Nr. 199 43. Jahrg. Ausgabe A Nr. 101
Bezugspreis:
Bentlich 70 Bfennig, monattia B- Reichsmart voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig . Gaar- und Memelgebiet. Defterreich, Litauen , Lucemburs 4.50 Reichsmart, für bas übrige Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.
Der Borwärts mit der Sonntags beilage Boll und Reit" mit„ Gied. Eung und Kleingarten sowie der Beilage Unterhaltung und Bisfen und Frauenbeilage Frauenstimme erfcheint wochentäglich zweimal. Sonntags und Montags einmal.
Morgenausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Anzeigenpreise:
Die einfpaltige Nonpareille Beile 80 Bfennig. Reklamezeile B- Reichsmart. Kleine Anzeigen bas fettgebrudte Wort 25 Brennis ( auläffia awei fettgebrudte Worte: fedes weitere Wort 12 Bfennig. Stellengesuche das erfte Mort 15 Bfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buch Haben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Reile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten
Belle 40 Pfennia.
Anzeigen für die nächste Summer müffen bis 4 Uhr nachmittags im Bauptgeschäft, Berlin EW 68, Linben. #rake 3, abgegeben werden. Geöffnet von 8 Uhr früb bis 5 Uhr nachm.
Donnerstag, den 29. April 1926
Vorwärts- Verlag 6.m. b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3
Boftfchecktonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten unb Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devoktenkaffe Lindenstr. 3.
Fürstendebatte im Reichstag.
Großes Durcheinander.- Westarp provoziert.- Zentrum gegen, Begehrlichkeit".
Als einen denkwürdigen Tag deutscher Geschichte hat gestern Genoffe Rosenfeld den Tag bezeichnet, an dem zum erstenmal ein Boltsbegehren an die Türe unserer Bolfsbertretung pochte. Man fann aber nicht sagen, daß der große Moment im Reichstag ein großes Geschlecht gefunden hat. Die treffliche, auf überwältigende Sachkunde aufgebaute Rede unferes Sprechers stieß auf ein aufgestörtes Haus, in dem alles durcheinanderlief und sich gegenseitig fragte, was nun weiter werden solle. So sicher die Einigkeit der bürgerlichen
Bedeutung behält aber seine Erklärung, daß die Frage der Auseinandersezung mit den Fürsten unter allen Umständen zu einer Lösung gebracht werden muß. Das ist auch unsere Meinung aber wer sieht nach dem Verlauf der Reichstagsverhandlungen noch eine andere Lösung als den Sieg im Boltsentscheid?
-
findung zu gewähren, die ihnen eine angemessene Lebenshaltung ermöglicht. Diese Abfindungspflicht können die Länder auch durch gesetzliche Bestätigung bereits beschlossener Verträge erfüllen."
3. Den zweiten Absatz des Artikels IV zu streichen( Ausführungsbestimmungen durch Reichsgesetz).
Schließlich hat auch die Zentrumsfraktion beschlossen, dem Reichstag einen Gefeßentwurf vorzulegen, der als Abände rungsantrag zu dem Gefeß auf entschädigungslose Enteignung gedacht ist. Das Zentrum glaubt, durch diesen Antrag einer positiven Beteiligung an dem Wolfsentscheid unter dem Hinweis abhalten zu können, daß von seiner Seite alles getan worden sei, um das schwierige Problem lösen zu helfen. Der Entwurf hat folgenden Wortlaut: Der Reichstag hat folgendes Gesez beschlossen: § 1. lleber alle nicht erledigten. Streitigkeiten zwischen den die vermögensrechtliche Auseinandersetzung einschließlich Auslegung deutschen Ländern und den vormals regierenden Fürsten betreffend abgeschlossener Auseinandersetzungen entscheidet ein besonderes Gericht. In diesem Gericht müssen Laien maßgebend mitwirken.
Barteien in der Regation ist, so groß auch ist ihre Ratlosigkeit zu feinem Ergebnis führen möge, so verschieden sind ihre im Pofitiven. So echt ihr Wunsch ist, daß der Boltsentscheid tags noch zwei Versuche zur Erledigung der Abfindungsfrage felbst für den Fall, daß er abgelehnt wird, seine Anhänger von Meinungen darüber, was dann zu geschehen hat. Die Meinungen darüber, was dann zu geschehen hat. Die nervöse Unruhe im Saal wurde den gespannt lauschenden Hörern der überfüllten Tribünen zum störenden Neben Hörern der überfüllten Tribünen zum störenden Neben geräusch, gegen das die Stimme des Redners mit großer Anstrengung tämpfte. Die Wirkung der sozialdemokratischen Rede wird in ihrer Uebermittlung durch die Presse darum nicht weniger start sein.
In der weiteren Debatte sprach eigentlich nur einer, der genau weiß, was er will. Und das war der Führer der Deutschnationalen , Graf Westarp . Jeder Zoll ein Junker, jeder Zoll ein Royalist. Er stirbt für seinen König, aber nachher muß die Schnauze noch extra totgeschlagen werden. Für ihn ist der Gesezentwurf, den zwölfeinhalb Millionen Deutsche unterschrieben haben, ein Ungeheuer, das dem Abgrund der Revolution entsprungen ist. Was die Fürsten haben, sollen sie behalten. Schade um jeden Pfennig, den der
-
Pöbel erhält....
-
Mit der Rede Westarps ist es gerade umgekehrt wie mit ber des Genoffen Rosenfeld. Es genügt nicht, sie zu lesen. Man muß fie gehört und den Redner gesehen haben! Haltung, Geberde, Tono dieser wohlbekannte blecherne Schnarrton! das alles gehört zusammen. Das ist bestes preußisches Herrenhaus, Typ einer Rafte, die glaubt, daß sie dazu da ist, um zu herrschen und zu befehlen, das Bolf aber dazu, für sie zu bluten und zu zahlen. Diese Kaste weiß, daß fie in der Republik auf den Aussterbeetat gesezt ist und daß ihre legten Exemplare nur dazu bestimmt sind, als fomische Figuren in der Weltgeschichte herumzulaufen. Darum will sie die Monarchie, die ihr Lebenselement ist, wieder haben.
Die Redner der anderen Parteien sind weniger schneidig. Sie stoßen ihr Nein nicht so militärisch heraus. Sie begründen es parlamentarisch. Dabei fällt auf, daß es Herr Wunderlich von der Volkspartei immer noch glimpflicher macht, als Herr Schulte vom Zentrum. Ihm blieb es vorbehalten, zum Schuße der bedrohten Fürstenvermögen - das Christentum mobil zu machen und von dem vor gelegten Gefeßentwurf zu sagen, daß er die Begehrlich feit der breiten Boltsmaffen zu steigern geeignet sei." Und das ist keine rednerische Entgleisung in der Hitze des Gefechts. Das ist eine for mulierte Erklärung die Herr Schulte namens der gesamten Zentrumsfraktion verliest. Das Zentrum wird an dieser Erklärung schwer zu tragen haben.
Es gibt eine spontane Rundgebung von der Tribüne. Man hört den Ruf: Wir hungern, under wirft uns Begehrlichkeit vor!" Wieviel Millionen werden am Abstimmungstag wohl in diesen Ruf einstimmen, und wieviel Zentrumswähler, wieviel christliche Arbeiter werden wohl darunter sein?
Man kann für die schwierige Situation, in der sich das Zentrum befindet, Berständnis haben, aber man wird doch finden müssen, daß die Erklärung, mit der diese Partei ihre Haltung begründete, zu den unglücklichsten Dokumenten der parlamentarischen Geschichte gehört. Sie zeigt nicht nur eine geradezu erschütternde Verständnislosigkeit für die Gefühle der notleidenden Boltsmassen, sondern auch den Mangel jeder politischen Führung,
Von den sonstigen Reden der Parteien verdient nur die des Demokraten v. Richthofen besondere Erwähnung, als ein mit viel Mühe unternommener verzweifelter Versuch, über Abgründe eine Brücke zu schlagen.
Diesem Versuch diente auch die Rede des demokratischen Reichsinnenministers Külz . Als Vertreter der Regierung befand sich Herr Rülz freilich in einer noch viel schlimmeren Lage. Das Kompromiß, für das sich die Regierung in ihrer fchriftlichen Erklärung zum Boltsbegehren einseßt, ist gecheitert. Der Reichsinnenminister tröstet sich mit seiner Biederauferstehung nach dem Scheitern des Bolfsentscheids, bas er norauszusehen glaubt.
Uns gibt gerade der Verlauf der gestrigen Reichstags. tzung die stärkste Hoffnung, daß sich der Minister täuscht.
Neue Anträge der Demokraten und des Zentrums. Die Regierungsparteien haben am Mittwoch trotz der ergebnislosen Verhandlungen im Rechtsausschuß des Reichs gemacht. Ein Erfolg war aber auch diesen Berhandlungen nicht beschieden, so daß es vorläufig bei dem Beschluß des Rechtsausschusses bleibt und zunächst weitere Beratungen über die Abfindung der ehemaligen Fürstenhäuser vor dem Boltsentscheid kaum noch zu erwarten sein dürften. Wortlaut des angekündigten Abänderungsantrages vor, ohne In einer dieser Verhandlungen legten die Demokraten den iedoch beim Zentrum und der Volkspartei auf Gegenliebe zu teßen. Diese verhielten sich gegenüber dem Antrag völlig ablehnend, so daß deffen Schicksal besiegelt ist und eine Erörte wurde. Der demokratische Antrag foll trojdem am Donners rung über seine Berfassungsmäßigkeit erst nicht notwendig tag dem Reichstag vorgelegt werden. Er hat folgenden Wort
faut:
Fürstenvermögen) werden die Worte zugefügt:„ und Abfindung 1. Der Ueberschrift des Gesetzes( Gesetz über Enteignung der der vormals regierenden Familien".
2. Dem Artikel I folgenden Absatz 3. anzufügen:„ Jedoch haben die Länder durch Gesetz den Fürsten und Mitgliedern der Fürstenhäuser, die bis zur Staatsumwälzung im Jahre 1918 in den Ländern regiert haben, aus der enteigneten Vermögensmasse eine Ab
§ 2. Für die Vermögensauseinanderseßung gelten folgende
Grundfäge:
1. Infolge der Staatsumwälzung 1918 ist die staatsrechtliche Stellung der Fürstenhäuser und ihrer Mitglieder pöllig per= ändert, auch bezüglich ihres Berhältnisses zu den bisher in ihrem Befige oder in ihrer Nuznießung befindlichen Vermögensstücke.
2. Als Privateigentum des Fürstenhauses oder seiner Mitglieder gilt ohne Rücksicht auf ergangene Urteile nur das, was sie ermeislich auf Grund ihres Privatrechtstitels mit Ausnahme der Ersigung erworben haben: a) mit Privatmitteln; b) unentgeltlich und auch nicht gegen Leistung, die sie nur fraft ihrer staatsrechtlichen Stellung bewirken konnten.
Menschenfalle Rummelsburg.
Zwei Katastrophen an einem Tage.
Bei dem im Bau begriffenen Werke Rummelsburg ereigneten fich gestern 3 wei schwere Unfälle, die insgesamt 3 wei Iote und vier Schwerverlette forderten. Gestern morgen stürzte ein Eisenblod aus etwa 20 Meter Höhe in die Tiefe und riß zwei der dort beschäftigten Arbeiter mit hinab. In der zehnten Abendstunde ereignete fich ein neues Unglück durch den Einffurz eines kranes. Hierbei wurden zwei Arbeiter getötet und zwei schwerverletzt.
Die Namen der Toten:
Richfmeister Grunert, Schloffer Brauer.
Die Schwerverletzten:
persönlich an die Unfallstelle begeben und das Rettungsamt der Stadt Berlin haite seinen gesamten Wagenpark mit allen zur Verfügung stehenden Aerzten unter Leitung des Dr. Paul rant nach Rummelsburg entfandt. Auch die Feuerwehren der Umgegend von Rummelsburg hatten auf die Meldung der Unfalltatastrophe sofort eine Anzahl ihrer Rettungswagen zur Verfügung gestellt.
Die Unglücksstätte bietet ein Bild grauenhafter Verwüstung. Das gewaltige Gelände des entstehenden Großfraftwerks ist durch Bolizei abgesperrt. In Gruppen haben sich Arbeiter angesammelt und debattieren in voller Erregung die neue Katastrophe auf dem Kraftwerf. Der 25 Meter lange 40- Tonnen- Kran ist völlig zerbrochen. Direktor Wellmann von Bewag( Berliner Elektrizitäts- Werke A- G.) gibt folgende Darstellung des schweren Unglücks: Der Kran
Arbeiter Karl Krause aus der Blumenfeldstr, 22 zu foll schon seit 7% Uhr in der Höhe von etwa 16 Metern gehangen Lichtenberg ,
Schloffer Frih Deuscher aus der Prenzlauer Allee 236. bindungsseile. Dieses brach, die anderen Seile gaben nach, der
Wir erfahren zu dem Unglüd folgende Einzelheiten:
Bei den Arbeiten zur Errichtung eines Borwärme hauses auf dem Gelände des Großfraftwerkes Rummelsburg, die der Berlin - Anhaltischen Maschinenfabrik übertragen worden waren, mußte ein 30 Meter hoher Kran errichtet werden. Aus Ursachen, die bisher noch nicht feststehen, stürzte dieser Kran gestern abend furz nach 9 Uhr zusammen. Die Arbeiten wurden, wie gewöhnlich in der letzten Beit, bei künstlichem Licht bis in die späten Nachtstunden hinein vorgenommen. Das Unglück ist jeden falls darauf zurückzuführen, daß nicht mit der nötigen Sorgfalt verfahren wurde. Einer der schweren Eisenträger von etwa 40 Tonnen im Gewicht stürzte herab und erschlug den Richtmeister Grunert und den Schlosser Brauer. Zwei Arbeiter, und zwar der 30jährige Karl Krause aus der Blumenfeldstraße 23 zu Lichten berg sowie der 36 Jahre alte Schlosser Krüger aus Berlin D., wurden mit schweren Schädelbrüchen und schweren inneren Verlegungen bewußtios in das Rummelsburger Krankenhaus eingeliefert.
Die Schuld an dem Unglüd war gestern abend noch nicht fest. zustellen. Der Polizeipräsident Gregiusta hatte sich
haben. Durch ein verfehltes Kommando der untenstehenden beiden Montagemeister ist um 9 Uhr ein Seil des Krans ge rissen und ein untenstehender Arbeiter stürzte auf eines der Ver40- Tonnen- Kran stürzte in die Tiefe und begrub die Untenstehenden unter sich. Nach den Aussagen des Direktors waren Feuerwehr, Sanitäter und zwei Lichtenberger Aerzte binnen furzer Zeit zur Stelle.
Nach dieser Darstellung des Bertreters der Baugesellschaft trifft das Unternehmen keine Schuld. Die Ansicht der Arbeiter ist allerdings eine wesentlich andere. Der Kran war nach dieser Darstellung noch nicht hoch genug gezogen, als die Kranseile riffen. Einer der Schwerverlegten soll 20 minuten ohne jede erste Hilfe gewesen sein.
Allgemein wird über die sehr schlechte Beleuchtung des Großfraftwerkes geflagt. Man gibt vor allem der ungewöhn lich langen Arbeitszeit die Schuld. In angestrengter 10-12- Stundenschicht wird gearbeitet. Mit diesem Raubbau an Menschenkraft, muß endlich Schluß gemacht werden. So het die Hennigsdorfer AEG. zwölfstündige Arbeitszeit verlangt. Am Mittwoch wurde diese Arbeitszeit auch durchgefüh: 1 Cine Belegschaftsversammlung beschloß jedoch, ab Donnerstag wieder nur acht Stunden zu arbeiten. Ein Vertreter der Kote: 23erte soll erklärt haben, daß die Leute, wenn sie nicht 10 F: 12 Stunden arbeiten, restlos entlassen werden.