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7. Seilage öes Vorwärts
Mittwoch, 12. Mai 7926
Der Eiweißgehalt der Eier wird meist überschätzt. Erst dreißig Eier sind, wenn man nur die eiweißenthaltenden Körper berücksichtigt, einem Pfund Rindfleisch gleichzusetzen. Dafür ist das Ei aber ein allumfassendes Nährmittel. Da aus ihm ein neuer Or» ganismus entsteht, enchält es alle Stoffe— ähnlich der Milch—, die zum Ausbau eines solchen Organismus nötig sind. Daneben ist das Ei schmackhaft, sättigend und läßt sich leicht zu den verschiedensten Gerichten zubereiten Diese Vorzüge haben es wohl zu dem gemacht, was es seit Jahrtausenden ist: zu einem beliebten und geschätzten Nahrungsmittel bei allen Völkern Leider genügen die Eier, die von deutschen Hennen gelegt werden, nicht, um die große Nachfrage, die in Deutschland nach Eiern besteht, decken zu können Aus diesem Grunde müsien große Mengen dieses wichtigen Nahrungsmittel? aus Ländern die einen Ueberschuß von Eiern erzeugen, eingeführt wer» den. Haupteinfuhrländer für Deutschland sind Rußland , Dänemark , Italien Rumänien und Holland . Als Hauptumschlagsplatz für aus- ländische Eier, auf die die Bevölkerung Berlins zum größten Teil angewiesen ist, gllt der O st h a f e n Di« gesamte Eiereinfuhr und der Eiergroßhandel haben sich im Laufe der letzten Jahre hier lon- zentriert, so daß es wirklich nicht zuviel gesagt ist, wenn man ihn als Berlins Eierhafeu bezeichnet. »Frische Cier, gute Eier!" sagt der Volksmund und hat damit vollkommen recht. Ze aller das Ei ist. desto mehr verliert e» an Qualität. Wenn das Ei Wochen alt ist, schrumpft der Eiinhatt zusammen, d«r Geschmack verringert sich, Eiweiß und Eigelb verlieren in der Farbe. Leider läßt es sich bei den ausländischen Eiern nicht vermeiden, daß diese die Quolt» täten oermindernden Momente, die zum größten Teil in der Zeit liegm, ganz ausgeschaltet werden. Muß doch das ausländische Ei manchmal einen sehr langen Weg zurücklegen, bis es an den Kon- sumenten gelangt. Diesen Faktor weiß auch die Bevölkerung Berlin « ricktig einzuschätzen Sie bevorzugt die„Landeier* oder auch die „frischen Trinkeier*. Od aber all die Landeier, die in Berlin ange- boten werden, aus der Umgegend Berlin » kommen, läßt sich nur schwer feststellen. Und gar manche Hausfrau, die vielleicht„frische Landeier* erslanden hat, wird schließlich auch nur ausländische, so- genannte dänisch «, russische oder holländische oder auch Kisteneier genannt, vor sich haben. Denn letzten Ende» ist das Eiergeschäft immer nur ein Geschäft auf Treu und Glauben. Do in einen Waggon 100 bi» 130 Kisten Eier hineingehen, m jeder Kiste unge- fähr 1400 Eier enthatten sind, der Inhalt eine» Waggon» also aus mindesten» 140000 Eier zu beziffern ist, vergeht in den Eier- ausfuhrländern immer eine geraume Zeit, bi» die zum Transvort nötige Summe gesammett ist. Der russisch« Kleinbauer— au» Ruß land werden zurzeit die meisten Eier bei un»«ingeführt— bringt seine überschüssige Ware zum kleinen Händler, der sich auf dem Dorf« befindet. Von da aus gehen die Eier zu den Großhändlern nach den Städten und von da weiter per Achse nach veulhen oder Königsberg , wo die havptnmladeplähe für dt« russischen Eier sind. Ein anderer Teil geht auch auf dem Wasserweg bi» Stettin und wird von dort mit der Eisenbahn weitertransportiert. Im allgemeinen liebt man es nicht, die Eier per Schiff zu befördern, weil durch den
länger dauernden Schiffstransport die Oualttät telligt wird. 4 bis
beuach-
5 Millionen Eier täglich. Sieht man sich einmal die Slakistik der Einsuhrzahlen auf dew Osthofen an, so erkennt man, daß die Mengen, die hier monatlich einzutreffen pflegen, recht beträchtlich sind. Im Juli 1S2Z liefen 99, im August 125, im September 215, im Oktober 252 Waggon ein. Die Zahlen für das neue Jahr sind im Monat Januar 135, Februar 80, März 114 Waggon. Da sich durch den kalten Winter die Lege- Periode der Hühner in diesem Jahre verspätet hat, sind die Zufuhren augenblicklich sehr knapp. Ende April vnd Mai waren sonst immer
Aaf der Bierbörse.
Hochbetriebsmonate für den Eierhandel. Gab es in dieser Zeit doch oft Tage, an denen 70 Woggan oder, anders ausgedrückt. 4 bis 5 Millionen Eier eintrafen. Die Knappheit in der Zosuhr. hervor- gerufen durch die verspätete Legezett, macht sich auch in den riesige» mifbewahrungsräumen für Eier bemerkbar. Sie sind leer. Nicht eine Kiste erblickt man, wenn map hindurchschreitet. Die Eier ge- langen nämlich bei der starken Nachfrag« aar nicht mehr in die Magazine, sondern werden von den Großhändlern direkt vvm Waggon abgeholt. Totengräber und Entöumpfungsmajchiaen. Natürlich wird kein Waggon abgenommen, bevor seine Ladung nicht sorgfältig geprüft ist. Den Kisten, in denen die Eier mtt Holz- wolle verpackt sind, werden Proben entnommen und mtt eigens dazu angefertigten elektrischen Lampen durchleuchtet. Schimmern die Eier rosig, ist die Ware gut. Erscheinen sie bei der Durchleuchtung jedoch grau oder zeigt sich darin ein schwarzer Kern, so hat man es mtt minderwertiger oder sogar verdorbener Ware zu tun. Die An-
Batdampfuags- und Durcbleucbtungsaalage. nähme des Waggons wird in diesem Falle verweigert. Doch würde man fehlgehen, wenn inan anninmtt, daß nun eine solche Ladung dem menschlichen Genuß entzogen würde. Im Gegenteil! Es gibt Leute, die nur auf solche Situationen lauern, zurückgewiesene Ladungen erstehen zu können. Im Eierhafen werden diese Leute die Totengräber genannt. Die Totengräber, eine gerissene Zunst von Händlern, versteht auch diese Ware noch an den Mann zu bringen. Etwas anderes ist es mit der Enldumpsungswolchlne. Durch Temperaturveränderungen, denen die Eierladungen auf dem Transport ausgesetzt sind, kommt es vor, daß die Holzwolle, in der die Eier verpackt sind, an zu„schwitzen* fängt. Dadurch entsteht ein dumpfer Geruch, der die Eier in ihrer Qualität beeinträchtigt. Um diesen Geruch wieder zu beheben— die Eier können trotzdem gut und frisch sein— hat man die Entdumpfungsmaschine konstruiert, in die gleichzeitig 5 Kisten Eier hineingeschoben werden können. Durch Hochspannungsströme, die durch die Kisten gekettet werden und dabei Ozon erzeugen, wird der schlechte Geruch beseitigt. Durch da» Ozonisierungsverfahren werden die Eier geruchlich wieder ein- wandfrei. » Es wäre natürlich bester, wenn solch« Maschinen nicht nötig wären, die Eier nicht den wetten Weg zurücklegen müßten, sondern sofort aus erster Hand, frisch, wie sie von der Henne kämen, bezogen werden könnten. Aber hei der heutigen Lage der Dinge ist die Eier- Versorgung kaum anders denkbar. Durch Verbesserung von Trans- portmitteln, Konservierungsmitteln und durch Errichtung von' Siedelungen, in denen sich jeder ein paar Hühner für seinen Dedarf halten könnte, ließe sich natürlich auch in der Frage der Versorgung mtt frischen Eiern in der Zukunft viel erreichen.
Achlnug, Freidenker! Parteigenossinnen und Genosten, die Mit- glieder des Verein» der Freidenker für Feuerbestattung in den Be- zirken Kreuzberg und Lichtenberg find, werden ersucht, die in dem heutigen Inseratenteil angekündigten Mitgliederversammlungen zu besuchen. Es finden dort die Neuwahlen der Bezirktleitungen statt. Tue jeder seine vereintpflichtl
Zamile unter den Zedern. 82s von Henri vordeaux. (Berechtigte Hebers etzung von 3. Kunde.) Das Familiengericht. Von unserer Rückkehr mit der Gefangenen benachrichtigt, erklärte das Oberhaupt der Familie, der Schelk Raschid-el- Haine, daß er feine Tochter nur in Gegenwart des Gerichts, das er sofort zusammenberufen werde, wiedersehen wolle. Er erinnerte sich Abrahams und Isaaks, Iephtas und seiner Tochter, die als Sühneopfer dargebracht wurde. Er fühlte sich als einer jener Erzväter, für die man auf der Schule in Antura Verehrung eingeflößt hatte. Cr war sich der Wichtig- keit seiner Rolle bewußt und wollte ihr die Kraft verleihen, wenn sie auch seinen Schmerz nicht verringern konnte. Er schickte Boten weg, welche die beiden Greise, Rametallah Kazi und Regib Daoud, feine Onkel eiligst herbeiriefen. Die Rechtlichkeit und Klugheit dieser beiden war allgemein an» erkannt und verbürgte ein unparteiliches und unanfechtbares Urteil. Als Vertreter der kirchlichen Auwrität wurde auch der Priester von Descherre entboten. Seit unserer Ankunft war keine Stunde vergangen, und bereits waren die Richter zur Sitzung versammelt. Butros und ich mußten unter ihnen Platz nehmen. Sollt« ich es ab- lehnen, wie es meine Pflicht war, da meine Braut mir ihr Wort vor der Flucht zurückgegeben hatte? Aber wenn ich nicht zugegen war, wer würde ihre Verteidigung übernehmen und sie retten? Ohne ein Wort des Protestes nahm ich meinen Platz ein und betrachtete diese undurchdringlichen Ge- sichter: ich hoffte, auf den Zügen des einen oder anderen eine Spur des Mitleids zu entdecken, wenn soviel Jugend, Schön- heit und Liebe vor ihnen erschien. Ueber dem Gebirgskamm des Libanon kündigte sich mit grünlichem Schimmer der Morgen an. Er versprach einen schönen, strahlenden Tag. Wird es Pamiles letzter Tag fein? Gewiß, ich hatte schon einmal mit Entsetzen der Verhandlung eines solchen Familienrates beigewohnt: damals, wie er nach der Entführung des jungen Mädchens zusammenberufen wurde. Aber diese Tagung gewann durch die Gegenwart der Angeklagten ein« Feierlichkeit, die noch furchtbarer war. Ihr Schicksal sollte in ihrem Beisein entschieden und das Ur- teil sogleich vollstreckt werden. Waren die Richter oerstimmt. daß sie zu solchem Tagewert geweckt worden waren, oder lastete die Verantwortung so schwer auf ihnen? Ein dumpfes
Schweigen herrschte. Wie eine Kluft lag e» zwischen allen. Jeder Richter befand sich unter dem Bann seiner eigenen Gedanken. Wir saßen nebeneinander im Salon auf dem großen Diwan, der Scheik in der Mitte: auf seinen Wink führte Elias BamUe herein. Sie trat verschleiert ein. «Nimm den Schleier ab,* befahl der Vater,„du bist hier nicht mehr unter den Muselmanen." Er sprach zu ihr wie zu einer Fremden; nicht in seiner Eigenschaft als Vater, sondern als Priester. Würde er im nächsten Augenblick fein eigen Fleisch und Blut herzlos oer- urteilen? Damtle gehorchte nicht und blieb unseren Augen verborgen. Darin lag etwas wie eine Herausforderung. Sie bezeugte damit, daß sie uns nicht anerkenne und sich einem andern Gesetz unterordne, fenem, welches den Frauen nur gestattet, vor dem eigenen Gatten, sonst vor keinem Mann unverfchleiert zu erscheinen. Erst als ein Diener auf sie zu» trat, um die Hülle wegzureißen, entschloß sie sich, um die Be- rührung zu vermelden, ihr Gesicht zu zeigen. Die anderen Richter sahen nicht wie ich das von diesem Antlitz ausgehende Leuchten: die Liebe hatte ihm ihr Zeichen aufgedruckt: sie forderte, daß es ihr verbleibe. Mtt majestätischer Würde, ja mit Emphase eröffnete der Scheik die Verhandlung, als wenn es sich um ein« Fremd« handelte. Er zählte zunächst alle Vorfälle und die Vergehen auf, die man der Angeklagten zur Last legte: Das Eintreffen der zwei Beis aus Atta, welche vorgaben. Pferde verkaufen zu wollen: ihre nächtliche Flucht, die in Gesellschaft des ein- willigenden jungen Mädchens unternommen, das Vertrauen des Gastgebers getäuscht hatte. Tamile legte durch ein« Gest« dagegen Verwahrung ein: ich deutete diese Geste so.„Hat euch Omar die Mitgift nicht gezahlt und nahmt ihr sie nicht an: er ließ euch sogar die Fuchsstute von unschätzbarem Werte, und ihr habt sie benützt, um mich nach Descherre zurückzu- bringen...* Aber sie beherrschte sich und verharrte in Schweigen. Der Vater fuhr in seinem Bericht fort. Er er- innert« an unsere Verfolgung bis Chrar, wo wir, Dutros und ich, Zeugen gewesen seien von der schändlichen mohammeda- Nischen Eheschließung, wo wir die weißgekleidete, verschleierte, von jungen Mädchen und Musik begleitete Gattin unter Pompentfaltung sich zu Pferde nach dem Hause des Gatten begeben sahen. Feierlich und öffentlich hatte sie an diesem Tage ihren Glauben abgeschworen, um sich einem neuen Ge- setz und einer neuen Religion zu unterwerfen. Hierauf wandte
sich der Präsident des Familientribunals, nachdem er seine Darlegung beendet, an die Gefangene und fragte: „Ist das wahr? Antworte!" Sie verstand sich zu keiner Erwiderung. Begnügte sich mit einer bestätigenden Kopfbewegung. Der Scheit fuhr fort: „Da du gestehst, gib Erklärungen ab; rechtfertige dich, wenn du es noch kannst: verteidige dich!" Was er sagte, klang wie eine Beschwörung. Siegte die Menschlichtelt über die Härte des Richters? Wie er keine Antwort erhiell, nahm seine Aufforderung eine noch un- mittelbarere Form an: , Leine Mutter ist vor Schande und Weh gestorben. Du hast uns entehrt: kein maronitisches Mädchen aus unseren Bergen, aus dem ganzen heiligen Tale des Kadischa hat sich einem Ungläubigen hingegeben. Das blieb nur meiner Tochter vorbehalten. Sprich doch, Tamile, aber so sprich doch.. Der Unglückliche zwang sich, wie wenn er kein Mensch mehr wäre, zu der selbst übernommenen Aufgabe des Rächers. Er tötete, erstickte, löschte alles aus, was ihm von Väterlich- keit im Herzen verblieben war. Aber fein Drängen und noch mehr der Klang seiner Stimme verrieten, welch schmerzlicher Kampf in ihm tobte, ungeachtet des unheilverkündenden Ge- barens. zu dem ihn fein Amt als Richter der Familie zwang. Bamlle aber biß sich die Lippen blutig, um keinem Worte zu gestatten, über die geschlossene Pforte zu dringen. Ich sah deutlich Tränen in ihren Augen, wie die Mutter genannt wurde: aber diese Tränen flössen nicht: die Leidenschaft trocknete und verzehrte sie, bevor sie rannen. Ihre Züge ver- härteten sich in verzweifeltem Trotz. Dieses sechzebniährige Kind wollte keine Schwäche zeigen. Sie fühlte wohl, daß sie schwach werden würde, wenn sie nur den Mund öffnete, und daß sie, sie war doch ein Weib, in Tränen und Jammer aus- brechen müßte. Mit einem Eigensinn, dessen Kraft heroisch war, setzte sie Widerstand entgegen. Man konnte sie vernichten, aber nichts von ihr erzwingen. Und nun standen sich die beiden herausfordernd einander gegenüber, unbeweglich und stumml Welch ein Zweikampf zwischen Vater und Tochter. Ich verfolgte die Phasen, und der Sckweiß pertte mir auf der Stirn. Sollte ich mich nicht einmisrfjen? Butros gab mir Veranlassung. Er war für rasche, einfache und bru- tale Entscheidung, wenn die Umstände Grausamkeit er- forderten. 1 (Fortsetzung folgt.)