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Nr. 16943. Jahrg. Ausgabe A nr. 86

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297.

Sonntag, den 11. April 1926

Vorwärts- Verlag G.m.b.H. , Berlin SW. 68, Lindenstr.3

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Italiens Kulturschande am Pranger.

Die Faschistenrache an der Genoffin Oda Olberg- Lerda.- Mussolinis Blutschuld

Rom, den 8. April 1926.

Wie bekannt, wurde gleich nach dem Attentat vom 7. April die Parole ausgegeben: Der Duce will teinerlei Gewalttat; man muß gehorchen." Aus der nachstehenden Episode, die ich als Augenzeuge und... Leidtragende miterlebt habe, ist zu ersehen, wie man gehorcht hat.

Ich schicke voraus, daß ich als Korrespondentin des ,, Borwärts" und der Wiener Arbeiter- Beifung" der hieftigen Polizei bekannt bin, ebenso, wie ihr mein Mann als Freimaurer bekannt ist. Seit dem 6. Oftober 1925 wurde unser fleines Häuschen durch zwei Carabinieri bewacht, die viele Besucher aus Deutsch­ land und Desterreich zu sehen Gelegenheit hatten. Weiter sei voraus­geschickt, daß ein Parterreraum meines Häuschens an die Redaktion der Giustizia", des seit vorigem Monat in Rom erscheinenden Wochenblattes der neuen sozialistischen Partei, vermietet ist. Um 12 Uhr mittags wurden die Carabinieri entfernt; um Uhr zirfa erfolgte die Invafion.

Ein Laflauto voll Faschisten

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wurde vor dem Hause entladen und ein junger Bursche im Schwarz­hemd erschien, um an der Haustür zu tlopfen. Sie wünschen?" Herr Lerba, ich habe eine aussuchung vorzunehmen. Ich mache sofort auf und sage ruhig:" Legitimieren Sie sich und be haussuchen Sie, was Sie wollen."" Ich habe mich nicht zu legitimieren," wird mir geantwortet und zwei Faschisten dringen fofort in das Bureau der Redaktion. Indem ich Einspruch erhebe, mache ich geltend, daß ich Berichterstatter auswärtiger Bei tungen bin, und mir wird geantwortet: Warum bleiben Sie nicht in Ihrem Lande," welche Note während der ganzen friegerischen Aktion beständig wiederkehrte. Man hindert mich nicht daran, an die Polizeidirektion zu telephonieren, so daß ich nur die üblichen Schwierigkeiten zu überwinden habe, die die Zensur mit sich bringt. Ich habe also gleichzeitig den Zensor im Ministerium des Innern und die Polizeibehörde benachrichtigt, die ungefähr um 3,40 Uhr wußten, daß meine Wohnung von Faschisten besetzt war und zu ihrem Schuße nur mein Mann, zwei weibliche Angestellte der " Giustizia ", mein fleines Töchterchen und ich zur Stelle waren, gegen 30 bis 40 bewaffnete Angreifer. Die Vertreter der Polizei konnten bequem in 20 Minuten zur Stelle sein; sie er­schienen nach etwa 35 Minuten,

als gerade die letzten Möbel aus dem Fenster flogen. Einem älteren Faschisten, einem fräftigen, stämmigen Mann, gelang es lange Zeit, die Invasion des Hauses zu verhüten. Wäre die Polizei nach 20 Minuten zur Stelle gewesen, so hätte sie zwar nicht den Hausfriedensbruch, wohl aber die recht ausgiebige Sach­beschädigung verhindern können, denn der erwähnte Faschist tat dem Tatendrang der anderen genug, indem er ihnen die Bejezung der ganzen Baulichkeit anordnete. Schließlich wurde aber der ruhigere von den vandalischen Elementen überwältigt, mein Mann, mein Kind und ich, die wir den Weg vertraten, wurden gewaltsam zurüdgestoßen, und einige zwanzig Schwarz­hemden drangen durch die Tür, während die anderen

von außen die Fenster einschlugen und einstiegen. In ungefähr 5 Minuten hat man dann alles verwüstet, was zu verwüsten war, hat die Fensterrahmen und die inneren Läden ausgehoben und auf die Straße geworfen, einen schweren Schreibtisch aus Nußholz umgestürzt, um ihm die Beine abzubrechen, hat Tische, Stühle und ganze Stöße von Zeitungen, Dokumenten und Büchern aus dem Fenster geworfen.

Alles brannte noch in zwei großen Haufen nach einer Stunde und wurde dann von Straßenkehrern gelöscht. Zu diesen Hergängen ist zu bemerken:

1. daß ein rechtzeitiges Eintreffen der Polizei möglich gewesen wäre und jeden Sachschaden verhütet hätte;

2. daß die Kundgebung einen offenfundig fremdenfeind. lichen Charakter trug; in der Tat ist die deutsche Haus befizerin viel schlimmer mitgenommen worden als der sozialistische Mieter. Etwa 1000 Eremplare der Giustizia ", die neben der Haustür aufgestapelt lagen, blieben unzerstört, aber die Fensterrahmen und inneren Laden kamen auf den Scheiterhaufen. 3. daß es sich

nicht um eine unorganisierte Bande, sondern um eine regelrecht befehligte Schar handelte, die den Be fehlen gehorchte und unter dem faschistischen Kampfruf a noi!" die Schlacht mit den Möbeln aufnahm.

4. daß der erste Bolizeibeamte, der auf bem Blage er schien, mit einem Dirigenten der Invasion sprach und ihm nachher bie hand schüttelte.

an Amendola.

Nachher wurde regelrecht Protofoll aufgenommen und ein Sachschaden von 1000 Lire fonstatiert. Heute trauern 10 Carabinieri auf den Ruiner von Karthago . Ich weiß sehr gut, daß gestern viel, viel Schlimmeres passiert ist. Daß man viele Privat wohnungen geplündert und zerstört hat, und

die Redaktion des Mondo" gezwungen hat, am Todestage ihres Chefs, des Abgeordneten Amendola, die Fahne als Zeichen der Freude für das mißglückte Attentat aufzuziehen. Was ich berichte, ist wortwörtlich wahr und wird in dieser Form der Staatsanwaltschaft vorgelegt werden. Ich teile es als ein Dokument meinen Zeitungen mit. Oda Lerda- Olberg.

Der erste Ueberfall auf Amendola.

Neue Enthüllungen eines Beteiligten.

Der Ueberfall auf Amendola in Montecatini, an deffen Folgen der demokratische Minister fürzlich verstorben ist, war be­fanntlich das zweite Attentat, das von den Faschisten auf ihn verübt wurde. Schon einmal, am 26. Dezember 1923, war er bei hellichtem Tage, um 10 Uhr vormittags, auf offener Straße im 3entrum von Rom überfallen worden. Fünf Leute, plöglich aus dem Fahrzeug, die zunächst hinter ihm in einem Auto gefahren waren, sprangen

schlugen von hinten mit Keulen auf ihn ein, bis er bewußtfos zusammenbrach, und verschwanden wieder im Kraftwagen. Zunächst hatte die faschistische Presse behauptet, die Tat sei von unbekannten und unverantwortlichen" Ele­menten verübt worden. Inzwischen hat befanntlich der Pressechef Mussolinis, Cesare Rossi , in seinem, offenen Brief" enthüllt, daß der Anstister zur Tat fein ander als Mussolini selbst gewesen war. Diese Angaben Rossis werden nun im vollen Um­fange bestätigt und ausführlich ergänzt durch die Angaben, die einer der eigentlichen Täter in mehreren Dokumenten gemacht hat, die jetzt veröffentlicht werden. Es handelt sich um einen Gruppenleiter der faschistischen Miliz in Rom , namens Vico Perroni, der, als die Sache anrüchig wurde, befürchtete, daß man ihn, ähn­lich wie die Mörder Matteottis, fallen lassen würde, und der sich des­halb nach Frankreich begab, von wo aus er sein Zeugnis in dem Verfahren anbot, das gegen den Leiter der politischen Sicher. heitspolizei, den General de Beno, vor dem Staatsgerichtshof eingeleitet worden war. Doch vermied es der Vorsitzende des Staats. gerichtshofes trotz wiederholter Mahnungen Perronis absicht. lich, auf dieses Anerbieten einzugehen und ließ sich vom italie­nischen Konsul in Nizza , wo Perroni lebte, amtlich bestätigen, daß dieser dort unbekannt sei! Daraufhin sandte Perroni ein Traktat an alle Senatoren, d. h. Mitglieder des Staatsgerichtshofes und alle führenden Persönlichkeiten Italiens , in dem er die Behauptungen des italienischen Konsuls Lügen strafte und seine Adresse aber­mals abgab. Dennoch unterblieb die Vorladung. Warum man das Zeugnis Perronis scheute, geht u. a. aus einem Brief hervor, den er an einen seiner unmittelbaren Borgesetzten, den Major Bagliasindi, richtete, und in dem es hieß: Bagliasindi, richtete, und in dem es hieß:

Am 20. Dezember 1923 wurde ich vom Konsul Mario Candelori, dem Leiter der 112. Legion der faschistischen Miliz, der ich als Gruppenführer angehörte, gefragt, ob ich bereit wäre, an einer sehr einfachen Aktion gegen jemanden teilzunehmen, dessen Tätigkeit ein Hindernis für das Werk der Regierung fei. Auf meine bejahende Antwort erfuhr ich, daß es sich um den Abgeordneten Amendola handelte, der mit knüppeln bearbeitet werden sollte. Als ich den Namen Amendola hörte, zögerte ich zunächſt,

aber ich konnte persönlich erfahren, daß es auch der Wille Seiner Exzellenz Mussolini war.

3n wiederholfen Besprechungen wurde von Seiner Exzellenz de Bono ausdrücklich bestimmt, daß der Abgeordnete Amendola lediglich mit knüppeln geschlagen werden sollte, daß aber keine sonstigen Waffen gegen ihn angewendet werden sollten.

Drei Tage lang gingen wir hinter Amendola her, lernten seine Gewohnheiten, kennen und stellten fest, daß es nur bei hellichtem Tage möglich sein würde, gegen ihn vorzugehen, und zwar in sehr belebten Straßen. Mittlerweile war es der 24. Dezember ge­worden. An jenem Abend gestanden wir die Unmöglich. teit der beabsichtigten Handlung ein. Es wurde uns geantwortet, daß wir unfähige Leute feien, daß wir uns nicht hätten verpflichten sollen, und daß die Tat auf alle Fälle vollbracht werden müßte, widrigenfalls wir abgefägt und ersetzt werden würden.

Dieser Gedanke regte uns auf, und wir beschlossen daraufhin, ohne weiteres Zögern am Vormittag des 26. Dezember zu handeln. Nach der Tat fanden neue Besprechungen zwischen General de Bono, Konsul Candelori und mir statt,

um der Kriminalpolizei forgfältig zurechtgemachte Informationen zu geben, die die Untersuchung auf eine falsche Bahn lenken follten.

Auf diese Art wurde sogar der Eindrud erweckt, daß sich die Polizei lebhaft für die Entdeckung der Täter einsetzte.(!) Dann wurde das Verfahren wegen Mangel an Beweisen eingestellt, und die Angelegenheit geriet in Bergessenheit."

Als der Staatsgerichtshof davon hörte, daß dieses Dokument fich in den Händen des Majors Bágliafindi befand, wurde eine Haussuchung in deffen Wohnung angeordnet, wobei der be­treffende Perronis beschagnahmt und sodann beiseite ge­schafft wurde. Aber es war nur eine Abschrift und Bagliasindi, über dieses Vergehen empört, hat selbst mitgeteilt, daß sich das Driginal an ficherer Stelle in seinem Befit befinde und daß er es vorbingen würde, sobald geordnete Rechtszustände in Italien wieder vorhanden sein, würden.

Der Corrieri degli Italiani" ist weiter in der Lage, aus den Protokollen der ersten Untersuchung im Matteotti - Prozeß die Aus­fagen zu veröffentlichen, die Cesare Rossi auch über den Fall Amendola machte. Darin heißt es:

Ich höre, daß man auch von dem Ueberfall auf Amendola spricht. Ich habe davon zum erstenmal durch die Zeitung, Piccolo" erfahren und sofort de Bono telephonisch angerufen und ihn ge­fragt, ob er wüßte, wer diese Wahnsinnigen wären, die kalt­blütig während des Weihnachtsfestes Amendola mit Stöcken überfallen hätten, und zwar ohne entscheidenden und aktuellen Grund." Er antwortete mir: Man hat Idioten dazu gewählt." Da wurde ich neugierig, ging in sein Amtszimmer und machte aus meinem Erstaunen und meinem Tadel tein Hehl. Darauf ant­wortete mir de Bono:

,, Der Duce ist es gewesen, der es gewollt hat."

Ich fragte dann weiter de Bono, wie sich denn Mussolini über die Tat geäußert hätte. De Bono antwortete mir:

Das erstemal war Mussolini etwas unsicher. Offenbar war je­mand in seiner Nähe, der ihn störte. Dann aber hat er mich auf der direkten Leitung angerufen und mir gesagt, daß er infolge des Ueberfalls auf Amendola mit befferem Appetit zu Mittag ge­geffen hätte.(!!)

Dieses Gespräch fand telephonisch statt, weil Mussolini sich damals über die Weihnachtsfeiertage in Mailand befand. Ein oder zwei Tage später fehrte er jedoch aus Mailand zurück und wurde nervös, weil der Mondo"( Das Organ Nittis und Amendolas. Red. d. B.) entschieden gegen den mit Vorbedacht ausgeführten Ueberfall protestierte. Bei dieser Gelegenheit äußerte Mussolini zu de Bono:

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" Solche Handlungen muß man durch Elemente ausführen lassen, die bereit sind, auch die Verantwortung dafür zu tragen!" Kürzlich so fuhr Rossi in seiner Bernehmung fort habe ich von Mussolini selbst gehört, daß es der Polizei in Sachen Amendola schnell und glücklich gelungen sei, den Mondo" endlich um Schweigenzubringen, indem man seiner Redaktion ein geredet habe, daß die Tat von Elementen verübt worden sei, die dem Faschismus fernstehen.

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Bezeichnend ist es, daß die offiziöse Agentur Bolta un­mittelbar nach der Tat, am 28. Dezember 1923, ein Kommuniqué Deröffentlichte, in dem es heißt:

Der Ueberfall auf Amendola ist nicht nur verbrecherisch, son­dern vor allem dumm. Aber verbrecherisch und dumm ist auch die politische Spekulation, die die Opposition darauf gründet."(!)

Der General de Bono erschien im September 1925 vor dem Staatsgerichtshof und wurde wegen Mangel an Beweisen frei. gesprochen, wobei die angebliche Unauffindbarkeit des Vico Perroni eine entscheidende Rolle spielte. Als Antwort darauf hat Berroni die verschiedenen Briefe, die er in dieser Angelegenheit an die Mitglieder des Staatsgerichtshofes, an Bagliafindi, an de Bono und an Mussolini selbst gerichtet hat, als Handzettel drucken laffen. Sie zirkulieren gegenwärtig in Italien trotz der schwersten Strafen, die denen droht, die dabei erwischt werden, von Hand zu Hand.

De Bono ist furz nach seinem Freispruch zum General gouverneur von Tripolis ernannt worden, wo er jetzt seinen Kumpan Mussolini feierlich empfangen wird.