Abendausgabe
Nr. 19443. Jahrgang Ausgabe B Nr. 96
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10 Pfennig
26. April 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Sowjetrußlands Außenpolitik.
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Im Zentraleretutinfomitee, sozusagen dem Reichsrat" der Sowjetunion , hielt der stellvertretende Außenkommissar Lit. winoff unter großer äußerer Aufmachung der deutsche und andere Botschafter, alle Oberbolschewisten usw. als Zuhörer eine lange Rede, in der er zunächst die gewohnten Mostauer Formeln von Diskreditierung des Bölkerbundes, Erschütterung der Locarnopolitit und Fernhaltung Sowjetrußlands von der vorbereitenden Abrüftungs. tonferenz zum 3wed ihrer Sabotierung wiederholte. Hierauf gab Litwinoff unter dem Beifall der Bersammlung bekannt, daß
abgeschlossen sei. Er verlas den Wortlaut des Vertrages und führte weiter aus:
Der deutsch - russische Vertrag beruht auf der Ueberzeugung der Regierungen beider Länder, daß es im Interesse beider Länder liegt, die auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Freundschaft stetig zu festigen. Der Vertrag enthält teine geheimen Klauseln und es bestehen teine geheimen Brotokolle als Ergänzung zu ihm. Der Berliner Bertrag stellt lediglich eine Bräzisierung des Vertrages von Rapallo dar, der seine Ent stehung den freundschaftlichen Bestrebungen beider Länder, der Hebereinstimmung ihrer Interessen und der gefährlichen außenpolitischen Lage verdankt, in welcher sich damals die beiden Länder befanden. Ob seitdem Deutschland in Europa mehr Freunde erworben hat und ob es nach Locarno und Genf
feine Beziehungen zu den europäischen Mächten als genügend befriedet und gefestigt und seine Lage als gefahrlos betrachtet, das ist eine Angelegenheit Deutschlands . Die Sowjetunion tann, trondem sich ihre internationale Lage bedeutend gefestigt hat, die Möglichkeit tollettiver Angriffe auf ihre Sicherheit nicht außer acht lassen. Die Verminderung einer solchen Gefahr bedeutet zugleich eine Festigung für den Weltfrieden. Während die Politik einiger Mächte darin besteht, sich militärisch aneinander anzuschließen, ein Verfahren, das seinerzeit zum Weltkriege führte, und das feinen Ausdruck in dem Abschluß von Verträgen, wie den jezt erneuerten rumänisch - polnischen Vertrag, findet, be fteht die Politik der Sowjetregierung darin, friedliche, 3ufammenftößen vorbeugende Berträge abzuschließen. Wenn alle Staaten der Welt die gleiche Politik verfolgen würden, wie sie in dem türkisch russischen und deutsch russischen Vertrag zum Ausdrud mehr bebeuten als alle bisherigen und fünftigen Maßnahmen des tommt, so würde dies für die Sicherung des Weltfriedens unendlich Völkerbundes auf diesem Gebiete. Die von der europäischen Diplo matie und Breffe türzlich aufgeworfene Frage, ob der Berliner an Deutschland als an die Sowjetunior gerichtet. Diese braucht sich Bertrag im Widerspruch zum Geiste von Locarno stehe ist eher oor niemandem zu verantworten. Im übrigen hängt die Beant wortung dieser Frage rein objektiv davon ab,
welchen 3wed man mit Locarno verfolgt.
Bird mit Locarno die Befriedung Europas erstrebt, so müßte jeber. mann den Abschluß des deutsch - russischen Vertrages aufs wärmste begrüßen. Wenn aber der Verdacht der Sowjetunion begründet ift und Locarno den 3wed verfolgte, einen Blod gegen die Sowjet.
union zu schaffen und diese zu isolieren, so widerspricht der heute in Berlin unterzeichnete Bertrag einem solchen Geiste von Locarno . Nach wie vor bleibt Locarno für die Sowjetunion eine Bedrohung. Die
Gewährung eines Kredits von 300 millionen Mark von Deutschland an Rußland
ist ein günstiges Anzeichen für die Feftigung der Zusammenarbeit beider Länder. Die hohen 3insforderungen der deut schen Banken haben basher eine Realisierung dieser Kredite noch nicht ermöglicht. Die intereffierten deutschen Wirtschaftstreife Ichen Banten haben bisher eine Realisierung dieser Kredite fuchen, sondern vorteilhafte Strebite. Es ist uns nicht möglich, von Deutschland Kredite zu ungünstigeren Bedingungen anzunehmen, als es die Bedingungen der von anderen Ländern erhaltenen Kredite find.
Ueber die Pariser Verhandlungen teilte Litwinoff mit, daß die Aussichten einer Zusammenarbeit mit Frankreich im Falle einer Berständigung außerordentlich große seien.
Litwinoff bot dann recht eindringlich den Bereinigten Staaten Verhandlungen mit Sowjetrußland an und ließ durchbliden, daß Mostau eventuell selbst die amerikanische Kriegsanleihe an die Kerensti- Regierung anerkennen würde, wenn Amerita nur vorher die Beziehungen zu Mostau aufnehme, monach den Amerikanern glänzende Geschäfte blühten. In England glaubt er einige günstige Symptome für Befferung des Verhältnisses zu Rußland zu erblicken. Auch nach London richtete er freundliche Berhandlungsangebote. In ganz anderem Tone sprach er natürlich zu Polen . Dem sagte er:
„ Leider verhindern gewisse immere, ebenso wie fremde Einflüsse die politische und wirtschaftliche Berständigung mit
Polen , deffen Wirtschaftsnot den Sowjetmarkt dringend brauchte. Bon russischer Seite unternommene Berständigungsversuche schei terten an dem Anspruch Polens , im Namen sämtlicher bal. tischen Staaten zu reden, von denen es ein derartiges Mandat niemals erhielt. Die Cowjetregierung wird ein Protektorat Bolens über die baltischen Länder nicht anerkennen. Die Erneue rung des polnisch rumänischen Bertrages vermindert die Berständigungsaussichten mit Polen . Dadurch wird auch ein Han dels vertrag, der nur auf der Grundlage der Bereinigung aller Fragen möglich ist, hinausgeschoben.
Die Somjetregierung schlägt
Ohne jemals
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Bor einigen Wochen machte der Bayerische Staats anzeiger " des bayerischen Ministerpräsidenten Held in einem aufsehenerregenden Artikel einen wütenden Ausfall gegen die Locarno Politit der Reichsregierung. Ministerpräsident Held ließ darauf feierlich erklären, die bane verheimlicht zu haben, enthält sich, so erklärte Litwinoff weiter, rische Staatsregierung stände diesem Artikel völlig die Sowjetunion jeglicher Einmischung in die innere Angelegenheit Chinas und wird die Politik der Respet.fern: er sei nicht mit drei Sternen gezeichnet und das Privatproduft irgendeines Redakteurs des Staatsanzeigers". Die tierung der Souveränitätsrechte des chinesischen Volkes und der Auf- Belt beruhigte sich wieder, Herr Held seßte aber seine ma u l- rechterhaltung normaler Beziehungen zu den zentralen sowie lofalen Regierungen Chinas weiterführen. Berkörperer dieser Politik wurfsarbeit gegen die Politif der Reichsregierung fort. bleibt Karachan; alle Versuche, seine Politik von derjenigen der Am 25. April ließ er nun felbft in Regensburg bei einer Sowjetregierung zu scheiden, sind fruchtlos. Ein soeben geschlossenes Tagung des Landesverbandes der Bayerischen Volks= partei ein Trommelfeuer gegen die Außenpolitt der Reichsregierung spielen. Er erklärte- fast unmittelbar nach dem Besuch Luthers in München!- in seiner Rede etwa folgendes:
Abkommen zwischen Serebriatoff und Tschangtfolin betont die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung normaler Bezie hungen zur Mandschurei, wo die Ostchinabahn läuft und Japan Interessen befißt, denen die Sowjetregierung im Rahmen des Mög. lichen entgegenzufommen bereit ist.
Damit war diese Kundgebung zu Ende. Besonders in Warschau wird sie einigen Lärm verursachen. Ob sie in Washington und London jene Wirkungen erzielt, die sie haben soll, bleibt abzuwarten.
Bon
Keine übermäßige Aufregung im Ausland. Da sich die Welt in den letzten vierzehn Tagen allmählich an den Gedanken gewöhnen konnte, daß Deutschland und Rußland über den Abschluß eines Ergänzungsvertrages verhandelten, hat die Nachricht der erfolgten Unterzeichnung wenig Aufregung im Ausland hervorgerufen; jedenfalls weniger, als einst nach Rapallo. Interesse ist eine englische Blättermeldung aus Berlin, daß die schnelle Unterzeichnung auf Anraten Lord d'Abernons zurüd. zuführen sei; der englische Botschafter hätte Stresemann nahegelegt, die Welt nicht länger in Ungewißheit und Unruhe zu halten.( Ein durchaus richtiger Gesichtspunkt.) Andererseits hätten auch die Ruffen befürchtet, daß bei längerer Hinausziehung der Berhandlun gen Deutschland schließlich die Luft verliere.
Die englische Presse verhält sich allgemein fühl und unbesorgt, das Arbeiterblatt„ Daily Herald" begrüßt sogar diesen Ber. wie„ Echo de Paris" und" Gaulois", die in dem Russenvertrag eine tragsabschluß. In Paris sind es nur die nationalistischen Blätter Abkehr Deutschlands von Locarno zu erblicken vorgeben, und damit auch eine außenpolitische Blamage Briands. Außerdem hat der umänische Gesandte Diamandy das Bedürfnis empfunden, in einem Interview an den" Matin" feinem Mißtrauen heftigen Ausdruck zu verleihen. Sonst zeigt sich die Pariser Preffe nicht übermäßig besorgt.
Tripolis genügt uns nicht!
Bei der gegenwärtigen Lage des deutschen Volkes bleibt uns. so sagte Held, nichts übrig, als durch eine flare Außenpolitit und eine fluge Ausmuzung der vorliegenden Konstellationen in der nächsten Zukunft unser Heil zu suchen. Im gegenwärtigen Augenblid sei nichts verkehrter, als mit einem Säbel zu rasseln, den wir gar nicht haben. Was wir von der deutschen Außenpolitik fordern, fet ein feftes Biel, bas der Bürbe des deutschen Boltes nichts vergebe. Wenn wir allerdings nach dieser Richtung hin die deutsche Außenpolitik der letzten 1% Jahre betrachten, so fann i nicht behaupten, daß wir eine besonders glückliche Hand gehalt haben. Ich bin nicht der Auffassung, die da und dort die haben. Ich bin nicht der Auffassung, die da und dort die Reichsregierung zu haben scheint, als ob nur über England unser Heil zu finden wäre. Der Sicherheitspaft und was damit zusammenhängt ist im letzten Grunde nichts anderes als eine Sicherung der englischen Polifit. Was wir bisher von Locarno erlebt haben, ist nur eine Reffe von Enttäuschungen; das gilt besonders für unsere Pfalz, wo die Dinge eher noch schlechter geworden sind als sie es schon waren. Der Böllerbund ist nichts anderes als ein Instrument der Siegerstaaten, um uns an die Wand zu drücken. So wenig die Minoritätenfragen durch den Völkerbund weitergebracht worden sind, so wenig wird Deutschland imftande sein, die Dauer der Besetzungsfristen am Rhein vorwärts ist eine Frage für sich, in die Völkerbundskommission hineinzugehen, u bringen. Deutschland kann sich außerhalb des Bölkerbundes viel stärker geltend machen als es im Völkerbund möglich ist. Es ohne zu wissen, welche Kompetenzen diese Kommission hat. Ich Best politit treiben wollte aus der Stimmung heraus, die uns heute beherrscht gegenüber der Sowjetpolitik. Ich glaube, daß das Rußland von heute nicht das Rußland der Zukunft sein wird.
Zur Frage des Berhältnisses zwischen Reich und Bayern be. tonte Ministerpräsident Held, daß seine Partei auf dem Boden dest. Föderalismus stehe. Die Einheit des Reiches wollen wir unte allen Umständen, aber dazu braucht man fein Einheitsreich, das für alle Fragen maßgebend ist.
Mussolinis Bruder fordert außerdem Albanien, Syrien alle Staaten verschlingt und in dem nur ein entscheidender Wille
Madrid, 26 April.( PE.) Die Zeitung" ABC" veröffentlicht ein Interview mit Arnoldi Mussolini, dem Bruder Muffolinis, worin dieser für die Erweiterung des italienischen Kolonialreiches eintritt. Tripolifanien fönne 3talien, das eine jo große Bevölkerungszahl aufweise, nicht genügen. Italien denke vor allem an Albanien, das noch große Möglichkeiten aufweise und ungenügend bevölkert sei, und es denke an Syrien, das von Frankreich doch nicht kolonifiert werden könnte. Auf eine Anfrage des Korrespondenten bezüglich der italienischen Ansprüche auf Tunis antwortete Mussolini, daß Italien vielleicht daran denken werde, aber erst später. Für 3fallen sei die Erlangung neuer Kolonien eine imperative notwendigteit. 3talien jei bei der Aufteilung der Welt zu spät gekommen. Das bedeute aber nicht, daß diese Aufteilung eines Tages revidiert werden könne. Es handle fich bei diefer Politif nicht um 3mperialismus, sondern um den einfachen Selbfterhaltungstrieb.
Italienische Rüftungen?
Der bayerische Held ist jetzt gegen die Weftmächte geladen, mit denen er doch furz vor dem Zusammenbruch Deutschlands offen liebäugelte. Er lehnte damals eine Sympathieerklärung für die Aufrechterhaltung des Reiches ab und wollte Preußen, den Kern des Deutschen Reiches, einfach sich selbst überlassen! Herr Held fürchtete den Einbruch der Italiener in die weißblauen Grenzmarken und suchte nach einem bayerischen Sonderfrieden mit den Siegerstaaten, die er jetzt an greift. Held hat seine Unterhandlungen mit den bayerischen Rammerliberalen dreift abgeleugnet. Diese Kunst versteht er ja vortrefflich und so wußte er ja auch nicht um jenen Angriff des Bayerischen Staatsanzeigers" gegen die Außenpolitik der Reichsregierung.
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Held arbeitet unermüdlich an einer Loderung des Reichszusammenhalts. Obwohl fein Bayer Don Geburt, hat er die ,, bayerische Staatspersönlichkeit" entdeckt. Ein ,, blinder Hesse", der vorgibt, plöglich sehend geworden zu sein! New
York, 26. April .( TU.) Der Korrespondent der New Yort Borld" in Chiaffo erfährt von unterrichteter Seite aus Mailand, Seine bayerische föderalistische" Politik ist nichts anderes das italienische Kriegsministerium habe ein schnelleres Ausarbeiten als die bewußte Förderung der partitularistider Truppentonzentrationspläne und der Mobil- chen Intereffen der weißblauen Monarchie. Und machungsbefehle angeordnet, damit vor Juni alles bereit fei. bei der Förderung diefer Politik nerfährt er ganz strupellos. Der Korrespondent meldet weiter, die adriatischen Divisionen arbei- Jetzt wieder läßt er die bewaffneten bayerischen teten mit fieberhaftem Eifer. Eine faschistische Zeitung habe erklärt: Berbände freischalten und walten, die fich offen Entweder gebe Europa Italien freiwillig Kolonien oder dieses werde auf einen hochperräterischen Borstoß gegen die deutsche Republit vorbereiten. sie sich früher oder später mit Gewalt holen.
Türkisches Manöver mit zwei Reservistenjahrgängen. Die türkische Botschaft in Berlin teilt mit: In den letzten Tagen wurden durch die europäische Preffe alarmierende Nachrichten über die Türkei perbreitet. Darauf bezugnehmend legt die türkische Botschaft zu Berlin Wert barauf, die wirkliche Sachlage folgendermaßen darzustellen:
Die gegenwärtigen internationalen Beziehungen der Türkischen Republik sind normal und vom Geiste der Freundschaft getragen. Die Türkei unterhät zu allen ihren Nachbarn und allen Mächten freundschaftliche Beziehungen.
Die Nachrichten über eine angebliche Mobilisation allen balfischen Ländern den Abschluß eines Neutralitätspaktes in der Türkei treffen nicht zu. Es finden nur die alljährlichen vor. Litwinoff betonte besonders die freundschaftlichen Be- großen Manöver statt, die jetzt nach Westanatolien verlegt ziehungen zu Litauen, deren weitere Förderung zu einem befind. Man hat zu diesem Zwede nur(!) zwei Reservejahrgänge deutenden Faftor für die Feftigung des osteuropäischen Friedens einberufen. Die alarmierenden Meldungen dürften mohl auf dieses normale Unternehmen zurückzuführen sein. merden löune
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Unter feinen Augen leben die alten ,, Kampfper. bände" wieder auf, die jetzt durch den Kriegerbund und die Regimentsvereinigungen verstärkt worden sind. Die Kampfverbände haben nun Richtlinien für eine gemeinsame paterländische Arbeit nationalgesinnter Berbände und Bereine ausgearbeitet. Diese Berbände wollen den Front. friegergeist" pflegen und in der Jugend fortpflanzen. Ihre antirepublikanische Gesinnung dokumentieren fie offen in dem Punkt ihres Richtlinienprogramms: Errichtung einer geschlossenen nationalen Front gegen Reichsbanner und Roten Fronttämpfer. bund..."
Diese Berbände vollen eine neue schwarze Reichs. mehr schaffen. Jeder Verein soll eine mehrhafte Stammgruppe und eine Jugendgruppe ausrüften:
„ Die Uniformierung erfolgt nach einheitlichen Grundsätzen unter Vorbild der Reichswehruniform. Jede Stamm- und Jugendgruppe