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Abendausgabe

Nr. 128 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 64

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernfprecher: Dönhoff 292-29% Tel- Horeffe: Sozialdemokrat Berlin  

10 Pfennig

Mittwoch

17. März 1926

Vorwärts=

Berliner   Dolksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68. Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29%

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Schluß in Genf  !

Die Sigung der Vollversammlung.- Chamberlain klagt Brasilien   an. Briand   bezeugt Deutschlands   guten Willen.

V. Sch. Genf  , 17. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Plenarsizung des Bölferbundes, in der Deutschland   heute als Bundesmitglied aufgenommen werden sollte, hat ohne Deutsch­ land   getagt. Dennoch war es einer der stärksten moralischen Er folge, die Deutschland   seit Kriegsende in der Welt errungen hat. Die für die deutsche Delegation reservierten Stühle blieben leer. Mehrere der versammelten Staatsmänner gaben im Laufe dieser Sigung durch ihre Rundgebungen immer wieder zu verstehen, daß sie diese Tatsache schmerzlich bedauern und daß nur höhere Gewalt sie daran hinderte, die deutschen   De­legierten schon heute herzlich willkommen zu heißen. Der Völkerbund hat gleich nach dem schweren Schlag, den eine einzige Macht ihm versezt hat, seine Lebensfähigkeit und seinen Lebenswillen mit einer Deutlichkeit bewiesen, die eine spon­tane Reaktion gegen die bewußte und unbewußte Zerstörung des Großgedankens der internationalen Böltersolidarität war. Der Tag hatte seine zwei Helden: einen traurigen und einen gefeierten. Der traurige held ist Mello Franco, Der gefeierte Aristide Briand  .

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Der Brasilianer erhielt das Wort. Als ihn Chamberlain fragte, ob er selbst im Namen der Aufnahmekommission das mit eisiger Rühle ersuchte, das Wort zu ergreifen, und ihn Scheitern der Berhandlunen begründen fönne, ging eine Bewegung der Neugier und Ironte, aber auch des Efels durch den Gaal. Mello Francos mit fanatischer Leidenschaft vor­gelesene Erklärung brachte nichts Neues. Seine Alligatoren­fränen über die Bertagung des Eintritts Deutschlands   ver stärkten nur diesen ersten Eindruck. Schwacher Beifall auf zwei oder drei Bänken und ein noch nie dagewesener Bor gang in der Geschichte des Bölkerbundes ein andauern Des 3ischen war die Antwort der Versammelten auf dieses Dokument menschlicher Dummheit und Eitelkeit. Dann aber begann die große Abrechnung: zunächst Chamberlain. hochmütig und scharf gegen den Brasilianer, nur am Schluß etwas wärmer und menschlicher, als er unter tofendem Beifall der Versammlung Unden und Benesch für ihre vergeb­liche Opferwilligkeit dankte und als er die Hoffnung der Groß­mächte auf eine baldige Ueberwindung des bedauerlichen Zwischenfalles aussprach.

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Dann aber kam Briand  , von lebhaftem Beifall be­grüßt, auch er zunächst herablassend verächtlich gegen den Brasilianer gewandt, dann aber steigerte sich seine Rede zu wahrer Größe, als er von Deutschland   sprach. Eine starte Bewegung ging durch den Saal, als er es für seine Pflicht als Franzose bezeichnete, in dieser Stunde der deutschen   De­legation dafür zu danken, daß sie mit unvergleichlicher Ruhe und Edelmut die Tatsache des Mißerfolges der Aufnahmever handlungen zur Kenntnis genommen und selbst die Initiative dazu ergriffen habe, sofort der Welt gemeinsam mit den übrigen Locarno  - Mächten zu verkünden, daß die Politik der Versöhnung, daß das Wert von Locarno   unverändert aufrecht

erhalten bleibe.

Briands völlig improvifierte Rede war so meisterhaft geformt, so menschlich empfunden, so warmherzig vorgetragen, daß die ganze Bersammlung zu einer lang andau ernden Ovation hingerissen wurde, an der sich sogar deutschnationale Pressevertreter beteiligten. Diese Rede hat drei Biertel des Schadens, der gestern angerichtet worden war, wieder gut gemacht.

Stürmischer Beifall begrüßte den Bertreter Schme­bens. Genosse Undén, der infolge einer Erfranfung selbst zu sprechen verhindert war, ließ seine Erklärung durch den zweiten Delegierten Schwedens   vorlesen, in der er rücksichtslos die Privatinteressen" geißelte, die nichts mit der Aufnahme Deutschlands   zu tun gehabt hätten und sie dennoch verhindert hätten.

Alle folgenden Ansprachen waren gleichfalls Anflage. reden gegen Brasilien  , auch die Erklärung, die der Bertreter Paraguays   im Namen der übrigen füdameri fanischen Staaten abgab. Bon ganz besonderer Schärfe war der Schweizer   Motta, der den Zorn der gesamten Bollver­fammlung gegen die Urheber der Verzögerung zum Ausdruc brachte und die Worte Briands über Deutschland   unterstrich. Das war der Inhalt und der Sinn aller übrigen Reden, des Holländers Laudon, des Norwegers Nansen, des Dänen 3ahle; sie alle gaben ihrer Empörung einen so deutlichen Ausdrud, wie man im Bölferbund noch nicht gegen ein anderes Bundesmitglied vernommen hat.

Und als gegen 1 Uhr mittags nach dem Schlußwort des Präsidenten da Costa die erste außerordentliche Sigung des Bölkerbundes geschlossen wurde, da war allen flar, daß troz ihres negativen Ergebnisses die bedauerlichen Ereignisse der letzten Tage für die Genfer   Institution, für den Bölkerbund doch mur eine warnende Krise gewesen sind, aus denen er ge­Läutert und gestärkt hervorgehen wird,

Genf  . 18. März.( Eigener Drahtbericht.) Im Reformationsjaal ftehen die Delegierten von 10 Uhr an in lebhaft diskutierenden Gruppen herum. Besondere Erregung zeigen Vertreter der füd­amerikanischen und der neutralen Staaten.

Kurz nach 10,30 Uhr erscheint der Präsident Cost a( Portugal  ) auf seinem Plak, und die Mitglieder des Rates betreten einer nach dem anderen den Saal. Zuerst Undén, dann Briand  , dann Chamberlain. Cangjam nehmen sie ihre Plähe ein. Der Präsident fordert Chamberlain auf, als Berichterstatter der Aufnahme­tommiffion den Bericht zu erstatten. Chamberlain besteigt die Tribüne und bittet die Vollversammlung, vor feinem Bericht eine Erklärung des brasilianischen Vertreters entgegenzunehmen. nun besteigt Mello Franco

die Tribüne. Bleich und erregt hält er sein Manuskript in der Hand und lieft die wenigen Säge mit außerordentlicher Bewegung furz und abgehackt. Er sagt, daß die Erweiterung des Rates and die Aufnahme Deutschlands   in den Völkerbund nicht nur ein Pro­blem für die europäischen   Staaten sei, die südamerikanischen Staaten feien in gleichem Maße daran interefflert, vor allem Brasilien  . Geist des Börterbundes doch über den oft von Locarna. So hoch er auch den Geist von Locarno   einschätze, so stehe der Brafillen habe das Recht, seinen Standpunkt im Bölkerbund zu ver­

Die letzten Stunden!

Ein glänzendes Ergebnis am Dienstag!

3n Berlin   bringt bei den Eintragungen zum Boltsbegehren jeder Tag neue Ueberraschungen. Für Dienstag durfte man erwarten, daß die Zahl der Eintragungen gegenüber dem Montag beträchtlich zurückbleiben würde. Der Dienstag hat ein geringeres Tagesergebnis gebracht, aber das Dienstagsergebnis bleibt nur ganz wenig hinter dem Montagsergebnis zurüd. Gebucht wurden am Montag 185 777 Eintragungen, am Dienstag immer noch 173 748 Eintragungen, und in den dreizehn Tagen vom 4. März bis zum 16. März nun bereits

JH

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Eintragungen. Die Schar derjenigen, die bereit sind, sich dem Bolls begehren anzuschließen, ist offenbar noch lange nicht bis auf den lehten Mann und die lehte Frau herangeholt. Bel eifriger Werbearbeit dürfen wir erwarten, daß am heutigen mittwoch, dem lehten Tag der Eintragungen, die Gesamt­zahl die anderthalb Million überschreitet.

Mello

treten. Die Inftruktionen, die er von seiner Regierung erhalten habe, feien uuwiderruflich und änderten nichts an dem Standpunkt, den Brasilien   bisher eingenommen habe. Franco verwies auf die vor einem Jahre erteilte Antwort an Deutschland  , in der die Zustimmung seiner Regierung zur Er­teilung eines fländigen Ratssiges nur im Prinzip ausgesprochen worden sei. Der leitende Gedanke der brasilianischen Regierung sei dabei gewesen, daß der Völkerbundsrat allgemein reorgani­fiert werden müsse, und zwar nicht nur im europäischen, sondern auch im Intereffe feiner anderen Mitgliedsstaaten. Das sei eine Grundbedingung zur Berwirklichung des Bölferbundsgeistes und des Geistes von Locarno  . Die amerikanischen   Staaten, insbesondere aber Brasilien  , das die Jdee der Schiedsgerichtsbarkeit in feiner Berfassung bereits verankert habe, würden auf dem bessere und größere Bertretung im Völkerbunds­bisherigen Wege unbeirrt weiterarbeiten. Sie müßten aber eine rat verlangen. Er bedauerte dann, daß durch die gegebenen Um­stände der Eintritt Deutschlands   in den Völkerbund verzögert wird und erklärte zum Schluß, jein Belo gegen eine Veränderung des Rats im gegenwärtigen Augenblid und in der geplanten Weise sei unwiderruflich und endgültig

Form zurückhaltender, aber von sichtbarer innerer Bewegung ge­Auf diese Ausführungen Mello Francos folgt mit einer in der tragenen Erklärung Chamberlain,

der nicht vom Manuskript ablieft, sondern frei spricht. Der englische  Außenminister stellt fest, daß der Aufnahmeausschuß auf alle Fragen über den deutschen   Aufnahmeantrag bejahende Antworten abgegeben und die Annahme des deutschen   Aufnahmeantrags einstimmig emp­fohlen hat. Deutschland   habe von Anfang an eine natürliche Erlangung eines ständigen Ratssihes, der ihm mit Rücksicht auf seine und vernünftige Bedingung an seinen Eintritt geknüpft, die große Bedeutung in der Welt unbedingt zufomme. Er, Chamberlain, empfinde es als eine Pflicht der Loyalität gegenüber Deutschland  , zu erklären, daß die bedauerlichen Mißverständnisse und Schwierigkeiten, die sich seit dem Eintreffen beider Teile in Genf  auf beiden Seiten gezeigt hätten, durch das Zusammenwirken aller Beteiligten aus dem Wege geräumt worden feien. Hier wurde Chamberlain von lebhaftem Beifall unterbrochen, der sich zu einem Sturm steigerte, als er den Edelmut zweier Ratsmitglieder, Schwe­ dens   und der Tschechoslowakei  , pries, die durch ihr Opfer die Be­feitigung aller Schwierigkeiten ermöglicht und eine a fast rophe abgewendet hätten, die uns alle betraf". Er spreche für England und fämtliche Dominions, wenn er mit Befriedigung feststelle, daß

das Werk von Locarno   dadurch gerettet worden sei und die Gefahr vermieden wurde, daß Europa   von neuem Berlin   Sozialdemokraten, kommunisten, unab- kommission, sondern im Namen Großbritanniens   müsse er aber zu­Bei der Reichstagswahl am 7. Dezember 1924 erhielten in in zwei Lager gespalten werde. Nicht nur als Berichterstatter der hängige, Demokraten und 3entrum zusammen 1 426 995 gleich feine bittere Enttäuschung aussprechen, daß troh Stimmen. Diese Zahl wurde schon gestern durch die Zahl der Ein- dieser Uebereinstimmung aus den Gründen, die in der Versammlung joeben verlesen wurden, die Aufnahme Deutschlands   jeht nicht voll­tragungen um 24 214 überschriften! ( Die Ergebnisse aus den Verwaltungsbezirken siehe 2. Seite.) 30gen werden könne. Er schloß mit dem Ausdruck der festen Ueber­zeugung, daß die Bertagung zur Sicherstellung des deutschen  Stand des Volksbegehrens in Berlin  . Eintritts in den Völkerbund bei der nächsten Session dienen werde. Die Erklärungen Chamberlains machten sichtlich tiefen Eindruc auf die Versammlung, die seine Ausführungen mit lebhaftem Beifall unterstrich. Briand  , Dandurand( Kanada  ) und andere Delegierte tauschten mit Chamberlain einen Händedrud. Nach der Uebersehung der Erklärungen Chamberlains bestieg

1 500 000 1 450 000

900 000.

16. März: 174 000

1 400 000

1 350 000

1 300 000

1 250 000

15. März: 185 000

1 200 000

1 150 000

1 100 000

1 050 000

14. März: 217000

1 000 000 950 000

13. März: 80000

12. März 69 000

850 000 800 000

750 000

11. März: 92 000

700 000

650 000

10. März: 74000

600 000

9. März: 122 000

550 000 500 000

450 000

400 000

8. März: 180 000

350 000

300 000

250 000

7. März: 165 000

200 000

6. März: 56 000

150 000 100 000

5. März 50 000

4. März: 36 000

50 000 0

Nur noch bis 8 Uhr dauert die Ein­tragungsfrist! Mahnt die Säumigen!

Briand  ,

von starkem Beifall der Versammlung begrüßt, die Redneriribüne und erklärte zunächst, daß er sich den Ausführungen des englischen Außenministers durchaus anschließe; auch er sprach Schweden   und der Tschechoslowakei   den Dank für ihre großmütige Haltung aus.

Briand   erklärt gleichfalls, daß Deutschland   Mitglied des Bölker­bundes werden müsse. Bedauern und Hoffnung beherrscht die Bersammlung zurzeit. Als man nach Genf   tam, so führte Briand   aus, gab es Schwierigkeiten im Rat, gab es auch Schwie. rigkeiten zwischen Deutschland   und Frankreich  , die durch Mißver­ständnisse noch vertieft wurden. In Genf   ist im Geiste der Ber­ftändigung gearbeitet worden. Die Schwierigkeiten vermin­Es derten sich von Tag zu Tag, verschwanden schließlich völlig. wurde eine Uebereinstimmung erzielt, nach der das Werk von Co­carno durch die Aufnahme Deutschlands   gekrönt werden sollte. Doch war dies nicht ohne Opfer der Herren Undén und Benesch möglich, denen hohe Ehre gezollt fein foll für die großen Dienste, die sie dem Völkerbund geleistet haben. Der Dant aller Völker ist. ihnen sicher.( Cebhafter Beifall.) Die Lösung schien gefunden, leider war das ein Irrtum. Heute stehen wir vor der Unmöglich­teit, Deutschland   in den Bölkerbund aufzunehmen. Aber ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben,

das Friedens- und Verständigungswert ist nicht zerstörf. Ich bin aus tiefstem Herzen überzeugt, daß wir aus dieser delikaten Situation ohne Nachteil für unser gemeinsames Friedenswert her. vorgehen werden. Uus darf nicht ein Geist der katastrophe be­