet werden, daß die Be- Kollegen um den Weg nach der Ede Friedrich- und Mittelstraße. zahlung eine schlechte ist, im Gegenteil steht fest, daß man alten, zuverlässigen Fahrern gegenwärtig bis 30 Broz. der Bruttoein nahme als Vergütung überläßt; man gibt jedoch keinen Pfennig Lohn als Figum. Der Fahrer wird hierdurch an eine hohe Ein­nahme auf das stärkste intereffiert, so start, daß es eine Gefahr für die Verkehrssicherheit bedeutet, weil er ständig bemüht sein wird, Fahrgäste zu werben. Er wird dies naturgemäß in den belebtesten Straßen tun mit dem Blick auf den Bürgersteig, um auf eventuellen Wint oder Zuruf sofort reagieren zu fönnen. Sein Tempo muß dabei ein so langsames sein, daß andere Kraftfahrzeugführer fort während zum Ueberholen der leeren Kraftdroschken gezwungen sind.|

25]

Onkel Moses.

Roman von Schalom Asch .

,, Möge fie mehr Freude an dir haben als ich, Mojes, mein Leben!" Wieder brach die Frau in Tränen aus. Als dann Manes und Sam, der Neffe, zu der Frau famen, um ihr die Nachricht zu bringen, daß der Ontel hei­raten wolle, da maren Mann und Frau gar nicht überrascht, im Gegenteil, fie freuten sich herzlich.

,, Barum foll er nicht heiraten?" warf der Mann hin. Was geht es uns an, wenn der Onkel heiratet?" ,, Er ist doch noch ein junger Mann; warum soll er nicht heiraten?" fügte die Frau fachverständig hinzu. Manes und Sam begriffen, daß der Onkel ihnen zuvor gekommen war und alles geordnet hatte. Deshalb schwiegen fie. ,, Sam, Schluß machen, mit allem Schluß machen, fahr dir übers Maul und tusch, du siehst ja, da ist nichts zu machen!" riet ihm Manes. Tu, als wüßtest du von gar nichts, und wenn du es erfährst, so freue dich darüber. Freue dich herz­lich, wünsch' dem Onkel Glück und stelle dich gut mit Aaron und mit der ganzen Famalie der jungen Frau, streich ihnen um den Bart, schmeichele ihnen, schmiere ihnen Honig in den Mund, tu alles, was man in solchen Fällen tut, denn sie haben dich in der Hand, lieber Freund!" so belehrte Manes Sam in eindringlicher Weise.

Sam mußte selbst, was er zu tun hatte, und war dazu entschlossen. Gab es denn einen anderen Ausweg? Aber im Herzen trug er andere Gedankten. Er entstammte der Fa­milie Melnik, war des Onkels Neffe, und nicht umsonst nahm er sich den Onkel zum Borbild und ahmte ihn in allen Stüden nach. Nein, so leicht fonnte er feine ehrgeizigen Pläne, den Onfel zu beerben und dereinst sein Nachfolger zu werden, nicht aufgeben. Er war bereit, alles zu tun und vor nichts zurückzuschrecken, um die Heirat zu verhindern.

Er wird Kinder haben," das war Sams steter Gedante. Nachdem Onkel Moses alles geordnet und sich in jeder Hinsicht vor Ueberraschungen sichergestellt hatte, hieß er Aaron Melnit das Verlobungsfest vorbereiten. Vor allem follte für viel Gänsebraten, Bier und Litör auf des Ontels Rechnung

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Ein Berliner Fuhrhof mit 200 Mann Belegschaft beschäftigt allein 120 dieser Gentlemen ". Wir konnten hier nur einige Bel­spiele aus ihrem Wirken anführen. Wie oft mag fich ihre Tüchtig teit" auch sonst noch bewähren! Der Deutsche Verkehrsbund fordert

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gesorgt werden. Den Kusminern gab der Onkel einen halben Tag frei, damit sie zur Verlobung fämen. Die Kusminer priejen das Glüd, welches Rusmin widerfahren war, daß der Onkel ein einfaches armes Mädchen aus dem Kreise seiner Landsleute zur Frau nahm. Dadurch fühlten sich alle er­hoben und hielten sich geradezu für die Schwägersleute.

Bei der Verlobung tat der Ontel den Kusminer Lands­leuten fund, die Hochzeit werde in einer eigenen Rusminer Schul' gefeiert werden, die er für die Kusminer faufen wollte. Die Kusminer Landsleute wollten ihm die Hände tüssen, als fie dies hörten; fie waren ihm dankbar, daß er sie zur Ber­lobung eingeladen hatte und daß er ihnen eine Schul' faufen wollte. Sie überschütteten ihn mit Segenssprüchen, freuten sich und prunkten mit seinem Glück und seinem Reichtum. mit allen Erzvätern verglichen sie ihn, der eine mit Erzpater Jakob, aus deffen Samen die zwölf Stämme erblühen wür den, ein anderer mit Moses, der den Juden die Stiftshütte schuf. Sie suchten einen Namen für die fünftige Schul' und nannten sie nach dem Onkel: Ohel Mosche Ansche- Kusmin". Und Onkel Moses ging in Aarons Wohnung, schwitzend, glücklich und im Gefühl seiner Güte umher und sagte: ,, Effet und trinket, Kusminer Landsleute, freuet euch, bei mir ist heute ein Freudentag..."

6. Masch as Brautstand. Ganz Kusmin , soweit es fich in New York befand, sah Mascha für das glücklichste Mädchen unter der Sonne an. Mascha selbst wagte nicht anders zu denken als ganz Rusmin, und schägte sich glücklich, daß sie die Braut des reichen Onkel Moses geworden mar. Der Onkel überschüttete sie mit Ge­schenken, behängte sie mit fostbaren Juwelen, dem Modernsten und Teuersten, das zu finden war. Jeden Tag schickte er ihr die Schneiderin und ließ ihr pruntvolle Toiletten machen. Jeden Tag wurde aus dem großen Magazin der Fünften Avenue irgend etwas anderes für Mascha ins Haus gebracht: Seidenwäsche, hohe Lackschuhe, Handschuhe, Hüte. Wie fonnte da das Mädchen, welches noch der Armut des Baters und der Wohnung auf der Hopkinsstreet gedachte, wagen, ihr Los anders anzusehen als alle Rusminer Landsleute, als alle Bekannten? Die ganze Familie sah es für das reinste, echteste Blud an und hielt es dafür.

von den bei ihm organisierten Kraftwagenführern eine tadellose Berufsausbildung. Er wendet sich mit Recht dagegen, daß die Unfug stiftenden Herrenfahrer" mit den gut durchgebildeten Berufsfahrern verwechselt werden. Sollten die behördlichen Stellen, die den Groß­stadtverkehr betreuen, nicht das gleiche Interesse haben? Vielleicht prüfen sie einmal gründlich die Fähigkeiten der Gentlemen- Fahrer"- Es ist besser, Gefahren vorzubeugen und Unannehmlichkeiten zu ersparen, als ein lebel wachsen zu lassen und erst dann einzuschreiten.

Schwebende Signale.

Eine Neuerung im Berliner Berkehrswesen.

Die Berliner Verkehrspolizei ist bekanntlich bemüht, die Sicherheit des großstädtischen Straßenverkehrs zu erhöhen. In diesen Tagen wurden an der Leipziger Ecke Friedrichstraße Versuche mit einen an Seilen über der Mitte der Straßenfreuzung aufgehängten Ver­fehrsturm gemacht.

Es handelt sich hierbei um Blintapparate mit 3 Bull­augen, die rotes, grünes und weißes Licht aussenden. Das ganze grenzenden Häuser verankert sind. Auf dem Bürgersteig, dicht an Gerät wird von Drahtseilen gehalten, die an den Dächern der an­Fahrdamm, wird die Schaltvorrichtung aufgestellt und von hier aus durch einen Verkehrspolizisten bedient. Später sollen Versuche unternommen werden, die eine Blodschaltung, das heißt, das

In der Zeit, da Mascha in den Strahlen der Gunst des Onfels aufwuchs, hatte sie es erlernt, dem Ontel zu gehorchen. Sie sah, wie alle Landsleute aus Rusmin, ihr Bater, ihre Mutter, alle Menschen, die sie kannte, dem Onkel gehorchien und nicht wagten, ihm zu widersprechen oder etwas anderes zu tun oder zu denken, als der Onkel wollte. Der Onkel hat es befohlen", das war das heiligste Gebot, das stärkste Argu­ment. Und der Onkel hatte befohlen, daß sie seine Braut werden sollte, der Onfel wollte, daß sie fein Weib sein sollte, und dem Onkel mußte man in allen Stücken gehorchen, alles tun, was er wollte.

Doch Mascha begann zu empfinden, was es bedeutete, des Onfels Frau zu werden. Sie war kein Kind mehr, und obwohl sie keine eigenen Wünsche hatte, so arbeitete doch ihre Phantasie und malte ihr im Geifte Bilder aus, wie sie des Onfels Weib wäre. Wenn sie neben dem Onkel saß und er sie streichelte und an sich zog, wobei sein breites Gesicht blut rot wurde, wenn er voll Freude seine dicken Lippen in die Breite zog und sie fest an sich drückte, da erfaßte sie oft furchta. bare Angst. Sie duldete die Zärtlichkeiten, weil sie von Kind­heit an an den Onkel gewöhnt war, weil er sie immer ge streichelt hatte und der Onkel hatte ja alles dürfen. Doch seit er ihr Verlobter geworden ist, hat sie Furcht vor ihm, und wenn er fie umfaßte, lief es ihr heiß über den ganzen Körper, und sie hatte die Empfindung, als müßte sie sich waschen

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Wenn sie des Abends in ihrem weißen, reinen Zimmer allein war, in welchem die reichen, weißen Ladmöbel standen, die ihr der Onkel schon vor langer Zeit geschenkt hatte, wenn fie in ihrem, nach frischem Linnen duftenden Bett lag, so dachte sie an die Zeit nach der Hochzeit. Sie stellte sich den Onkel plößlich nackt vor. Sie wollte nicht daran denken, aber gewaltsam tamen ihr diese Gedanken in den Kopf. Und sie fah den Onkel nackt mit dem fetten Hängebauch, der dicht be­wachsenen Brust; fie hatte die Empfindung, daß der Onkel in ihr Bett tam... und da fonnte sie nicht mehr im Bette liegen. Stundenlang saß sie am Abend in ihrem Zimmer, bevor sie schlafen ging und hatte Angst, sich niederzulegen. Seit sie Braut geworden war, schlief fie nicht mehr unbe­fleidet, als fürchte sie, daß jemand bei Nacht ihren Körper berühren könnte.

( Fortjeßung folgt.)