nc.m»Ww, 1. Heilage des Vorwärts
Mittwoch, 10. MSrz 1026
Ganymed heißt der freundliche Knabe, den nach der Göttersage Zeus , der oberste der Götter, nachdem er sich in einen Adler verwan. delt hatte, von der Erde entführte, damit er im Götterhimmel die Götter und Göttinnen bediene. Der ewige Kampf um das Brot brachte es mit sich, daß Millionen sich einer Berufstätigkeit zuwenden mußten, in der die Dienstbeflisienheit, das fortwährende Hören auf den Pfiff anderer Menschen, erstes Gesetz ist. Das trifft vor allem auch auf den Kellnerstond zu, der sich bekanntlich in Deutsch - land erst nach dem Wellkriege und der Revolution wenigstens in der Entlohnung zu einer größeren Freiheit durchgerungen hat. Männliche oder weibliche Seölenung! Der männliche Berufskellner Ist noch keine so alte Erscheinung im Wirtschaftsleben. Er existiert feit höchstens hundert Jahren. Dorher kannte man fast nur weibliche Bedienung. Daneben mimte hier und da der Hausknecht den Kellner, wie auch die weibliche Be- dienung in den kleineren Wirtshäusern das Faktotum für alle möglichen Hausarbetten war. Erst mtt der Zeit hat sich das berufsmäßige Kellnertum herauskristallisiert, das aber noch jahrzehntelang Haupt- sächlich in den Händen der Frau blieb. So finden wir noch heute m vielen süddeutschen Gegenden die Kellnerin noch weit starker ver- treten als den Kellner. Die Kellnerin war freilich damals geschätzter und geachteter und noch lange nicht das gefchlechttiche Freiwild einer späteren Zett. Sie huldigte zwar namenttich in den Universitäts- städren durch den engen täglichen Berkehr mit der zechenden studen- tischen Jugend vielfach dem Prinzip der freien Liebe, blieb aber doch im allgemeinen verschont von dem traurigen Schicksal jener Groß- sladt-Kellnerinnen, die bis vor dem Weltkriege in den berüchtigten Lokalen mit der roten oder grünen Laterne ausgebeutet« Opfer der geheimen Proftttution waren und durch geschlechtliche Ausschwei- fungen wie durch den Saufzwang oft schon in jungen Jahren auf dem Seziertifch der Anatomie lagen. Auch die Kellnerinnen, die mit polizeilicher Erlaubnis noch in einigen großen Berliner Lokalen bedienen, sind wohl durchweg als ehrsam zu bezeichnen. Sie dürfen nicht animieren, nicht mittrinken, und zärtliche Viertelstündchen schließt schon die ganze Oertlichkeit aus. Die meisten sind sogar ver- beiratet, viele mit Kellnern, Musikern oder anderen Wirtshausanae- stellten. Der Trauring bleibt während der Geschäfte in der Tasche. In den kleineren Konditoreien mit Kaffeeausschank sehen wir eben- falls last nur weibliche Bedienung solidester Art, während die Bar- mädchen und Dielen-Kellnerinnen sich schon wieder dein Milieu der Animierkneipen nähern. Sonst aber hat sich überall die männliche Brtienung durchgesetzt. Sie nimmt heute mindestens S5 Proz. der Verufsftellen ein.
vie kleiöung. Das ist ein Kapitel für sich, eine vielumstrtttene Frage. Der Kellner soll als solcher von dem Gast auf den ersten Blick zu er- kennen sein, muß also eine gewisse Uniform tragen. Das.bayerische Madr ist natürlich, auch wenn seine Wiege in der Berliner Acker- straße oder in Kyritz stand, ohne die süddeutsche Rationattracht, ohne den buntgeblümten Rock und schwarzes Samtmieder, gar nicht denkbar. Das Publikum steht nur das dralle Aeußere und macht sich wenig Gedanken darüber, welchen Wust von schweren Kleidern solche Kellnerinnen mit sich herumschleppen müssen. Im ganzen Spreewald wird fast ausschließlich von Frauen und Mädchen in der besonders schweren wendischen Tracht bedient. Weibliche Be- dienung in den Cafes trägt die den ganzen Körper umhüllende weiße Schürze oder über schwarzem Kleid die kleinere Wiener Schürze. Wenigstens ist man schon zur Fußfreiheit übergegangen, und der Bubikopf sehtt selbstverständlich auch nicht, mag er auch zu einer Nationaltracht noch so dlimm ausseben. Ebenso zeigt bei der männlichen Bedienung die Kleidung viel Durcheinander. Es ist noch gar nicht so lange her, als auch in Deutschland , wie bis vor kurzem in ganz Wien , zu jedem Kellner, selbst in der obskursten Kneipe, unweigerlich das Monstrum Frack geHörle. Man sah die schäbigsten Exemplare von vorsintflutlichem Schnitt, aber«in Frack mußte es sein. Heute ist der Kellnerfrack in allerdings tadelloser Aufmachung befehlsgemäß und lakeienhaft nur noch in den großen Hotels und in manchen Weinlokalen zu finden. Das Gros der Kellner trägt die kurze enganliegende weihe Zacke über schwarzem Beinkleid mit und ohne weißer Schürze. Man ist aber auch mtt dieser Uniformierung nicht recht zufrieden, weil sie zuviel Wasch- Unkosten erfordert. Wann wird also die praktischere gleichmäßige dunkelfarbige Jacke kommen, wie man sie bei den Weinküfern sieht? Sommerkellner unü Ueberangebot. Die groß«» und kleineren geschlosienen Restaurationslokale im Etadtinnern haben während der Sommermonate naturgemäß nicht entfernt so starken Besuch als im Winter. Dadurch werden zeitweilig Hunderte von Kellnern entbehrlich, die sich nun bemühen, Arbett in den zahlreichen Sommerlokalen der Großberlincr Ausflugsorte zu finden. Für die meisten von ihnen ist aber auch hier mehr- monatige dauernde Beschäftigung nicht möglich. Der Sommerwirt hält sich wohl einen kleinen Stamm von Kellnern, die auch bei ihm nächtigen, Ist aber sonst abhängig von der Tageskonjunklur, insbeson- dere von der Witterung, der Zahl etwa in größerer Menge ange- meldeter Gäste und nicht zuletzt auch von den heutzutage sprung- hasten allgemeinen wirtschaftlichen BerhälMissen. Zeder verregncle Tag legt sofort das Geschäft still. Umgekehrt müssen oft für nur einen
Tag Aushilfskellner von den Facharbeitsnachweisen angefordert werden. Diese Aushilfen sind immer unterwegs, kellnerieren bald hier, bald dort. Der fortwährende Wechsel und das Anpassen an die Eigenart so vieler Sommerwirte ist keine angenehme Arbett, die aber angenommen wird, weil auch im Kellnerberus ein Ueberangebot herrscht. Durchaus nicht alle Kellner haben eine fachmäßige Aus- bildung genossen. Sehr viele kommen aus allen möglichen anderen Berufen, in den«n sie arbeitslos wurden, und lernten sich mit Ge- schick das Kellnerieren an. Darunter sind besonders stellungslose Kaufleute zahlreich vertreten. Aber auch für die altgeworvencn Kellner, die nicht schon viele Jahre lang an der gleichen Kneipe kleben, wird die Suche nach Beschäftigung immer schwieriger, so daß sie selbst unter ungünstigen Verhältnissen annehmen, was sich bietet. Dabei ist gerade die Arbeit in überfüllten Sommerlokalen nicht leicht. Das Publikum will schnell bedient sein, wird ungeduldig, muckt ver- ärgert auf und berückückstigt nicht, daß von der Schänke bis zum Tisch des Gastes eine viel weitere Strecke zurückzulegen ist als im geschlossenen Raum. Was also nur die Beine des Kellners zu leisten haben, ist täglich ein Weg von mehreren Mellen. Hat das Lokal noch die im Publikum beliebten Terrassen, so wird die Be- dienung um so schwieriger. Mtt schweren Platten beladen glatt über lö— 20 ausgetretene Terrassenstufen zu kommen und diesen Weg täg- lich hunderte Male zu machen, ist keine Kleinigkeit. Aber wie wenige Gäste denken daran! In den Augen der meisten Gäste ist ja der Kellner nur der untergeordnete dienstbare Geist, den man im Unteroffizierston anhauchen zu dürfen glaubt, wenn er nicht wie ein Wiesel springt. Ein wetteres Ungemach sind für den Sommer- kcllner die Zechpreller, für den Wirt die Geschirr- und Besteckdiebs. Der Kellner will nicht immer gleich kassieren, hat auch nicht immer Zeit, es bei jedem Gang zu tun. und hat dadurch gelegenttich eine Einbuße, die den Verdienst des ganzen Tages fortnimmt. Ehe er den Betrug merkt, Ist der Betrüger, der gewöhnlich elegant auftrttt, über alle Berge. Wenn der Sommer sich dem Ende zuneigt, flutet ein Heer von Sommerkellnern in die Stadt zurück. Nur der kleinere Teil findet bald wieder Arbeit. * Jeder Kellner, auch der jüngste Stift, der erst ein richtiger Kellner werden will, ist heute der»Herr Ober". Nur schlecht erzogene Leute lassen das.Herr" fort und brüllen„Ober", wie sie früher„Kellneeer" brüllten. Der moderne Kellner soll bei aller Höflichkeit keine Dienernatur sein, und das Publikum soll in ihm nicht einen Men- schen sehen, den man schuhriegeln kann. Der achtungsvolle Verkehr muß auf Gegenseitigkeit beruhen. Das läßt die Schwere des Berufes freudiger ertragen, schaltet unliebsame Zusammenstöße aus und ist menschenwürdiger.
301
Mascha schwieg und blickte Charlie fremd und oerwundert an. Vieles in seinen Worten verstand sie nicht, sie hatte nie jemanden so sprechen gehört. Doch noch mehr als seine Worte erschien ihr Charlie selbst fremd. Seit dem Jahr, da sie mit dem Onkel verlobt war und Charlie nicht wiedergesehen hatte. war er nicht wiederzuerkennen. Charlie hatte in Gesellschaft von Mädchen immer verlegen geschwiegen. Die Mädchen halten über ihn gespottet: wenn er ihnen� antwortete, so entgegnete er ungeschickt, und seine Späße zündeten nicht— was war aus Charlie geworden? Wo war er in dieser Zeit gewesen?- Was hotte er getan? Mascha begann vor Charlie verlegen zu werden, da sie nicht so sprechen konnte wie er; und zugleich zog in sie ein gewisser Stolz auf ihn ein,— sie hatte ihn gern, weil er so sprach. Charlie kümmerte sich nicht darum, ob Mascha ihn verstand oder nicht. Er sprach mehr für sich als für sie. Uebrigens war er überzeugt, alle Menschen dächten so wie er und befaßten sich mtt den gleichen Problemen. Charlie gehörte zu jener heranwachsenden amerikanischen Jugend, deren Glauben an den Idealismus noch so jung und frisch ist, daß der Tau des Wachstums an ihm zu spüren ist. Wie alles in Amerika mit der Energie einer jungen, reifenden Frucht gefüllt ist, so ist auch der amerikanische Idealismus, wo er zutage tritt, jung und des Glaubens voll, noch nicht befleckt von Skeptizismus und Zweifel. Er weiß nichts vom Suchen und von mystisch verborgenen Ursachen. Der ganze Idealismus ist auf praktische Dinge und auf Bequemlichkeit gerichtet und wird von dem energisch-optimistischen. lebensvollen Strom eines jungen Volksstammes getrieben. Derselbe energische Strom jugendlich sprossender Kraft, welcher Wolkenkratzer baut und meilenlange Brücken über Ströme und Täler wirst, er treibt auch die Denk- kraft Amerikas zu einem praktischen und nützlichen Idealismus. ... Charlie gehörte einem engen Kreise jüdischer Studenten an. welche nicht um der Karriere wlllen studierte, sondern die von diesem jungen amerikanischen Idealismus erfüllt war. Der Optimismus, welcher im Blute ihres allen Stammes steckte, trieb unbewußt in ihnen den praktischen Idealismus hervor. Ihr Gedankengang bewegte sich nicht über die Grenzen des gegenwärtigen, weltlichen Lebens hinaus und verirrte sich nicht in andere Welten, sondern suchte eine praktische Antwort aus alle Probleme innerhalb der Grenzen des gegenwärtigen Lebens. Charlie war auch mit einer Gruppe von Vertretern der russischen-jüdischen Intelligenz bekannt geworden, welche sich
in der Arbeiterbewegung betätigten. Durch sie hatte er von der Ärbetterbewegung in Rußland gehört, von der Revolution, vom russischen Idealismus, von Sibirien , vom Gefängnis. Rußland, die Revolution, sie waren für ibn eine zauberische Legende, ein Heiligtum, ein heiliges Land, und die russisch- jüdische Intelligenz war für ihn e.was Heuiges. Er w>r ,ccuz darauf, daß er aus Rußland stammte, aus dem Land« der Revolution und des Idealismus daß er dort geboren war. Und mit seiner ganzen unschuldigen Zugend kraft warf er sich der Bewegung hier in Amerika in die Arme. Da er sich des Lebens der jüdischen Emigranien erinnecte und es mitfühlte, erweckte es in ihm Protest, seinen Protest, den Protest eines gesunden, in der Gleichberechtigung erzogenen jungen Menschen gegen das Leben der Erniedrigung, welches seine Eltern geführt hatten. Vielleicht war auch seines Vaters religiöse Frömmigkeit daran schuld, daß Cbarlie nicht wie Tausende seinesgleichen nur Verbesserung seiner eigenen Lage suchte. sondern seine ganze Energie, seinen Glauben und seine Hoff- nungen der Partei scher kte, wc'che nach seiner Ueberzeugung die Lage aller Menschen bessern und erleichtern würde. Mit seinen etnund-wznzig Jahren war Charlie noch die Unschuld selbst, und sein Verhältnis zu Mascha war, genau so wie das des größten Teiles der in Amerika erzogenen zungen Leute zu einem Mädchen, das Verhältnis eines Käme- raden zu einer Kameradin. Charlies junger Körper, welcher von der Elementarschule an tumerisch und sportlich geübt und in fortwähreiüZer Biegung und Bewegung war. war zu nüchtern für körperliche Leidcnchast. Er hatte keine Zett, seine Energie auf Lust zu richten, da seine Energie stets auf Bewegung und Biegung auf Turnen und Ballspiel ausgegeben wurde. Ein Mädchenkörper erregt? bei ihm keine besondere Empfindung. Er badete mit Mascha, fühlte ihren Körper an seinem und lag jetzt neben ihr in der Sonne auf dem Sande, sah die Linien ihrer Jugend, welche aus ihrem Badekostüm hervortraten, und wrach zu ihr wie zu einem männlichen Kam?- raden: für den hielt er sie auch. Er scherzte mit chr. warf sich über sie und berührte ihren Körper, ohne daß es bei ihm sündhafte Empfindungen erweckt hätte. Er packte sie bei der Hand und schleppte sie am Arme durch den Sand, in dem die Sonne beide mit Licht und Wärme übergoß. „Komm, Mascha, wir wollen in das Melr von Menschen tauchen— sieh nur, siehst du. wie groß das Meer von Menschen ist?— Komm, ich lasse mich gern von einer Menschenwoge tragen." Wirklich war der ganze Meeresstrand, so weit das Auge reichte, mit nassen, bloßfüßigen und nackten Menschen voll. Leiber, Leiber, nichts als Leiber. Das bißchen Kleidung, das Männer und Frauen an hatten, verlor sich in den nackten
Armen, Nacken, Brüsten, Füßen und Rücken. Das Meer schien Wellen von Menschenleibern ausgespien zu haben: Frauen. Männer, Kinder. Burschen, Mädchen, alle miteinander ver- mengt, gepaart, verknotet. Jung und nackt gingen Mascha und Charlie mtt nackten Beinen und Armen zwischen den halbnackten Leibern umher. . Die ganze Welt schien am Meeresstrand sich versammelt, die ! sündhaft befleckte Kleidung von sich geworfen und eine S?adt ! der Nacktheit begründet zu haben. Ja, es störte sogar in der ! Meeresnacktheil der Rest von Kleidung, den die Menschen aus Gründen des Anstandes tragen mußten.... Mascha und Charlie gingen Hand in Hand, ihre unbekleideten Körper berührten einander und drängten sich an fremde unbekannte Körper. Plötzlich war die Empfindung des stemden Körpers vorhanden. Es war, als fei ein mächtiger Heiland erschienen und habe alle Verbote ausgehoben, und die ganze Welt mengte sich miteinander.... Charlie hatte das Bedürfnis, zu sprechen. Die Begeiste- rung, welche die allgemeine Freude in ihm erweclie, rig ihn fort, und wer immer neben ihm gegangen wäre, er hätte ihm seine Empfindungen mitgeteilt. „Sieh bin, Mascha, steh, wie mächtig das Meer von Menschen ist! Die ganze Welt ist zusammengeströmt. Ich liebe die New Porker Masse. Wenn ich die Masse von New Pork sehe, sehe ich die ganze Welt vor mir. In aller Augen liegt die Schnsucht nach einer Jugend, nach einer Kindheit, die sie irgendwo anders, in einem anderen Lande gelebt haben. Das ist New Dork. Wir sind alle New Porker. Ich, du, alle, die hier liegen, wir alle haben unsere Kindheit irgendwo anders verbracht. Ein New Porker sein heißt, in den Augen die Sehnsucht nach einem anderen Fluß, einem anderen Feld und anderer Sonne fragen. Jeder von denen hier ist in einem anderen Land« aufgewachsen. Viele kommen von den breiten Steppen Rußlands , und viele tragen die Erinnerung an den hellen Himmel Italiens , an die vielfarbigen ebenen Felder von Ungarn und Galizien in sich, viele die arabische Wüste, und manche sind auf den feuchten Reisfeldern von China und Japan erzogen worden, manche in den hohen Bergen der Schweiz zwischen Kühen und Schafen, und gar viele haben noch das kleine jüdische Städtchen mit den im Winter ver» schneiten Dächern gesehen— erinnerst du dich noch, Mascha, an Kusmin im Winter? Mir steht es wie ein Traum vor den Augen: Die kleine Schul' mit einer kleinen Fahne auf dem Dach, einer verbogenen Fahne. Der Vater hat mich in die Schul' geführt, aus den Schultern hat er mich getragen, und ich habe ein Gebetbuch und einen Apfel in der Hand gehalten. Und auf der Schul' war eine kleine Fahne. Und wir alle, alle liegen hier nackt am Strand von Coney Island ." (Fortsetzung folgt-)'