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tlc. 216 4Z. Jahrgang

I. Heilage öes Vorwärts

Sonntag, H.Mai 1426

Dieamirrr Srifa

Die Kellner sind gegen die Verlängerung der Polizeistunde! Dos hat bei manchem Zeitgenossen Erstaunen und bei einem Teil der bürgerlichen Presse sogar sozusagen Entrüstung hervorgerusen. Was!? In dieser Zeit, in der jede Arbeitsmöglichkeit ausgenutzt werden sollte, in der es sicher auch unzählige stellungslose Kellner gibt, da greifen diese Leute nicht mit beiden chänden zu, wenn ihnen eine Erweiterung ihrer Arbeitsmöglichkeit geboten wird? Die Kellner wissen recht wohl, mos sie tun, wenn sie die völlige, schrankenlose Aufhebung der Polizeistunde ablehnen. Um ihre Beweggründe zu begreifen, muß man aber die Auswirkungen der Achtstundenarbeit in ihrem Beruf kennen: die letzten Jahr« haben eine neue Generation von Kellnern groß werden lassen, die sich wesentlich von denAlten* unterscheiden. Wie, das soll hier ausgezeigt werden. Irüher. Für die von einem Teil der Arbeitgeber gewünschte schranken- lose Aufhebung der Polizeistunde kommt hauptsächlich das Gafetier- gewerbe in Frage. Es ist erst wenige Jahre her, da gab es für den Kaffeehauskellner weder geregelte Arbeitszeit noch einen einiger- maßen regelmäßigen Feierabend. Bedient wurde, so lange Gäste da waren. Der Kellner kam nie vor 2 oder 3 Uhr nachts aus dem Dienst. Die Folge war, daß die von zehn- und mehrstündiger Arbeit übermüdeten Leute das Bedürfnis hatte», nun, bevor sie nach chause gingen, auch noch eine kurze Weile auszuspannen und ihre über- müdeten Nerven reagierten nur aus stärkste Reize. Damals ging kein Kellner von der Arbeit gleich nach Haus. Da waren die Sellnerlokale nicht die offiziellen Verbandslokale, sondern kleine, oft unscheinbare Kneipen, die für ihre Stammgäste die ganze Nacht hindurch geöffnet waren und in denen Nacht für Nacht gespielt, und oft recht hoch gespielt wurde. Der Kellner war leichtsinnig. Jeden Tag konnte er auf der Straße liegen da lebte er eben heute noch gut, wer wußte, was morgen war! Es waren Spiclralten unter den alten Kellnern, Leute, die oft kaum aus zwei, drei Stunden nach Hause gingen und am liebsten nur zwischen Dienst und Spieltisch gewechselt hätten. Dann kam ein anderes: die holde Weiblichkeit. Der Kellner, der immer denselben Dienst, die langen Nachmittag-,

Abend- und Nachtstunden im gleichen Cafe hatte, trat mit der Zell zu seinen Stammgästen in ein näheres Verhällnis. Und das Groß- stadtleben brachte es mit sich, daß ein erheblicher Teil dieserStamm- gaste* aus Damen bestand, über deren Gewerbe durchaus kein Zweifel war. Lolle, Grete, Elli gingen und kamen fünf-, sechs-, siebenmal an einem Abend in ihr angestammtes Cafe. Hatten sie mal kein Geld, mußte derOber" borgen: ihre Schulden mußte dann der nächsteFreier" bezahlen, den sie zärllich besorgt erst in das Swmmkaffee schleppten, und dem dann eine gründliche Rechnung für alle von Lotte, Grete oder Elli in den letzten Tagen oer- konsmnierten Erfrischungen aufgebrummt wurde. Ging es gar nicht anders, so mußte derOber" auch als Konkurrenz vonPeten " arbeiten, er lieh auf Schmucksachen Geld kurzum, es bildete sich zwischen dem Kellner und seiner Halbweltkundschaft ein

Im Kellaerlokal.

enges, persönlich gefärbtes Geschöftsverhältnis heraus. Er hatte Interesse daran, daß ihr Geschäft gut ging, sie brachten ihm Gäste ins Revier und es gab mehr als ein Cafe in Berlin , wo der Kellner, der eine lustige Herrengesellschaft ins Revier bekam, auch für den weiblichen Zuzug sorgte, getreu dem Sprichwort:Ohne Damen kein Vergnügen", undseine" Damen auch manchmal draußen in ihrem Revier benachrichtigen ließ. Jetzt. Die Zeiten haben sich geändert. Die Versammlungen des Kellneroerbandes brauchen nicht mehr um 4 oder 5 Uhr früh an­gesetzt werden, sie finden morgens rnn 11) Uhr oder am Nachmittag stall. Die Kellner arbeiten Achtstundenschicht, wechseln Arbeitszeit und Revier und um 1 Uhr ist Schluß! Das war eine derUnmög- lichkeiten* des Achtstundentages, die jetzt zu Selbstoerständlichteiten geworden sind. Die Folgen zeigen sich jetzt schon: Die Spieler sind fast verschwunden: nur ein paar alte Spielratten trauern ihren alten, gleichfalls verschwundenen Lokalen nach. Die Jugend treibt lieber Sport(Jiu-Jitsu) und Sprachen. Die Jungen halten auch ihre Stellen länger, eine Deschästigungsdauer von über einem Jahr ist jetzt nicht mehr Ausnahme, sondern Regel. Achtstundenschicht mit Zeit- und Revierwechsel hat auch das Verhältnis zu den weiblich«! Gästen der oben geschilderten Art umgestaltet. Es geschieht nur noch selten, daß einer oder der anders auf das falsche Gleis kommt. Freilich So'ne unü Solche. Ist in Moabit irgendein Zuhällerprozeß, so ist zehn gegen eins zu wetten: Der Angeklagte bezeichnet sich alsKellner", Etimmungssänger" oder dergleichen. Und vielleicht hat er auch wirklich in irgendeiner obskuren Kneipe inal ein paar Wochen kellneriert*. Darum wird er ober von den Verbänden noch immer nicht als vollwertiger Kellner angesehen, so wenig, wie dieSommer- kellner" oder eine gewisse Sorte vonBockhiersestkellnern". die gleichzeitig alsStimmungsmacher" arbeilen und dabei genau wie ausgelernte Animiermamsells vorgehen. Dabei ist übrigens zu be­merken, daß diese Damen fast ausgestorben sind. Es ist nämlich gesetzlich verboten, weiblich« Angesiellt!: im Gastwirtsgewcrbe gegen Prozente vom Umsatz zu beschästigen. Die wenigen.chunten Laternen*, die es noch' in Berlin gibt, verlöschen eine nach der anderen. Die in diesen Lokalen beschäftigten Mädchen sind meist eher als Prostituierte denn als Kellnerin anzusprechen. Ein anderes ist diebayerische Bedienung". Das sind ausgelernte Kellnerinnen aus Nürnberg oder München , sie sind dort organisiert. Zur Bock- bierzeit reisen sie in ganzer Truppe nach Norddeutschland, das diese Gäste freudig hegrüßt. Die wünsche der Kellner. So wurde mir gesagt: Wir sind gegen ein« Aufhebung oller Beschränkungen der Polizeistunde, denn das würde für alle in der zweiten Schicht arbeitenden Kellner eine gar nicht voraus zu be-

Vamile unker den Zedern. 30Z von Henri Bordeaux. (Berechtigte Ucbersetzung von I. Kunde.) hier werden wir uns am besten verbergen, bis der geeignete Moment da ist.* Er war stolz darauf, den Ort gefunden zu haben, den ich schon ausgeprobt hatte, hinter einer Mauer der Zitadelle waren unsere Diener und Pferde leicht zu postieren. Ich fragte meinen Gefährten, wie er sich die Art des Uebcrfalls denke. Wir würden warten, bis die von der perfiden Rahll begleitete Bamile auf ihrem Spaziergang hierherkäme. Es fanden sich wohl dann auch andere musel- manische Frauen ein, um gemeinsam in dem kleinen Fried- Hof zu rasten. Wir würden sie in trügerischer Sicherheit hier ihren Spaziergang uirterbrechen lassen, dann vorspringen und uns auf die Schuldige stürzen. Alle flüchteten sicher schleunigst und kümmerten sich nicht weiter um Pamile. Nun galt es, sier asch zu fesseln, zu knebeln und dann mit der Last auf Pferd, auf Salma, Butros Swte, und fort ins Gebirge: Würde ich mich an der Tat beteiligen oder mich begnügen, wie ein Zuschauer dabei zu stehen? Meine Pflicht, war, bei- zuspringen. Ich konnte meinen Kameraden nicht verlassen, weinen" Bruder, der die gefahrvolle Aufgabe übernommen hatte, die Familienehre der hame zu rächen, mehr noch, die Ehre des gesamten maronitilchen Volkes die unserer beschimpf- ten. verratenen Religion. Die Abtrünnigkeit Pamiles schien nur nicht minder schrecklich als ihre Treulosigkeit. Ihr Glück war verbrecherisch und ich hörte noch immer die abscheulichen Bemerkungen ihrer Bcglei'erinunen. die ihre Liebe, meine Träume besudelten und meine Ei'ersucht zur Raserei steiger- ten. Aber es war mir trotzdem nicht klar, wie ich mich schließlich verhalten würde. Wie alle unentsch'osienen Naturen oder wie jene, welche die Beute moralischer Qualen sind, wollte ich mir bis zum letzten Augenblick meine Entscheidung vor- behalten. Wir besetzten den Kampfplatz, wie die Sonne sich kaum dem Meere zuneigte. Die Hitze erschien uns drückend. Wir waren in unseren Tälern, in der Nähe des Schnees, an kühlere Temperaturen gewöhnt. Langsam und qualvoll ver- strich die Zeit. Wir mußten uns bücken und durften uns nicht beivegcn, damit Spaziergängerinnen uns nicht bemerkten. Inhcltlose Stunden zogen vorüber, ohne in ihrer Gesamtheit keinen Tag auszumachen, die, Augenblick für Augenblick, in meiner Erinnerung hasten sollten; aus ihnen ruhte die Last

so vieler Ereignisse und Schmerzen, daß ich glaube, sie wie einen Rosenkranz meines Elends abzählen zu können nach Art jener alten Frauen, die in der Kirche, fast niechanisch und sicher, daß sie keine einzige vergessen, die Kügelchen durch ihre Finger gleiten lassen. In meinem Gedächtnis leben wozu sollte ich nach Tripolis zurückkehren? die hohe rote Mauer der Zitadelle, die der Abend mählich violett färbte, das Durcheinander der Grabsteine mit ihren weißen Stellen, die emporgeschossenen, hochgewachsenen Gräser des Frühlings, eine schwarze Ziege, die sich verirrt hatte und weidete: in größerer Entfernung lag die Stadt, die Orangen- und Zitronenhaine, der Hafen und das Meer. Wenn sie nicht käme," sagte ich leise zu Butros, wie wenn uns jemand hören könne. Rahil würde es mir teuer bezahlen," knirschte mein Kamerad zwischen den Zähnen. Wünschte ich, daß sie nicht käme? Ging es fehl, dann blieb uns nur die Flucht übrig. Die so eifrig gesuchte und gefundene Gelegenheit wiederholte sich nicht. Das hieß: ich sah Pamile nicht wieder. Und ich wünschte, daß sie käme. Sie kam fast als die letzte. Wir sahen eine Schar ver- schleierter Frauen die Stadt verlassen und sich auf uns zu bewegen Ich hatte bemerkt, daß Pamile nicht darunter war. Da sagte Butros leise zu mir: Wie kann man sie unter diesen Masken erkennen?" Wußte er nicht, daß sie mit keiner andern zu vergleichen war? Da ist sie," sagte ick, zu ihm. In der Tat tauchte sie auf einem andern Pfad auf, gefolgt von dieser Rahil, die sie gegen Liebe und Geld auslieferte. Der Rhythmus ihrer Beine, der die Iägerin verriet, zeichnete sich bei jedem Schritt im Linienfluß ihres Gewandes ab und offenbarte die vollendete Schönheit ihrer Formen: ihr Busen spannte sich, stolz und ungezwungen trug sie den Kopf, wie jene Beduinenfrauen, die vom Brunnen zurückkehren und die Amphoren tragen, welche ihre Schönheit krönen. Ich sah sie schreiten und das genügte, um ein Glücksgefühl in mir zu wecken: meine Liebe eilte ihr entgegen, wie ein Stöber, der seinen Herrn erkennt. Bist du sicher?" wagte Butros mich zu fragen. Er besaß Augen, welche das Wild in unglaublichen Fernen zu unterscheiden vermögen und er sah doch nicht. Aber ich, in meiner Leidenschaft, begnügte mich, ihren Namen auszusprechen:

Yamile." Bon jetzt ab schwiegen wir. Ich hatte ihm zu gehorchen, sowie er den Augenblick für gekommen glaubte. Schon stand die Sonne tief und die Hitze ließ nach. Allzu langes Zögern war wegen der Rückkehr Omars nicht ratsam. Die Rückkehr Omars, diese Nachricht stand auf dem Gesicht Pamiles; es war unverschleiert. Die Damen ließen sich, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, daß sie allein waren, behaglich nieder: sie freuten sich, vom Mandil ungehindert atmen, ein- ander ihre jungen Gesichter zeigen zu können und die feinen Schminken, welche die Wangen rot überhauchten und die Augen größer erscheinen ließen. Sie lachten und waren über- mutig, schwatzten und verspeisten mit gutem Appetit die mit- gebrachten Leckereien. Das Schmausen dieser Geschöpfe der Liebe in einem Friedhof, dieser eigenartige Kontrast, hätte mich interessiert, wenn ich nicht in den Anblick Uamiles ver­sunken gewesen wäre. Sie nahm an dem Treiben ihrer Be- gleiterinnen keinen Anteil. Dieses sechzehnjährige Kind hatte in seinem Glück einen tiefernsten Ausdruck angenommen. Sie glich in ihrer Leidenschaft einer der Mystik des Glaubens hin- gegebenen Nonne und hatte die Hände über der Brust gc- faltet, als wollte sie die zu heftigen Schläge des Herzens be- ruhigen. Es war mir vor kurzem erschienen, als sei sie von Licht umgeben. Jetzt strahlte sie dieses Licht selbst aus. Bon ihren Zügen, ihren Augen, ihrem Hals, ihren schmalen durch- sichtigen Fingern, von allem ging ein Leuchten aus. Meine Bilder aus den Gärten von Chrar, deren Reigen mich um- wogt hatte, verschwanden vor dieser Pamile, die, auf dem Gipfel des Glücks, Omar erwartete, von dem sie zum ersten- mal getrennt war. Gewiß, ich hätte in meiner Eifersucht Butros auf dem Fuße folgen müssen, als dieser, nachdem er mir mit dem Ellenbogen ein Zeichen gegeben, mit wutverzerrten Zügen und lauten Rufen aus unserm Versteck hervorsprang. Ich glaube wirklich, daß die Liebe einen isolierenden Kreis um sie zog und sie schützte, gleich. jenen Tempeln, wo man die Ver- brecher, die sich dahin geflüchtet hatten, nicht mehr verfolgen durfte. Sie war für mich heilig und unverletzlich geworden. Ich wußte es vorher nicht: aber ich fühlte es, als ich den Ent- fchluß fassen sollte, sie zu verfolgen. Meine Füße hafteten am Boden: ich war wie gelähmt.'Das Schauspiel, dem ich beiwohnte, war kurz und furchtbar. Vor dem auffliegenden Falken flohen die Wachteln entsetzt: Schreie der Angst aus- stoßend. (Fortsetzung folgt.)'.