Ei» letzter LeimnngSversuch. Tie Zentrumsfroktion des Reichstages hat ihr« Beratung über die Flaggenfrage gestern abend nicht mit einer Beschlußfassung be- endet, sondern ihre endgültige Entscheidung auf morgen, Dienstag, nach der Reichskanzlerrede oertagt. Die Fraktion gedenkt nach dieser Rede, die Unterbrechung der Sitzung zu beantragen, um dem Reichskanzler noch Telegen- heit zu dem Versuch zu geben, eine B r ü ck c zu den Anschauungen des Zentrums und der Demokraten zu schlagen. Entscheidende Abstimmung Mittwoch abend. Wie das Nachrichtenbureau des VDZ. hört, wird die Flaggen- frag« im Reichstagsplenum am Dienstag noch nicht abgeschlossen werden, sondern sich bis zum Mittwochabend erstrecken. Die entscheidenden Abstimmungen finden also erst in den Abendstunden des Mittwochs statt. die deutjchnationalea«orten ab. Die deutschnationale Reichswgsfraktion, von deren Stellung- nähme das Schicksal des Kabinetts Luther abhängt, wird die Entscheidung über ihre Haltung zum Mißtrauensvotum gegen Luther erst nach der Rede des Reichskanzler» treffen. der veränüerte hinüenburg-örief. Der Entwurf des Hindenburg -Briefes, der den demokratischen Parteiführern vorgelegt wurde, um sie zu vernnlasien, auf ein Kompromiß einzugehen, sah ander» aus als das inzwischen ver» öffentlichte Schreiben. In dem Briefentwurf, wie er den Führern der Regierung»- Parteien vorgelegen hatte, wurde, wie der Sozialdemokratische Pressedienst mitteilt, nicht von dem„gegenwärtigen Staat', sondern von dem„neuen Staat' gesprochen. Außerdem war in dem dritten Absatz des Briefes auf die Nationalversammlung als die verfassunggebende Körperschaft Bezug genommen und von dem Reichspräsidenten gesagt worden, daß ihm nichts ferner liegt, als die durch die Verfassung von der Nationalver- s a m m l u n g bestimmten Nationalfarben zu ändern oder zu beseitigen. In der veröffentlichten Fassung ist durch die Streichung der Worte„von der Nationaloersammlung' und„zu ändern' eine wesentliche Einschränkung des Urtextes erfolgt. Der Demokratische Zeitungsdienst bestätigt diese Mitteilungen und fügt hinzu, der Reichskanzler habe diese Abschwächungen ver- anlaßt, um bei den rechtsstehenden Kreisen nicht anzustoßen. Der demokratische Vorsitzende Dr. Koch läßt entgegen anders- lautenden Meldungen erklären, daß er nie daran gedacht habe, dem Kompromiß zuzustimmen, auch nicht auf der Grundlage des Urtextes des Hindenburg -Briefes.
Erregung im Zentrum. Stürmische Protestversammlung des Berliner Zentrums gegen die Alaggenverordnung. Die Berliner Zentrumspartei hatte zum Donners« tag abend ihre Parteifreunde zu einer großen öffentlichen Rund- gebung für Schwarzrotgold und gegen das Flaggenattentat der Luther-Regierung in die Stadthalle in der Klosterstroße aufgerufen. Der Saal war festlich in den Farben der Republik geschmückt. Di« überaus stark besucht« Versammlung, die zum Teil ungewöhn- lich stürmisch oerlief und«in beredtes Zeugnis für die leideö- schaflliche Erregung breitester Zentrumsschichten über das provoka- torische Borgehen der schwarzweißroten Intriganten ablegte, wurde von dem Vorsitzenden Kellermann, dem Führer des Berliner Zentrums, eröffnet. Wie wissen, sagt« Kellermann, was uns bevor- steht. Wir wisten auch, daß wir vor jenen Kreisen, die den Vorstoß gegen da» Banner der Freihett unternommen haben, auf der Hut fein müssen.(Stürmische Zurufe.) Den ersten Schritt können wei- tere folgen, die verhängnisvoll fein würden. In der Reichsregierung sitzen unsere Männer.(Zurufe: Leider, leider. Pfui. Was ist mit Marx?) Wir wollen mit dem Bewußtsein an die Erörterung dieser
Fragen herantreten, der Partei und dem Batertand zu helfe». (Zurufe.) Als erster Redner sprach Reichstogsabgcordncter Domherr U l i tz k a, Ratibor . Wir verstehen die leidenschaftliche Erregung, in die die Massen geraten sind. Die Pläne der Regierung gingen ja vorerst noch viel weiter. Sämtliche Auslandskonsulate. ob in See- oder Binnenstädten, sollten die schwarzweißrote Flagge hissen. (Große Unruhe, hört, hört und Rufe: Skandal. Bedauerlich genug. daß das zwei Zentrumsminister gemacht habenl Unerhört!) Unsere Minister im Kabinett sind gleichsam überrumpelt worden.(Minuten- lange Unruhe.) Die Zentrumsfraktion traf der Erlaß wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Unsere Bestürzung und Mißbilligung war allgemein.(Zurufe.) Der Brief Hindenburgs ist immerhin von dem Willen zur Versöhnung getragen.(Großer Lärm. Rufe: Das ist Unsinn, ein Attentat gegen die Republik !) Der Reichspräsident hätte bei Erlaß der Verordnung auch Rücksicht auf die breiten Schichten der entschiedenen Schwarzrotgoldenen Republikaner nehmen.(Stürmisches sehr richtig!) Die Flaggenverordnung wurde gezeichnet und gegengezeichnet, ohne daß die Reichstag »- fraktionen auch nur befragt wurden.(Stürmischer Lärm, Pfuirufe.) Wir als Fraktion haben nichts mit der Verordnung zu tun. Unsere Partei steht fest und mit treuem Herzen zu Schwarzrotgold.(Stür- misch« Händeklatschen.) Was hat zu geschehen?(Stünnische minu- tenlange Rufe: Luther wegjagen� Reichstagsauflösung.) Gefühlsmäßig müßte man sagen: Weg mit einer solchen Regierung.(Minutenlanges Händeklatschen und Bravorufe.) Man kann jedoch nicht«her eine Regierung stürzen, als man weiß, woher die neue nehmen.(Großer Lärm. Pfuirufe und anhaltende Zurufe: Reichstagsauflösung.) Da» Zentrum wird all« tun, daß sich solche Vorkommnisse nicht wiederholen.(Lärm. Rufe: Verröter der Republik .) Ich selbst stehe ohne Vorbehalt hinter Schwarzrvtgold.(Bravo.) Rufe:(Hoch Wirth! Wirth hat Recht!) Dem Banner Schwarzrotgold unentwegte Treue mit Herz und Hand Unter diesem Zeiche» wollen wir kämpfen und siegen!(Stürmischer Beifall.) Reichstagsabgeordneter H o f m a n n- Ludwigshafen ging auf die geschichtlich« Bedeutung der republikansschen Freiheitsfarben«in. Schwarzweißrot ist die rechtsradikale Parteifcchn« geworden. Weniger der alte Hindenburg als die Firma Luther und Strefemann haben das Flaggenattentat veranlaßt.(Leidenschaftliche Erregung. Rufe: Nieder mit Stresemann .) Wir stehen geschlossen hinter Schwarzrotgold und lassen daran nicht rütteln. Ein Zurück gibt es nicht, und nicht um einen Millimeter. Nicht die schwarzweißrote völkische Kriegsfahne, sondern das schwarzrotgoldene Pannler des Volkes und des Friedens ist unsere Losung.(Stürmischer Beifall.) Der Abgeordnete Schönborn- Berlin wi« daraufhin, daß Luther eine Prämie auf Ungeschicklichkeit gebühre. Niemal» hätte Ebert einer solchen Verordnung zugestimmt. Er war ein Sohn d« Volk« und ein Politiker.(Stürmisches Händeklatschen.) Kellermann betont noch, daß man oll« daran setzen müsse, daß auch auf dem Meere wieder die schwarzrotgoldene Fahne wehe. (Minutenlager Beifall.) Das ist die Stimmung der gesamten Frak- tion.(Stürmische Unruhe, anhaltende Zurufe: Und was jagen Stegerwald und Marx!) Eine Entschließung, die von Zentrumsfraktion und-presse ent- schiedenste Ablehnung und unermüdlichen Kamps gegen den schwarz- weißroten Anschlag oerlangt und der schwarzrotgoldenen Fahne unverbrüchliche Treue gelobt, wurde einstimmig angenommen. die �ngefteUtenverbänüe zur Zlaggeaverorönung. Der Vorstand des AfA-vundes veröfsenkllcht soeben folgende Kundgebung: Der AsA-vundesvorstand erblickt in der Flaggenvrrordnung eine Mißachtung der Zeicheu des neuen deutschen Volksstaates, gegen die mit der übrigen republikanischen ve- völkerung auch die JJ rivalang«stellten entschieden Einspruch erheben müssen. Er richtet deshalb an die Parteien des Reichstages das dringende Ersuchen, unverzüglich alle politischen Voraussetzungen zu schaffen, die es ermöglichen, diese Verordnung sofort wieder außer Kraft zu sehen, eine entschiedene republl- konische Politik zu betreiben und soziale Gerechtigkeit zu üben.
Gegen Sie Luther -Regkeroag. Zwei graste Kundgebungen des Reichsbanners. Der riesigen Demonstration auf dem Gendarmenmarkt folgten gestern auf den Ruf des Reichsbanners im proletarischen Norden und aus dem Kreuzberg zwei Kundgebungen von außer- ordentlicher Wucht, die wie Fansaren den Sturz der Luther-Regie- rung forderten. Dichtgedrängte leidenschaftlich erregte Massen, die doch im Bewußtsein ihrer Stärke und ihres Rechtes diszipliniert blieben. Schwarzrotgoldene Banner, Musik und der Massenschrill der vielen Tausende gab den Zugangsstraßcn und den Plätzen das Gepräge. Ueber allem lag politische Gewitterstimmung. Eine macht, volle Kundgebung war die Protestversammlung der Zügv Tier- garten, Wedding und Pankow des Reichsbanners Schwarz- Rot-Gold auf dem Brunnenplatz im Norden Berlins . Auch große Scharen von allen und jungen Arbeitern und Arbeiterinnen demonstrierten lebhaft gegen den unerhörten Flaagenraub. Als erster Redner sprach Nifska(Zentrum), der ein flammendes Ge- löbnis für die Fahne des Volksstaates Schwarzrotgold ablegte und dem Zwischenruf..Sturz dieser Luther-Regierung' zustimmte. Räch ihm sprach in temperamentvoller Weise, von stürmischem Beifall öfters unterbrochen, der demokratische Reichstagsabgeordnete Nuschke . Nach ihm sprach Genosse Georg Schmidt. der mit scharfen Worten den Sturz der Luther-Regierung forderte und zur Bereitschaft aufrief für eine neue Reichstags- und Reichs- Präsidentenwahl. Kommunistischen Zwischenrufern rief er treffend zu, daß sie ja an Hindenburgs Wahl schuld sind. Ein Reichsbanner- mann endete die Demonstration mit einem Gelöbnis, mit Gut und Blut für das Reichsbanner einzustehen und mit einem dreifachen begeistert aufgenommenen Hoch aus das Reichsbanner. Mit klin- gendem Spiel und Gesängen zogen die einzelnen Trupps nach ihren Bezirken zurück, von einer großen Masse begleitet, die mit ihnen demonstrierten. Als am Fuße des Denkmals auf dem Kreuzberg die Fackeln aufflammten, da standen die langen Reihen, Publikum und Reichsbanner, dichtgedrängt bis hinunter in die verschlungenen Pfade der Anlagen. Die Reichsbannersermationen der südöstlichen Bezirke waren mit klingendem Spiel anmarschiert.. Sie mußten zumeist auf den Wegen Aufstellung nehmen, der Platz war dicht- !«drängt besetzt mit Publikum. Von den Demokraten sprach Abg. traf. Bergsträher. Für die Sozialdemokratie sprach der Abgeord- nete Genosse Unterleitner(München ). Reicher Beifall und unzählig« Zurufe bewiesen den Rednern, daß sie den Erschienenen aus dem Herzen gesprochen hatten. In guter Ordnung rückten die Reichsbannerformationen wieder ab. Zu beiden Seiten eine unge- heure Mensthenmenge. Alle waren herbeigeeilt, um in Reih und Glied mit der Schutztruppe für die Farben der Republik zu streiten. Regierungsbilöung in Selgien. Genosse Brunei Ministerpräsident? Brüssel . 10. Mai.(Eigener Drahtbericht.) Der Parteiausschuß der Belgischen Arbeiterpartei stimmte am Montag dem Plane zu, den sozialistischen Kammerpräsidenten Brunei mit der Bildung der„Nationalen Regierung zur Rettung des Franken' zu betrauen. In dem neuen Kabinett werden ö Sozia- listen, 5 Katholiken und 2 Liberale sitzen. In der bisherigen Regierung waren die Sozialisten ebenfalls durch S Mitglieder vcr- treten. Die katholischen Minister sind voraussichtlich der frühere Außen- minister I a s p a r, der frühere Justiz- und Arbeitsminister Tschoffen als Finanzminister, der katholische Abgeordnet« von Ostend « B a e l» als Minister für die öffentlichen Arbeiten und der katholische General Helle baut als Wehrminister. Die Minister- kandidaten der Liberalen sind noch nicht bekannt, da die Entschei- dung der Liberalen Partei vorläufig noch aussteht. Aus alle Fälle wird die Bildung der neuen Regierung am Dienstag beschlossen werden. Außer den bisherigen sozialistischen Ministern gehört ihr auch der bisherige Ministerpräsident an. Dem Finanzministerium soll ein F i n a n z r a t angegliedert werden, dem die Dantier» Iadot und Franqui von der„Societö generale' und Cattier von der Ueberseebank, serner der frühere Minister Thcunis und der sozialistische Direktor der Arbeiterbant angehören sollen.
Mexitanisthe Kinder- und Volkskunst. Offenbar hat die in Deutschland schon vor fünfzehn Iahren aufgetauchte Idee der Kunst desKindes nun auch in M e x i k o Wurzeln geschlagen. Ein Professor Ramos Martinez in der Haupt- stodt Mexiko hat Schüler im Alter von 7 bis 17 Jahren nach Lust und Laune malen und zeichnen lassen, vornehmlich Kinder der untersten Klasse, der„Indios, der Eingeborenen. Man sieht aus Photographien, wie die Kleinen hinausziehen mit Leinwand, Farben- tasten und Staffelei und andächtig in der Landschaft sitzen, die sie auf das Bild zu bannen sulhen. Die Ergebnisse dieser lobenswerten Tätigkeit sind dann zu einer Wanderaus st ellung vereinigt worden, die nun auch In Berlin gezeigt wird in der Akademie der bildenden Künste. Das ist aber nicht oll«. Man hat kunstgewerbliche Arbeiten mitgeschickt, die als„B o l k s k u n st' ausgegeben werden. Die Der- bindung bedeutet ein Programm: in den künstlerischen Versuchen der Eingeborenenkinder sieht man Symptome für die Empfindungs- well des Volkes überhaupt. Beides, Kinderkunst und Volkskunst, sollen sich zu einem Gesamtbegriff runden. Aber leider stimmt die Rechnung nicht. Oder nur soweit, als sie auch bei uns gestimmt hat. Eine organische Weiterentwicklung der schönen Keime, die im Kinder- aemüt erschlossen liegen, ist so gut wie gar nicht wahrzunehmen. Auf kinen verheißungsvollen Frühling folgt kein fruchtbarer Sommer uyd Herbst. Das Gesetz der Psychoanalyse, nack dem das rauhe praktische Leben die allermeisten kindlichen Wunschregungen kappt und in den Keller des Unterbewußtseins verbaut, scheint auch aus die künstlerischen Anlagen des Kind« anwendbar zu sein. Aber auch den Begriff„Kinderkunst' haben die Veranstalter der Ausstellung falsch gefaßt. Mit 14, IS Jahren ist bei dieser südlichen Rasse die Kindlichkeit vorüber. Gerade da», was uns Deutschen das Charakteristische und eigentlich Wertvoll« an den Erzeugnissen kind- licher Phantasie dünkt, fehlt hier fast ganz. Diese angeblich un- beeinflußten Naturkinder arbeiten schon in fast erschreckendem Maße mit Perspektive, mit Licht und Schatten— kurz mit all den Mitteln. von denen sich primitive Völker und wahre Kinder so glücklich frei- halten. Diese mexikanischen„Indios' müssen, wenn man von diesen Malereien auf ihre Wesensart schließen wollte, recht unprimittv sein— weit mehr Verstandes- als Gefühlsmenschen. Aber die Schuld liegt wohl weniger an den Künstlern als am Veranstalter der Ausstellung, der den Kern de» Problems„Kinder» kunst' gar nicht erfaßt hat. sondern offenbar mit den unseligen ästhetischen Begriffen der Kunstakademie es zu meistern suchte. Mit besonderem Stolz zeigt er eine Reihe Photographien von Gemälden, die in Paris und New Pork verkauft worden sind. Das ist kam- oromittierend. Muß man unbedingt die Erzeugnisse kindlicher Phantasie zu Marktware degradieren? Dollends vernichtend wirkt die sogenannte„Volkskunst'. Was da an gepreßten Lederartikeln, an Töpfereien, Holzschalen, Flechte- reien und Webereien ausgestellt ist, hat mit„Kunst' so gut wie gar nid#» zu tun, und erst recht nicht mit„Volk'. Das sind geringe Massenartikel, die in Kötzschenbroda genau so gut hergestellt sein könnten wie in Mexiko . Das geht herunter bis zu Reitpeitschen aus Schildpatt, zu Kämmen und Haarpfeilen aus demselben Material. Auch die Dinge, die man bei uns als.Reiseandenken' herstellt oder
wenigstens vorgestern noch herstellte, und die aufgeschnittenen Riesen- eier aus Holz, in die winzige Figürchen hineinpraktiziert sind, dürfen nicht fehlen. Aber nicht etwa als abschreckende Beispiele wie in dem famosen Stuttgarter Museum unter dem Titel„Hausgreuel', sondern ganz ernsthaft und bieder unter der Schutzmarke„Volks- kunst'. Die Photographien der Staatspräsidenten von Mexiko und Deutschland haben sie in riesigem Ausmaß auf scheußlich grellbunte Teppiche projiziert. Ein paar Kopien au» Ton erinnern an die Blütezeit mexikani- scher Kunst. Bevor die spanischen Eroberer kamen und olles nieder- trampelten, was an ursprünglicher Kultur vorhanden war, stand die Plastik, namentlich aber die Töpferei in Mexiko ebenso wie in Peru und Bolivia auf derselben Höhe wie bei den ältesten Kulturvölkern Europas . Unsere Bölkerkundemuseen legen rühmliches Zeugnis da- von ab. Wo ist der künstlerisch« Genius jener Zeit geblieben? Ebenda, wo er sich bei uns hingeflüchtet hat: in jenem Keller d« Unterbewußtseins, in dem er als Erinnerung an ein goldenes Zeit- aller der Kunst fortlebt, an Zeiten, in denen es noch wirklich« Volkskunst auch bei uns in Deutschland gegeben hat. Wir wollen uns nicht überheben und etwa mit Verachtung auf die Mexikaner als ein kulturell minderwertiges Volk herabschauen. Nichts wäre ein» fältiger. Wir wollen nur wieder aufs neu« beherzigen, daß das Gift der kapitalistischen Zivilisation', dem selbst solche Herrlichkeiten wie das chinesische Porzellan und der japanische Farbenholzschnitt zum Opfer gefallen sind, die uralte Kultur Mexikos genau so ange- fressen hat wie» unsere eigene, die noch vor hundert Jahren, wenigstens auf dem Lande, stolz und stattlich und wahrhaft«igen- wüchsig, alfo eine.�Zolkkunst' war. HermannHieber.
Zur Rolf Gärtner. Wie unsere Leser wissen, wurde der Rezitator RolfGärtner im vorigen Jahre vom„Staatsgerichtshof zum Schutze der Repu- blit' zu IS Monaten Gefängnis verurteilt, weil er an- läßlich einer Feier der Kommunistischen Partei in Württemberg Ge- dichte von John Henry Mackay , Erich Mühsam . H e r w e g h und Toller vorgetragen hatte. Es hatte einen horten Kampf gekostet, um das Reichsjustizministerium zu veranlassen, da» unerhörte Urteil aufzuheben. Rolf Gärtner selbst hatte es anfangs abgelehnt, von der im Frühjahr dieses Jahres erfolgten Vcqnadigung Gebrauch zu machen, weil ihm die Bedingungen, deren Befolgung die Voraussetzung für seine Freiheit sein sollte, unvereinbar mit seiner persönlichen Ehre erschienen. Daraufhitt hatte das Reichsjustiz- Ministerium dem von Freunden des Verurteilten gestellten Gnaden- gesuch die Empfehlung an den Reichspräsidenten verweigert. Schließ- lich gab man Rolf Gärtner aber doch die Freiheit wieder, nach. dem er ein Jahr im Gefängnis zugebracht hatte. Jetzt erfährt man, daß Rolf Gärtner schwer erkrankt ist. Das Jahr Gefängnis hat ihm fast das Leben gekostet! Der Schrift- steller Heinrich Eduard Jakob, der Gärtner im Krankenhaus besucht hat, teilt darüber mit:„In den drei Minuten, die ich, geleitet vom Arzt, an Gärtners Bett stand, hat er drei Tatsachen erzält. Er hat bereits während seiner Haft an einem Magengeschwür gelitten'. Er fft nicht ärztlich behandelt worden! Man hat ihm, trotz seiner
dringenden Bitte. keineKrankento st gegeben! Dies« Dinge nicht zu verschweigen, habe ich chm schwören müssen: er wollte meine Hand nicht lassen, ehe ich es ihm versprach. Hoffentlich... kommt er davon. Was aber dann? Er wird vielleicht die Gefängnis- Verwaltung auf Entschädigung verklagen— aber wird er durch- dringen? Seine Existenz ist zerstört. Seine Arbeitssähigkeit(Vor- tragsreisen, Engagements) ist auf lange hinaus vernichtet. Wer hilft? Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehörigen (Berlin W., Keithsttaße II) hat ein H i l f s k o n t o Rolf Gärtner errichtet.' Wir hoffen, daß die Aktion der Bühnengenossenschaft dem un- glücklichen Opfer unserer„Rechtspflege' die nötige materielle Hilfe bringt. Aber— da» möchten wir doch mit aller Entschiedenheit be- tonen: es kommt nicht allein auf das Geld an, das dem erkrankten Rolf Gärtner helfen soll, sondern-es gill auch dafür Sorge zu tragen. daß die für diese skandalöse Angelegenheit ver- antwortlichen Stellen zur Rechenschaft gezogen werden.
Don der Akademie der Mflenschaftea. In der Gesamtsitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften sprach Ulrich von Wila» mowitz-Moellendorff über Hellenismus und Rom . Den Namen Helle. nismus hat Droysen für die letzten drei Jahrhunderte v. Ehr. geprägt, zunächst im Gegensatz zu der ottischen Periode, die er ablöst. Grammatiker, welche die attisch« Sprache die der Hellenen gegenüberstellen, gaben zu dein Namen den Anlaß. Nach unten haben Griechen und Römer unter den Zeitgenossen des Augustus die Grenzscheide zweier Weltperioden empfunden. Die Einheit des Römischen Reich « macht sich auf allen Lebensgebieten fühlbar; die Kultur des Kaiserreiches als Einheit zu erfassen, ist aber bisher nur ungenügend geleistet. In der gleichen Sitzung hat die Akadeinie zu wissenschastlichcn Zwecken eine Gesamtsumme von 40 500 M. be- willigt. Größere Summen davon entfallen auf die Fortführung der von der Akademie allein unternommenen oder unterstützten großen Unternehmungen wie z. B. des Biographischen Jahrbuchs, der Unternehmen„Das Tierreich' und„Das Pslanzenreich', für die Aegyptische und Orientalische Kommission, für die Kant-Au-oabe, kür die deutschen Dialektwörterbücher, für die jzerausgabe der Werke de» Mathematikers Kronecker . Neu ist eine Bewilligung für die Herausgabe der Werke Jean Pauls; damit löst die Akademie endlich eine Ehrenschuld der Literaturwissenschast an dem großen deutschen Prosaiker ein. Prof. Dr. Ludendorff wind eine Expedition des Slstrophysikalischen Observatoriums nach La Paz in Bolivien leiten: zur Beschaffung photographischer Platten dafür erhält er von der Akademie 2000 M. Prof. Dr. Baur in Berlin-Dahlem bekommt eine Unterstützung der Akademie für eine botanische Sammelreise nach Kleinasien . «»«mersäu-er Z«s. Schwarz ill von der S l S d t i s ch e n O p e r von Milte Mal bl« Ende Juni al» Gast verfiichtet worden. Er beginnt lein Gastspiel am 17. in„ToSea". La» grötzie Theater Wie italienisckie Blätter berichten, will Genua den Rubm sur sich gewinnen, da« größte Tbeate« der Welt zu besitzen. Der gewalttge Bau soll im Angesicht de« Meere « auf dem Tagliata-Ptatz errichtet werden. Die stattlich« Summe von 40 Millionen Lire, die er lostet, ist bereit« von einer Kapitalistengruppe. aufgebracht worden.