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Vonnerstag 4. Marz?92S
Unterhaltung unö
Setlage ües vorwärts
Philosophie ftir Sie Lebenden. Von Ierome K. I e r o m e. (Sin beliebtes Argument der Philosophie lautet, alles sei be- langlos. weil wir ja doch in etwa hundert Jahren bestimmt tot sein werden. Was uns jedoch nottut, ist eine Philosophie, die uns bei Lebzeiten zu helfen vermag. Ich mache mir keine Sorgen über meinen hundertsten Geburtstag, wohl aber über die nächste Quartal- miete. Mich deucht, wollten die Leute bloh fortgehen und mich zu- frieden lassen die Steuereinnehmer, die Kritiker, die Männer, die sich mit dem Gas zu schassen machen, und andere derartige Gesellen, dann könnte sogar ich ein Phllosoph sein. Ich bin ja gern bereit zu glauben, alles sei belanglos, aber dies« Leute wollen es nicht glauben. Sie sagen, das Gas würde gesperrt werden und reden vom Gerichtsvollzieher. Ich teile ihnen mit, diese Angelegenheiten werden uns in hundert Jahren keine Sorgen mehr machen. Sie erwidern, es handle sich nicht um die Zeit nach hundert Jahren, diese Rechnung hätte bereits vor einem Jahr im April beglichen werden müssen, und sie weigern sich, meinem Dämon zu lauschen. Er interessiert sie nicht im geringsten. Will ich ganz aufrichtig sein. so muß ich gestehen, daß auch mich die philosophische Betrachtung, ich werde falls ich Glück habe in hundert Jahren tot fein, keineswegs tröstet. Weit trostreicher erscheint mir der Gedanke. daß auch diese Leute tot sein wenden. Außerdem haben sich vielleicht in hundert Jahren die Dinge gebessert. Dann werde ich womöglich gar nicht tot sein wollen. Wäre ich dessen gewiß, daß ich vor morgen früh sterben werde, ehe sie mir das Wasser, oder das Gas sperren, ehe der Gerichtsvollzieher, mit dem sie immer prahlen, erscheint, so könnte es mir vielleicht ich bin dessen nicht ganz sicher Freud« machen, ihnen einen derartigen Streich zu spielen. Die Frau eines sehr schlechten Manms besuchte diesen einmal im Gefängnis: er eben mit Vergnügen gerösteten Käse.Wie töricht du bist, Eduard", sprach die liebevolle Frau.Wie kannst du nur zum Wendbrot gerösteten Käse essen? Du weißt doch, daß dein Magen das nicht verträgt. Morgen wirst du wieder den ganzen Tag jammern." Das werde ich nicht", entgegnete Eduard.Ich bin gar nicht so dumm, wie du meinst: morgen früh werde ich gehängt." In den Schriften Marc Aurels gibt es eine Stelle, die mir stets Kopfzerbrechen verursachte, bis ich endlich eine Erklärung fand. Die Anmerkung zu dem Kapitel besagt, die Stelle sei unklar. Dies hatte ich bereits ohne Hilfe der Anmerkung entdeckt. Was das Game bedeutet, vermag kein Mensch zu verstehn. Es kann alles, kann aber auch nichts bedeuten. Die Mehrzahl der Studierenden neiat ersterer Ansicht zu, die Minderheit hingegen behauptet, die Stell« habe eine Bedeutung, doch müßte diese vorerst entdeckt werden. Meine Ansicht geht dahin, daß Marc Aurel   damals eine wirkliche Freude empfunden l>at: er kam heim, war mit sich selbst zufrieden, ohne recht zu wissen, weshalb.Ich werde den Gedanken niederschreib«»". sprach er,jetzt gleich, solange er mir noch im Gedächtnis haftet." Ihn deuchte, es sei noch nie etwas so Wundervolles gesagt worden. Vielleicht vergoß er sogar Tränen beim Gedanken an das Gute, das er tue. Während des Schreibens jedoch schlief er plötzlich ein. Am Morgen hatte er alles vergessen und durch Zufall kam auch diese Niederschrift in sein Werk. Dies ist die einzige, mir wahrscheinlich erscheinende Erklärung, und sie bietet mir einen gewissen Trost. Wir alle können nicht ununterbrochen Philosophen sein. Die Philosophie ist die Kunst, sich in das Unvermeidliche zu schicken, und dies gelingt den meisten von uns ohne die Hilfe der Philosophie. Marc Aurel   war ein römischer Kaiser und Diogenes   war ein Jung- geselle, der keine Miete zu bezahlen brauchte. Ich verlange eine Philosophie für den Angestellten, der mit dreißig Schillingen   in der Woche eine Familie erhalten muß, oder für den Landarbeiter, der acht Kinder aufzieht bei einem Wochenlohn von zwölf Schillingen  . Die Leiden Marc Aurels waren größtenteils die Leiden anderer. Die Steuern werden abermals erhöht werden müssen," so seufzte Marc Aurel   sicherlich häusig.Aber was sind denn Steuern? Etwas. was mit der Natur des Menschen übereinstimmt und Zeus   wohl- gefällig ist. Der Dämon in mir sagt, Steuern seien belanglos." Der Familienvater jener Tage jedoch, dessen Kinder neuer Sandalen bedurften, mußte erkennen, daß ihm die Philosophie herzlich wenig Heise. Und auch seine Frau fand dies, wenn sie ihm vorjammerte, sie habe kein einziges anständiges Kleid, könne nicht ins Amphicheater gehen, und dabei sei es doch ihr« einzige Freude, zuzusehen, wie ein Christ von Löwen   gefressen werde. Der Kuckuck hol' diese Barbaren!" mag Marc Aurel   bisweilen in einem unphilosophischen Augenblick ausgerufen haben.Wollten sie doch nicht immer die Häuser der Armen einäschern, die Babys an Speeren aufspießen, die älteren Kinder in die Sklaverei schleppen. Weshalb benahmen sich diese Leute nicht anständig?" Aber die Philosophie Marc Aurels triumphierte rasch über derartige ärgerliche Gefühle:Wie töricht von mir, den Barbaren zu zürnen," sprach er zu sich selbst. Man verübelt doch nicht dem Feigenbaum, daß er Feigen trage, noch der Gurke, daß sie bitter sei. Daher kann man auch von Barbaren   nichts anderes erwarten, als daß sie sich barbarisch benehmen." Und Marc Aurel   ließ die Barbaren himnetzeln: nachher verzieh er ihnen. Sind wir mit unserem Nächsten auf gleich gekommen, so sind wir meist bereit, ihm sein Vergehen zu verzeihen. Auch ich empfinde biswellen philosophische Gefühle: meist nach einem reichlichen Diner, beim Rauchen einer guten Zigarre. Zu solchen Zeiten blättere ich in Marc Aurel  , in Epikur   und in der Uebcrsetzung von Platos Republik  . Und zu solchen Zeiten bin ich mit den Verfassern dieser Werke einer Ansicht. Der Mensch be- kümmert sich zuviel um das Unwesentliche. Laßt uns die Abgeklärt- heil pflegen. Nichts kann uns geschehen, was wir nicht zu ertragen vermöchten: dies ist von der Natur so eingerichtet. Der törichte Landarbeiter mit seinen zwölf Schillingen   die Woche möge über die guten Dinge nachdenken, die ihm zutoil werden. Wird ihm nicht die Sorge erspart, wie er sein Kapital am besten anlegen könnte? Geht nicht auch für ihn die Sonne auf und unter? Viel« von uns sehen niemals einen Sonnenaufgang. Aber unsere sogenannten ärmeren Brüder dürfen alltäglich dieses Schauspiel genießen. Der Dämon in ihnen möge sich freuen. Weshalb sollte es den Landarbeiter be- kümmern, wenn seine Kinder nach Brot schreien? Derart haben die Götter in ihrer Weisheit bestimmt. Der Dämon des Landarbeiters möge darüber nachdenken, welchen Nutzen seine schlecht entlohnte Arbeit für das ollgemeine Wohl bedeutet. Der Landarbeiter möge über das Allgemeinwohl Betrachtungen anstellen. Julius Lasars sämtliche Teile. Don Karl Ettlinger  . Neulich, wie ich abends durch die benebelten Straßen Münchens  gehe und dazu aus Goethes Mignon vor mir hinzitiere:Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg" wer taucht da plötzlich vor mir aus? Sebastian Jmmerfix, der Mann, der mich jahrelang mit den Worten zu begrüßen pflegt«:Werter Gönner, können Sie mir nicht 5 Mark pumpen? Si« kriegen sie bestimmt om nächsten Ersten wieder zurück!" Aber er hatte einen eigentümlichen Kalender: bei ihm begannen die Monate immer erst mit dem Zweiten. Jetzt jedoch trug er einen pikseinen Pelzmantel, eine Ängstrühr« und«in Monokel, das zu ihm paßte wie die Faust auf die Nase. Er sagte auch nichtWerter Gönner" zu mir, sondern:.Lunger Mann. gut. daß ich Sie treffe! Ich verfolg« schon längere Zell Ihr schrist- st.rr-visches Wirken, vnd Sie scheinen mir nicht ohne Begabung!"
Keinen Pfennig!
halt, die Schranke ist geschlossen! Was ihr noch nicht weggerafft, Das gehört den Volksgenossen, Die's erjchustet und erschafft.
Euer heii'ges Rechtsabkommen Jnt'ressert uns einen Dreck! hier wird nichts mehr weggenommen! Hände weg!
Ich wollte ihm das Kompliment mit den Worten zurückgeben: Sagen Sie mal, ist Ihnen vielleicht vorübergehend das Gehirn eingetrocknet?" Jedoch er ließ mir keine Zeit zu irgendwelcher Gegenäußerung:Ich bin nämlich jetzt Erster Regisseur bei der International Kitschsssm Co. ein Weltunternehmen! Unser letztes FilmdramaZehnmal unschuldig geschieden oder das Wasserzeichen im Ohrläppchen der Jsabella Käsebier", unser dezentes Aufklärungs- sittenstückMädchen, macht nicht Psft auf der Straße!", unser geist- sprühendes LustspielIsidor bestreicht feine Schwiegermutter mit Fliegenleim" waren Schlager! Junger Mann, warum schreiben Sie eigentlich keinen Film?" Diese Frage war mir nichts Neues, denn so ziemlich meine sämtlichen Verwandten und Bekannten fragen mich, warum ich nicht schreibe. Aber das mit dem Film war kein dummer Gedanke. Erst kürzlich hat mir die Frau eines Schriftstellers erzählt, daß ihr Mann für das Verfilmungsrecht seines letzten lyrischen Gedichtes 700 VON Mark bekommen Holle  , und so was inspiriert einen doch! Wir vereinbarten also, daß ich das Monuskpript zu einem historischen Film schreiben sollte. Der Herr Regisseur versicherte mir, ich riskierte gar nichts dabei, denn wenn es nicht würde, werde mir die Film- gefellschast das Papier ersetzen. Zu Hause ließ ich gleich die ganze Weltgeschichte an mir vorüber- ziehen und ich entschied mich für Julius Cäsar  . Das ist ein alter Bekannter, dem verdanke ich manche Stunde Arrest, und dem gönne ich's am ehesten, daß er versilmt wird. Außerdem hat er eine Glatze, und so was photographiert sich ausgezeichnet. Und wenn man das Techtelmechtel mit der Kleopatra wegläßt, dann darf auch die Schuljugend hinein, mit belehrendem BeiprogrammDas Leben der Sllibenwanze" oderDie Gefahren des Nasenbohrens" oder sonst einer schönen Naturausnahme. Ich arbeitete das Manuskript gewissenhaft aus, unter sanfter Anlehnung an Shakespeare   und das Konversationslexikon, schickte es ob. und 8 Tage später bestellte mich Jmmersix telephonisch zu sich. Ich ging hin und brachte das Quittungsformular gleich mit. Immer- fix sagte: Nicht übel! Wirklich nicht unbegabt. Nur, junger Mann, noch etwas unfilmhast! Wir werden da einige kleine Aendcrungen anbringen müssen! Zum Beispiel in der Jugend Casars, an der Stelle, wo der kleine Julius Violine spielt--" Wie? was?" schrie ich aus.Cäsar spielt Violine?" Ja, wir brauchen das! Weil er doch im dritten Akt des zweiten Teiles, wie ihn die indisch« Königstochter als Sklavin verkauft--" Von wem reden Sie eigentlich," stotterte ich. Von Ihrem Film! Von Julius Cäsar  !" Aber wie komnu denn der als Sklavin nach Indien  ?" Das verstehen Sie nicht, junger Mann! Wir haben noch von einem früheren Film eine indasche Pappdeckellandschait stehen, und dann müssen wir doch auch die Klapperschlange beschäftigen was glauben Sie, was die Gage Hot? kurz und gut, überlassen Si« das nur meiner sachmännischen Routine!" Meine Augen quollen langsam wieder in ihre Höhlen zurück. und Jmmerfix fuhr fort: Wir hoben noch eine kleine Liebcsgefchichte in die Sache einge- flochten. Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht, sagt schon«in altes Volkslied. Ich glaube, das wirkt fabelhaft, wie der junge Cäsar an der Außenwand des Wolkenkratzers zu Frau Brutus ein- steigt dann langsames Abblenden, und nur die Worte:Ich kam, sah. siegte l' Aber das ist ia-- ,Ld) weih, was Si« sagen wollen, das ist originell! Uebrigens, da fällt mir eine hübsche Pointe ein:An der Stelle, wo sich Cäsar die Kaiserkrone aufsetzt, lassen wir die MusikHeil dir im Sieger- kränz" spielen!" Sind Sie denn von allen Göttern verlassen?" ächzte ich. Nein, sondern die Götter kommen im zwölften Akt vor. Leda mit dem Schwan   sie ist bei uns die Mutter Cäsars erscheint ihm, während er von der Nheinbrücke springt. Das ist kurz bevor der Wahnsinn bei ihm ausbricht!" Der Wahnsinn, bei Cäsar?--" ,�aben Sie noch nie vom Cäsarenwahnsinn gehört? Das wird sogar einer der Glanzpunkte des Films: Cäsar steckt im Wahnsinn Jerusalem   in Brand! Die Folge davon ist eine furchtbare Hungers- not in Rom  , die Cäsar zu dem Verzweislungsschrci bringt:Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein!" worauf er sich aus dem Palast- fenster in den Krokodilteich stürzt. Damit schließt der zweite Teil. Mir war zumute, als hätte man mir mit allen Brettern, die die Well bedeuten, auf den Kops geschlagen. Jmmerfix schien mein Schweigen für Begeisterung zu hallen, denn er sprach im Götter- ton weiter: Das wären so die kleinen Konzessionen, die man der Film- iechnit machen muß. Nun kommt aber eine einschneidende Aende- rung: nämlich*
,Lch weiß alles," brüllte ich außer mir.Die Jichianersklaoen machen einen Hungeraufstand, Cäsar ruft:Aiae facta est, der Bouillonwürfel ist gefallen!" Hannibal   reitet aus dem trojanischen Pserd über die Alpen  , Brutus schreit:Wer ist der Vater meines Kindes?", Cäsar antwortet:Auch du, mein Sohn Brutus!" Iackie Eoogan wirst im römischen Senat eine Bombe, Sherlock Holmes  pflanzt auf der Nase der schönen Helena die erste Kartoffel, Asta Nielsen   logt sich eine zum Hungertode verurteilte Schlange an den Busen-- ich weiß alles!" Ich fiel erschöpft in einen Sessel. Das mit der Kartoffel ist gar nicht so ohne!" sagte Jmmersix- Ich will mir's überlegen." Da gab ich den Kampf auf, wankte gebrochen auf ihn zu und lallte:Ersetzen Sie mir das Papier!" Aber wieso denn?" staunte Jmmerfix.Der Film wird cmsgo- zeichnet. Erstklassige Besetzung, junger Mann! Pola Nezri spielt den Cäsar, Bruno Kästner die antike Wahrsagerin--* Und Sic das trojanische Pserd! Machen Sie, was Sie wossen. leben Sie wohl: Ave, Caesar, roniaduri te salutant!" ... Der FilmJulius Cäsar  " ist noch nicht herausgekommen. Ich weih nicht, woran es liegt vielleicht ist die Klapperschlange kontraktbrüchig geworden... Laienreden auf Friedhofen  . Die Frage, ob eine Laienrede bei einer Beerdigung alsHaus- friedensbruch" zu verfolgen ist, hat schon mehrfach die Gerichte be- jchäftigt. Erst kürzlich Hut sich wieder ein Freidenker eine Anklage wegen diesesVerbrechens" zugezogen. Ein Bergmann, der vor seinem Tode den Wunsch ausgesprochen hatte, keinen Pastor an seinem Grabe zu haben, war dem Schöße der Erde übergebe» worden. Dieser Schoß der Crde ist kirchlicher Besitz. Da die christ- liche Gemeinde einen Stahlhelmpsafsen strengster Observanz als Seelenhirten hat, war in der Friedhofsordming festgelegt worden, daß zwar jedem Einwohner ein Recht auf die letzte Ruhestätte in diesem Kirchhofe zusteht, jedoch Freidenkern nur dann eine Grabrede gestattet ist, wenn Seine Heiligkeit der Vertreter des lieben Gottes um gütige Genehmigung gebeten und ihm der Entwurf der Grab- rede zur Begi'tachtung vorgelegt wird. Da der Freidenker diese Genehmigung für seine Grabrede nicht eingeholt hat, ist dos Strch- verfahren gegen ihn eingeleitet worden. Da ist es von Interesse, eine Entscheidung anzuführen, die das Kammergericht in Berlin   in einem ähnlichen Falle am 27. März 192S gefällt hat. Sic hat den folgenden(abgekürzten) Wortlaut: Auf die Revision des Angeklagten hat der erste Strafsenat de« Kammergcrichts in Berlin   für Recht erkannt: Das Urteil wird auf- gehoben. Der Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse frei- gesprochen Gründe: Der Angeklagte ist wegen Uebertrctung der Polizei- Verordnung der Stadt Kamen verurteilt, in der Zuwiderhandlungen aegen die Vorschriften der Friedhofsordnung für den Kommunal- friedhos unter Strafe gestellt sind. Hier wandelt es sich um einen Verstoß gegen Z 20 der Friedhofsordnung, in dem das Holten von Reden aus dem Friedhofe bei Beerdigungen anderen Personen als Geistlichen auf Antrag von der Polizeibehörde erlaubt werden kann. Daraus ist zu folgern, daß das Halten von Reden seitens Nicht- geistlicher ohne besondere Erlaubnis untersagt ist. Solche polizei- liche Verbote des Haltens von Laienreden bei Leichenbegängnissen sind bereits Gegenstand der Rechtsprechung des Kammevgerichts gewesen. Dabei ist davon ausgegangen, daß Leichenbegängnisse als eine Art von Versammlungen Reichsangehöriger anzusehen sind: nur unter diesem Gesichspunkte(§ 6 d. Pol.-Verw.-Ges.) durste auch die Polizeiverordnung das Halten von Laienreden durch ein Verbot zu hindery suchen, insofern dabeiOrdnung und Gesetzlichkeit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Per- sonen" als schutzbedürstig in Frage kommt. Waren schon nach dem Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908 gemäß S 1 dieses Gesetzes solche Polizeioerordnungen nicht mehr anwendbar, so ergab sich aus der nach der staatlichen Umwälzung vom Nooember 1918 eingetretenen Gesetzgebung auch die Unanwendbarkeit der Vor- schristen des Reichsvereinsgesetzes und damit auch über das Per- halten bei öffentlichen Beerdigungen. Denn solche Borschriften stehen im Widerspruche zu dem in Art. 123 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 enthaltenen Grundsätzen der Versammlungsfreiheit: sie sind deshalb gemäß Art. 178 Abs. 2 der Verfassung außer Kraft gesetzt. Diese Ansicht ist in dem Urteil des ersten Strafsenat» des Kammergerichts vom 10. Juni 1921 ausführlich begründet. Eine Aendernng der damaligen Rechtslage ist seither nicht eingetreten. Der erkennende Senat bleibt bei dieser Auffassung. Das Amtsgericht hat für seine hiervon abweichende Meinung Rechtsgründe nicht angegeben.. Das angegriffene Urteil war deshalb aufzuheben: der Angeklagte war freizusprechen, da eine andere gültige Rechtsvor­schrift, gegen die er durch sein verhalten verstoßen habe» könnte. nicht ersichtlich ist."