Sonntag
25. April 1926
Unterhaltung und Wissen
Rekorde.
Beilage des Vorwärts
„ Das ist ja alles Romantik!" sagte die Frau zu dem Dichter. So was gibts ja gar nicht mehr! Ein verliebter Dichter? Erstens hast du dein Buch zu schreiben, zweitens hast du für die Schönheit Italiens zu schwärmen, und wenn noch was von deinem großen Dichterherzen übrig bleibt, so gestattest du, daß sich deine Frau und deine Kinder darin teilen. Von Freunden nicht zu reden!"
Der also abgefertigte Dichter stand ratlos vor seinem Beibe und behauptete seine Liebe.
Ihr habt auch alle Tage andere Schmerzen," spottete das Weib. Heraus denn: mie sieht die beneidensmerte Schöne aus? Ist fie cine indische Prinzessin, eine Amerikanerin mit eigener Segeljacht, oder eine talglichtfressende Estimodame, die das Nordlicht ihrer Schlihaugen auf dich warf?"
Der also Verspottete wand sich und sog aus einer Chiantiflasche füßeren Trost als von den Lippen seiner Frau. Wie schwer ihn diese Liebeseinsamkeit traf, das fann nur ich sagen, denn ich war ja selbst dieser verliebte Dichter.
So suchte ich Trost und Mitgefühl bei den Männern und nahm meine beiden Jungens an der Hand. Stellte mich unter den großen Baum, der beim Hotel Paradiso steht, neben dem Garten Eden. Wir sahen sie kommen.
Was mein begeistertes Herz nicht tun durfte, meine Jungens stürzten ihr entgegen, nahmen sie an der Hand und begleiteten fie. Gina!", riefen sie,„ Gina, mir gehen mit!"
Ich folgte traurig nach, jah, mie fie in unser Haus hineinging, und ich fand nachher den großen Sad mit Holzkohle, den sie auf dem Kopf trug, in unserer Küche stehen.
Eines Mittags fand ich einen ganzen Korb Orangen, an dem die Jungens fich gütlich taten.
Boher kommt der Korb Orangen?" fragte ich.
.Bina hat ihn gebracht," schrien die zwei und steckten mir finderkopfgroße Apfelsinen in die weiten Manteltaschen.
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Ob nun rote Pomodoren, Liebesäpfel, honiggelbe Peperoni und dunkelschalige Melanjata auf dem Tische stehen wenn ich frage, moher sind die guten Früchte, so hör' ich immer mur: Gina hat sie gebracht!"
Gina, du große Bringerin, warum soll ich dich nicht lieben! Einmal schmeckte mir die Arbeit nicht, obwohl es früher Morgen war, und der Tau noch im Lichte der jungen Sonne spiegelte. Ich ging reuelos am Studio vorbei, sah durch offene Fenster die einfame Schreibmaschine stehen und hatte gar kein Mitleid mit ihr. Durch die Gärten ging ich auf den Monte Salaro zu.
Da sah ich ein Mädchen auf dem Weg zwischen den niedrigen Mauern, wahrhaftig, wie ein griechischer Rnabe schritt es aus. So breit in Schultern wie in Hüften. Ging in den Steinbruch und lud fich einen els broden auf den Kopf, so groß wie ein Wasser
cimer.
Ich erschrat vor Zorn und Mitleid. Muß denn das junge Mädchen das Lasttier dieser Insel sein, dieser Insel, die feinen Schiebfarren und feinen Handwagen fennt, auf deren steinigen, steilen Begen der Fußgänger mit der leichten Laft des Müßig
ganges genug zu tragen hat?
Aber schon fam sie mir entgegen, stolz aufgerichtet, der schmere Stein schien ihre Stirne nicht mehr zu drüden als eine Königin fione. Sie lächelte zu meinem Gruß.
Lange sah ich ihr nach, und im Nachsehen mußte ich an den Schmiedejungen denken, der mir so lange Jahre geholfen hatte, den Blasbalg ziehen. Mein Schmiedejunge sah wie ein Mädchen aus, und dieses Mädchen fah wie ein Schmiedejunge aus. Nord und Süd bindet das Kind zusammen, wie der Junge Süd und Nord zusammen in die dunkle Schniede holte. Sie ist Mann und Weib in eins, wie der Junge Weib und Mann war. Und wie das unergründliche Leben Gott und Welt in eins ist.
Nun habe ich entdeckt, daß die fleißige Gina, ehe fie Boten dienste für die andern und die Fremden tut, Bausteine vom Monte Salaro zu der Baustelle in die Campagna schleppt. Und wenn sie Feierabend hat, damn trägt sie dem Bater, der das Häuschen baut, Kalf und Wasser zu. Trägt den Mörtel, den sie selber gemischt, Die schwankende Leiter hinan, trägt die Steine auf das Gerüft... Es ist Spätsommer geworden, und die Trauben reifen in den Gärten. Defter als sonst gehe ich jetzt der Arbeit aus dem Wege, in den fühlen Steingängen mich zu erfrischen. Niemand zu Haus meiß, mas das zu bedeuten hat, wenn ich frage, mer die Trauben gebracht habe, niemand meiß um meine Freude, menn fie fagen: ..Wer foll sie bringen? Gina bringt fie aus der Campagna, die über Grotta Azurra liegt."
Gestern fagte meine Frau:„ Gina war hier und hat den Signor Enrico und seine Signora mit den Bambini eingeladen; ihr Campagnahäuschen ist fertig geworden, und es wird ein kleines Feft gefeiert."
Nun ist auch das vorüber. Nachdem wir die Kinder ins Bett gebracht, fizen wir auf der Terrasse und hören immer noch die dunkle Ofarina zwischen den lustigen Mandolinen fingen.
Immer noch tanzen sie auf dem freien Platz vor dem gefchmückten Häuschen. Durch die großen Feigenblätter scheint der
Mond.
Die Eltern ſizen mit ihren Nachbarn um den großen Tisch und trinken Wein aus Ischia . Ihre elf Kinder spielen und fingen, aber niemand tanzt so schön Tarantella wie Gina.
Ich war froh, daß sie den Jüngling tanzte und ihre Freun dinnen umwarb. Hätte sie in dem uralten, ewig jungen Liebespiel els Mädchen den Jüngling mit ihren unschuldigen Augen loden müssen, ich wäre eifersüchtig geworden.
Die große, milde Sternennacht zieht über den Berg dem Meer entgegen. Sommer- Sonntagsnacht, in wüsten Großstädten auf heulend in hungriger Leidenschaft. Hier steigt sie auf, erste Nacht des Paradieses, unbegreiflich still futend mit schimmernden Weiten reiner Klarheit, einsamen Lebens unerschöpflicher Born unbekannten
Glücks.
Gina tanzt ganz allein im Mondlicht noch, wenn die Brüder mit den Schwestern ins Haus gegangen sind, und die Eltern mit den Nachbarn noch ein Stüd Weges gehen. Sie tanat allein unter dem großen Sternenhimmel, vor den Delbänmen, den Weinreben, den Staftusfeigen, die wie Wüstengespenster über die Beinbergsmauer
rogen.
Sie tangt den Tanz des reifenden Weines in den Beeren, der Meereswellen im Mandlicht, den Tanz des fintenden Mondes, der bald die schwarze Pracht des Schweigens hinüberholt aus dem Weltall
HETZLOGEN
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In Anbetracht des Riefenbedarfs an geeigneten Kräften haben die vereinigten deutschnationalen Korruptionszentralen eine große Lügentonturrenz ausgefchrieben. Dem Sieger winkt eine Dauerstellung im Hugenbergschen Preffeladen.
VERFASSUNG
Schon unter Wilhelms glorreicher Regierung war Michel Inhaber sämtlicher Weltrekorde im Dauerihlafen 1918 erwachte er vorübergehend. Nun schläft er schon wieder.
offe
Am Morgen früh wird Gina, die Seele aus Baum und Rante, aus Berg und Meer, wieder das Lasttier der Insel sein. Der Fremde wird erschrecken, wenn er sieht, was bem fiebzehnjährigen Kind zugemutet wird. Wenn diese schlanke Griechenschönheit den Koffer, Manneslaft, auf dem Kopf hinunter an die Marina trägt. Morgen wird auch die Barfe aus Napoli mit den Holzkohlen anlegen, und Gina wird die Körbe auf dem Kopf hinauf die felfigen Treppen tragen, in die Hotels, in die Häuser hinein.
Den Faulheitsweltrekord hält der oftpreußische Fideikommißbefizer Joachim v. Kledersdorf auf Groß- Jauche. Er ist 60 Jahre alt und hat noch nie gearbeitet.
VERSICHERUNGA ESCHWINDEL
1000 Jahre Zuchthaus für andere war das Ziel, das sich der Staatsanwalt Jürgens geffect hatte. Jetzt fitzt er selber in Moabit . ,, Ad multos annos.
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Rhabarber.
Von Dr. W. Wächter
was dann im
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Wie Körbe voll dunkler Rosen wird sie die Lasten dann tragen. Manchmal bin ich neidisch auf meine Freunde. Der blonde Maler liebt die Amerikanerin mit der Segelbarte, und er jegeitlichste Wirkung erzielt, wenn die einen Rhabarber, die anderen mit ihr über den Golf. Er steht breit und faul am Mast, der Kapitän, indes die stolze Milliardärstochter, sein flinker Leicht matrose, sich bemüht, ein freundliches Bort von ihm zu erhaschen. Sie hat ihm ein Schiff voll Leinwand gekauft in Napoli und wird ihm eine Segelbarte voll Farben anfahren lassen, daß er nie mehr in Not kommt. Denn bisher fehlte ihm das Papier zum Aquarel lieren. So arm war er.
Der deutsche Handwerksbursche wurde von der Aegypterin ent führt. Er ist nun Herr über 1000 fflavische Fellachen geworden, und nur, weil er so schön Geige spielen formte.
Die deutsche Baronin füßte den einbeinigen Zeichner auf der Piazetta, mun zeichnet er nur noch ihre schlanke Gestalt an alle meißen Hausmauern, der Narr, und fingt wie ein betrunkener Schmiedegeselle„ Aennchen von Tharau" durch die nächtlichen Straßen.
Liebchen.
Bahrlich, sie können alle prahlen, meine Freunde, mit ihren Wenn sie erzählen von den schönen Frauen, die sie geliebt, müßte ich, der Dichter, schamrot werden.
Aber da verteidigt mich meine Frau.
Was sind eure Damen gegen das Liebchen des Dichters? Keine fann sich mit Gina meffen. Bina ist stärfer als all eure Frauen zusammen. Gina hat das Haus ihres Baters vom Monte Salaro auf dem Kopf ganz allein himunter in die Campagna getragen!"
Oho!" rief der Maler, das Mädchen möchte ich sehen, das mit einem Baterhaus auf dem Kopf spazieren geht."
" Ja", verteidigte mich meine Frau weiter, er hat immer mur
Frauen geliebt, die unerhörtes vollbrachten. In unserer Heimat Terstadt liebte er Christina, die hat bis zu ihrer Hochzeit 42000 Kinderanzüge genäht. Eine seiner Geliebten war Weberin, die hat in den 10 Jahren mehr als 6000 Meter Leinen gewebt, während seine ewige Braut jetzt noch an der Spinnmaschine steht und mehr an Fäden gesponnen hat, als es Meridiane um die Erde gibt. Geht, ihr armen Liebespfuscher, die ihr nur ein oder höchstens zwei Liebchen auf einmal lieben fönnt! Mein Dichter dagegen liebt alle jungen Mädchen zwischen 14 und 80 Jahren... all die starken und fleißigen Frauen zwischen dem Nord- und dem Südpol , die weißen und braunen und schwarzen. Dafür hat ihn auch das Schick. sal bestraft! Ich tenne nur noch eine einzige schwache und faule Frau, in die muß er sich bald verlieben; diese Frau, die liebe und verehre ich selber. Die ist stärker als Gina, die ihr Baterhaus auf dem Kopf tragen tann, die ist fleißiger als die Spinnerin. So verteidigte mich mein Beib, und niemand kann dagegen antommen.
„ Wer ist denn die faule Frau, die fleißiger ist als alle andern, die schwache, die stärker ist als Gina?", frage ich neugierig. Da flopft sie sich stolz auf die Brust und sagt:„ Dies Weib hier, das muß mit Bienenfleiß den verrüdten Gedanken des Dichters nachlaufen und muß, dies schmache Beib, einen ewig verliebten Boeten ertragen."
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Wenn auf der Bühne hinter der Szene zehn oder zwanzig Siatiften eine aufgeregte Volksmenge darzustellen haben, dann sagen ste fortwäh.end: Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber. Buschauerraum flingt, wie wenn Hunderte murrten und Revolution machen wollten. Ein Schauspieler sagte mir einmal, daß dieselbe Wirkung erzielt würde, wenn man anstatt Rhabarber Herr Apothefer, Herr Apotheker sagen würde. Vielleicht wird die glück Herr Apotheker rufen, was auf einen Versuch ankäme. Jedenfalls gehören Apotheker und Rhabarber zweifellos zusammen; beide wirken selten revolutionär, sie sind harmloser Natur und doch eine Wohltat für die leidende Menschheit, der sogenannte Pferdekuren meist Ein solches ist die schlechter bekommen als milde Abführmittel. Rhabarberwurzel oder, botanisch richtiger ausgedrückt, der Wurzel stock des Rhabarbers, der seit mehreren Tausenden von Jahren als Abführmittel benutzt wird. Bereits im Jahre 2700 vor Christi Geburt findet der Khabarber nachweislich in China arzneiliche Bermendung, und auch die alten griechischen und römischen Schriftsteller fannten den Rhabarber als Abführmittel, und ihnen verdanken wir den heute noch gebräuchlichen Namen. Dioscorides nennt die Wurzel Rha oder Rheon und Rha barbarum, weil sie aus dem Lande der Barbaren tam oder, nach anderen Schriftstellern, weil die Wurzeln aus dem Indusgebiet und der Gegend des roten Meeres in den alten Hafenort Barbarife gebracht wurden. Es ist auch die Rede von Rha ponticum oder Radir pontica bei den Alten. Pontus ist das Schwarze Meer . Jedenfalls war man sich über die richtige Stammpflanze des Medizinalrhabarbers bis in die Neuzeit hinein im imflaren, obwohl die Handelsware schon Ende des 16. Jahrhunderts bereits durch Adolf Occo nach Deutschland gebracht worden sein soll.
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Der Handelsweg von China nach dem alten Griechenland führte fraglos über Indien , und erst viel später, erst als Westeuropa den Rhabarber fenen lernte, gelangten die Karamanen aus China über Sibirien nach Rußland , die Rhabarber mit sich führten. Man spricht aljo außer von chinesischem auch von russischem Rhabarber, ähnlich wie von chinesischem, russischem oder Karamanentee. Auch der Tee wird nicht in Rußland gebaut, sondern der Handel geht nur über Rußland . Wir wissen jetzt, daß die wilde Stammpflanze des Medizinalrhabarbers in 3entralasien und vielleicht auch näher an China zu Hause ist, aber da auch die nicht medizinisch verwendeten Rhabarberarten aus Asien stammen, fo hat es lange gedauert, bis man in den botanischen Gärten mit Sicherheit aus mitgebrachtem Samen oder Wurzelstöcken die richtige Pflanze aufziehen konnte. Das ist eigentlich erst in allerneuester Zeit gelungen, feitdem man Anbauversuche mit Medizinalrhabarber macht. Den Bemühungen Professor Tschirchs in Bern und Professor Roß' in München ist es gelungen, nachzuweisen, daß der echte Rhabarber in Deutsch land und der Schweiz sehr wohl fultiviert werden kann, und erst vor wenigen Monaten berichtete die Versuchsstation Happing bei Rosenheim , daß sie jetzt Rhabarberpflanzen in den Handel bringt, deren Wurzelstöcke völlig dem chinesischen Rhabarber gleichkommen, was Aussehen und Wirksamkeit anbelangt. Die Wirkung wurde auf Veranlassung des Apothekendirektors Kroeber, der sich mit der chemischen Untersuchung befaßte, im Schwabinger Krankenhaus 311 München ausprobiert. Die Folge davon ist, daß das in allerneuester Zeit erscheinende neue deutsche Arzneibuch wahrscheinlich den deut fchen Rhabarber aufnehmen wird. Ob dadurch der Anbau gefördert wird, ist zwar noch fraglich, denn dem Rhabarber geht es wie den meisten Arzneipflanzen, die wir sehr gut selbst anbauen können, die aber billiger aus dem Auslande bezogen werden, wo bie Wie notwendig es ist, bevor Arbeitslöhne nicht so hoch" sind. man an den Anbau geht, die richtigen Pflanzen einwandfrei fest zustellen und auszusuchen, lehrt der Rückgang der Rhabarberkultur in England, wo man lange Zeit eine ganz falsche, unmittsame Garte anbaute.
In unseren Baubenfalonien, Schrebergärten und Heimgärten fehen mir jegt fich die ersten rötlichen Blätter des Speiferhabarbers