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Wir haben doch alle mal den üblichen Geschichtsunterricht ge- nassen. Wir haben gelernt, daß Preußen nur durch die Hohen« zollern zu so herrlicher Größe gediehen ist, und wenn wir richtige Berliner sind, dann haben wir sogar noch ein« ExtraportionHeimat- tunde' verdauen müssen, die allemal nur davon handelte, was die Haupt- und Residenzstadt Berlin den Hohenzollern verdankt. Ja, wenn der lieb« Gott in seiner unerforschlichen Güte uns nicht mit diesem erhabenen Herrscherhaus gesegnet hätte, dann säßen wir Lerlin-Köllner eben noch immer im Fischerdorf, angellen Quappen und Barsche und die einzige Industrie Berlins wäre ein« nach modernen Methoden geleitete Pieräserzuchtanstall. Ach, dieser Ge- schichtsunterricht lag uns lange schwer im Magen, es hat ein« ganz« Zell gedauert, bis wir merkten, mit welch unverdaulichem Zeug wir da gemästet wurden und den Kram wieder ausgewürgt haben, wie der Uhu das Gewölle. Manchen hat's den Appetit an der Geschichte ganz verdorben. Und doch die Heimatstadt soll man kennen: und wer ihre Geschichte kennt, dem wird sie allerlei erzählen. Freißch, e» kommen da verschiedeneUnstimmigkeiten"' zutage; sie erzählt manches, was im offiziellen Geschichtsunterricht nicht erwähnt wurde. Wollen wir uns einmal was von ihr erzählen lagen? ,Awkng-kölla. �Zwing-Kölln", so nannte man den ersten Schloßbau. Denn die Berliner und die Küllner, sie trauten dem neuen Herrn nicht. Sie weigerten Friedrich II. , Eisenzahn , dos Recht, mit bewaffnetem Se- folge in die Stadt zu ziehen. Aber sie waren nicht einig. Verrat öffnete dem Kurfürsten das Tor, er ritt mit SlX) Gewappneten ein. Nun wurde der Berliner Bär an die Kelle gelegt. Die Selbstver- waltung der Städte wurde vernichtet, der Bürgermeister wurde hin- fort von dem Kurfürsten ernannt. Bon diesem ällesten Schloßbau, den Friedrich nach seinem Einzug sofort begann, steht nur noch der grüne Hut", der runde Turm an der Spree. Andere Dinge er­zählt die große, schön« Front des Schlosies. Unter Friedrich I dem ersten Könige, wurden die einzelnen Teile des Schlosses zu- sammengesaßt, Andreas Schlüter gab ihm feine heutige Gestalt. Friedrich I. war verschwenderisch, eitel und dumm. Königlich mußt« seine Hofhaltung sein, alles mußte er haben, was zu einer wahrhast königlichen Hoshallung gehörte. Natürlich auch einenwitreszc en titre", trolzdem er nicht recht wußte, was er mll chr anfangen sollte. Denn die Pflichten der Gräfin Wartenberg bestanden lediglich darin, mll ihm im Abcnddämmer im Schloßgarten oder in einem Saale spazieren zu gehen. Trotzdem hatte sie, wie sich das für ihren Rang gehörte, unbegrenzten Einfluß. Ihr Mann erhielt sogar von dem König« die schriftliche Zusicherung, daß er nie für irgendwelche Der- untreuungcn solle zur Rechenschaft gezogen werden dürfen! Auch ihren ersten Mann hatte sie zum Premierminister gemacht: um ihrer Würde auch den gebührenden Respekt zu verschaffen, wurde den adligen Damen des Hofes der Vortrllt abgekauft. So erhiest z. B. die Herzogin v. Holstein allein 10 000 Taler für den Verzicht aus den Borrang vor der Gräfin. Das Zeughaus, die Parochialkirche, die Schlösser von Charlottenburg , Friedrichsfelde , Schönhausen . Köpenick Ii. a. m. geben Zeugnis von Friedrichs Prachtlieb«. Kein Wunder, daß seine Hofhaltung das Land schlimmer aussaugte, al» e» ein Krieg hätte tun können. Ein unerträglicher Steuerdruck lastete auf dem Lande. Alles war besteuert: Perücken, Kleider, Schuh«, die Schweineborsten(um Johann! mußten den Schweinen die Borsten ausgerauft und abgeliefert werden!) und die Jungfernschaft. Wahr- haftig! Alle unverheirateten Frauenzimmer vom höchsten Rang bis

Das Kreuz an der Marienkirche. zur niedrigsten Dienstmagb herunter mußten ihren Anspruch auf den TitelZungfrau" mit vierteljährlich 6 Groschen versteuern... damit die Gräfin Wartenberg mit dem allergnädigsten Herrn spazieren- gehen konnte... Trotz dieses Steuerdrucks reichten die Einnahmen nie. und der König hinterließ«ine erhebliche Schuldenlast. Gertrauötenstraße Neuer Markt. Wenn wir längs der Spree nun nach rechts bis zur Gertraudten- "ftraße gehen, dann sehen wir hier bald einen wunderschönen Bau. dessen Eckbalkon von einer kleinen Säulenreihe getragen wird. Das ist das Palais Ephraim. Das war ein ganz gemeiner Kerl! der ver- fälschte Gehalt und Gewicht der Münze», und aller Haß und Zorn

des Volkes entlud sich auf ihn, den miferabligen.�nflationsge- winner", der sich von dem Nutzen seiner Transaktionen das herrlich« Haus baute. Aber darüber übersah nicht nur das Volk damals, darüber übersahen auch die offiziellen Geschichtsschreiber gern, daß der Heldenkönig Frldericus der erhabene Kompagnon des vcrachlelen Müazjuden war. Er hatte das Mllnzrecht verpachtet: und nochmals gewann er dadurch, daß alle königlichen Kassen angewiesen wurden, Sold, Gehäller, Rechnungen nur in schlechter Münze zu zahlen, die zum vollen Wert der guten angerechnet wurde. Sie durften aber keineEphraimiten" annehmen: und di« Kautionen, die bei den Gerichten usw. in guter Münze hinterlegt wurden, zähste

Das Epbraimscbe Haas an der Poststraße, man inBlech kappen* wieder zurück. Bei Reklamationen mußten dann alle Instanzen sich anstellen, als verstünden sie die Beschwerden gar nicht. Aber darum ist Fridericus Rex heute doch der Schutz- patron derer, die nicht alle werden, und der Jude natürlich, der Jude wird verbrannt... Uebrigens: da können wir uns gleich einmal weiter nach dem Wohlergehen unserer jüdischen Mitbürger unter dem geliebten Fürstenhaus erkundigen. Aus dem Reuen Markt das aste Steinkreuz, das neben der Kirchentür steht, das sah am Frellog nach Margarethen im Jahre 1510«in großartiges Schau- spiet. Da war ein großes, dreistöckiges Gerüst errichtet, aus dicken Balken, die mit pechgetränktem Stroh umwunden waren. Daran kettete man 3$ Juden, die durch einen versoffenen Kesselflicker ange­schuldigt worden waren, an einem von ihm begangenen Kirchen- diebstahl teil zu haben, dann wurde der Scheiterhaufen ange- zündet... Die anderen Juden der Mark Brandenburg aber wurden für ewige Zeiten* aus dem Lande verbannt. Das Eigentum der Gerichteten verfiel dem Kurfürsten. Dieewigen Zeiten* dauerten nicht lange. Schon Joachim II. zog die Juden wieder ins Land. Nicht etwa aus religiöser Duldsamkeit: aber die Ausbeulung der Juden war ein zu großartiges Geschäft, und Joachim II. brauchte immer Geld für seine prächtige, oerfchwenderische Hofhaltung. Das Schutzgeld* der Juden betrug 42 000 Taler jährlich! Die Schulden- last des Kurfürsten wuchs um die Wette mst den Steuern, schließlich expropiierte* er einfach seine wohlhabenden Landeskinder. So ließ er im Jahre 1570 bei achtzehn Bürgern von Berlin das gesamte Gold und Silber fortnehmen und zur Münze schleppen. Das aus- führende Organ war L i p p o l d: es war glatter Raub, denn di« Bezahlung stand in gar keinem Verhältnis zum wirklichen Wert des geraubten Gutes. Aber es war ein Raub zugunsten der landes- herrlichen Safle, und er blieb deshalb ungestraft.(Was für ein wunderbares Exempel gab hier der erhabene Zollernfürst! Wenn das Volk endlich einmal die Hälfte solch fürstlicher Skrupellosigkeit aufbringen würde!) Aber das haben wir freilich auf der Schule nicht gelernt... Do war derMünzjude* der Sündenbock, und es ge- fchah ihm nur Recht, wenn der erhabene Nachfolger Joachims II. ihm den Prozeß machte. 1573 wurde er. nachdem man ihm auf der Foller die wahnsinnigsten Geständnisse über seine Zaubereien, über den Mißbrauch seiner Stellung zu Betrug und Unterschlagung, über seine angebliche Schuld am Tode Joachims II. erpreßt Halle, auf dem neuen Markt gerädert... Sein Vermögen zog Johann Georg «in. Nur 1000 Taler ließ er der Witwe und ihren neun Kindern(allein für 11 000 Taler Gold- und Silbergerät Halle man bei der Haussuchungenteignet*). Die Ungerechtigkeit des Prozesies, bei dem nicht eine Zeugenaussage, nur die erfoltertenGeständ­nisse* gegen Lippoll sprachen, war so schreiend, daß selbst der Kaiser Maximilian zugunsten der Witwe ein Fürwort einlegte. Vergebens... Joachim II. hatte ja über 214 Millionen Taler Schulden hinterlasjen. Da. mußte man ebenexpropriieren*. Und wieder wurden di« Juden aus der Mark verjagt. Johann Georg aber wirtschaftet« bald nicht minder verschwenderisch als sein Vater. Allein sein.Hosbaumeister erhielt neben vollem Deputat(auch s Kleidunz) für 8 Personen und 8 Pferde 22 000 Taler Gehest und' «inEhrengeschenk* von 30 000 Talern, zahlbar in 10 Jahresraten, j Da sollte»Goldmacher* Helsen, und sie halfen auch.,,«eitere I

IIII.

Summen durchzubringen. Im Schloß saß Leonhard Thurmeister und suchte den Stein der Weisen: das kostete an Geholl allein über 1300 Taler jährlich, und ein Taler Halle damals wohl eine Kauf- kraft, wie heut« 20 Mark. Erst unter Friedrich Wilhelm , dem großen Kurfürsten*, wurden die Judsn wieder zugelassen. Wieder war es das alte Spiel. Sie waren eben eine gute Einnahmequelle, schutzloseSchutzbürger*, und wurden von ihm wie von seinen Nachfolgern in gleicher Weise gebrandschatzt, willkürlich mit hohen Strafen und stets gesteigerten Schutzgeldern belegt. Eine Methode. die immerhin den Vorzug der Originalität Halle , wandte Friedrich Wilhelm I. an. Er ließ die auf den Hofjagden erbeuteten Wild- schweine den Juden, die damals im großen Jüdenhof(hinter dem heutigen Rathause) wohnen mußten, so lange in die Häuser legen, bis die Hausoorstände das unreine Wildbret kauften. Dann mußten sie es an die Armenhäuser schenken. Ein Wildschwein kostete 4 bis 6 Taler, und 3500 wurden bei den Saujagden im Winter erlegt: so war das eine ganz ergiebige Einnahmequelle! Unter Friedrich II. wurden die Juden gezwungen, bei jeder Hochzeit große Mengen Porzellan aus der Königlichen Porzellanmarmfakrur zu beziehen. * Gerade durch dieses, leicht durch die Jahrhunderte zu verfolgende Beispiel hoben wir«in klares Bild darüber, wie da» Hohen- zollernvermägen entstand. Als armer Schlüter zog der Burggraf von Nürnberg ins Land. Und seine Nachfolger erpreßten von ihren Unter- tanen, ob Juden oder Christen, Millionen, die jetzt als ihrrechtmäßiges Privatvermögen* be- zeichnet werden. Unter jedem Fürsten wuchs die Schuldenlast des Staates, wuchs die Last der Abgaben und wuchs dasPrivat- oermögen* der Fürsten an Geld und Ländereien. Und jetzt will Wilhelm der Ausgerissene all die von seinen Vorfahren vom Volke erpreßten Summen nochmals erpresien wenn das Voll ihm nicht einen Strich durch die Rechnung macht!

Schulspeisung unö Jürsteaabfinöuug. Nach den neuesten Schätzungen beträgt die Generalrechnung, die die früheren deutschen Fürsten dem hungernden deutschen Volk mit seinen Millionen von Erwerbslosen, Invaliden, Kriegerhinterbliebe- nen, Sozialrentnern und Zkleinr entnern präsentieren, 2550 000 000 Mark. Wie ungeheuerlich diese Zumutung ist, sei an einem Beispiel veranschaulicht. Es ist eine aste Forderung, daß alle Schüler und Schülerinnen Schulspeisung erhalten. Denn schlecht genährte und hungernde Kinder können dem Unterricht nicht aufmerksam folgen. Nur aus finanziellen Gründen ist die vollkommene Durchführung dieser Forderung bisher nicht möglich gewesen. Wieviel würde das Früh- stück aller Schulkinder im Jahre kosten? In Bertin sind für je eine Portion 13 bis 14 Pf. in den Etat eingestellt worden. In kleineren Orten und auf dem Lande würde das Frühstück aber billiger sein; man kann es auf 12,5 Pf. veranschlagen. Dafür kann man einem Kinde Brot mit Milch, Kakao, weihen Käse oder Schmalz darreichen. Da ein Kind etwa 240 Schultage hat, so würde die Schulspeisung für jedes Kind 240x12,5 Pf.= 30 M. kosten. Noch dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich(Jahrgang 1024/25) belief sich die Zahl der Schüler und Schülerinnen in Deutschland : 1. In den Volksschulen auf...... S 894 480 2. In den Mittelschulen auf..... 820 844 8. In den höheren Schulen auf...> 751 422 0 975 272 Muttipliziert man diese Zahl mst 30, so erhäst man die Summe, die jährlich für die Speisung der Schulkinder erforderlich ist, nämlich 203 258 160 M. 2 550 000 000 M- würden bei einem Zinsfuß von 10 bis 12 Proz. 255 bis 306 Millionen Mark Zinsen im Jahre bringen. Die Schätze, das Geld und die Besitzungen, die die deutschen Fürsten aus dem deutschen Volke herauspressen wollen, würden also ausreichen, um dauernd die Schulspeisung aller Schüler und Schule- rinnen der Volksschulen, der Mittelschulen und der höheren Schulen zu ermöglichen. Jeder Einsichtige, insbesondere die Väter und Mütter, die selbst Kinder aus der Schule haben, ist zu fragen, ob sie es vorziehen, den früheren deutschen Fürsten und ihren Angehörigen, also weniger als hundert Personen, die 214 Milliarden zu bewilligen oder unsere 10 Millionen Söhne und Töchter, von denen wir einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg erwarten, so zu ernähren, daß sie auf der Schule alle dem Unterricht folgen und mit den für da, Leben notwendigen Kenntnissen ausgerüstet werden können? Man hat die Zeit nach dem Wellkriege so oft mit der Zell nach den Freiheitskriegen verglichen. Trotz mancher Aehnlichkeiten besteht ein Unterschied. Damals scheiterte die Hoffnung des deutschen Volkes auf ein einheitliches Deutschland und aus eine freiheilliche Dersasiung an dem Willen der deutschen Fürsten . Jetzt sind diese kein Hindernis für«ine staatliche Neuordnung gewesen. Dafür darf sich das deutsche Volk den Weg zum wirtschaftlichen Wiederausstieg nicht durch seine unersättlichen früheren Gebiet« versperren lassen. Daher muß das deutsche Volk die- Fürsten bei dem Volksentscheid als seinen inneren Feind betrachten und in dem Wahlkampfe die Verse beherzigen, die der Dichter Schenkendorf nach den Freiheitskriegen dem deutschen Volk zurief: Aber einmal müßt ihr ringen, Noch in ernster Geisterschlacht Und den letzten Feind bezwingen, Der im Innern drohend wacht!

Dann, nach langen, schweren Kämpfen, Kannst du ruhe», deutsche Brust!