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Nr. 121 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 61

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Sonnabend, den 13. März 1926

Frontwechsel in Genf  .

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Die polnische Frage im Vordergrund. Verhandlungen über einen deutschen  Vorschlag bisher ergebnislos.

V. Sch. Genf  , 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In den letzten 48 Stunden hatte Deutschland   außerhalb der Diskussion gestanden, die sich lediglich innerhalb des gegen wärtigen Bölferbundsrates um die spanischen   und brasiliani­schen Ansprüche gedreht hatte. Jetzt hat sich diese für Deutsch­ land   relativ günstige Situation verschoben:

es ist Briand   gelungen, Spanien   und Brasilien   von ihrem Standpunkt abzubringen. Damit ist aber wieder die Frage des polnischen Ratssitzes in den Vordergrund gerückt

und der schwerste Drud setzt abermals auf die deutsche Dele gation ein, um sie zu veranlassen, ihre Haltung zu ändern. Es wurde hier schon Freitag nachmittags( im größeren Teil unferes gestrigen Abendblattes enthalten. Red.) auseinander­gefeßt, daß es doch ein großes Entgegenkommen an Deutschland  fei, daß es gelänge, Brasilien   und Spanien   so weit zu be­ruhigen, daß sie auf einen Einspruch gegen den ständigen Ratssig für Deutschland   verzichten. Wenn Briand   und seine Freunde den Brasilianer Mello Franco und den Spanier  Quinones de Leon breitschlagen, so tun sie damit nicht Deutsch­ land   einen Gefallen, sondern sie erweisen damit dem Bölker bund einen Dienst. Deutschland   schuldet ihnen nicht weniger,

aber auch nicht mehr Dant für ihre anerkennenswerten Be ühungen, als irgendein anderes Land der Welt, das am wedeihen des Völkerbundes intereffiert ist.

Jedenfalls hat man den Deutschen   heute vormittag ver­schiedene Lösungsvorschläge unterbreitet, die, mehr oder minder geistreich, mehr oder minder verwickelt, alle, darauf hinauslaufen, daß Deutschland   vor seinem Eintritt in den Bölkerbund eine Bindung für die Zukunft eingehen sollte, einem provisorischen Ratssitz für Polen   zuzustimmen. Das hat die deutsche Delegation nach eingehenden Erörterungen( jedoch entgegen anderen Meldungen ohne Rückfrage in Berlin  ) a b= gelehnt. Gegen 7 Uhr erschien Luther   bei Chamberlain, um ihm den negativen Bescheid zu unterbreiten, der auf den englischen Außenminister sehr deprimierend wirft. Diefer be­gab sich daraufhin zu Briand  , Vandervelde   und Scialoja, um mit ihnen weiter zu fonferieren.

Die Lage ist unverändert ernst.

Man muß sich darauf gefaßt machen, daß in den nächsten 24 Stunden ein wahres Trommelfeuer der französischen   und italienischen Presse einsetzen wird, um Deutschland   als das Karnidel hinzustellen, dessen Starrsinn an allem schuld sei. Eine solche Stellungnahme macht sich bereits in Genf   deutlich be­mertbar, wie übrigens in den legten 24 Stunden von der gleichen Seite auch versucht wurde, alle Schuld auf Undén abzuwälzen.

Demgegenüber muß hier festgestellt werden, daß in diesem Fall der Standpunkt der deutschen   Delegation vollkommen forrekt ist und daß man sich ihm anschließen muß. Das kann man mit um so besserem Gewissen tun, als man leider erst heute erfährt, daß bereits in der ersten Beratung der Rhein­pattmächte am Sonntag, an der Briand   vor seiner Rückkehr nach Paris   noch teilnahm,

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ein sehr weitgehender Kompromißvorschlag unterbreitet worden war, der sich übrigens durchaus mit der Auffassung deckte, die seit Wochen schon im Vorwärts" ver­treten wurde.

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Der Reichstanzler hatte nämlich nicht nur den Vorschlag der Einsegung einer Studienkommission gemacht, die gleich­zeitig mit dem Eintritt Deutschlands   in den Völkerbund ihre Arbeiten beginnen und bis zum September ein Gutachten über die Frage neuer Ratssige abgeben sollte, sondern er hatte dar über hinaus sogar angeregt, daß er vor seiner Jungfernrede vor der Vollversammlung des Bölferbundes Erklärungen ab­geben würde, aus denen der deutsche gute Wille erkennbar wäre, an der Frage des provisorischen Ratssizes für Polen  loyal mitzuarbeiten. Wie von unterrichteter Seite auf meine präzise Frage bestätigt wurde, war das gewisser­maßen als Gegenstück zu den Erklärungen gedacht, die Briand an Schluß der Locarno  - Konferenz hinsichtlich der Rückwir­fungen im Rheinland   abgegeben hatte.

Das war immerhin allerhand, zumal wenn man bedenkt, wie sich die deutschnationale und ein Teil der volksparteilichen Bresse von Anfang an völlig ablehnend zu diesem Gedanken eines nur provisorischen Ratssiges für Polen   verhalten hat. Leider ist dieser Borschlag nicht berücksichtigt worden, was un­verständlich wäre, menn nicht die Gegenseite inzwischen entgegen ursprünglichen Ableugnungen zugegeben hätte, daß Frankreich   formale Versprechungen Polen   gegenüber übernommen hat,

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dahingehend, daß es ihm schon jetzt, alfo gleichzeitig mit Deutschland  , zu einem womöglich gar ständigen- Rats

jizz verhelfen werde. Nur so ist diese unbegreifliche Nicht­beachtung eines durchaus ernstgemeinten deutschen   Vorschlages zu erklären.

Der Standpunkt der deutschen   Delegation.

Genf  , 13. März.( 12,30 nachts. WIB.) Ueber die Auf­faffung der deutschen   Delegation zur Lage am Abend des 12. erfährt der WTB.- Berichterstatter folgendes:

Es wird in erster Linie auf den deutscherseits schon am ersten Sonntag gemachten Vorschlag, zur fachgemäßen Klarstellung der Frage der ständigen Ratssige eine kommission einzu­fehen, welche rechtzeitig vor der Septembertagung des Bölferbundes Bericht zu erstatten habe, hingewiesen. tretern der Signatare des Rheinpattes erörterten An­regungen hat eine sorgfältige Prüfung von seiten der deutschen  Delegierten teine Lösungsmöglichkeit auf solcher Grundlage ergeben.

Hinsichtlich der übrigen in der Vormittagssihung mit den Ver­

Es ist für Deutschland  , bei allem Bestreben, der Schwierig­Es ist für Deutschland  , bei allem Bestreben, der Schwierig­teiten der Gesamtfituation Rechnung zu fragen und durch einen be­schleunigten Eintritt Deutschlands   in den Völkerbund dem Werke von Cocarno die endgültige Berwirklichung zu verschaffen, unmöglich, von dem fundamentalen Grundfah abzuweichen, vor dem Eintritt in den Bölkerbund sich einer Bindung hinsichtlich seiner fünftigen Politik im Bölferbund, insbesonder der Stellungnahme zu den Bestrebungen einzelner Mitglieder zu enthalten.

Dies ist Sir Austen Chamberlain   als Auffassung der deutschen   Delegation mitgeteilt und dabei darauf hingewiesen wor­den, daß der deutsche Vorschlag auf Bildung einer vorbereitenden Kommiffion inzwischen von der Delegation in seinen Einzelheiten weiter ausgearbeitet worden sei.

Briand   sieht keinen Ausweg!

V. Sch. Genf  , 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Am Abend empfing Briand   die französische   Presse. Er war fichtlich deprimiert und machte aus seinem Peffimismus gar kein Hehl. Er erklärte, daß Frankreich   nach seiner Ueberzeugung bis zur Grenze des Ent­gegenkommens gegangen wäre und daß er keinen Ausweg mehr sehe. Es sei denn, daß von der Gegenseite, d. h. von Deutschland  , neue Borschläge gemacht würden.

Damoklesschwert über Mussolini  . Sein Sekretär mit vielen Dokumenten ins Ausland geflüchtet.

Paris  , 12. März.( Eigener Drahtbericht.) Der Corriere degli Italiani" erfährt aus Rom  , daß der gleich dem ehemaligen pressechef Cesare Rossi   ins Ausland geflüchtete ehemalige Se­fretär mussolinis, Fasciolo, sechsundfünfzig eigenhändig von Muffolini geschriebene Dokumente mitgenommen hat. Roffi und Fasciolo haben bereits miteinander Fühlung genommen. Die Zei­fungen haben die Weifung erhalten, sich nicht mit der Flucht Roffis zu befaffen, nur die offiziellen Notizen darüber dürfen wiedergegeben werden. Roffi war seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis forg­fältiger polizeilicher Bewachung unterstellt und seine Fiucht hatte daher die Einleitung einer strengen Untersuchung zur Folge, um Pflichtverfäumnisse der Ueberwachungsbeamten festzustellen.

Gestern flauer Tag!

Geringere Eintragungen als am Mittwoch. zurückgegangen. Die Teilergebnisse, die gestern abend vorlagen, Die Eintragungen zum Volksbegehren in Berlin   find gestern laffen erkennen, daß das Ergebnis von gestern hinter dem Ein­3eichnungsergebnis vom Mittwoch zurüdgeblieben ist.

Um so eifriger heute zur Einzeichnung und zur Werbung! Prenzlauer Berg  . Freitag 6290

Donnerstag 8441

Donnerstag 10 343

Donnerstag

10 122

Bisher eingezeichnet 78 633

Friedrichshain  . Freitag 7205

Bisher eingezeichnet 88 785

Wedding. Freitag 7557

Bisher eingezeichnet

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Der Matteotti- Prozeß.

Ein Prozeß, der nicht interessiert.

Lugano  , im März. Man ist dahin übereingekommen, zu sagen, daß der Prozeß Matteotti  , der am 16. d. M. in Chieti   beginnt, te in Interesse mehr hat. Die Faschisten sagen es, weil sie die Sache so darstellen wollen, als wäre das Ganze nur von der Opposition aufgebauscht worden. In Oppositionskreisen sagt man es, weil man die Gewißheit hat, daß in Chieti   von dem wirklichen Vorspiel des Prozesses nichts zur Sprache kommen

wird.

Troz dieser seiner anerkannten Eigenschaft, niemand zu interessieren, spricht man von dem Prozeß Matteotti   immer nur als von dem Prozeß". Nach dem Prozeß wird der hohe Rat des Faschismus zusammentreten, nach dem Prozeß wird die Pressezensur gemildert werden erst muß man den Prozeß überstanden haben, der niemand interessiert". Weil danken gehabt, gar nicht von ihm Notiz zu nehmen; selbst das er niemand interessiert, hatte die Oppositionspresse den Ge­ist nicht erlaubt, selbst das wäre eine Provokation. Die Blätter müssen den offiziellen Bericht der Stefani" ab= drucken, sonst werden sie beschlagnahmt. brechens, das die ganze Welt mit Grauen erfüllt hat, ist der Als gerichtlicher Abschluß und als Sühne eines Ver­Brozeß unintereffiert. Es besteht überhaupt kein logischer und plausibler Zusammenhang zwischen dem, was man in Chieti   vorführen wird, und der entsetzlichen Machination, fammenhangloses, grotest Zufälliges wird den Geschworenen die Matteotti   das Leben kostete. Etwas Sinnloses, Zu­sie nicht kennen, gegen den sie also keinen Haß emp­vorgelegt werden: fünf Individuen, die einen Menschen, den finden, in ihrer Gewalt haben und umbringen. Weiter ist nichts von dem Verbrechen übrig geblieben. Alles andere fällt unter die Amnestie.

hirnen ausgedachte, von menschlichen Willensaften vorberei Man hat es fertig gebracht, eine von menschlichen Ge­tete Tat die im Auftrag von Cesare Rossi   und Marinelli erfolgte Verschleppung und Tötung Matteottis

die

in zwei isoliert dastehende Handlungen aufzuspalten: in Freiheitsberaubung, die Rossi und Marinelli angeordnet haben sollen, und in die Tötung, die ohne ihr Wissen, ihren Willen und ihr Zutun erfolgte. Die Freiheits­beraubung fällt unter die Jubiläumsamnestie: wer sie ange­ordnet hat, ist also nicht strafbar, wer sie ausgeführt hat, auch nicht; ihr 3wed, ihre Vorbereitungen, ihre Mittel dürfen in dem Prozeß nicht geprüft werden.

Der Prozeß in Chieti   beschäftigt sich mit dem an Matteotti   begangenen Verbrechen erst von dem Augenblick an, wo der Abgeordnete nicht nur der Freiheit, sondern auch des Lebens beraubt wurde. Um es ganz in groben Linien zu zeigen, fönnte man sagen, daß Matteotti   sich am 10. Juni fraft einer strafrechtlich nicht verfolgbaren, also praktisch recht­mäßigen Handlung, mit fünf Faschisten in einem Auto be= fand und sich in dieser Gesellschaft derart benommen hat, daß ihn seine Begleiter umbrachten. Ueber diese Schlußepisode werden die Geschworenen in Chieti   ihren Wahrspruch zu fällen haben.

Das Urteil der Voruntersuchungskommission hat die Vor­bereitung der Tat natürlich nicht leugnen können: es gibt die mehrtägige Ueberwachung Matteottis zu, nimmt an, daß eine Villa bei Rom   für die Unterbringung des Abgeord­neten vorbereitet war, sieht in Rassi und Marinelli die Auf­traggeber, betont, daß das Auto in der Nacht vor der Tat im Ministerium des Ausmärtigen, in der Nacht nachher( in den ersten Stunden) im Ministerium des Innern untergebracht war, aber all dies bezieht sich nur auf die Freiheitsberaubung.

Daß der Auftrag der Freiheitsberaubung ohne nach­folgende Tötung, wie ihn die Boruntersuchungskommission fümmern. Man schält das wesentliche aus: den von oben wäre, eine Quintessenz des Widersinns, das darf niemand be= annimmt und die Jubiläumsamnestie amnestierte, sinnlos gekommenen Auftrag und behält nun die sinnlosen Teile in der Hand. Die Auftraggeber werden nicht auf der Anklagebant sigen, nur ihre Werkzeuge, und diese nur soweit als sie aus einem hypothetischen eigenen Antrieb gehandelt hätten. Eine derartige Gerichtspantomime schließt das Verbrechen nicht ab und fühnt es nicht. Sie ist also uninteressant, wie alles Zusammenhanglose.

Aber das Interesse stellt sich ein, wo wir auf einen festen, enggeknüpften Zusammenhang stoßen: in der politischen Be­arbeitung des Prozesses, die vor den Assisen ihre Krönung finden soll.

Da ist zunächst eines zu bemerken, nämlich die große Un­ruhe und Besorgnis, die die Flucht Cesare Rossis in

Die Eintragungslokale find heute und morgen an den faschistischen Kreisen erregt. Roffi ist derjenige, der am meisten Platatfäulen zu ersehen.

Die Einzeichnungen in Essen  .

Effen, 12. März.( Eigener Drahtbericht.) In der Stadt Essen  haben sich bis heute 47 000 Personen für das Boltsbegehren ein­getragen.

Mussolini   belastet hat; im Gegensatz zu Marinelli ist er nicht wieder zu Ehren angenommen worden, sondern wurde seit seiner Freilassung scharf bewacht und an jedem Kontakt mit andern verhindert. Nun ist er dieser Tage doch ausgekommen, ist in Nizza   in Sicherheit und läßt sich interviewen. Das ist sehr unbequem, denn Rossi- Bollblutfaschist, gewissermaßen