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Abendausgabe

Nr. 12043. Jahrgang Ausgabe B Nr. 60

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernfprecher: Dönhoff 292-29% Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Freitag

12. März 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Der Stand des Volksbegehrens.

725196 Eintragungen in Berlin .

Der geftrige Donnerstag hat für Berlin eine neue und beträchtliche Zunahme der Eintragungen zum Bolts­begehren gebracht. Am Mittwoch hatten sich 73 895 Personen eingetragen, für Donnerstag aber wurden 92 075 Ein tragungen gezählt. Durch besonders starte Zunahme fallen diesmal die Berwaltungsbezirke der nördlichen Bororte auf, aber aud; in einigen der Berwaltungsbezirke des Südwestens find wieder erfreuliche Zunahmen zu ver­zeichnen. Die Gesamtzahl der bisherigen Ein tragungen stellt sich für Berlin jetzt bereits auf

725 196,

faft Dreiviertelmillion. Wir geben unten die Ein­

tragungen vom Mittwoch und vom Donnerstag( in Klammern die Summen aus den bisherigen a cht Tagen). Mitte 4410 6625( 46 738) Tiergarten 4309 5496( 43 397) Wedding 8022 10 122( 89 409)

Prenzlauer Berg 6807 8441( 72 343) Friedrichshain 7668 10 343( 81513) Kreuzberg 8013 10 202( 81 723) Charlottenburg 4064 5706( 37 560) Spandau 2110 2594( 19 073) Wilmersdorf 1413 2054( 13 373) Zehlendorf 277 306( 2096) Schöneberg 2798 3786( 28 437) Steglitz 1621 2001( 12 314) Tempelhof 1235 1333( 10 021) Neukölln 7397 8263( 72 668) Treptow 2284 2695( 23 008)

Köpenid 1057 1436( 13 127)

Lichtenberg 6600 4752( 36 198)

Weißenfee 932 1481( 9823)

Pankow 1262 1883( 13 919)

Reinidendorf 1616 2556( 17 888).

Ganz Berlin 73 895 92 075( 725 196).

Das Volksbegehren im Reiche. Die vorliegenden Ergebnisse aus dem Reiche zeigen, daß die Eintragungen in den Städten, aus denen Zahlen vorliegen, fast gleichmäßig bisher etwa 15 Broz. der Zahl der Wahlberechtigten und 50 Proz. der Zahl der Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten bei der letzten Reichstagswahl erreicht haben. In Berlin und im Bezirk Chemnitz sowie in einzelnen thürin.

-

Die Einzeichnungen im Reiche.

über 16 000 Unterschriften geleistet, so daß jezt insgesamt 154500 Unterschriften vorliegen. Davon entfallen auf die Stadt Ham. burg 125 000, auf 21tona 24 000 und auf Wandsbet 5000. Brozentual marschiert Altona an der Spize mit 17,75 Bro3. der Wahlberechtigten und 53,7 Broz. der sozial­demokratisch- tommunistischen Stimmen bei der Reichspräsidentenwahl. Wandsbek hat 17 Proz. der Wahlberechtigten und 46,8 Proz. der sozialdemokratisch- kommunisti schen Stimmen, während Hamburg mit 16,2 Proz. bzw. 47 Proz etwas zurüdbleibt. Für Sonntag ist eine große Propaganda im ganzen Städtegebiet vorbereitet.

Bis zum

Nürnberg , 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Donnerstag abend find in den untenstehenden bayerischen Städten folgende Eintragungszahlen zu verzeichnen: Nürnberg 50 000, Fürth 8000, ürzburg 1900, Schweinfurt 3300, Aschaffenburg ( Bezirt) 8100, 5 of 3100, Bayreuth 3500, Kulmbach 1200, Roburg 1050.

Magdeburg , 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Bis Donners. Magdeburg , 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Bis Donners tag abend hatten fich in Magdeburg - Stadt 39 484 a 1-

berechtigte in die Listen eingetragen.

Briand verhandelt.

Aktivität nach allen Seiten.

Briand hat heute morgen in Genf die Lösung der Ratstrije angepact. Er veranlaßte, daß die Regierungen der hauptsächlich treibenden Mächte um neue Inftruffionen für ihre Genfer Delegation erfucht werden.

( Näheres siehe 3. Seite.)

München, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Eintragungs­giffer bis gestern abend: 26 443( etwa 6 Proz. der Wahlbered tigten).

Breslau, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Bewegung für das Boltsbegehren geht in Schlesien erfolgreich weiter vor wärts. In Breslau wurden auch gestern über 10 000 neue Unterschriften erzielt. Obgleich hier nur zwei Ein zeichnungslokale mit beschränkten Einzeichnungszeiten be­stehen, haben sich in der Stadt bereits über 63 000 Männer und Frauen für das Boltsbegehren erklärt. Auf Forderung unserer Genoffen im Stadtparlament hat der Magistrat jegt wenigstens eine Erweiterung der Einzeichnungsstunden zugesagt.

Hannover, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In den letzten

Freiligraths Abfindung.

50 Mark monatlich.

Mit Genugtuung dürfen wir heute feststellen, daß der Borstoß, den der Vorwärts" vor einigen Wochen unternahm, um den greisen Sohn des großen Dichters Freiligrath aus trostloser Not zu befreien, nicht ohne Erfolg geblieben ft. olfgang Freiligrath wird von jezt ab eine Pension je die Hälfte, also jedes 25 m. monatlich beitragen. Don 50 m. monatlich beziehen, zu der das Reich und Preußen eines Dichterfürsten zuteil wirb, feineswegs fürstlich Man wird zugeben, daß diese Abfindung, die dem Sohn ist. Aber wir nennen die bescheidene Summe nicht, um uns über ihre Geringfügigkeit zu beklagen. Der Sohn eines großen Mannes ist eben auch nur ein Mensch wie die andern, und er hat an seiner Herkunft fein Berdienst. Es galt, eine Dantesschuld an den Bater abzutragen, sie ist bezahlt, menn dem Sohn nur die Möglichkeit gewährt ist, das be­Gorge zu Ende zu führen. scheidene Leben eines altgewordenen Landarbeiters ohne

Bielleicht hätte man sich einen Stoß geben und noch zehn zwanzig, fünfzig Mart im Monat zulegen können. Das wäre dann aber wohl das höchste der Gefühle. Denn daß Wolf­gang Freiligrath, weil er der Sohn Ferdinands ist, etwa Millionen an barem Gelde, Dugende an Schlössern voll be­treßten Dienern und Lafaien, Tausende Hektar Forst und Feld, Autos, Reitpferde usw. bekommen sollte, daran hat wohl kein Mensch gedacht.

Nein, der alte, schlichte Wolfgang Freiligrath ist kein Prinz, fein Kronprinz. Die Familiengeschichte unserer gei­stigen Heroen ist und bleibt der bündigste Beweis gegen die Monarchie. Der Fall, daß sich die besondere Begabung des Baters auf den Sohn vererbt, ist unendlich selten; die Ber­erbung auf Generationen hinaus, die Auszeichnung irgend­eines ganzen Geschlechts in all seinen Linien und Nebenlinien durch besondere Eigenschaften des Geistes und des Charakters ist eine noch nie beobachtete Erscheinung. Im Reich des Geistes gibt es kein Recht der Dynastie.

-

gischen Gebieten geht die Beteiligung weit über den allgemeinen Tagen hat sich hier die Einzeichnungsbewegung zum Boltsbegehren hat das Bolt ihnen gegeben, und was haben sie dem Volke

Durchschnitt hinaus.

Die letzte Woche des Boltsbegehrens muß noch eine erhebliche Berbefferung der Eintragungsziffern bringen! Ostpreußen

.

önigsbergi. Pr., 12. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) In Stadt Rönigsberg haben sich bis Donnerstag abend im ganzen 20 400 Personen eingetragen, das sind etwa 11 Pro3. der Stimmberechtigten.

Soweit Meldungen aus der Provinz vorliegen, find die erforderlichen 10 Proz. überall weit überschritten. In einzelnen Landorten erreichen die Eintragungen 80 to 3. der Stimmberechtigten, darunter viele Land­wirte

Weftliches Industriegebiet.

Bodhum, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In den be­beutendsten Städten des Industriegebietes find bis jeßt folgende

Einzeichnungen für den Bolfsentscheid erfolgt: Effen- Stadt 38 000

von 306 868 Wahlberechtigten, Dortmund 30 000 von 200 000, Hagen 8200 von 61 000, Wanne 1250 von 21 000, Wattenscheid 1000 von 17 500, Bochum 7500 von 101 000 und Eitel 1221 von 18 000 Wahlberechtigten.

Duisburg, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In Mülheim find bis zum Donnerstagabend 6895 Stimmen, in Hamborn 9571 Stimmen und in Duisburg 13 589 Eintragungen erfolgt. Das sind ungefähr 45 Pro3. der Wahlberechtigten. In den drei Städten haben sich bis jetzt hauptsächlich Hand­merter und kleine Kaufleute eingetragen. Die Arbeiter haben sich noch ziemlich zurückgehalten.

Sachsen.

Chemnitz, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In Chemniz find bis gestern abend insgesamt 63 000 Eintragungen erfolgt. Im allgemeinen sind in der ganzen Chemnizer Umgebung bis jetzt 30 bis 50 Prozent der Stimmen der Wahlberech tigten abgegeben worden.

Leipzig, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Gestern, Donners tag, erfolgten in Leipzig 17 056 Eintragungen, die bisher größte Bahl. Insgesamt beteiligten sich feit dem 4. März 90576 Per fonen an dem Boltsbegehren. Das find 46,7 Broz. der am 29. März 1924 bei den Bräsidentenwahlen für Sozialdemokraten und Kommunisten oder 24,4 Proz. der an diesem Tage insgesamt in Leipzig- Stadt abgegebenen Stimmen.

Groß- Hamburg.

Hamburg, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In Groß- Hams burger Städtegebiet blieb die Zahl der Eintragungen am Donners. tag gegen die ersten Tage der Woche zurüd, Trogdem wurden

ganz bedeutend verstärkt. Während bis zum Dienstag abend fich 20 658 Personen eingezeichnet hatten, war bie 3ahl bis zum Mittwoch abend bereits auf 34 702 und bis zum Donnerstag abend auf 45 193 Perfonen von rund 300 000 Wahlberechtigten gestiegen. In den letzten beiden Tagen haben sich also bald noch einmal soviel Personen eingezeichnet, als in den vorhergehenden Tagen. Aus der Provinz liegen auch aus fleineren Städten gute Resultate vor.

Frankfurt a. M., 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Bis heute morgen wurden 52 300 Eintragungen zum Boltsbegehren gezählt. Das entspricht einer Beteiligung von etwa 22 Pro3. der beim zweiten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl abgegebenen Stimmen.

Im Agitationsbezirt Frankfurt a. M. haben sich bis jetzt rund 18 Proz. der Wahlberechtigten einge tragen.

Halle, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Bis gestern, Donners­tag, abend wurden in der Stadt Halle an Eintragungen 23 483 Stimmen gezählt. Das sind etwa 17,7 Broz. aller Wahlberechtigten.

Stuttgart, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In Stuttgart haben sich bis zum Donnerstag abend 39 293 Perfonen zum Boltsbegehren eingezeichnet.

Stand des Volksbegehrens in Berlin.

1 100 000 1 050 000

1 000 000

950 000

900 000

850 000

800 000

750 000

11. März: 92 000

700 000

650 000

10. März: 74000

600 000

550 000

9. März: 122 000

500 000

450 000

400 000

& Stars: 180 000

850 000

300 000

250 000

7. März: 165 000

200 000

130 000

6. März: 56 000

100 000

5. 9: 50 000

50 000

4 Mara: 86 000

Ο

Wir hatten in Deutschland Dugende von regie: renden Geschlechtern. Während der Erstgeborene das Marschallsamt des Baters übernahm und darin- in neunundneunzig von hundert Fällen für jeden nicht vom Hofglanz Geblendeten bewies, daß auch er nur ein ganz ge­wöhnlicher Mensch war, führten seine Berwandten, von Geschäften unbeschwert, das Leben von großen Herren, ja, fie führen es bekanntlich auch heute noch. Bon der Wiege an standen ihnen alle Bildungsmöglichkeiten offen, keine Er­werbsnot lähmte ihre Schwingen, und hätten sie irgendwelche besonderen Eigenschaften besessen, so hätte nichts fie gehindert, sie herrlich zu entfalten. Aber wo blieben die Offenbarungen ihres bevorzugten, außerordentlichen Menschentums? Was gegeben? Die Bilanz ist für sie beschämend. ligrath ist nach bügerlichem Recht der Erbe des Dichters. Reden wir von der materiellen Seite! Wolfgang Frei­ber Freiligraths Werke, obwohl in ungeheurer Auflage im Bolf verbreitet, tragen dem Erben keine Früchte mehr, da die Schutzfrist für geistige Schöpfungen nur dreißig Jahre bis nach dem Tode des Verfassers dauert. Ob man diese Schußfrist nicht verlängern sollte, ist eine offene Frage: denn fo oft hat es sich ereignet, daß sich Berleger an den Werken wandten in Not lebten. Aber der Grundgedanke. daß dem eines verstorbenen Meisters bereicherten, während seine Ber­Urheberrecht zu leicht Schranken gefegt find, ist zweifellos berechtigt. Was würden wir dazu sagen, wenn wir irgend welchen Nebenlinien der Dynastie Goethe oder der Dynastie Schiller Tribut dafür bezahlen müßten, daß wir Goethes und Schillers Werke lesen dürfen? Der Ge­danke, daß das Wert der Großen nach Ablauf einer gewissen 3eit zum freien Eigentum des ganzen Volkes wird, ist richtig und gut.

Aber im frassen Gegensatz zu ihm steht, was wir in diesen Tagen auf einem andern Gebiet erleben. Es soll hier nicht darüber gestritten werden, ob es nicht in den Geschlech­tern, die früher Deutschland regierten, den einen oder anderen Mann gegeben hat, dessen Verdienste denen der geistigen Führer des Boltes gleichzustellen sind. Der einzige Hohen­zoller der letzten Jahrhunderte, der über das geistige Mittel­maß hinausreichte und der barum als Friedrich der Große in der Geschichte weiterlebt, starb bekanntlich ohne direkte Nachkommenschaft.

Wie will man es jetzt rechtfertigen, daß die entfernte:: Nachfahren von Männern, die fich vielleicht vor langer Zeit einmal Berdienste erworben haben während diese Nachfahrenschaft doch sicherlich ohne alle Verdienste sind- für ewige Beiten mit verschwenderischem Reichtum ausge­stattet sein sollen? Oder sind die Verdienste Wilhelms II. am deutschen Bolte wirklich um so viel größer als jene Ferdinand Freiligraths, daß sich der Sohn des einen in der Schweiz eine Billa mieten fann, während der Sohn des andern schon reichlich beschenkt scheint, wenn man ihm fünfzig Mart im Monat gibt? Ferdinand

Freiligrath lebt in der Seele des deutschen Boltes. Das wird der tommende 18. März beweisen, an dem wir feinen 50. Todestag feiern werden. Der Glanz dieser Dichterfeier fällt auf das kleine Häuschen im Dorfe Külz im Hunsrüd, wo nun der greife Sohn des Gefeierten als Staats­pensionär mit 50 Mart im Monat friedlich seine Tage be­schließen darf. Er ist abgefunden. Der Fall Freilig= rath ist erledigt.

Der Fall Hohenzollern harrt noch der Erledigung!