Sonntag 28. März 1926
Aus der Film- Welt
Die Filme der Woche.
, Geheinmnisse einer Seele."
( Gloria- Palast.)
Der Film ist zum Mädchen für alles geworden. Nicht nur, daß er für alle möglichen Zwecke Retiame machen muß, er dient auch zur Beranschaulichung von Problemen, die in Wort- oder Buchform schmer faßbar sind und durch die bildliche Darstellung an Klarheit und Ueberzeugungsfraft gewinnen. Als die Einstein- Theorie die große Mode war, gab es natürlich einen Einstein- Film. Mit mehr Recht und besserem Erfolg hat man jezt die Psycho- Analyse filmisch zu gestalten versucht. Seit Jahren ist die Psycho- Analyse das Gesprächsthema von Berlin B., alle Belt hat dort Komplege, die Badfische sprechen bereits von Abreagieren" und die von Prof. Freud in Wien eingeführte erotische Traumdeutung hat ungezählte Anhänger. Grund genug, um dieses schwierige Thema auch im Film zu erschließen. Freilich wurde nur in dem einleitenden Dialog vergeblich versucht, das gesamte Problem der Freudschen Seelenforschung" zu umreißen. Der Film selber begnügt sich damit, ein Beispiel aus der Praxis zu geben und zu eigen, wie mit dieser Methode bestimmte geistige Krankheiten, seelische Bermundungen( Trauma) geheilt werden können. Es wäre in der Tat abmegig, die ganze Freudsche Traumpfychologie mit ihren Ausblicken auf die Entmidlungsgeschichte des menschlichen Geschlechts wie des Individuums im Film behandeln oder die große Bedeutung des Unterbewußtseins mit seinem unergründlichen Schatz der Erinnerungen und aus dem wachen Bewußtsein verdrängten Inhalt, mit seinen Nacht- und Schreckenszeiten filmisch gestalten zu wellen. Zudem fäme man dann dabei in die Gefahr der Kontroverse, denn die übertriebene Betonung der erotischen Bedeutung von Traumsymbolen ist start bestritten. So aber erleben wir in dem nach einer wirklichen Krankheitsgeschichte aufgebauten Film, den zwei Schüler Freuds , Dr. Abraham und Dr. Sachs, wissen= schaftlich betreuten und Colin Roß und Hans Neumann in Handlung umsetzten, das Entstehen einer seelischen Störung und den Heilungsprozeß durch die Psycho-( Traum-) Analyse. Es wäre sicher spannender gewesen, die Vorgeschichte aus den bewußten und wieder erschlossenen Traumerinnerungen des Patienten rückwärts zu erschließen, aber zweifellos wären die Bor gänge dadurch zu kompliziert geworden. So sind wir Zeugen da con, wie ein junger Ehemann, dessen Ehe Kinder verjagt sind, von Eifersucht auf einen Better erfaßt wird, der eben aus den Tropen zurüdfommt, und unter dem Eindrud eines in der Nachbarschaft geschehenen Mordes von einem müsten Traum heimgesucht wird, in dem er Furchtbares begeht. Dieser Traum ist der Hauptinhalt des Films, und hier zeigt der Film in der Tat seine Ueberlegen heit über das Wort. Er vermag allen Sprunghaftigkeiten des Traumes zu folgen und seine tollsten Bisionen bildlich zu gestalten. Der Träumende fällt durch die Luft, flettert in einer fünstlich vor ihm erstehenden Stadt einen Turm mit Wendeltreppe hinauf, dessen Gloden Frauenföpfe find usw.( Die scheinbaren Absurditäten des Traumes werden im zweiten Teil, in der Traumdeutung, nachher cufgeflärt) 3m wachen Zustand bewahrt der nunmehr Kranke den Niederschlag des Traumes in Angst- und Schreckvorstellungen, die fich bis zu einem Mordgelüfte gegen die geliebte Frau und dann zu einer Angst vor jedem Messer auswirken. Er hat aber das Cüd, einen pinchoanalythisch vorgebildeten Arzt zu finden, der ihm in monatelanger Arbeit den Traum wieder ins Bewußtsein führt. Indem er ihm so die Zusammenhänge seiner seelischen Erkrankung mit dem Traumerlebnis und mit Jugendeindrücken nachweist, gibt er ihm den Willen über sich selbst zurück. Denn Erkenntnis bedeutet hier Heilung. Der Regisseur, Dr. Pabst, hat durch eine markante Besetzung zur lebendigen Beranschaulichung das Menschenmögliche beigetragen. Die Leistung von Werner Krauß mar über alles Lob erhaben. Er zeigte uns die seelischen Nöte und das 3wanghafte der Handlungen in einpräglamster Form, führte uns so zum Miterleben der schweren Erkrankung wie der befreienden Heilung. Auch die kleineren Rollen waren durchgängig gut besetzt. Ruth Bener mar die schöne Frau, Jacques Trevor, der Better, der wohl zur Eifersucht Anlaß geben fonnte, und Pamel Bamloff, der gütige verstehende Arzt, der das neue Mittel der Traumdeutung meisterhaft beherrscht. D.
, Die Nächte einer schönen Frau." ( Capitol.)
Chaplin zeigt in diesem Film, der erst jetzt zu uns fommt, die ganze Ueberlegenheit des Regisseurfilmes. Er baut ohne Manustript feine Szenen, läßt sich vom Geist des Filmes lenten und begnügt sich nicht, mühsam eine Theater: oder Romanhandlung ins Bild zu übersetzen. So ist das Bildliche, das Augenerlebnis, das durchaus Entscheidende. Die Terte vermitteln nur Uebergänge. Chaplin gibt hier scheinbar einen Gesellschaftsfilm mit dem üblichen luguriösen Milieu, mit den gewohnten Ball- und Lebemannsaus schnitten, aber in Wirklichkeit ist es doch etwas anderes. Es geht ein ernster Zug durch den ganzen Film, und hinter der Welt des Scheins wird die Wirklichkeit sichtbar. Leider verschiebt die gänzlich unmotivierte Aenderung des amerikanischen Titels, der wörtlich überfegt Eine Pariserin" heißt, die Aspekten des Filmes. Zudem ist es eine Irreführung der Besucher, die etwas ganz anderes erwarten werden. Der Film sezt ein mit den Vorbereitungen zur Flucht eines jungen Liebespaares in einer trostlosen französischen Provinzstadt. Das junge Mädchen reist allein nach Paris , da ihr Bräutigam durch den plöblichen Tod seines Vaters verhindert wird, sein Wort zu halten. Nach einem Jahr sehen sie sich zufällig in Paris wieder, er ein junger Künstler, der mit seiner braven Mutter in dürftigen Verhältnissen lebt, fie die strahlende und berauschende Geliebte des reichsten Lebemannes von Paris . Sie will eben mit ihrem Liebhaber brechen, weil er sich mit einer reichen Dame verlobt hat, ihr Jugendfreund ist bereit, fie trog ihrer Bergangenheit zu heiraten, aber die Hemmnisse, die von seiner Seite dank der Mutter fommen,
Achtung!
und die Furcht vor dem Kleinbürgerschicksal, das ihrer wartet, werfen dies Projekt über den Haufen. Sie fehrt in die Arme ihres Lieb habers zurück. Der junge Mann sucht sich zu rächen und erschießt fich, als er daran verhindert wird. An seiner Leiche trauern die Mutter und seine Jugendgeliebte, die ihr Leben des Glanzes aufaibt, um nunmehr in sozialer Arbeit einen Inhalt für ihr Leben zu finden. Der Epilog zeigt fie inmitten einer munteren Kinderschar auf dem Lande, der sie mit allen Kräften dient. Symbolische Bedeutung hat der Schluß: Zwei Gefährte begegnen sich auf der Landstraße: ein Automobil, in dem der Liebhaber von einst fizt und auf die Frage seines Begleiters, ob er sich an seine schöne Geliebte erinnere, nur noch mit den Achseln zuckt, und der Leiterwagen, auf dem sie mit der vollen Milchkanne in ihr Dorf zurückkehrt, mit einem Kinde neben sich, dem sie die Mutterstelle vertritt. Die Insassen beider Gefährte sehen sich nicht, sie fennen sich auch nicht mehr. Jedes Leben geht seinen eigenen Gang.. Leider muß die Filmkritit immer noch Inhalte erzählen, selbst bei solchen Filmen wie bei diesem Chaplin, bei dem das Bild alles ist. Es braucht nicht betont zu werden, daß Chaplin über: strömt von Regieeinfällen, daß er prachtvoll fontrastiert: die beiden Liebhaber zur Seite der Frau, die beiden Frauen zur Seite des lebenden und toten Jugendfreundes. Auch in den reinen Milieuschilderungen herrscht ein erlesener Geschmack, als er sonst üblich ist. Die Leckermäuligkeit des reichen Lebemannes ist föstlich persifliert, das inhaltlose Scheinleben der Kurtisane ergöglich geschildert. Für die Darstellung hatte Chaplin den in Amerifa akkreditierten Repräsentanten des französischen Lebemannes Adolphe Menjou herangezogen, der in der Tat in allen Nuancen in dieser Welt sich vortrefflich auskennt. Das Provinzmädchen, das zur großen Kurtijane aufsteigt, war Edna Pourviance. Sie war in beiden D. Rollen vortrefflich und ließ Größe und Adel ahnen.
Familie Schimet." ( Primus- Palast.)
Das Orchester spielt gleich am Anfang Wien , Wien , nur du allein", und um Wien handelt es sich in diesem Film, um das Bien der Operette, der Saisonschlager, um das Wien der goldenen Herzen, der süßen Mädels, um das Wien des Balletts und des Kleinbürgertums. Es ersteht das Wien der Vergangenheit, das seine Deutsch meister, seinen Brater und seine leichte Sentimentalität besaß. Das Kadelburgsche Lustspiel Familie Schimet" wird zum bloßen Bor. murf, den der Bearbeiter Alfred Salm ausbaut; es entsteht etwas vollfommen Neues. In dem Bühnenluftspiel stehen der Gegenvor. mund Nepomuk Zapadil, dieser verschrobene, freche, aufdringliche und doch liebenswürdige Querulant, und der Bormund Franz Kaltenbach im Mittelpunkt des Interesses, die Familie Schimet spielt eine untergeordnete Rolle, und von Wien ist feine Spur zu merten. hier im Film ist es umgekehrt. Zuerst tommt Bien, dann die Liebesgeschichte und dann der Streit der beiden Familienhüter. Alfred Halm hat die Basis erweitert, hat Milieu geschaffen und dem Stüd Atmosphäre gegeben. Alles, was Kadelburg andeutet, erhält
Die letzten Tage von Pompeji
Hirschel- Sofar- Verleih
Der große Erfolg!
Uraufführung
Bellage des Vorwärts
bei Halm Gestalt. Er gibt die Oper, das Leben der Ballettmädels, zeigt hier mißige Einfälle, sprühende Impromptus, er führt öfterreichisches Militär vor, entwirft in einer einzigen Szene, die Baul Morgan virtuos spielt, das Bild einer t. t. Kanzlei, pinselt Wiener Kleinbürgerstuben hin mit ihren altväterlichen Möbeln, Höfe, die nicht die Troftlosigkeit Berlins fennen, Familienfeste mit Spießern im Bratenrock, mit Knallbrettchen, Ziehharmonifahosen und Schnällchen. Und dazwischen spielt sich die Liebesgeschichte zwischen Liesl und Josef ab, die Irrungen des Vormundes Kaltenbach, den Pavanelli in einen bestrickend liebenswürdigen Kavalier ver wandelt hat, die anmaßenden Schnorrereien Zavadils, der bei Picha gedrückter und fleiner erscheint als bei Ballenberg. Diese Menschen sind Kinder Wiens, Halm will sie einordnen in den Rhythmus dieser Stadt. Wien erscheint hier, wie man es fennt aus der Operette und dem Kabarettlieb, das mit schmachtender Stimme und Augenaufschlag gesungen wird. Und so sind auch die Menschen. Dieterle spielt feinen rasenden Othello, seine Eifersucht bleibt liebenswürdig, seine Erregungen sind Brausepulver, und Xenia Desni ist das füaße Weaner Mädel, verspielt, schmachtend, trotzföpfig, zerschmelzend, vielleicht um eine Nuance zu her stört die Ausgeglichenheit dieses Films; problemlos, heiter und sentimental, mit der Ahnung einer Träne zeigt er das Wien einer vergangenen Zeit, das es vielleicht nie gegeben hat, das aber dem norddeutschen Bürger als Ideal erscheint und dessen Lieder er in farifiertem Dialeft bei zärtlichen Regungen in folfcher Tonlage fingt. 3.6.
„ Die Brüder Schellenberg." ( Ufa- Palast am 300.)
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Er
Boll spannenden Gegenwartsinteresses ist dieser nach dent Roman von Bernhard Kellermann von Willi Haas und Kart Grune bearbeitete Film. Ich kenne das Original nicht, aber da die Filmbearbeitungen das Gute haben, die Schwächen ihrer Vorbilder deutlich zu zeigen, so muß ich annehmen, daß Kellermanns Roman zwar reich an Sensationen und artistischen Reizen ist, aber innerlich falt läßt wie der Film. Zwei Brüder sind einander gegenübergestellt, die in der Nachkriegszeit ihren Weg machen. Der eine wird zum großkapitalistischen Spekulanten, der andere zum sozialen Apostel. Mit der Explosion einer Fabrik, setzt die Handlung ein, die Entwicklung geht in rasendem Tempo, der von seinem Arbeitgeber, dem Fabrikanten Raucheisen, eben an die Luft gesetzte Wenzel Schellenberg steht mit einem Male als reicher Mann vor uns, der in einer fabelhaft aufgemachten Börsenschlacht ungeheure Gewinne einstreicht und es nun wagen tann, die Tochter Raucheisens zu freien, die durch ihren Geliebten in Finanzschwierigkeiten geraten ist. Wie Wenzel der Typ des raffgierigen, unternehmungsluftigen, alles magenden und erreichenden Mannes, ist sie der Typ des raffi nierten, genuẞgierigen, fich über alle Schranken hinwegsezenden Weibes. Beide scheitern am Leben. Wenzel erschießt sie, als er den schamlojen Betrug durchschaut, den sie an ihm begangen. wird dadurch geistig gestört und pilgert einsam hinaus in die Kolonie für Arbeitslose, die sein Bruder Michael gegründet hat. Er wird im Irrenhaus enden. Michael ist den anderen Weg gegangen; fein mitleidiges Herz hat ihn zu den Armen gezogen, für die er eine große Siedlung, zum Teil mit dem Gelde seines Bruders, gründete. Er wird auch der Helfer und Retter der kleinen Schauspielerin, über die sein Bruder rüdfichtslos hinweggeschritten ist. Sein fo. ziales Wert wird Bestand haben. Karl Grune , dem Karl Haffelmann mit einer höchst wirkungsvoll abgestuften Photo graphie diente, hat den Film zu Höchstleistungen gesteigert. Sein besonderer Trick ist, daß die beiden Brüder von demselben Darsteller Konrad Beidt verkörpert werden. Es ist von höchstem Reiz, wie derselbe Darsteller zwei so grundverschiedene Menschen überzeugungsvoll gestalten fonnte, wie Mienenspiel und Blick zur Charakteri fierung völlig entgegengesetter Charattere ausgenugt werden. Befonders frappant ist das Zusammentreffen beider Brüder in Paris , mo sie Blick in Blick miteinander agieren. Lil Dagover war die schöne Esther, raffiniert, aber falt bis in die Fingerspiken. Liane Haid gibt das kleine Mädchen, das schließlich, nachdem sie sich aus der Welt der Großen durch einen Fenstersturz befreit hat, Zuflucht in der Kolonie findet. Dort trifft sie mit ihrem Jugendfreund, einem von Werner Fuetterer in wundervoller Frische gezeich= neten jungen Arbeiter, zusammen, und findet hier ihr Glück. Die Szenen in der Kolonie, wo sich die Scharen der Arbeitslosen drängen, sind mit viel Verständnis aufgenommen.
r.
Es ist die Tragödie des Primaners, der als wohlbehütetes Kind in die Stadt kommt und dort den Reizen einer Schauspielerin erliegt. Die große Lebens- und Liebesfünstlerin jagt ihn durch alle Freudeund Leidstationen der Gefühle. Er gab sich selbst, seine Jugend, seine erste Liebe, und wird nachher achtlos beiseite geschoben. Der Revolver foll sein Leben beenden, doch er trifft die Schauspielerin. Walter Slezak ist der Oberprimaner. Sympathisch in der Erscheinung, wahr als Kind und wahr als enttäuschter Frühreifer. Slezat ist auf keinen Fall leicht zu photographieren, aber Gustav Breiß verstand es, ihn stets richtig vor die Kamera zu bringen. Die Schauspielerin ist Lya de Butti. Glänzend in der Erscheimung, gewollt fofett, machtbewußt, ein reißendes Tigerweibchen. Imponierend zurückhaltend war Angelo Ferrari in der an und für sich heiflen Rolle des zweiten Liebhabers. Grete Moosheim war ein echter, lieber Backfisch, Maria Reisenhofer eine gütige Mutter und Grit Haid eine schöne Kollegin der großen Schauspielerin. Das Manuskript verfaßte Mar Glaß, begabt mit dem richtigen Blick für Publitumswirkung. Und Manfred Noa ist als Regisseur stets ein vollblütiger Gestalter. Er hat Geschmack, genügend Disziplin, um stets die Einheit eines Kunstwertes zu mahren, er liebt die Kleinmalerei, ohne sich darin zu verlieren, er holt aus den Hauptdarstellern erste Leistungen heraus, verlangt aber auch von dem Darsteller der fleinsten Rolle eine durch und durch saubere Arbeit. In der Tat, Noa wird immer beliebter. c. b.
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