Sonnabend
13. März 1926
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Von Erich Goffgefreu.
( Schluß.)
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bis um großen Bruch mit seinen Eltern gewesen. Er hätte fich
Satz in Mammern: Eigentlich widerlich, nicht wahr, was so ein Literat für Worte macht, wenn er na, ihr versteht schon. Ich weiß eben bleß nicht, ob bei den Flausen der Nichtliteraten nur ein Unterschied in der Qualität, nicht aber in der Quantität besteht. Ihr seid ja fast alle Schwindler, einer wie der andere Jezt wollen wir die Klammer aufmachen und wieder Adele reden Lassen:
,, Sprich nicht weiter! Laß mir doch Zeit! Ich muß das alles überdenten, wägen."
„ Ich erwarte dich. Du wirst eben da sein...."
Du
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wollen wir gehen?"
" Ja, und ich hoffe, um uns mit weniger Worten mehr zu haben."
Adele geht, Schalt folgt ihr, begleitet sie noch ein Stück, beide trennen sich herzlich, doch wortios fast, es ist eigentlich, als ob Adele schon Ja gesagt hätte.
Wie sie nach Hause fommt, so gegen halb fieben, ist ihr Mann schon daheim. Früher als sonst ist er heute aus dem Geschäft gefommen.
„ Hör' mal Adele, wir wollen heute abend ins Schauspielhaus gehen, ich hab' schen zwei Karten besorgen lassen."
Ja, aber warum gerade heute?"
„ Aber weshalb denn nicht?"
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,, Weil meil sie das„ Weiße Rößt" spielen. Interessiert mich nicht im geringsten."
Ich hab' mir aber schon lange gewünscht, das mal wieder zu fehen. Ich bitt' dich, Adele, fomm' mit!"
,, Wenn ich dir einen besonders großen Gefallen fuc." „ Ja, du tust mir wirklich einen sehr großen Gefallen. Zieh' dich an!"
Tränen steigen auf in Adele. Vor Verger. Vor Enttäuschung. Endlich hat sie sich überwunden, ihrem Gatten untreu zu werden, muß der ihr Hindernisse in den Weg legen? Am blödesten erscheint ihr die Ueberflüssigkeit dieses Zwischenfalls. Aufheben kann sie ihn freilich nicht, wenn sie in ihrem Mann nicht Mißtrauen erwecken mill. Unmöglich Gott sei Dant, daß er bis jetzt etwas gemerkt hat oder auch nur ahnt.
Adele will telephonieren. Ueberlegt den Namen von Schalks Mirtin. Er fällt ihr ein. Sie findet die Nummer im Buch, verlangt die Verbindung beim Amt. Nach einer Minute zischt's zurück: Teilnehmer hat keinen Anschluß mehr."
In Aufgeregtheit und Angst fällt Adele als letzte Verständigungsmöglichkeit die Rohrpost ein. Setzt sich hin und schreibt:„ Mein Lieber, ich wollte fommen, muß aber mit meinem Mann ins Theater, das mich obendrein einen Dred interessiert, totunglücklich, aber machtlos. Sei nicht traurig! Mergen wieder im Café. A." Ruft der Mann:„ Bist du noch immer nicht fertig?" das„ Gleich, einen Augenblick bitte, ich fand meine Schuhe nicht." Da zankt der Mann das Stubenmädchen aus. Die weiß gar nicht, wie ihr geschieht.
Eine halbe Stunde später fährt das Paar im Auto ins Theater. Bei der Post läßt Adele halten, gibt den Rohrpoftbrief dem Chauffeur, der soll ihn in den Kasten stecken, Adele hat aber keine Gelegenheit, den Chauffeur auf das Wort„ Rohrpoſt" hin zu instruieren. Sie muß doch natürlich heimlich tun, ihr Mann, der jetzt ein ganz harmloses Schreiben vermutet, würde sonst schön mißtrauisch werden, na, sie hofft, daß der Chauffeur von allein und noch rechtzeitig merkt, was er zu tun hat.-Irrtum: der Brief rutscht in einen Kasten, der erst am nächsten Morgen um sechs geleert. wird, der Kasten hängt nämlich nur vor einer Bezirkspost, teiner Hauptpost, also, da ist kein Vorteil weiter. Adele ist Optimistin, sie denkt, daß der Brief schon noch mitgehen wird. Sie fährt mit ihrem Mann meiter, sieht nun das„ Weiße Rößl", langweilt sich fürchterlich und ist mit ihren Gedanken auch gar nicht im Salzkammergut , sondern bei Schalk.
Der figt mun nervös in seinem Zimmer herum, hat alles mit Letztem Gelde sehr hübsch hergerichtet, gelbleuchtende Mimosen stehen cuf dem Tisch, Tee brodelt, Gebäck duftet, weich decken Kissen den Diwan, es soll sehr schön werden. Um acht Uhr wird das Haus geschlossen, Adele wird wohl etwas später fommen, sie fann ja Flingeln.
Aber Adele kommt nicht, klingelt nicht, Schalt wundert sich Wird trauriger und trauriger. Liegt da und refigniert. Will lesen. Aber das geht nicht. Seine Gedanken lassen sich nicht in neutrales Land abkommandieren. Schicksal kristallisiert sich: er muß sich erschießen. Er hat sich das doch nun einmal so vorgenommen.
Um elf Uhr ist er seweit, daß er eine Bilanz" zieht. Er tat das schon öfters. Aus Eitelkeit. Denn so etwas liebt sich manchmal. Schalt überdenkt das Vergangene, stellt fest, es hat sich nicht gelohnt, alles in allem überwog doch das Böse, die Erfolglosigkeit, das Müdesein. Wenn er Schluß macht, dann ist das nur eine fonfequente Tat und außerdem eine sehr schöne Geste.
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seinen Eltern, er hatte sogar eine Jugendliebe. Herta mein Gott, wo wird Herta jetzt sein? Sie hatte so schönes schwarzes Haar. Und ihre.. Uebrigens war Heria der Anlaß zum großen Bruch mit seinen Eltern gewesen. Er hätte sich eigentlich längst wieder mit ihnen aussöhnen können, aber die Spannung wurde vor fünf Jahren vermehrt, als Schalt sich als Schauspieler beim Theater versuchte. Und nun ist er ja auch sehr trozzig. Aber immerhin: es ist doch wohl ungezogen, sich zu erschießen, ohne seinen Eltern vorher Auf Wiedersehen" gesagt zu haben mie?
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Eigentlich müßte er doch auch an Adele ein paar Zeilen schreiben. Und wie ist das nun mit der Wirtin? Wenn er sich
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Erfreuliche Entwicklung.
Wie es anfangs war.
Wie es wurde.
Wie es tommen muß.
tötet, bleibt er die Miete für die vergangenen Menate endgültig schuldig, macht obendrein auch noch Unannehmlichkeiten mit der Polizei und so. Na ja, fair ist das nicht gerade.
Schalk denkt angestrengt über diese Dinge nach. Schläft dabei ein. Schläft sehr fest. Stundenlang. Nachi durch. Träumt nicht einmal.
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Vormittags um zehn ist es schon, da pocht die Wirtin an seine Tür, fie fann, zum Donnerwetter, nicht das Zimmer in Ordnung bringen,' n Brief ist für'n Herrn Schalt auch gekommen.
-Langsam gleitet Schalt in den Wachzustand über. Wie- was ich wollt' mich doch- Herrgott, ich wollte mich doch erfchie...., ein Brief, wie, ein Brief fagen Sie? Ja, ich steh' gleidh auf, aber bitte geben Sie doch erst den Brief her! Hurra, von wollte femmen, muß aber mit meinem Adele, von Adele! Mann ins Theater. ,, Ist das gut ist das gut."
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,, Was is' n gut, Herr Schalt? Kriegen se Geld? Wern se Miete zahlen können?"
,, Nein, daß ich mich nicht erschossen hab' ist gut, Frau!!!" ,, Sagen Se, ham Se Fieber? Soll ich' n Arzt holn?"
Oskar Wildes letzte Jahre.
Das Bekanntwerden von Allzumenschlichkeiten fann oft recht
nützlich sein- für den, der dergleichen zu nützen weiß, der herausliest, daß wir allzumal arme Sünder sind und der mehr daraus lernt als verzeihen, nämlich verstehen. Wer so unvoreingenommen an die letzten Briefe Ostar Wilde's herangeht, die jetzt, ron Mar Meyerfeld verdeutscht, bei S. Fischer erschienen find, dem wird die Lektüre mehr bieten als Befriedigung der Neugier und Zeitvertreib einiger müßiger Stunden.
Aber das Tagebuch muß natürlich einen ordentlichen Abschluß haben, schließlich ist es sein Nachlaß": Adele wird ziemlich unglücklich sein. Ja, aber eigentlich hat sie sich das alles selber zuzuschreiben. Sie hätte schon lange meine Geliebte sein können. Mich hätte das sehr zum Schaffen, vermutlich zum Schreiben angeregt. Auch zu ihrem Besten wäre das dann wohl gewesen. Zeigt man fich irgendwo mit einer Freundin", wird man gleich ganz anders angesehen. Wahrscheinlich hätte man mich daraufhin und bei meiner leider verkannten Begabung irgendwo als Lektor, Dramaturg oder Redakteur engagiert Ich würde eine Menge Geld verdient haben, Adele hätte sich scheiden lassen können, wir hätten uns geheiratet. Aber ich hab' nun mal fein Glück. Führ' im Kaffeehaus gescheite Gespräche über die Liebe und die anderen kommen zu ihr. Adele hätte mir die Kameradin sein können, die ich suche und brauche, ich liebe fie, fie liebt mich, aber ich erlebe, daß sie sich durch ihre Bürger- Heil geworden. Ich verstehe jetzt manches, was ich früher nicht ver
lichkeit in geradezu unmoralischem und kitschigem Maße hemmen läßt. Ich haffe den Kitsch. Aber ich habe auch keine Lust, mir nun etwa eine bessere Adele zu suchen. Zunächst ist es fraglich, ob und wann ich sie finde. Außerdem ist im Grunde dech eine wie die andere, es lohnt nicht. Jetzt ja, jetzt ist Mitternacht . Ich werde mich wohl nun bald erschießen."
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Schalf legt die Feder beiseite und weint. Beint wie ein fleiner Junge. Manchmal, denkt er, war es eben doch sehr schön. Ob es vielleicht wieder besser werden könnte?
Die Kindheit? Das ging. Er war ein schlechter Schüler, nur in Deutsch lobte man seine Leistung, sonst haben ihn die Lehrer sehr gequält, aber er hat sich nicht viel draus gemacht. Er hing sehr an
Diese neunzig Briefe an Robert Roß sind die Ergänzung zu der Wilde- Biographie von Frank Harris , und sie bestätigen das Bild, das Harris von dem Dichter zeichnet. Die Legende, die den Dichter zum Märtyrer stempeln wollte, indem sie verbreitete, daß das Zuchthaus Ursache seiner geistigen und körperlichen Zerstörung gewesen sei, wird endgültig eben als Legende dargetan. Frank Harris . stellte bereits fest, daß Wilde in den letzten sechs Zuchthausmonaten, in denen er freundliche Behandlung erfuhr und über Bücher, Schreibmaterial und Licht verfügen durfte, fich, verglichen mit den lezten ausschweifenden Jahren vor der Haft, geradezu erholte, und Briefe und Gespräche aus jener Zeit zeigen den Dichter unbedingt von einer ungewohnt günstigen Seite. Wilde bekannte damals bei einer Unterredung mit Frank Harris :„ Es ist mir zum standen habe. Ich verstehe, was Mitleid bedeutet. Ich habe gedacht, daß ein Kunstwerk schön und freudebringend sein müsse. Jezt aber verstehe ich, daß dieses Ideal unzulänglich und sogar seicht ist. Ein Kunstwerk muß auf Mitleid gegründet sein; ein Buch oder ein Gedicht, das kein Mitleid in sich trägt, sollte lieber nicht geschrieben werden." Und in einem Brief aus etwa der gleichen Zeit schrieb er:„ Es bleibt mir noch so viel zu tun übrig, daß ich es für eine furchtbare Tragödie halten würde, menn ich sterben sollte, ehe es mir vergönnt ist, wenigstens einen fleinen Teil zur Ausführung zu bringen. Ich sehe neue Entwicklungsmöglichkeiten in der Kunst und im Leben, von denen jede eine neue Form der Vollendung ist. Ich habe den sehnlichsten Wunsch zu leben, um das zu erforschen, was nichts Geringeres für mich ist als eine neue Welt. Wollt ihr
Beilage des Vorwärts
wissen, was diese neue Welt ist? Ich glaube, ihr könnt es erraten. Es ist die Welt, in der ich gelebt habe. Das Leid also und alles, was es uns lehrt, ist meine neue Welt. Ich pflegte früher mein ganzes Leben dem Genuß zu widmen. Ich habe das Leiden und den Schmerz in jeglicher Gestalt gemieden. Beides war mir perhaßt. ( 3itiert aus der Biographie von Frank Harris in der deutschen Uebersetzung von Toni Noah.). Jim Eingeständnis dieser Wehrheit liegt natürlich so menig ein Lob oder eine Verteidigung jener Richter, die Wilde homosexueller Vergehen halber auf zwei Jahre ins Zuchthaus warfen, wie eins Berteidigung der Buchthausstrafe überhaupt, die Wilde achtzehn Monate hindurch einen Vorgeschmack der Hölle gab.
Nach seiner Entlassung ging dann Wilde sogleish rach Frankreich, um dort sein neues Leben zu beginnen. In Berneval- sur- Mer, einem kleinen Ort bei Dieppe , verbrachte er in einem hübschen, geräumigen Häuschen, das er als Alleinmieter innehatte, freundliche und fleißige Monate. Neunundzwanzig Briefe erzählen davon, voll Humor und Poesie, voll Verständnis aber auch für die Lage seiner einstigen Leidensgenossen im Kerker, denen er durch seine Freunde Briefe und kleine. Geldgeschenke übermitteln ließ. Mitleid mit anderen, Arbeitsluft und Freude an seiner wunderbaren" Gesundheit sind die Motive, die immer wieder in den Zeilen aus dieser Zeit aufflingen.
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Dann, nach einem reichlichen. Vierteljahr, im Brief vom 4. September 1897, ist diese Stimmung plöglich dahin. Berneval ödet ihn so sehr an, daß er beinahe schon Selbstmord begangen hätte". Er gab also sein Häuschen auf und ging nach Rouen . Daß er wieder mit„ Bosie ", mit Lord Alfred Douglas zusammenfam, war vielleicht der einzige Grund für diese Wandlung. Ich liebe ihn selbstverständlich wie je mit einem Gefühl für die Tragik und das Verderben." Von dieser Zeit an läßt sich ein unaufhaltsamer Abstieg Wildes feststellen. Nach seiner Haftentlassung hatte er tatsächlich mit einer neuen, geistigen Jugend begonnen, die in den Werken, in denen sie zutage trat, bewies, daß sie fünftlerisch ebensogut und menschlich besser war als seine erste. Doch schneller als das erstemal entwickelte fich jetzt die Katastrophe. Unter Bosies" Einfluß, mit dem er bald nach Italien ging, verlor sich Wilde wieder ganz wie furz vor seiner Zuchthauszeit an ein Leben voll Schlemmerei und Trägheit. Die Buchthausballade", die erst in Neapel beendet wurde, spielt zwar anfangs in den Briefen neben den immer dringender werdenden Geldaffären die Hauptrolle. Denn trok allem war Wilde ein Dichter, der über ein Wort, das er nicht treffend genug fand, immer wieder diskutieren und den Rat der Freunde einholen konnte. Doch dann, als das Gedicht endlich fertig. und verlegt war, fand Wilde nicht mehr die Fähigkeiten zum Schaffen. Zwar verheißt er in den Briefen immer wieder, daß er neues in Angriff nehmen will, doch kam nichts zur Ausführung. Dagegen nehmen die Klagen über Geldmangel einen immer breiteren Blag ein, obgleich Wilde von seiner geschiedenen Frau und Robert Roß ein festes Jahreseinkommen von 6000 m. bezog, das sich durch Sonderspenden anderer Freunde noch beträchtlich erhöhte. Ja, oft wendet Wilde in den Briefen sogar recht anfechtbare Mittel an, um sich in den Besiz von Geld zu setzen. Charakteristisch für seine Lebensauffassung in dieser letzten Zeit sind auch Säge, die er über ein Zusammentreffen mit Maeterlinck und dessen schönen Geliebten, felbstver= Georgette Leblanc , berichtet. Er ist bon, garçon" ständlich hat er die Kunst ar den Nagel gehängt. Er gründet feine Hoffnung für die Menschheit auf das Zweirad." Wilde zeigt sich in diesen lehten Briefen so haltlos wie nur je. Und doch beweisen selbst diese emigen Geldforderungen noch den anmutigen Plauderer, den liebenswürdigen Menschen der, oh= gleich er es im ganzen Leben nie so weit brachte, einen anderen als sich selbst zu lieben, doch von so vielen Liebe und Freundschaft empfing. Und als sein ausschweifendes Leben ihm den frühen, qualvollen Tod brachte, weilten treue Freunde an seinem Lager, und von weither eilten andere, ihn noch lebend zu sehen und ihm vielleicht Hilfe zu bringen. Selbst der Hotelwirt, bei dem er unter fremdem Namen wohnte und der nicht wußte, ob er sein Geld je befommen würde, war wunderbar gut" zu dem schwierigen und lästigen Kranken.
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Und vor dieser Tatsache muß jede Verurteilung verstummen. Mag Wildes Menschentum anscheinend nie hoch zu veranschlagen gewesen sein, sein Künstlertum, das sich selbst im alltäglichen Leben so stark auswirkte. daß es fast jeden in seinen Bann zoo, war feine Rechtfertigung zu seinen Lebzeiten. Sollte es sie da nicht auch nach seinem Tode sein? Trude E. Schula..
Empfindsame Kopfjäger.
Gegen die Nagas, die in den Bergwildnissen des oberen Birma leben und noch an der Sitte der Kopfjägerei festhalten, rüstet jest die britische, Regierung eine Straferpedition aus, nachdem dieser Stamm. sich auf eine Aufforderung hin geweigert hat, auf diese barbarische Sitte zu verzichten.
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Wenn man sich unter Kopfjägern grausame und blutdürftige Wilde vorstellt, so trifft man bei den Magas nicht das Richtige. Sie find wenn man so sagen darf die Gentlemen unter den Kopfjägern, ein fleißiges und sympathisches. Völkchen, das als einzigen „ Schönheitsfehler" in ihrem Charakter eben die Kopijägeret hat. Ein englischer Kolonialbeamter, der lange unter den Nagas gelebt hat, führt in einem Aufsatz über diesen Stamm die Tatsache an, daß es bei ihnen als ein Verbrechen gilt, eine Blume abzubrechen oder einen Schmetterling zu töten. Diese empfindsamen Leutden", die sich der Bestellung ihrer Mohn- und Reisfelder widmen, verwandeln sich nur einmal im Jahr zu grimmigen Mördern, nämlich gegen Ende März, in der Zeit der Ernte, wenn es gilt, den Erntegöttern Menschenopfer darzubringen. Dann dröhnt das dumpfe Gemurmel der Trommeln von den Hügeln, und die Kopijäger streifen durch die Wälder nach neuen Trophäen, die die Schädelhaine schmücken sollen. Die Nagadörfer, die von undurchdringlichen Barrikaden aus Dornen und Kaktus umgeben sind, fönnen nur durch einen gewundenen schmalen Gang betreten werden, aus deisen Boden vergiftete spige Pfähle hervorragen, um unerwünschte Fremde, die sich einschleichen wollen, zu töten. Diese Dörfer sind untereinander durch Haine von heiligen Bäumen verbunden. In diesen Hainen, deren dichtes Zweigegewirr die Sonnenstrahlen abhält und ein düsteres Dunkel schafft, stehen in unheimlichen Reihen die Totenpfähle, scheußlich geschnitzt, mit leuchtenden Ockerfarben bemalt, und auf der Spize jedes Pfahles grinft ein Menschenschädel. Kehren die Kopfjäger von ihren furchtbaren Jagden mit den Opfern zurück, dann wird ein Tanz abgehalten. Die Gefangenen erhalten ein prächtiges Mahl und werden in die schönsten Kleider gehüllt, die man nur finden kann. Die Nagas bitten ihre Opfer ausdrücklich für jede Unannehmlichkeit um Verzeihung, die sie ihnen auf Grund ihrer Bräuche bereiten müssen; sie erklären ihnen, daß die Opfer zu Ehren der Erntegötter dargebracht werden, daß ihre Schädel der Auszeichnung teilhaftig werden, im heiligen hain zu prangen und die bösen Geister und Dämonen abzuhalten, die die Dörfer um= lauern und Best und Hungersnot bringen. Dann werden den unglücklichen Opfern Köpfe, Hände und Füße abgeschnitten, und es folgt eine Orgie, bei der viel Opium gegessen und starte Getränke getrunken werden. Die Köpfe, Hände und Füße der Opfer werden auf Bfählen in feierlichem Zuge durch die Opium- und Reisfelder als Dankesopfer für die Erntegötter herumgetragen und schließlich in der Reihe der Totenpfähle aufgestellt. Die Schädel müssen von Fremden stammen, denn der Kopf eines Naga würde nicht Fruchtbarfeit und Glüd bringen, sondern fein Geist würde die Stammesgenossen verfolgen und beunruhigen.