Nr. 220 43. Jabrg. Ausgabe A nr. 112
Bezugspreis:
Bhentlich 70 Bfennig, monaffia B Reichsmart voraus sahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig . Saar und Memelgebiet, Desterreich, Litauen , Luremburg 4,50 Reichsmart, fit bas übrige Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.
Der Borwärts mit der Sonntags beilage Bolt und Reit mit„ Sied lung und Kleingarten fowie der Beilage Unterhaltung und Wissen und Frauenbeilage Frauenftimme erfcheint wochentäalich ameimal, Sonntags und Montags einmal.
Morgenausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Anzeigenpreise:
Die einfvaltige Ronpareille teile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichsmart...Aleine Anzeigen das fettgedruckte Bort 25 fennte ( auläffia zwei fettgebrudte Worte). febes weitere Wort 12 Bfennig. Stellengesuche das erite Wort 15 Bfennig, tebes weitere Wort 10 Bfennig. Worte über 15 Buchftaben zählen für amet Worte. Arbeitsmarkt Reile 60 Pfennia. Familienanzeigen für Abonnenten
Beile 40 Bfennia.
Anzeigen für die nächste Nummer müffen bis 41 Uhr nachmittags im Sauptgeschäft, Berlin SW 68, Lindenftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet Don 8% Ubr früh bis 5 Uhr nachm.
Mittwoch, den 12. Mai 1926
Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3
Bostschecktonto: Berlin 37 536- Banffonto: Bank der Arbeiter. Angeftelten und Beamten, Ballstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstr. 3.
Luthers Katastrophe.
Der Reichstag lacht ihn aus.- Das Das Zentrum will ihn halten.- Die demokratischen Minister treten zurück.
Die demokratische Reichsfagsfraktion beschloß in ihrer geftrigen Abendigung, im Plenum 3 wei eigene Anträge einzubringen. Der eine begrüßt die Absicht des Reichspräsidenten , alle Kräfte für Schaffung einer Einheitsflagge in verföhnendem Sinne einzusehen. Der andere spricht dem Reichskanzler die Mißbilligung des Reichstags für feine Haltung in der Flaggenfrage aus und betont, daß der Kanzler durch sein Verhalten eine Gesamtlejung dieser Frage erschwert und in forgenschwerer Zeit einen neuen Konffift ohne Notwendigkeit hervorgerufen habe.
Der Redner der Demokraten, Abg. Koch- Wefer, wird in der Begründung erklären, daß die demokratische Fraktion nicht mehr die Möglichkeit fehe, mit dem Kanzler zusammenzuarbeiten.
Die Fraktion wird nicht für den sozialdemokratischen Mißtrauensantrag ffimmen, sondern nur für den eigenen Mißbilligungsanfrag. Aber die demokratischen Minister werden nach der Abstimmung die Konsequenz ziehen und 3 urüdfreten.
fügt er hinzu, die Ausführung muß verschoben werden,| bis sie auf der ganzen Erde gleichzeitig erfolgen fann. Dazu genügt die Briefpost nicht, dazu müssen besondere Boten nach Liberia und Beting, nach Honolulu und Aethiopien , nach Afghanistan und Tokio geschickt werden. Erst wenn sie die Botschaft mit der Verordnung richtig an alle Botschaften und Gesandtschaften abgeliefert haben, erst dann fann das fo eilig inszenierte Verordnungswerk geruhsam zur Ausführung gelangen.
Daß diese Ausreden im Gelächter der Linken erstickt wurden, ist begreiflich. Ebenso begreiflich, daß die Deutschnationalen gleichermaßen verdugt waren, wie Zentrum und Demokraten. Hatten jene eine Kampfansage erwartet, so diese die Einlösung der gegebenen 3 usicherung, daß die Aus
Icheinlich jene Briefe und Eingaben veranlaßt hat, die Strefe mann dann zur Grundlage der Flaggenverordnung nahm. Ein Blitzlicht fiel auf die Mache, als Schnee pathetisch erklärte, er habe bei der Studienfahrt in Amerita außer auf den deut schen Amtsgebäuden nirgends die Nationalfarben gesehen, da fiel ihm Genossin Schröder ins Wort: Bei den deutschen Arbeitern haben wir sie gefunden, die wußten, wie die Farben ihres Heimatstaates find!" Das peinliche Schweigen auf diese Feststellung war beredter als viele Worte. Heute wird die Entscheidung über den sozialdemokratischen Mißtrauensantrag fallen. Das 3entrum wird ihn, obwohl es das Verhalten der Regierung mißbilligt, ablehnen. Die Demokraten werden ihn unterstüßen. Einige von ihnen werden sich vielleicht der Abstimmung entziehen, aber cuch im Zentrum dürfte es vereinzelte Abgeordnete geben, die mit der Entscheidung ihrer Fraktion nicht einverstanden find und nicht mitftimmen werden. Die Fraktionen, die für den mofraten und Kommunisten, zählen zusammen 208 Mann. Ihnen stehen nur 160 Mann des Zentrums, der beiden Bolfsparteien" und der Wirtschaftler gegenüber, die gegen den Mißtrauensantrag stimmen wollen. Bloße Stimm= enthaltung der Deutschnationalen und der Bölfischen mit ihren insgesamt 125 Mandaten würde also Regierungsparteien( abzüglich der Demokraten ), gegen den genügen, um Luther zu Fall zu bringen. Mißtrauensantrag stimmen, fann Luther dem Sturz durá
Im Reichstag zu Berlin - nicht zu Worms ! Wieder Aufdeckung von Putschplänen. trauensantrag stimmen wollen, Sozialdemokraten, De
steht ein Luther als Angeklagter vor den Schranken. Aber diefer Hans Luther ist nicht der trogige: Hier stehe ich, ich fann nicht anders", sondern einer von denen, die so, aber auch anders fönnen. Ein Pfiffitus, der den Reichstag für die dreiflefsige Stadtverordnetenversammlung einer Mittelstadt hält, die er als Oberbürgermeister nach Belieben durchglaubt, mit den Pfiffen und Kniffen eines Verwaltungseinanderwirbeln und nach seinem Willen lenken kann; der bureaufraten fertige Tatsachen schaffen zu können, an denen fich die Herren Stad- oder Landesvertreter nachher den Kopf
zerbrechen mögen.
So glaubte er mit der Flaggenverordnung, heimlich und ohne groß Wesens daraus zu machen, eine fertige Tatsache vor die Welt zu stellen. Und war sicher ehrlich überrascht, als er den Entrüstungssturm bemerkte, den sie im ganzen Reiche hervorrief, als er die Erregung gewahr wurde, die selbst die Regierungsparteien erfaßte. Der Oberbürgermeister hatte diesmal feine Rechnung falsch gemacht. Aber er gab fein Spiel nicht auf, sondern ,, verhandelte". Das Ber handeln gehört auch zu den Gepflogenheiten eines Stadtoberhauptes, der sein Gemeindeparlament an der Strippe halten will. Luther wollte den Sturm beschwichtigen nach dem Motto: Rommt Zeit, tommt Rat!" Deshalb wurde der Brief Hindenburgs wegen der Einheitsflagge produziert, deshalb das Bersprechen gegeben, die ganze Berordnung in ihrer Wirksamkeit aufzuschieben bis zum 1. August, bis dahin aber über die Einheitsflagge zu verhandeln. Alles schien schon in bester Ordnung. Das Zentrum und auch die Demokraten machten Miene, auf diese Luther - Brücke zu treten, obschon sie mußten, daß sie kaum in der Lage sei, die Sorgen der ehrlichen Republikaner in ihren Reihen zu tragen.
Nun hat Luther in legter Stunde die Brüde selbst angesägt, die er eben erst geschlagen hatte, um seine Position zu stüßen. Die sozialdemokratische Interpellation mit ihren peinlichen Fragen, ihre rhetorisch und politisch gleich treffliche Begründung durch Breitscheid , der den ,, un politischen" Kanzler in der Politik als das fennzeichnete, was der Generalanzeiger in der Jour nalist if ist, zwang den oberbürgermeisterlichen Kanzler des Reichs in die Verteidigungsstellung. Es hat wohl faum ein Kanzler vorher einen solchen Abgang gehabt. Im Geläch ter des Hauses erstickten seine frampfhaften Ausreden. Und feine Hand rührte sich, tein Lippenpaar murmelte Beifall, als er seine Blädoyer beendet hatte! Rein deutschnationaler Frundsberg klopfte ihm begütigend auf die Schulter. Eisiges Schweigen auf der Seite der Monarchisten, st ür misches Gelächter von den Bänken der Republikanerdas war der Abgang des schwarzweißroten Flaggenfanzlers!
Was den Luther des Flaggenstreits vollends unmöglich macht, ist die Art seiner Ausreden. Zunächst beruft er fich auf„ Borgänge", die ihm irgend jemand aus den Archiven zusammenstellte: Eine Zustimmungserklärung des früheren Innenministers Gollmann zur Hissung der Handelsflagge am Deutschen Museum in München , eine ähnliche des demofratischen Ministers Defer aus gleichem Anlaß. Glückliches Lachen bei den Monarchisten. Aber denen vergeht bald das Lachen. Luther steht und windet sich. Nach der einen Seite erklärt er das parlamentarische System als die einzig mögliche Form des Staatslebens von heute, auf der anderen aber sucht er die Gefühle" der Staatsfeinde im In- und Auslande schonend zu umfassen. Mit Betonung erflärt er: Die Berordnung ist in Kraft und bleibt in Kraft". Aber,
Haussuchungen bei rechtsradikalen Verbänden. Wichtiges Beweismaterial beschlagnahmt. Der Polizeipräsident teilt mit:
In letzter Zeit haben sich die Anhaltspunkte für eine Unbedrohlicher Weise vermehrt und zur Gewißheit verdichtet, ternehmung rechtsradikaler Elemente in so daß sich die Polizei zu Schritten gezwungen fah, die über
das Maß sorgfältigster. Beobachtung hinausgingen.
Die Berliner Polizei hat deshalb am Nachmittag und Abend des 11. Mai eine ganze Reihe von Durchsuchun gen bei in Frage kommenden führenden Persönlich feiten und Verbänden der rechtsradikalen Bewegung vorgenommen.
Das bei den Durchsuchungen gefundene Material, das noch nicht abschließend gesichtet werden konnte, hat bereits flar erwiesen, daß sich die Verbände mit politischen & ampfaufgaben befaffen, die in ihren Satzungen nicht vorgesehen find.
Bei einer führenden Persönlichkeit ist beispielsweise eine Anweisung an die Zentrale ihrer Organisation gefunden worden, worin die Einzelheiten eines fongenfrischen Angriffes gegen Berlin geregelt werden. Der Führer des Sportvereins Olympia, Oberst a. D. v.£ ud ist auf dem Polizeipräsidium einem eingehenden Berhör unterzogen worden.
führung der Verordnung bis zum 1. Auguft unterbleibe. Luther hat die einen wie die anderen enttäuscht. Luther hatte nicht der Opposition die Stirn geboten, wie die Monarchisten hofften, sondern er war zurückgehuft. Er hatte auch nicht, wie die Mittelparteien erwarteten, seine Zusicherung glatt eingelöst, sondern sie nach bekanntem Mufter ausgede u tet: Wie ich sie auffasse...!"
Keine Hand rührte sich, fein Beifallsruf erscholl, als der neue Luther an seinen Platz zurückkehrte. Nur Gelächter begleitete ihn. Um eine parlamentarische Niederlage zu vermeiden, hatte dieser Kanzler eine moralische Nieder lage vorgezogen. Von der ersten hätte er sich erholen fönnen. Die zweite wird er nicht mehr los, selbst wenn er heute noch mühsam an der Klippe des Mißtrauensvotums vorbeigleiten follte. Ein Kanzler der ,, Doppelseitigkeit" das Wort wurde von ihm selbst gebraucht ist unmöglich.
-
Das hat ihm sofort auch Giesberts namens des Zentrums atteftiert. 3war will das Zentrum feine Krife und deshalb nicht für den fozialdemokratischen Mißtrauensantrag stimmen. Aber es hat selbst einen Antrag gestellt, der mit den Worten beginnt: ,, Das Verhalten der Reichsregierung in der Flaggenfrage entspricht nicht den Anschau ungen des Reichstags".
Das ist zwar nur ein indirektes, aber doch immer noch ein Mißbilligungspotum. Was die dritte Regie rungsgruppe, die deutsche Volkspartei , auch sofort begriff und durch ihren Redner erklären ließ, daß fie ihm nicht zustimmen fönne. Dieser Redner war der Vorsitzende des Bundes der Auslandsdeutschen, Abg. Schnee, der durch sein Techtelmechtel mit den deutschen Monarchisten im Auslande augen
Nur wenn die Deutschnationalen heute mit den beiden
die Abstimmung selbst entgehen.
Indes dürfte ihn schon die Tatsache allein, daß eine der bisherigen Regierungsparteien sein Verhalten mißbilligt, die andere ihm direkt das Mißtrauen ausspricht, zum Rüdtritt nötigen.
Es gibt überhaupt feine Abstimmung, die Herrn Luther nach seiner Katastrophe von gestern zu retten vermöchte. Dieser Ranzler ist unmöglich geworden und muß gehen!
*
U
Als Präsident Cöbe um 2% Uhr die Sizung eröffnet, ist das Haus dicht gefüllt, auf den Zuschauertribünen und auf der Breffeempore drängt sich Kopf an Kopf. Nach einigen geschäftlichen Mitteilungen spricht der Präsident dem Abg. Dietrich Brenzlau ( Dn.) den Glückwunsch des Hauses zu seinem heutigen 70. Geburtstage aus. Dann tritt das Haus in die Tagesordnung ein. Inzwischen haben sich auf der Regierungsbank der Reichskanz ler Dr. Luther, der Reichsaußenminister Dr. Stresemann sowie einige andere Mitglieder des Kabinetts eingefunden. Zur Begründung der sozialdemokratischen Interpellation nimmt unter
großer Spannung das Wort
Abg. Breitscheid( Soz.):
Der Gegenstand der heutigen Beratungen ist die sozialdemo fratische Interpellation über die Flaggenverordnung. Es handelt sich um die vom Reichskanzler gegengezeichnete Berordnung des Reichspräsidenten zur Beflaggung der deutsch - diplomatischen_Misfionen. Danach sollen in Zukunft sämtliche überfeeischen Missionen und die europäischen an der Gee gelegenen Missionen neben der Flagge des Reichs Schwarzrotgold noch die Handelsflagge, bekanntlich Schwarzweißrot mit einer schwarzrotgoldenen Verzie rung in der linken Ede( Heiterfeit!) hiffen. Auf dem ersten Blick fönnte nach den heutigen Beröffentlichungen der Eindruck entstehen, als ob unsere Interpellation gegenstandslos geworden sei. Der Reichsfanzler möge verzeihen, wenn ich mir erlaube, aus seiner heutigen Rede einen Bunft vorwegzunehmen, daß nämlich der Erlaß einstweilen nicht in Kraft treten foll. Aber er ist vorläufig nur fuspendiert, bis zum 1. August foll der Bersuch gemacht werden, fie im Wege der Verordnung durchzuführen. ( Hört, hört! links.) Ich bin im Zweifel, ob die Regierung und die Parteien, mit denen die Regierung darüber verhandelt hat, stolz auf das Ei sind, das sie hier ausgebrütet haben. Ich bin aber im 3weifel, ob das neue Kompromiß die Situation tatsächlich verbessert hat.( Sehr richtig! bei den Soz.) Wir vermögen noch nicht zu sehen, wie das Gefeß aussehen soll, das auf jeden Fall eine 3 meidrittelmehrheit erhalten muß, das den Artikel 3 der Berfassung in seinen wesentlichen Bestimmungen ändern soll. Wir fehen nur, daß der Reichskanzler bereit ist, wenigstens einen gemiffen Rückzug anzutreten, und wir sind bereit, dem Fliehenden goldene Brücken zu bauen.( Heiterkeit.) Wir warten nunmehr ab, wie die Erklärung des Reichsfanzlers auf die Parteien einwirken mird, die bisher mit uns den Standpunkt vertraten, daß die Verordnung
mit der Verfaffung unerträglich sei, die es beflagt haben, daß die Berordnung hinausgegangen sei, ohne diese Barteien vorher davon in Kenntnis gesezt zu haben. Unsere Verpflichtung ist dadurch nicht aus der Welt geschafft