Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 108 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 54

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Eind in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

SW

F

Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Freitag

5. März 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff   292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Guter Anfang des Volksbegehrens. Wilsons erster Friedensfühler.

Der erste Tag im Reich.

Ein guter Anfang! Der erste Tag der Eintragung für das Volksbegehren hat im ganzen Reiche rege Beteili gung aller Boltsschichten gebracht. Nach den heute mittag eingelaufenen Meldungen wächst die Beteili gung heute am zweiten Tage start an. Um so eifriger muß die Werbung für die Eintragung erfolgen. Ein guter Anfang

-

nun weiter!

Im ganzen Reiche hat sich aber auch gezeigt, daß man- gelnde Erfahrung über die Durchführung eines großen Volksbegehrens und Unklarheit über die technisch- organisa­torischen Anforderungen, die damit verbunden sind, es den Eintragenden erschweren, ihre Namen in die Listen ein­zutragen. Aus allen Städten hört man klagen darüber, daß zu wenig Eintragsstellen errichtet sind, daß zu wenig Beamte bereitgestellt sind, daß die Eintrage stellen nicht genügend befannt gegeben worden sind. In den nächsten Tagen müssen alle diese Mängel, die zum Teil aus mangelnder Erfahrung, zu einem anderen Teil aber aus politischem Widerstand gegen das Boltsbegehren hervorgehen, beseitigt werden.

Troß aller Ersch; merungen aber setzt sich der Volkswille durch. Nun erst recht! Auf zur Einzeichnung!

An jeden geht die Frage: Hast Du schon Deine Pflicht getan? Warum hast Du Dich noch nicht einge

tragen?

Der erste Tag in Berlin  .

Am 4. März, dem ersten Tage der Eintragung für das Bolts­begehren, haben sich in die Listen eingetragen im

Berwaltungsbezirk Mitte 2082, Tiergarten 2183, Wedding   4465, Prenzlauer Berg   3546, Friedrichshain   3935, Kreuzberg   4732, Char lottenburg 1541, Spandau   761, Wilmersdorf 604, Zehlendorf   72, Schöneberg   1583, Steglitz   521, Tempelhof 465, Neukölln 4679, Trep­tom 1517, Köpenid 724, Lichtenberg   792, Weißensee 396, Pantom 727, Reinickendorf 818.

In allen Verwaltungsbezirken zusammen haben sich am ersten Tage im Berlin  

36 144 Personen

-

Lebhafte Beteiligung.

Oftsachsen.

Dresden  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Stimmung für das Boltsbegehren ist in Ostsachsen außerordentlich gut. Die Ber­sammlungen der Sozialdemokratischen Partei sind überfüllt.

Die Einzeichnungen sind in der Stadt Dresden   am ersten Tage sehr zahlreich erfolgt, so daß eine Verstärkung des Eintragungspersonals beantragt werden muß. Die Hauptagitation wird in Ostsachsen in den nächsten Tagen einsetzen.

Thüringen  .

Jena  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) In Jena   haben sich am ersten Tage rund 700 Personen eingezeichnet. Da wochentags die Liste nur an einer Eintragungsstelle aufliegt, ist dies Ergebnis

sehr erheblich.

In ganz Thüringen   werden wochentags die Listen in den Orten nur an einer Eintragungsstelle ausgelegt, Sonntags dagegen an nur an einer Eintragungsstelle ausgelegt, Sonntags dagegen an mehreren Stellen. Man erwartet deshalb für Sonntag sehr starten Andrang.

In Weimar   wird eine besonders eifrige Agitation für das Boltsbegehren entfaltet.

Köln  .

Köln   a. Rh., 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Einzeich nungen für das Boltsbegehren haben am Donnerstag in Köln  ziemlich stark eingefeßt. In einzelnen Bezirken hat sich bereits die Hälfte der Abstimmenden eingezeichnet, die bei der letzten Wahl für die Sozialdemokratie gestimmt haben. Es ist mit Bestimmtheit damit zu rechnen, daß im weiteren Ver­laufe der Einzeichnungsfrist in Köln   der Andrang fich noch steigern wird.

Europareise von während des Krieges: Februar bis Mai 1915. Verhandlungen in London  , Paris   und Berlin  .

Es ist hier vor kurzem ein Abschnitt aus den Memoiren des Obersten House,*) des persönlichen Freundes und Be­raters von Wilson, besprochen worden, der seine Reise nach Berlin   im Jahre 1916 und seine damaligen Friedens­bemühungen im Auftrage des Präsidenten behandelt. Es war dies die dritte Reise von House nach Europa  . Die erste hatte im Frühsommer 1914 stattgefunden und dem Versuch einer europäischen   Verständigung gegolten. Doch brach der Krieg wenige Tage nach der Rückkehr des Obersten House nach Amerika   aus. Zwischen diesem miß­glückten Versuch, dem Krieg vorzubeugen, und dem hier bereits erwähnten Versuch, im Frühjahr 1916 den Krieg zu beenden, lag eine zweite Reise von House nach Europa  , die er im Februar 1915 angetreten hatte, um schon damals die Möglichkeiten einer amerikanischen   Friedens vermittlung zu prüfen. House reiste an Bord der Lusitania  " auf einer der letzten Fahrten, die dieser eng= lische Riefendampfer vor seiner Torpedierung machte. Am. 9. Februar 1915 berichtet er in einem ausführlichen Schreiben an Wilson über seine erste Unterredung mit dem britischen  Außenminister Sir Edward Grey  .

"

Grey zeigte sich über die territorialen Forderungen Frankreichs   und vor allem Rußlands   besorgt, während der Hauptpunkt, auf dem England als Voraussetzung Friedensverhandlungen bestand, die Räumung und Ent= schädigung Belgiens   war. Er bezweifelte, daß die Deutschen   nach ihren bisherigen militärischen Erfolgen bereit sein würden, auf Friedensverhandlungen aufrichtig einzugehen. Er riet daher dem Obersten House ab, seinen Plan einer Weiterreise nach Berlin   sofort auszuführen. In­zwischen traf in London   ein Brief des damaligen Unter­staatssekretärs 3immermann aus Berlin   ein, dessen Ab­Frankfurt a. M., 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Einsendung Graf Bernstorff   veranlaßt hatte und in dem die tragungen für das Boltsbegehren erfolgen in Frankfurt   a. M. Hoffnung ausgesprochen wurde, daß House nach Berlin  methodisch. Die Organisationen haben empfohlen, daß sich an tommen würde, um in einen Meinungsaustausch über Zimmermann betoxte jedem Tag Leute mit bestimmten Anfangsbuchstaben einzeichnen Friedensmöglichkeiten einzutreten. sollen. Gestern erfolgte die Einzeichnung für den Buchstaben A. jedoch schon damals, daß ihm die Bezahlung einer Entschädi­Es sind etwas über 1000 Eintragungen erfolgt. gung an Belgien   taum möglich erscheine, weil der Feld­zug in Belgien   Deutschland   bereits zu viele Opfer gekostet habe.

Frankfurt a. Main  .

Königsberg  .

eingetragen. Auf zur Eintragung heute und in den nächsten Tagen! der Einzeichnungen am ersten Tage ist noch unübersichtlich, doch sind

Erste Ergebnisse im Reich.

Hamburg  .

Hamburg  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) In Hamburg   war gestern sehr stürmisches Wetter, das sehr viel Schaden angerichtet hat.

4

Infolgedessen waren sehr viele Leute dadurch von der Einzeichnung abgehalten worden. Trotzdem haben immerhin am ersten Tage zirka 700 Personen die Einzeichnung vorgenommen. Hannover  .

Hannover  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Gestern morgen um 11 1hr begannen die Eintragungen zum Boltsbegehren. In den Arbeitervierteln zeichneten sich sofort Dutzende von Personen ein. In einzelnen Lokalen waren bis in die Abendstunden schon 100 und 200 Stimmen eingezeichnet. Nähere Zahlen sind noch nicht bekannt.

Eine Genfer   Vorbesprechung.

Ueber die Ratsfrage. Paris  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Wie die Morgen­blätter mittellen, hat der Schritt des deutschen   Bot­schafters in Paris   und London  , der am Donnerstag erfolgte, der Uebermittlung des Wunsches der deutschen   Regierung gegolten, vor dem Beginn der Tagung des Bölkerbundes am Montag eine Besprechung mit den Signatarmächten von Locarno   über die Erweiterung des Bollerbundsrats zu haben. Da die englische Re­gierung nach den Erklärungen Chamberlains den deutschen   Borjálag angenommen hat, so nimmt man hier allgemein an, daß auch die französische   Regierung der deutschen   Anregung Folge lciften wird.

Rossi gegen Mussolini  .

Königsberg  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Das Ergebnis ficher mehrere tausend Einzeichnungen erfolgt. Die Zeitungen waren erst gestern und zum Teil segar erst heute in der Lage, die Eintragungslokale bekanntzugeben.

Nürnberg  .

Nürnberg  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Am ersten Tage haben sich etwa 3000 Personen eingezeichnet. Es fiel auf, daß sehr viele alte Leute, die zu keiner Partei gehören, sich eingezeichnet haben. Heute Freitag ist die Beteiligung erheblich stärker. Der Hauptandrang wird Sonnabend und Sonntag erwartet.

-

-

Schwerin  .

Schwerin  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Beteiligung war am ersten Tage über Erwarten groß, so daß noch weitere Be­amte zur Entgegennahme der Eintragungen bereitgestellt werden mußten.

Drakonische Strafen für Frankenfälscher. Aber in Holland  .

Paris  , 5. März.( EP.) Nach einer Meldung des" Matin" aus dem Haag sind die drei ungarischen Frankfälscher, die gefälschte französische   Tausendfranknoten in Holland   abgesetzt hatten, gestern vor Gericht abgeurteilt worden, und zwar Jankowitsch zu 9 Jahren 3uchthaus, Mankowitsch und Marsowski zu je 7 Jahren Zucht haus. Das endgültige Urteil wird den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend erst in 14 Tagen ausgesprochen werden, doch dürfte es feine Alenderung mehr erfahren.

Jankowitsch erklärte, daß es sich bei der ungarischen Fälscher affäre darum gehandelt habe, die Tschechoslowakei   anzu­greifen. Marsomski teilte mit, daß er vor einem Bischof einen Eid habe ablegen müssen. Die höchsten ungari schen Persönlichkeiten seien in diese Affäre verwickelt ge­wesen. Wenn die Verurteilten sich geweigert hätten mitzumachen, wären sie ins Gefängnis geworfen worden.(!)

Cr wehrt sich gegen den ,, moralischen Mordversuch". Paris  , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Der frühere Presse­chef Mussolinis, Cesare Rossi  , einer seiner intimsten ehelichen patriotischen Beweggründen der Angeklagten. Tat maligen Mitarbeiter, verteidigt sich in einem offenen Brief aus Cannes   an das Deuvre" gegen die Beschuldigung, Befehl zur Er: mordung Matteottis gegeben oder einen solchen Befehl Mussolinis an die Mörder übermittelt zu haben. Die gegen ihn gerichtete Be­schuldigung bezeichnet Rossi als ein Manöver Mussolinis, dazu bestimmt, durch die moralische Ermordung eines Freundes die physische Ermordung eines Feindes zu verdecken.

Die Gerichtsverhandlung gegen die Matteotti  - Mörder sei ledig­lich eine Parodie, durch die Mussolini   die Ergebnisse einer 18monatigen Untersuchung niederzuschlagen versuche. Rossi schließt feinen Brief mit der Versicherung, daß er den Kampf gegen Mussolini  nicht aufgeben werde, bevor nicht die Deffentlichkeit alles über ihn erfahren habe, mas er ihr zu verbergen sich bemühe.

Der Richter erklärte, er beschäftige sich nicht mit den angeb fache sei, daß sie versucht hätten, Holländer zu betrügen, das heißt Angehörige eines Landes, das nach dem Kriege die notleidenden ungarischen Kinder unterstützt habe. Bei der Verlesung des Urteils brachen die Angeklagten in Tränen aus. Jankowitsch erklärte, er habe nicht Holland   schädigen wollen, sondern nur Frankreich   und die Tschechoslowakei  . Er ziehe den Tod den 9 Jahren Zuchthaus vor.

Die Erledigung des griechisch- bulgarischen Konfliktes. Die griechische   Regierung überwies die zweite Hälfte der Bulgarien   auf Grund der Entscheidung des Bölkerbundsrates im griechisch- bulgari­schen Konflikt zukommenden Entschädigung. Damit ist der griechisch­bulgarische Konflikt endgültig erledigt.

House wollte seine Absicht, nach Berlin   weiter zu reisen, troß dieses wenig ermutigenden Bescheides noch immer nicht aufgeben, zumal Wilson wiederholt aus Washington   die Anfrage an ihn richtete. warum er denn noch immer nicht nach Berlin   weitergefahren sei. Schließlich beschloß House im Ein­vernehmen mit Gren und Asquith  , die Reise nach Berlin   um einige Wochen zu verschieben und in der Zwischenzeit durch eine Antwort an Zimmermann den Faden weiter zu spinnen, wobei er auf den großen moralischen Vorteil hinwies, der sich für Deutschland   aus der Gewährung einer Entschädi­gung an Belgien   ergeben würde.

Daß House damals, ebenso wie Wilson, ehrlich be­müht war, den neutralen Makler zwischen Deutschland   und England zu spielen, geht aus seinen Berichten an Wilson ein­deutig hervor. Seine Briefe und Tagebuchnotizen zeigen außerdem Gren in einem recht sympathischen Licht, da er für England selbst keine besonderen Friedensforderungen erhob, sondern immer nur die Räumung der von den Deutschen   be­segten Gebiete und eine Entschädigung an Belgien   verlangte. Die annexionistischen Ansprüche Frankreichs   und Rußlands  , ja sogar die Bestrebungen Australiens   und Südafrikas  , die deutschen Kolonien zu behalten, waren Grey sichtlich un­bequem.

Nachdem nun Zimmermann in einem Brief vom 2. März dem Obersten House abermals zum Ausdruck gebracht hatte, daß er deffen Besuch in Berlin   begrüßen würde, wobei er sich in der Frage Belgiens   nicht mehr so schroff ablehnend äußerte wie einen Monat zuvor, beschloß House im Ein­vernehmen mit Grey, die Weiterreise nach Berlin  anzutreten.

Am 20. März 1915 traf House in Berlin   ein. Er hatte sofort eine Zusammenkunft mit Unterstaatssekretär 3 immermann, über die er noch am selben Tage brieflich an Wilson berichtete. In diesem Schreiben heißt es:

Ich setzte ihm ganz offen auseinander, mas ich in England getan hatte, wen ich dort gesehen hatte und teilte ihm meine Schluß­folgerungen mit. Er war erstaunt, zu hören, daß in Eng land feine Erbitterung gegen Deutschland  herrschte und war ebenso sehr erstaunt, als ich ihm sagte, daß die Hauptschwierigkeit bei Frankreich   liege... Ich glaube, ihn davon überzeugt zu haben, daß England feineswegs den Zu­sammenbruch Deutschlands   wünsche und daß die Friedensbedingungen letzten Endes zwischen diesen beiden Ländern vereinbart werden müßten. Das ist so klar, daß ich mich wundere, daß die Deutschen   das nicht begreifen..

Zimmermann sagt mir, daß die Hauptsache, die Deutschland  wünscht, eine Regelung sei, die den dauernden Frieden sichere. Es ist derselbe Schrei in jedem der friegführenden Länder."

Wilsons Standpunkt, der Freiheit der Meere", d. h. des Schuzes des Ueberseehandels für al, ob Neutrale oder Kriegführende, auch in Kriegszeiten, fand natürlich bei

*) The intimates papers of Colonel House  ", London  , Ernest Benn Ltd.