Sonntag
28. März 1926
Unterhaltung und Wissen
Hammer und Wort.
Wilhelm Liebknecht , dem Solbeten bez Revolution. ( 3n seinem 100. Geburtstage.)
Hört ihr die Hammerschläge nicht? Sie hallen dumpf von Wittenberg her. Dort hält ein junger Mönch Gericht, und eine Donnerstimme spricht:
Dem reinen Wort allein die Ehr!" Hart auf permorschte Pforten jaust des Urahus, Martin Luthers Fauft .
Hört ihr nicht, wie der Märssturm schreit? Gewaltig weht er von Westen ins Land und streut den Samen neuer Zeit aus seiner frühlingspendenden Hand hinein ins harrende Land.
Die Reime schwellen und treiben zuhauf.
Die Saat geht auf.
Erwedter im März, wir grüßen den Tag, der dich ans menschliche Licht gebracht, Wir hören des Ahnherrn Hammerschlag und des Märzfturms nächtlich brausende Macht. Ein Sohn der Sonne bist du geboren,
dem ewigen März der Menschheit verschworen. Ein Stürmer wie er, ein Treiber und Dränger, ein Werber der Herzen, ein gläubiger Sänger der Zukunft und ihrer neuen Erde,
drin Mensch dem Menschen ein Bruder werde. Was war dein Leben? Ein Zeugnis davon! Soldat der Revolution!
Du bist durch die grauen Quartiere gegangen
und streutest das Wort geduldig aus.
Dir gaben sich ihre Seelen gefangen.
Sie riffen sich aus dem Brüten und Bangen
Und strebten über sich selbst hinaus.
Und hat es dazwischen gestürmt und genachtet, so drang stets zu unfrer Väter Ohr Dein Ruf und der tröstlich perheißende Chor: Wohlan, wer Recht und Freiheit achtet... Seut neigen sich Seere der Freiheit, bes Rechtes por deinem Bilde und schwören es laut:
So wie du am Dom eines neuen Geschlechtes durch sieben Jahrzehnte geschafft und gebant: Wir wollen das Werf pollenden und frönen in uns und in unseren Söhnen."
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Wissen ist Macht- Macht ist Wissen.
heiten Liebfnechts. 3um Streit mit meinem russischen Freund hatte Liebknechts damalige Boreingenommenheit gegen solche Ruffen geführt, in denen er Parteigänger oder Schüler des von ihm als zweideutigen Politiker befehdeten Michael Batunin vermutete. Was fein Verhalten in bezug auf Eugen Dühring anbetrifft, fo verbroß es mich, daß er zu jener Zeit im Parteiorgan bie Aufnahme jedes Artikels verweigerte, in dem Dühring Aner fennung gezollt wurde, zugleich aber es an jeder Kritik Dührings fehlen ließ. Er begründete das mir gegenüber einmal damit, daß
Wir hören den Hammer. Wir lauschen dem März, es ihm widerstrebe, den blinden Gelehrten anzugreifen, und er darum Erweite wir einer neuen Welt.
Dein Erbe bindet uns Herz in Herz, und Bruder den Bruder an Händen hält. Du lebst in uns. Uns beflügelt dein Ton, Soldat der Revolution!
Rarl Bröger
Das Bild Wilhelm Liebknechts als Vorfämpfer und Lehrer der Sozialdemokratie steht so fest in beren Geschichte, fein Lehrer der Sozialdemokratie steht so jest in deren Geschichte, fein Besen und sein politisches Wirten find in ihren wesentlichen Zügen von Leuten, die ihm persönlich nahe ftanden, wie in den Berfen von Geschichtsschreibern der Arbeiterbemegung so oft geschildert worden, daß es nicht leicht hält, fie durch Beiträge zu ergänzen, die auf allgemeines Interesse rechnen dürfen, Indes will ich mich der Aufforderung nicht miderfeßen, aus Anlaß des hundertsten Jahrestages der Geburt dieses um die Sache des Sozialismus fo verdienten Streiters einiges von meinen Erinnerungen an ihn zum Beften zu geben.
Ich war durch das Lefen pon Liebknechts Agitationsfóriften und seiner mutigen Reben im Leipziger 5pperrets prozeß schon sein Berehrer, als ich ihm im Sommer 1873 zum erstenmal persönlich begegnete. Es geschah bas bei Gelegenheit eines Besuches, den ich damals August Bebel in Subertusburg macht, wo er mit Liebknecht die ihnen beiben im Leipziger Hoch Derratsprozeß aufbittierten amei Jahre Festungshaft ablaß. Bebel, deffen Bekanntschaft ich schon in Berlin gemacht hatte, brachte Lieb. fnecht mit in das Besuchszimmer, wo ich ihn sprechen durfte, und stellte mich diesem por. Das war mir eine große Freude, doch fam es in Anwesenheit des überwachenden Gefängnisbeamten zu feinem tiefer in die Barteifragen eindringenden Meinungsaustausch. Als ich dann zwei Jahre später August Bebel , der gerade feine Haft auf dem Königstein beendet hatte, auf der Fahrt von Dresden , mo ich Tags vorher einen Bortrag gehalten hatte, nach Leipzig be. gleitete, benußte ich diese Gelegenheit, dort Liebknecht in feiner Bohnung aufzusuchen.
Ich fand ihn inmitten feiner Familie im Begriff, mit feiner Frau und ältesten Tochter einen Spaziergang anzutreten. Er lub mich ein, an ihm teilzunehmen, was ich natürlich sehr gern lat. Uber auch da tam es zu feiner nennenswerten Unterhaltung zwischen uns, denn er hatte seine Frau em Arm, und ich fah mich infolge: deffen peranlaßt, seiner Tochter den meinen anzubieten, so daß unser Gespräch nicht sehr über den Austausch pon Beg und Better behandelnden Bemertungen hinausging.
Aber unsere Bekanntschaft war erneuert, und wenn Liebknecht in der Folgezeit nach Berlin fam, perlehrten wir zumeist wie Ber fannie. Es wäre daher wahrscheinlich fchon damals zu einer freund fchaftlichen Intimität zwifchen ihm und mir gelommen, wenn nicht zwei fich entwickelnde Differenzen dies perhindert hätten. Die eine war ein Konflitt Liebknechts mit einem mir als Freund fehr nahe ſtehenden russischen Sozialisten, ble andere Liebknechts Berhalten mit Bezug auf Eugen Dühring.
fieber schweige. Aber so sehr das zu meinem Gemüt sprach, so
erledigte es doch die Sache nicht, war auch nicht der alleinige Grund. Entscheidend tam hinzu, daß gewisse Fragen der Theorie Liebknechts Denten fern lagen. Er hatte fich ursprünge lich, als Jüngling, an den radikalen Franzosen gebildet, und die Rückwirkung der dadurch empfangenen Gedankenwelt, deren Bor: züge durchaus nicht perkannt werden dürfen, läßt sich durch sein ganzes schriftstellerisches und rhetorisches Wirken verfolgen.
Man muß auch nicht meinen, daß es Liebknecht an tieferem Einblick in die Probleme der Politik gefehlt habe. In dem Briefwechsel zwischen Karl Marg und Friedrich Engels wird fast immer abfällig von ihm gesprochen. Aber da handelt es sich nur um seine aftit, nicht um fein Urteit. Die Altmeister des wiffenfchaft. lichen Sozialismus waren nie im Zweifel, und Friedrich Engels hat es mir wiederholt als feine feste Ueberzeugung erklärt, daß man mit Sicherheit barauf rechnen tönne, bei großen Entscheidune gen Liebknecht stets auf der richtigen Seite zu finden.
Das erinnerte mich an einen Borgang aus den legten Jahren vor Berhängung des Ausnahmegefeßes über die Sozialdemokratie in Deutschland . Ich hatte Liebknecht peranlaßt, mit mir die Sigung eines Vereins für Freihei der Schule zu besuchen, in der Dühring einen Bortrag halten sollte. Dieser Berein bestand zum größten Teil aus lintsgerichteten bürgerlichen Intellektuellen und hatte zum Borsitzenden einen Dr. Schläger, der längere Zeit in den Bereinigten Staaten von Amerika gelebt hatte und deren Einrichtungen nicht genug preisen fonnte. Dührings Bortrag ist mir nicht mehr im Ges dächtnis, ich erinnere mich hinsichtlich seiner nur, daß er mir ein manbfrei, aber auch ziemlich matt zu sein schien. Um so ungemessener machte fich in der Diskussion die radikale Phrase laut. Lieb fnecht beteiligte fich nicht an ihr, auf dem Nachhauseweg aber fagte er zu mir:„ Diefe Leute wiffen felbst nicht, was sie wollen. Gegenüber der Boltsschule, die wir im größten Teile Deutschlands haben würden, wenn ihre Freiheit der Schule" per wirklicht wäre, ist selbst die Faltsche Boltsschule*) noch ein fortpirtlicht wäre, ist selbst die Faltsche Volksschule*) noch ein fort schrittliches Kulturideal." Um das zu perstehen, muß man in Betracht ziehen, in wie hohem Grade bamals in Deutschland noch das platte Lanb und die von ihm beherrschte kleinstadt die Mittel- und Großstadt überwogen. Auch bei anderen Gelegenheiten hat Wilhelm Liebknecht bewiesen, daß er bei aller revolutionären Gefinnung der radikalen Phrase zu jeder Zeit geistig frei gegenüber. stand.
Unter dem Sp3ialistengefeß wurde er, wie man weiß, einer der Redakteure des Züricher und später Londoner Sozial: demokrat". Das brachte mich pon neuem mit ihn in engere Verbindung, als ich beim Jahreswechsel 1880/81 Züricher Redakteur biefes Blattes wurde. Er faß, als ich mein Amt antzat, gerade im Gefängnis, fam aber bald, nachdem er die Sait beendet hatte, nach Zürich zur Erholung, hier ließ er fich die Nummern des Soziei demotrat" geben, die ich mittlerweile redigiert hatte, nahm fie mit auf das Zimmer, das Genosse Metteler für ihn gemietet batte, las
*) Falf war der Unterrichtsminister der Epoche des Bismardfchen Sulturkampfes" gegen ben. fatholischen Klerus, hat als solcher Reformen im Boltsschulwesen eingeführt. Er ist denn auch von manche Fehler begangen, aber doch eine Reihe bedeutungsvoller ber orthobogen Hofpredigerpartet Preußens auf das heftigite be: tampft und in feinem Birten gelähmt worden, bis er, als Bismard Beide Konflikte wurzelten in charatteristischen Eigenben Kulturtampf aufgab, von seinem Amt zurüdtrat.
Bellage des Vorwärts
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sie durch und erklärte mir dann, als er heruntertam, sein polles Einverständnis mit dem Geist, in dem ich das Blatt gehalten, und zu einem ernsthaften Konflikt zwischen uns ist es denn auch die ganze Zeit unserer gemeinsamen Arbeit an ein und demselben Blatt nicht gefommen.
Er blieb damals gut pier Wochen in Zürich , was mir reiche Gelegenheit gab, ihn in seinen Anlagen und Neigungen fennenzulernen und ihn mit August Bebel zu pergleichen, der bis zu einem gewiffen Grabe sein Schüler war. Bebel hat sich auch trop mancher gelegentlicher fachlicher Differenzen mit ihm lange als folcher gefühlt und benommen. Es gab aber sehr bedeutsame Unter
schiede in ihrem Wesen und geistigen Disposition,
Ich glaube fie dahin fennzeichnen zu sollen: Bebels hervor ragende geistige Eigenschaft war ein unablässiges Streben nach der Substanz der zu behandelnden Fragen und ein fonsequentes Folgern auf Grund des Gefundenen. Das prägte sich sehr vorteilhaft in seinen Reben und Vorträgen aus, machte, daß man faum je von ihnen ohne pofitiven Gewinn in bezug auf diese Fragen nach Hause ging. Anders Liebknecht. Es wäre natürlich abgefchmadt zu sagen, daß ihm die Substanz gleichgültig gewesen jei. Aber wer ihn pft gehört hat, dem fonnte es nicht entgehen, baß er leicht ber Gefahr erlag, über bie Beschäftigung mit ihn fesselnden Ideen die Substans als etwas untergeordnetes, wer nicht Gleichgültiges zu behandeln. Er hat denn auch gar manchmal mich und auch in Betracht kommende andere Gesichtspunkt schwer enttäuscht. Aber er hat auch ebenso oft uns durch den Reichtum an furchtbaren Ideen, über den er gebot, und die packende Art ihrer Entwicklung zu wahrer Begeisterung hingeriffen. Um es braftisch auszudrücken: er konnte den einen Tag uns leer ausgehen lassen, wie es Bebel nie getan, und den anderen Tag eine geistige Höhe offenbaren, bie Bebel nie erreicht hat.
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unter diesem
Wenn Liebknecht im Berlauf einer Diskussion das Wort nahm, war er manchmal ganz besonders großartig. Dann war es, als strömten ihm die packenbften Gedanken in einer Fülle zu, daß er fie gewissermaßen nur aus dem Nermel zu schütteln brauchte. In Birtlichkeit verriet sich dann der große Umfangfeines Biffens und seine gewaltige Gabe rascher Berarbeitung des ihm verschwebenden Stoffes. Dant diefer zwei Faktoren war er ein Schnellarbeiter erften Ranges. Als während seines geschilderten Befuches Anfang August 1881 ich ihn fragte, ob er mir für den Gedenktag des Sturmes auf die Tuilerien einen geeigneten Artikel schreiben fönne, fagte er mir ohne weiteres zu, ging auf fein Zimmer, das keinerlei Buch zum Nachschlagen enthielt, und brachte mir in einer Stunde den fertigen, nahezu die ganze erste Seite des Sozialdemokrat" füllenden und überaus lebendig gehaltenen Artikel. Nun war allerdings bie große franzöfifche Revolution ein Lieblingsthema Liebknechts und der Sturm auf die Tuilerien einer der bedeutungsvollsten Borgänge biefer Erhebung, aber wer den Artikel nachlieft, wird sich fagen müssen, daß eine ganz außergewöhnliche Beherrschung des Etoffes und eine ganz feltene schriftstellerische Begabung dazu netwendig waren, baß ein so hinreißenbes Schriftwert in so furger Beit gefchrieben werben fonnte.
linb dieser Artikel war feine Ausnahme in Liebknechts schriftftellerischem Schaffen. Inzählige seiner Artifel find in gleich furzer Beit entstanden und siele davon unter sehr viel ungünftigeren Umständen. Im vorliegenden alle mar er menigstens beim Schreiben allein gewesen. Aber sehr oft bat er Artikel abgefaßt, während um ihn herum Leute lärmten oder Freunde fid) laut unterhielten. Als Friedrich Engels einmal zu mir von journalistischen Berstößen Liebfnechts sprach, unterbrach er sich plötzlich mit ben Worten: Aller dings, wie arbeitet denn auch Liebknecht!" und erzählte mir, wie Liebknecht, als er aus Anlaß von Marr' Tobe nach London ge=' fommen war, mitten im von disputierenden nahen persönlichen und politischen Freunden gefüllten Zimmer sich hingefeßt habe, einen Artifel zu schreiben. Wir wissen auch, daß Liebknecht jogar Artifel perfaßt hat, während er Bersammlungen leitete. Die Fähigkeit, bas zu leiften, war aber feineswegs nur technischer Natur, fie par