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Dem Sanger der Zreiheit! Die Freiligrath-Morgenfeier, die das Reichsbanner gestern mittag in dem von Professor Max Reinhardt   dankenswerter- weise hergegebenen Deutschen   Theater abhielt, kann getrost als die stärkste künstlerische Weihehandlung bezeichnet werden, die sich in dem Winter dieser Stadt um das Gedenken des großen deutschen  Freiheitsapostels gerankt hat. Das wachte, weil kein Sprecher aus der Bübne stand, der nicht von der Gewalt der Stunde gepackl und hingerissen, sein Größtes, sein Bestes gegeben hätte. Robert Breuers bcdeutiaine Beredtsamkeit zeichnete das Bild des Dichter? liebevoll und mit hohem Schwung: Freiligraths   Wert beruht in der Gwitterung der Zukunft unseres Volkes. Deshalb wirkt er heute noch so stark. Er lebt ewig in uns, weil er wie ein ewiger Po- saunenbläser in das Herz des Volkes stößt. Er, der erhabene. Visionär und der in der Kraft seiner Rede berauschende Freiheit',- apostel ist aber auch im edelsten Sinn ein deutscher Mann, Künder heimatlicher Treugedanken. Dann sprachen Elisabeth Lennartz  , Lud- wig Wüllner und Alfred Beierle   Gedichte von Freiligrath   und Her- wegh. Mit Staunen wurde man gewahr, wie Wüllner, der so innig Goethe und Schiller zu ehren versteht, hier in Freiligraths Wesen tief sich versenkte, dank seiner edlen Sprachgcwalt, gewisser- maßen den revolutionären Dichterphilosophen entdeckte. Elisabeth Lennartz   beherrscht, sachlich und spröde, und dennoch stark er- greifend. B e i e r l e aber gab wieder sein unruhiges, heißes Herz. Dumpf grollte sein« schwarze, schwere Anklage, golden ließ er die Zukunft voraus leuchten. Aber seine Farbe ist rot wie die unsere, imd das Blut der deutschen   Freiheitsmärtyrer düngt die Wurzeln seiner Kunst. Dem Künstler und dem Menschen galt der starke Beifall. Im zweiten Teil kam ein Zweiakter von E. von K e y s e r- l i n g:B e n i g n« n s Erlebnis" zur Aufsührung, ein Stück, das dramatisch wenig, menschlich-seelisch viel gibt: Das Sterben eines jungen Wiener   Revolutionekämpfers aus dem Jahre 1848, der in das Haus eines Aristokraten gebracht wird und hier sein Leben ver- haucht. Dies« zwei Akte sind also eigentlich ein letzter Akt. Benigne. die junge Tochier, müht sich um den Todgeweihten, von dem ihr, der in den engen Äraie des Alter« Gebannten, der Lebensfremden, der süße, berauschende Duft starken Erlebens zuweht. Paul Henkels  gab den alten kaiserlich-österreichischen Grandseigneur, eine ganz wunderbare Studie, in Geste, Maske und Sprache vollendet. Be- nigne, die Tochter, war Marie Paudlcr, an dem Lager des im Sterben fiebernden Revolutionärs aus lange unterdrücktem Weibtum erwachend. Rührend in dem Liebreiz ihrer reifenden Menschlichkeit. Veit Harlan  , der sterbende Student und Revo- lutionär, war ein unehelich Geborener, der aus der Tiefe kommt. In ihm Atem, Bewußtsein und Sprache des Volkes, derbe, hart und mitleidslos, wie ihn das Leben gemacht. Roch im Sterben müht er sich, dem Aristokratenkind den Sinn seines Opfere, ihm selber viel- fach noch geheimnisvoll, zu deuten. Heinrich Sckroth diskret und vornehm wie stets. Aber auch die übrigen, Martha Hart- mann. Jaro Fürth  , Martin W o l f g a n q und Käte B u r g h e r, darf man nicht vergesten, weil alle mit Inbrunst sich Hingaben. Dichterworte weihten ein« Zeit voller Unrast. Spiel wurde hier Leben, Kunst wurde Bekenntnis. Zuschauer erschauerten vor der schmerzlich-süßen tödlichen Kraft der ewigen Idee Freiheit! Wenn die Volksbühne nicht ihren Hunderttausend diese» Stück erobern kann, dann soll es Reinhardts Kammerbühne ihren Tausend tun. In dem put� gefüllten Haus, das überfüllt hätte fein können, sah man bie� Bürgermeister Schneider und Mielitz, Polizeipräsidenten Grzesinski  , die Polizeiobersten Hauvt und Heimannsberg  , die Senatepräsidenten Grohmann und Freymuth. Die Vereinigung ehemaliger Kriegsgefangener hatte in Hoher Verehrung für Fieiligrath der Feier telegraphisch   vollen Erfolg gewünscht.
vle huaöeliebhaber auf öem KelegspfaS. Zum Kampf gegen die Hundesteuer. Der Ausschuß für Hundefragen hielt am Sonntazt vormittag im Zirkus Busch eine Protestversammlung gegen die geplante Erhöhung der Hunde st euer ab. Gewiß läßt sich manche» gegen die Erhöhung der Steuer vorbringen, und gruno- sätzliche Befürworter einer Steuererhöhung wird es wohl nur wenige geben. Aber diesmal handelt es sich um eine Vorlage, die not- wendig erscheint, um Mittel zur U n t e r st ü tz u n g n o t l e i. dendcr Menschen zu schassen, und selbst der, dem der Hund der einzige Freund ist, wird wohl zugestehen, daß die Sorge für hnugernde Kinder doch noch wichtiger ist. als die für die viel seltener darbenden Vierfüßler. Zudem nahm der Ausschuß sür Hundefragen eine etwas seltsame Stellung ein: Der Besteuerung von Wach- und Ziehhunden, also von Tieren überwiegend Un- bemittelter, wollte er gern z u st i m m e n. Das charakterisiert diese Protestkundgebung, der wir, so sehr wir wünschen, daß der vier- beinige Freund manche» armen Einsamen, nichr den zu hohen Steuern zum Opfer fallen möge, in dieser Form nicht zustimmen können. Zu der gestrigen Versammlung gehen uns noch folgende Aus- führungen zu: Ob es eine kluge Taktik der Hundeliebhaber ist, wenn sie etwa» von der jetzigen Majorität der Stadtverordnetenversammlung er- reichen wollen, in so unqualisizierbarer Weise, wie es gestern in der Protestoersammlung de« Ausschusses für Hundefragen im Zirkus Busch geschah, gegen diese Majorität Stellung zu nehmen und die Hundesteuerfrage auf das Politische hinüberzuspielen, das muß doch stark bezweifelt werden. Die Redner brachten gegen die Erhöhung der Steuer neue Argument« in ihren Vorträgen nicht vor. Allen diesen gefühlsmäßig Eingestellten muß folgendes gesagt wer- den: Es ist unbedingt notwendig, daß der Etat der Reichshaupt- stadt balanciert, d. h. daß die Ausgaben durch entsprechend« Ein- nahmen gedeckt werden. Gesetzlich' sind in den Gemeinden nur sehr wenig Steuerquellen offen. Außerdem ist zu be- rücksichtigen, daß unsere Wirtschaftslage eine weitere Belastung der Wirtschast mit Steuern nicht verträgt. Wer aber in der heutigen Zeit, in der große Massen nicht einmal das Notwendigste zum Leben haben, in der Lage ist, die Kosten für die Haltung eines Hundes auszubringen, zumal die meisten Hunde aus Liebhaberei ge- halten werden, der wird auch in der Lage sein, die Steuer sür den Hund tragen zu können. In einer Zeit, in der Selbstmorde über Selbstmorde aus wirtschaftlichen Gründen erfolgen, muß man z u- erst aus den Menschen und dann erst auf den Hund Rücksicht nehmen. In einer weiteren Anzahl Briefe wird entschiedener und sehr empörter Protest dagegen erhoben, daß die Versammlung zu einer Hetze gegen die Sozialdemokraten mißbraucht wurde und es wird vielleicht nicht mit Unrecht die Permutung aus­gesprochen, daß sich hinter diesen Protesten auch noch andere Ab- sichten verstecken, als die der zur Schau getragenen Tierliebe.
Ten Spielkameraden erschossen. Die Unvorsichtikeit.«in geladenes Gewehr in Zimmer zu stellen, in denen sich Kinder aushallen, hat gestern wieder einen tödlichen Unfall herbeigeführt. Der Cutspächter Schubert aus Luisenhof bei Oranienburg   wellte aus seinem Z-Milli- meter-Tcschir.g aus Ratten schießen. Plötzlich wurde er abgerusen und stellte das geladene Gewehr ungesichert in die Ecke des Zimmers. in dem sich die Kinder befanden. Kaum hatte er sich entfernt, als der Spielkamerad seines Sohnes, der sieben Jahr« all« Schüler L., die Waffe ergriff und auf den kleinen Schubert anlegt«. Plötzlich trachte ein Schuß und die volle Schrotladung drang dem kleinen Schubert in den Kopf, seinen sofortigen Tod herbeiführend. Der Schmerz des Vaters war grenzenlos, als er fein einziges Kind tot daliegen sah: er erlitt einen Wutanfall und konnte nur mit größter Müh« davon abgehalten werden, den Spielkameraden seines Kindes durch-inen Schuh niederzustrecken.
Das neue Strafrecht. Vortrag Prof. Radbruchs in der Freien sozialistischen   Hochschule.
Prof. Dr. R a d b r u ch hatte als Reichsjustizminister einen Eni- wurf zu einem neuen Strafgesetzbuch ausgearbeitet. Durch den Austritt der Sozialdemokratie aus der Regierung ist dieser in den gesetzgebenden Körperschaften nicht zur Beratung gelangt. Aber gerade jetzt, wo Strafrecht, Strafprozeß, Gerichtsverfassung und Strafvollzug im Mittelpunkte des Streites der Meinungen stehen und um die Neugestaltung dieser so lebenswichtigen Institute heftige Kämpfe ousgefochten werden, waren die Darlegungen des Schöpfers des bis jetzt besten Entwurfes zu einem neuen Strafgesetz- buch von ganz besonderem Interesse. In seinem Vortrag in der Freien sozialistischen Hochschule führte Pros. Rodbruch am Sonnabend etwa folgendes aus: Anatole France   hat das vielleicht geistreichste und erschütterndste Wort über die Scheingerechtigkeit des Strafrechts innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft geprägt. Er sagt«:Das Gesetz in seiner inneren Gleichberechtigung verbietet dem Reichen wie dem Armen unter Brücken zu schlafen, aus der Straße zu betteln und Brot zu stehlen." Denselben Gedanken bringt auch ein Sprich- wort aus dem Ende des 17. Jahrhunderts zum Ausdruck. Es lautet: Zu Müßiggang gehören entweder groß« Zinsen oder hohe Galgen." In Wirklichkeit binet das Strasrccht der kapitalistischen   Gesellschaft Vorteile allein den Besitz,«»den. Ihre L a st e n fallen auf die Besitzlosen. Die materiellen Güter stehen bei ihm in höherem Ansehen als die der Persönlichkeit. Gewalttätigkeit entehrt gemäß der Moral des heutigen Rechtsgefühls in geringerem Maß« als ein Angriff gegen den Besitz. Da» Vermögen des Besitzenden erfährt vielfachen Schutz, das der Besitzlosen, die Arbeitskraft, entbehrtdagegen seglichen Schutzes. Und dies geschieht trotzdem die Kriminalstatistit wie die Krimtnalsoziologie bereits seit langem festgelegt haben, daß die Ursachen de» verbrechen» weniger in den persönlichen Eigenschasten des Individuums als In den sozialen Verhältnissen zu suchen sind. Di, Lücken der Sozialpolitik werden aber an dm Opfern des Etrafrechts geahndet. So erscheint der Satz begründet, daß in einer klassenmäßig geschichteten Gesellschaft nur ein K l a i s e N st r a s r e ch t möglich ist, daß hier alle Gerechtigkeit des Strafrechts nur eine relativ« sein kann. Die Frage ist: Wie soll diese relative Gerechtigkeit ausschauen? Bei der Lösung dieses Problems nutzen keine fozicKogischen Konstruk- tionen. Die Antwort ist nur in dem geltenden Recht und in den Entwürfen zu einem neuen Strafgesetzbuch zu suchen. Sind aber dort Tendenzen zw einem sozialen Strnfrecht festzustellen od«r nicht? Wo stehen wir und wohin steuern wir? Seit mehr als zwanzig Jahren wird an einem Entwurf zu einem neuen Strafgesetzbuch gearbeitet. Sollte ein neue» Strar- gesetzbuch endlich Wirklichkeit werden, so wird die» das dritte deutsche Strafgesetzbuch sein. Die Entstehung de« ersten reicht in die Zeit Karls V. zurück. Die Karolina, so hieß e». datiert vom Jahre 1532. Sein Strassystem enthielt die furchtbarsten Leib- und Lebens st rasen. Ihr Katalog zeigte Lierteilen. Rädern, Derbrennen, Ertränken, Pfählen, bei lebendigem Leibe Legraben, Abhocken der Ohren, Ausreißen der Zunge. Prügelstrafe. an den Pranger stellen usw. Der oberste Grundsatz lautet«: zwischen der Tat und der Bestrafung eine gewisse Gleichheit herstellen so sollte der Brandstifter am Feuer zugrunde gehen, dem Meineidigen wurden die Schwurfinger abgehackt. Die Todesstrafe bildete die natürliche Krönung der~ peinlichen teibenstrasea. Aus diesem System ist dann die heutige Freiheiis- und Geld strafe hervorgegangen. Sein Abbau begann mit der Gründung des ersten Zuchthauses, eines«esserungshause» für Dirnen, Arbeitsscheue, Landstreicher. Di« Niederlande   und die Hansastädte hatten im 1«. Jahrhundert dm Weg gewiesen. Hier waren die ersten Borzcichen sür die zukünftigen Sicherungsmaß­nahmen gegeben._, Die Freiheits- und Geldstrafe eroberte aber allmählich das ge- samt? Strafsystem. Bom früheren System bleibt nur die Todes- strafe übrig, zu der von der Freiheitsstrafe aus keine Brücken führen. Aber auch letztere erlebt in den letzten Jahrzehnten«ine Abbröckelung mit der Tendenz des Abbaues des Strasrechts über- Haupt. Am schärfsten war der Kamps gegen die kurzfristige Freiheitsstrafe sie erwies sich nicht allein als völlig nutzlos. sondern direkt als schädlich. Auf vierfach« Weise sollte für sie Ersatz geschafft werden. Durch die bedingte Begnadigung die heutige Bewährungsfrist, durch die Seldstrase. die seit 1921 an Stelle der Freiheitsstrafen unter drei Monaten treten kann, durch das Jugend- gerichtsgesetz, das in geringfügigen Fällen ein Absehen von der Strafe gestattet, und schließlich durch ein Absehen in gleichen Fallen von der Erhebung der Anklage Emmingers Verordnung. Aus dieser Linie bewegte sich auch der Entwurf von 1922. der der Teil- nähme der Sozialdemokratie an der Regierung sein Entstehen ver- dankt,. Di« Todesstrafe fehlte hier nach dem Muster Oesterreichs  . Die Stelle der Z u ch t h a u» st r a f e hatte das st r« n g e G c- s ä n g n i s eingenommen. Ehrverlust war fallen gelassen, es sollte der Lynchjustiz der Gesellschaft nicht Vorschub geleistet werden. Der neue Entwurf vom Jahre 1924, der jetzt dem Reichsrat vorliegt. enthält auf» neue Todes- und Zuchthausstrafe, wie Ehrverlust. Im übrigen aber bewegt auch er sich auf der Linie des Abbaues des Strasrechts, ja mehr noch, diese Tendenz ist in ihm sogar verstärkt.
Die Uebertretungen das Polizeiunrecht, das im Empfinden der Menschen sich vom Kriminalunrecht der Verbrechen stark unter- scheidet werden in ein besonderes Buch verwiesen. So ist der erste Schritt zu seiner Abkoppelung in ein besonderes Reichspolizei- gesetzbuch gemacht.(Das Polizeiunrecht soll nur durch Geldstrafen gutgemacht werden. Die Freiheitsberaubung verbleibt allein als Vor- bcugerccht, als Warnung für diejenigen, die trotz der Geldstrafe die Uebertretuno wiederholt haben.) Reben dem Abbau der Freiheitsstrafe geht der Neuaufbau durch Schaffung der Maßnahmen zur S i ch e- r u n g und Besserung. Die Gemeingefährlichen, vermindert Zurechnungsfähigen und llnzurechnungsfähsgen sollen laut Richter- spruch iu Heil- und Pflogestätten untergebracht werden können, die Trinker in Trinkerheilanstalten, die unverbesserlichen Cewohnheits- Verbrecher in besonderen Verwahrungshäusern. Sie alle verbleiben hier bis zu ihrer Heilung oder Besserung. So entsteht eine Zwei- spurigkeit der strafrechtlichen Mahnahmen. Einerseits bleibt die Strafe als Bergeltungsstrafe bestehen. Die beiden Grundsätze keine Schuld ohne Strafe und keine Strafe ohne Schuld ver­dorren in ihrem uberlieferten Recht. Die Strafe bleibt ein U e b e l, die Vergeltung üben soll. Diese Grundsätze gestatten nicht, sie zu verlängern, wem: eine Besserung noch nicht eingetreten ist, sie zu oerkürzen, wenn der innere Gesundungsprozeß bereits voll- zogen ist. Andererseits kommen die Besserungs- und Sicherungs- maßnahmen zu ihrem Rechte. Diese fordern ihre Einsetzung auch dann, wenn allein schon die Gefahr besteht, daß das Individuum schuldig werden könne, und ein Absehen von der Strafe dort, wo sie aus erzieherische» Gründen unzweckmäßig erscheint. Sie sehen eine vergleichende Behandlung verschieden oder gleich gefährlicher Per- sonen vor. Die Absicht ist nicht, ein Uebel um des Uebels willen zuzufügen, selbst wenn die Zweckmaßnahme vom Individuum als liebet empfunden würde. Sie setzen die Möglichkeit u n b e st i m ni- ter Richtcrurteile voraus. Hier entsteht aber die Frage: Ist denn unter solchen Umständen die Strafe überhaupt noch notwendig? Der Entwurf beantwortet sie negativ für die kleine Kriminalität. Gegenüber Dirnen, Landstreichern und Bettlern will er nur Der- Währung wissen. Hier sind die Anfänge zu einem R e i ch s v e r- wahrungsgesetz gegeben. Die Strafe, und zwar die ver- schärfte, bleibt aber neben den Sicherheitsmaßnahmen für Gewöhn- heitsverbrecher bestehen. Zwar erhält der Richter das Recht, von der Freiheitsstrafe abzusehen oder sie unter Umständen zu erlassen, wo der Zweck durch die Verwahrung, nämlich der Besserungsoor- gang, bereits erfüllt ist. Welcher vernünftige Richter würde aber da noch die Strafe in Anwendung bringen? Die gleiche Tendenz des Abbaues der Strafe oerfolgen auch die Grundsätze zum Bollzug von Freiheitsstrafen" aus dem Jahre 1923. Das Stufensystem soll dem Gefangenen die Mög- lichkeit geben, die Freiheit aus innerer Kraft heraus wieder zu erobern. An Stelle der Strafe tritt die Ertüchtigung. Wird dieser Grundsatz durchgesührt, so bleibt als einzige Strafe nur die Geldstrase. Diese wird eine Ordnungsstrafe. Ist aber unter solchen Umständen nicht das Wort Strafe überhaupt zu streichen? Der Entwurf zum neuen italienischen Strafgesetzbuch, vom Sozialisten Enrico Ferrj geschaffen, kennt es nicht mehr. Er spricht überall vonSanktionen", von sichernden Mah­nahmen. In Wirklichkeit aber verwandeln diese sich bei der Vollstreckung wieder in ein Strafübel. Solange die Denkweise der Menschen keine andere geworden ist und sie von vcrgeltungsinstintten beherrscht sind, ist dos Aufgeben der Vergeltungsftrafe durch das Strafgesetz-- buch nicht zu erhoffen. Die sozialistische Ausfasiung von Per- brechen und Strafe geht von der Voraussetzung aus, daß diese Per- geltungsir stinkt« ausgehört haben, ihre Herrschaft über die Menschen auszuüben: daß das Verbrechen als sozialer Erschei­nung, für das das Individuum nur eine soziale Berantwortung trage» kann, nur Erziehungs- und Sicherungsmaßnahmen zur Folge haben darf. Der Entwurf des neuen Strafgesetzbuches gibt die Möglichkeit einer allmählichen Zurückdrängung der Vergeltung»- strafe durch Sicherung»- und Erziehungsmaßnahmen, je nach der Stufenweise der Aendcrung unseres Bewußtseins. Die sozialistische Ausfassung fordert zwar nicht allein eine Rc- form des Strasrechts, sondern eine Ueberwindung des S t r a f r e ch t s überhaupt. Jedoch im Augenblick, wo es sich darum handelt, an Stelle eines Strafgesetzbuchs, das bereits seit zwanzig Iahren als veraltet anerkannt ist, ein neues von sozialem Gehalte erfülltes zu schaffen, entsteht noch ejnc wettere schwierige Frage: Das soziale Sirafgesetzbuch verlangt Schutz des Per- brechers vor ihm selb st, vereint mit dem Schutz der Gesell- schast gegen ihn. Die liberalen Bedenken besagen: wie schützt man aber den Verbrecher vor der Gesellschaft? Wird hie un- bestimmte Strafzumesstingsfreiheit in unserer tlassengeschichtcten Ge- sellschaft bei einem Richterstand, der zu unzähligen Klagen Anlaß gibt, nicht eint Gefahr bedeuten? Der Richter der Zukunft wird in erster Linie Sozialbeamter sein müssen, feine Aue- bildung wird sich von der des Zivilrichters in hohem Maße unter- scheiden müssen.
Die Wotansjünger am Kurfürstendamm  . Vor einigen Tagen mußten kurz vor 1 Uhr nachts in einer Litörstube am Kurfürstendamm zwei wackere Zecher festgestellt werden, die ihre Zeche nicht bezahlen wollten oder konnten. Als die vom Wirt gerufenen Schupobeamten erschienen und die Herren nach ihren Personalien befragen wollten, ergriff der ein« von ihnen einen Stuhl und ging damit drohend aus die Beamten los. Als man endlich dazu kam� die näheren Angaben zu erhalten, stellte sich zur allgemeinen Ueberraschung heraus, daß der Stuhlschwinger und schwer angesäuselte Zechbruder der völkische Landtag»- abgeordnete Kaiser war, der mit einem gleichgesinnten Cchnststeller die allen Germanen nachahmte:Sie tranken immer noch eins!" Nur daß er dafür in dieser kapitalistischen   Zeit auch mit schnödem Mammon zahlen sollte, war überaus peinlich. Werbearbeit der Arbeiterjugend. Aus den Häusern proletarischer Viertel, in denen, eng ein- gepfercht, Menschen hausen, in denen enge Räume das Minen er- schweren, klingen lachende, jauchzende, trotzige Lieder. Aus sungen Kehlen steigen die Kampjgesänge der Arbeiterschaft an den Stein- wänden empor. Dringen in die Wohnungen und zwingen die Menschen an die Fenster. Valtone und schnell geöffnete Fenster sind dicht besetzt. Arbeiterjungen und-mädel marschieren mit Ge- sang und ihren Fahnen durch die Straßen. Sie wollen all die Jungen und Mädel, die jetzt Ostern die Schule oerlassen haben, in ihre Reihen aufnehmen. So mancher von den jetzt Schul- entlassenen schreitet schon mit. Er fühll es, in dieser Organisation, mit der er Sonntags aus Wanderungen hinausziehen kann, wird ihm die Lehrzelt leichter werden. Die Arbeiterjugend von Neukölln und K r e u z b e r g hat gestern in gemeinsamer Kundgebung sür ihre Organisation geworben. Ein festliches Pild, all die Reihen der Jungen und Mädchen in Wanderkittel und farbenfreudigen Kleidern. Mit flatternden Fahnen und frischen Liedern ging es durch die de- lebten Straßen. Manch Schimpfwort aus denroten Lappen" wird
mit einem herzlichen Gelächter beantwortet. An den beiden Seiten des Zuges werden Handzettel verteilt, sie laden ein zum nächsten Heimabend. Frohsinn, Jugendsreude, Spiel und Tanz erwarten dort den Schulentlasienen., Auch die Arbeiterjugend des Bezirks Schönebera ver- anstaltete anläßlich der Werbewoche der SAI. am gestrige» Sonn- tag nachmittag einen imposanten Werbeumzug durch die Straßen des Westens. Unter Absingen von Liedern formierte sich an' der Ecke der Grunewald  - und Goltzstroße ein langer Zug, dessen Weg von großen Scharen Neugieriger umsäumt war. Am Abend fand ein übersüllter Lichtbildervortrag statt. Auch die Bezirke P r e n z- lauer Berg und B a l t e n p l a tz machten durch Straßenumzüge sür die Sache der sozialistischen Arbeiterjugend Propaganda.
Zu dem mutmaßlichen Wächtermord an der Putlihbrücke. über den bereits berichtet wurde, erfahren wir, daß bisher noch keine genauen Anhaltspunkte für die Person des Täters gefunden worden sind. Es haben sich auch nur wenige Zeuge» gemeldet, die etwas wahrgenommen haben wollen. Das ist in erster Linie darauf zu- rückzuführen, daß in den Straßen dieser Fabrikgegend des Nachts fast gar keine Pasianten verkehren. Die Angaben der ermittelten Zeugen werden noch nachgeprüft.> Eine Ausstellung der coheland-wertstätlen im Deutschen  Lyzeum-Klub zeigte neben bandgewebten Dckorationsswf'sen Körbe von bizaren Formen, die aber oft mehr wie«in« kunstgewerbliche Spielerei anmuteten. Interessanter und künstlerisch wertvoller sind die Stoffe, die in ihrer abgestimmten Buntheit und den wunder- vollen Leuchtfarben zu Dekorationszwecken außerordentlich geeignet scheinen. Vor Fenster gespannte Stoffbahnen bewiesen, daß das verhältnismäßig schwere Lcincnmaterial trotzdem stark transparent wirkt, so daß von der Farbigkeit auch nichts verloren geht, wenn man die Stoffe gegen das Licht verwendet. Gerade das aber macht sie wertvoll, da die meisten Stoffe in solchem Falle farblos wirken ,'tt� ml unaeeilMet finb.