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Nr. 158 43.Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, 4. April 1926

Auf der Suche nach dem Frühling

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Ostern bedeutet Frühling Frühling bedeutet Auferstehung, Wiedererwachen der Natur. Dichter und Maler, die Verkünder menschlicher Empfindungen und Sehnsüchte, haben ihn gefeiert, aber auch in ds einfachen Menschen Brust regt sich beim ersten warmen Sonnenschein ein Verlangen nach der Natur, nach dem Anblick des sprossenden Grün, der blauen Gewässer, des unter den belebenden Strahlen dampfenden Bodens. Die Steinwüste der Großstadt ge= währt von diesem Schauspiel der sich verjüngenden Natur nur etn geringes Ahnen für kurze Minuten streift der Sonnenstrahl das Fenster des dunklen Hofes aber er genügt, um den Bewohnern der Mietstaferne das triumphierende: Der Frühling ist da!- zum Bewußtsein zu bringen. Im Frühling tritt der soziale Gegensah| zwischen arm und reich so recht in Erscheinung: während in den Gärten die Krokus und Veilchen   blühen, die Triebe der Sträucher schwellen, der Rasen sich sein neues grünes Gewand zulegt, die Rinder sich auf sorgfältig gereinigten Wegen fröhlich tummeln, bleibt

Lille  .

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Zille: Frühling- neue Pferdeäppel in de Blumentöppel" der Garten des Armen in dem Quartier der Mietshäuser auf den dürftigen Rasenfieck beschränkt, der die Teppichtlopfstange auf dem Hofe umrahmt. Kein Wunder, daß den Wanderburschen die Früh­lingssonne lockt, daß die ,, Kunden" auf die Walze gehen daß der Arbeitslose mit immer stürmischer werdendem Verlangen sich nach Arbeit sehnt, deren Ertrag wenigstens einen fleinen Anteil an der Freude über die erwachende Natur ermöglicht.

Die Maler des Großstadtfrühlings.

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Die Sehnsucht nach dem Frühling ist da, aber nicht jeder ist in der Lage, sie zu befriedigen. Was unsere Gesellschaftsordnung auf allen Gebieten auslöst: der Kontrast zwischen arm und reich findet fich auch hier wieder. Die soziale Kunst unserer Zeit hat dies be­griffen; mit inniger Liebe zu den Stieflindern des Glückes begnadet, haben ihre Vertreter Kulturdokumente geschaffen, die einer dereinst glücklicher lebenden Menschheit vor dem Zwiespalt zwischen Hoffen und Erfüllen erzählen werden. Wer in 3illes derben Figuren nur das Groteske sieht, wird diesem Meister nicht gerecht tieffte Behmut ist vielmehr der Grundton feines Humors. Er schleudert der Menschheit die beschämende Tatsache ins Gesicht, daß sie noch immer nicht erreicht hat, den Menschen ein menschenwürdiges Dafein zu geben. Wenn er unter die Zeichnung der Blumenverkäuferin die Worte jetzt, die aus dem Munde der Kauflustigen kommen:" Ra ne, Meyern! Beilchen! Is et denn schon wieder Frühling?", so hat man in diesen wenigen Worten die ganze Tragödie des Großstadt frühlings.... Bei Balufchef tritt der sittliche Ernst, der seiner Wiedergabe modernen Arbeiterlebens innewohnt, in malerisch abge­wogener Darstellung zutage. Er ist der Maler der Arbeit, des be

Zum

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scheidenen Glücks, das dem Proletarier wintt. Aber in allen seinen Bildern lebt die Anflage an die Gesellschaft, unausgesprochen, ohne aufdringliche Tendenz, aber zu den Herzen dringend durch die Wahr heit dessen, was wir vor uns sehen So ist auch sein Frühling in der Enge der Straßen, der Dumpfheit der Höfe, ein blutleeres Etwas, der Enge der Straßen, der Dumnpfheit der Höfe, ein blutleeres Etwas, das mehr Mitleid als Freude erweckt.

Die historische Frühlingsdarstellung.

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mer

Die Nctur malt die schönsten Bilder nur schade, daß sie ver. gänglich sind. Die Morgenröte und der Sonnenuntergang, der Refler von Licht auf Blatt und Blüte, der Jrisbogen im Wasser hätte nicht schon entzückt vor diesen föstlichen Offenbarungen ge­standen! Und doch hat es lange Jahrhunderte hindurch Menschen gegeben, folche, die an Kultur sich mit uns messen können, deren Berständnislosigkeit den Reizen der Natur gegenüber bezeugt ist. Das ganze Altertum fannte bis in die allerlezte Beit nur die Freude am Menschen, und die es ablösende Epoche des Christentums hatte eben­falls fein Organ für die Reize der Natur. Byzantinische Heiligen figuren auf Goldgrund passen allerdings schlecht in ein Gewinde von Blumen und Blättern, aber auch die Frühzeit der italienischen und niederländischen Malerei sah von der Landschaft ab. Erst allmählich wurde die Landschaft ein Teil der Darstellung des religiösen Motivs. Die realistische Richtung der Holländer ging dann in gleicher Weise, wie sie die firchlichen Stoffe durch bürgerlich- gesellschaftliche Motive erfeßte, auch zur Darstellung der reinen Landschaft über. In Deutsch  land waren Dürer und Altdorfer in diesem Sinne tätig. Damit war dann auch Bahn gebrochen einerseits für die Belebung der Land­schaft mit Menschen und andererseits für Verknüpfung der Natur mit allerlei Sembolen in der Allegorie. Aber ehe diese neue Kunst­gattung Gemeingut geworden war, hatte ein Genie den Frühling dargestellt, symbolisch verkörpert durch eine Schar anmutiger Mädchen­gestalten, deren eine in der schreitenden Bewegung das Herannahen des Frühlings aufs glücklichste verkörpert. Botticelli  , der Florentiner Meister, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebte, hatte dies Wunder vollbracht, eine eigene malerische Auffassung von Kirche und Welt zu offenbaren. Im Gegensatz zu den Realisten der Epoche, die ihre Madonnen wie zeitgenössische Frauen darstellten, gab er dem mystischen Zuge nach. der später in den Predigten Sa­vonarolas einen kunstfeindlichen Sinn auslöfte. Seine Madonna ist eine schwärmerische, schmermütige Gestalt von jenem Liebreiz, den das Bisionäre aufzeigt. Mit Blumen überfät, versezen seine Bilder uns in eine traumhafte Stimmung, die uns für den zarten, sinnlichen Reiz, der von den durch die Schleiergewänder schimmernden Leibern ausgeht, empfänglich macht. Diese Bottinellische Darstellung des Frühlings ist bis auf unsere Zeit für die allegorische Darstellung des Lenzes typisch geblieben. Die blumenstreuende Flora verändert nur im Laufe der Jahrhunderte ihr äußeres Kleid Ein Böcklin gibt seiner schreitenden Figur ein schnelleres Tempo, ein Thoma ver. langsamt die Bwegung und läßt die einen blumengefüllten Korb tragende Gestalt von Amoretten umspielen.

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Allerlei Wandlungen.

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Jede künstlerische Bewegung, die in die Breite geht, wird weniger originell. Das Frühlingswunder setzte alljährlich unzählige Pinsel in Bewegung, aber der siegreiche Gedanke fehite. Eine von Blumen umgebene oder in die freie Natur gestellte weibliche Gestalt mußte den Frühling personifizieren fand sie unter diesem Titel feinen Käufer, so war fie vielleicht als Eva oder unter allegorischer Bezeich­nung, wie Träumerei, Sehnsucht usw. loszuschlagen. Noch schlimmer denn der gemalte weibliche Aft fonnte bei jenen Allegorien von großer Schönheit sein stand es mit der malerischen Auffassung, die den modernen Menschen und die Frühlingsnatur zusammen­foppelte. Junge Damen, die auf den Liebhaber warten, Liebespaare, die im Kahn auf spiegelglatter Wasserfläche dahingleiten, das Früh­stück der Jungverheirateten im Freien, die in der Hängematte male­risch gelagerte lesende junge Dame, das Liebesgeplauder am Brunnen, die Bonne mit den spielenden Kindern, die Raft der alten Pensionäre auf der sonnenbeschienenen Bant, die Heimkehr vom Felde und so viele andere Vorgänge der menschlichen Tätigkeit in der Zeit der er. wachenden Natur sind uns in Frühlingsbildern vorgestellt worden. Da heißt es bald Frühlingszauber", bald erster Frühling" oder Frühlingsmorgen";" Frühlingstraum" und Liebesfrühling", Frühlingsdüfte" schließen sich an Zeichen einer Episodenmalerei, die noch heute nicht ausgestorben ist und ihr Gegenstück in all den

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Walakater

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Grundstück verkaufen.

Gärtnerei

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Pulkamm

Zille: Ein Osterspaziergang.

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Venetianerinnen und Orientalinnen findet, die in Wahrheit nur in betreffende Kostüm gesteckte Modelle sind. Wer will es leugnen, daß solche Bilder ganz ausgezeichnet sein fönnen, wenn sie aus dem Grundgesetz künstlerischer Auffassung: Kunstwerk gleich Natur ge= sehen durch ein Temperament entstanden sind. Aber selbst in diesem glücklichsten Falle fehlt der uns bezwingende Eindruck, daß gerade so das Frühlingsmotiv erschöpft fei die sonnenbeschienene Bank wird auch im Sommer in gleicher Weise von Pensionären be­setzt sein und die junge Dame in der Hängematte wird sich in den Hundstagen ebenso wohl in ihr fühlen. Das Erwartungsvolle in der Natur, das Zitternde, Hinhuschende der lauen Frühlingsluft, der keusche Reiz des sich Entblößens der Knospen wie selten findet sich dies in den Darstellungen jener Art, die die Frühlingsetikette tragen.

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Der Frühling" des Bauernmalers.

Ein anderes Genie mußte kommen und den malerischen Aus­druck für den Frühling finden. Es war in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, daß in Frankreich   sich jene Gemeinschaft von Landschaftsmalern bildete, die in Barbison   im Walde von Fontaine­ bleau   ihre Heimat fand. Ihr gehörten Rousseau  , Corot  , Daubigny  , Diaz und viele andere an; vor allem aber gab ihr Millet in den fünfziger Jahren weltdurchdringenden Ruf. Sie alle entdeckten die tiefsten, verschwiegensten Reize der Natur, die noch vor kurzem sich in akademische Fessen hatte schlagen lassen müssen, und sie malten sie in Bildern voll Stimmung, deren Darstellung an feine überlieferte Schulung und Technik anflang. Je nach ihrem persönlichen Naturell fam eine epische, eine lyrische, eine romantische Schilderung heraus die seelenvolle Wiedergabe des Geschauten war das einigende Band dieser Kunstjünger. Rousseau   war herbe und liebte den Herbst; Corot   und Daubigny   lockte der Frühlingsduft und die Sonnenglut und das Geheimnisvolle der Dämmerung. In

BALUSCHEK  

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Baluschek  : ,, Landstreichers Frühlingserwachen".

diesen Kreis tam Millet, aus einem Bauerngeschlecht stammend, der zeillebens ein Bauernmaler blieb und doch die größte poetische Wir tung auf den Beschauer ausübt. Er schildert die Arbeit des Land­mannes mit unbarmherzigem Realismus und legt in den einfachen Naturausschnitten mit den wenigen, hart arbeitenden Menschen eine feierliche Stimmung, die unser Herz in Mitleidenschaft zieht. Er selbst hat sich über seine künstlerische Auffassung in einem Freundesbriefe wie folgt ausgesprochen: ,, Auf den bestellten Feldern, manchmal selbst an wenig ergiebigen Orten, erblicken Sie grabende, hackende Ge­stalten. Von Zeit zu Zeit sehen Sie, wie sie sich das Kreuz wieder zurecht rücken, wie man sagt, und den Schweiß mit dem Rücken der Hand abwischen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. Ist das die fröhliche, ausgelassene Arbeit, an die manche Leute uns glauben machen möchten? Und doch befindet sich gerade da für mich die wahre Menschlichkeit, die große Poesie Dies Bild Millets, das den Frühling schildert, gibt wenn der Vorwurf auch ganz losgelöst von der sichtbaren menschlichen Arbeit ist doch die Natur in jenem Zustande verheißungsvoller Fruchtbarkeit wieder, die zum Gedeihen des Menschenwerfes notwendig ist. Ein Früh­lingsgewitter hat ausgetobt ein doppelter Regenbogen steht an dem sich aufheiternden Himmel. Der Garten- und Aderland auf­weisende, mit Apfelbäumen besetzte Boden ist von dem Himmelstau getränkt sein Durst ist gelöscht. Der Frühling, der die Fülle der Ernte ahnen läßt hier ist er uns greifbar nahe gerückt und ein Werk geschaffen, das in gleicher Weise die Geheimnisse der Natur offenbart, wie es die Abhängigkeit ahnen läßt, in die der schaffende Mensch sich im Kampf mit dem Acer   begeben hat. Eine ähnliche Wirkung übt auch sein ,, Säe mann" aus, die Silhouette des kraft­voll schreitenden Mannes ist das moderne Gegenstück zu der heiteren, blumenstreuenden Frauengestalt des italienischen Meisters.

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Die Berbannung titschiger Motive und seelenloser Malerei, die in den zwei letzten Menschenaltern so große Fortschritte gemacht hat, ist den Nachfolgern Millets günstig gewesen. Man hat die Technik